IG Lieferung - materielle und formelle Voraussetzungen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden Dr. Hans Blasina, den Richter Dr. Sebastian Pfeiffer sowie die fachkundigen Laienrichter Manfred Fiala und Mag Andrea Prozek in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch EWT Kampits & Kocsis Steuerberatungs OG, Haydng 40 Tür 2, 7000 Eisenstadt, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart (nunmehr Finanzamt Österreich, vgl § 323b BAO) vom betreffend Umsatzsteuer 2017 Steuernummer ***BF1StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin Asli Özdemir zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO im Sinne des Beschwerdevorbringens abgeändert. Die Umsatzsteuer beträgt 166.443,32 Euro.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Im Zuge einer Nachschau wurden bei der beschwerdeführenden GmbH (Bf) Unterlagen zum Verkauf eines Reisebusses abverlangt, der als innergemeinschaftliche Lieferung behandelt worden ist. Vorgelegt wurden der Behörde der Lieferschein des betreffenden Fahrzeuges, die Rechnung, eine Erklärung über die Beförderung von Waren in das übrige Gemeinschaftsgebiet und Ausweiskopien des Geschäftsführers und des Abholenden. Eine Empfangsbestätigung sowie eine Vollmacht zum Abholen des Fahrzeuges wurden nachgereicht. Die Unterschrift des Leistungsempfängers auf der Empfangsbestätigung und auf der Abholvollmacht stimmten laut belangter Behörde nicht mit der Unterschrift auf der Ausweiskopie überein, weshalb kein ordnungsgemäßer Buchnachweis erbracht worden sei. Daher versagte die belangte Behörde der Bf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung im angefochtenen USt-Bescheid vom .
In der Beschwerde führt die Bf aus: In einem Auskunftersuchen der deutschen Steuerbehörden sei die österreichische Finanzverwaltung ersucht worden, innergemeinschaftliche Lieferungen zwischen der Bf und der deutschen Firma O. F. hinsichtlich der Preisgestaltung zu überprüfen. Dies sei der Bf im Zuge einer Nachschau mitgeteilt worden, das Auskunftsersuchen und sein genauer Wortlaut seien der Bf aber nicht bekannt. Rechnung, Lieferschein, Übernahmebestätigung des Abholenden (in der bestätigt wurde, dass die Ware nach Deutschland geht), Bestätigung der UID-Nummer des Käufers aus Finanz-Online Stufe 2, Ausweiskopie des Erwerbers F. und des Abholenden M., Bevollmächtigung des Abholenden (fristgerecht nachgereicht nach Aufforderung).
Die innergemeinschaftliche Lieferung setze voraus, dass die Befugnis, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übergegangen ist und der gelieferte Gegenstand vom Lieferstaat in einen anderen Mitgliedstaat physisch verbracht worden ist; die tatsächliche Besteuerung dort sei nicht Voraussetzung (, Teleos; , C-184/05, Twoh). Hinsichtlich des Nachweises der Voraussetzungen bestimme Art 28c Teil A der RL 77/3888/EWG, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen für die Befreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen festlegen. Art 22 der RL 77/3888/EWG regle bestimmte formelle Pflichten und ermächtige die Mitgliedstaaten, weitere Pflichten vorzusehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Dabei erfordere der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass die Befreiung gewährt werde, wenn die materiellen erfüllt sind, selbst, wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Anforderungen nicht genüge (, Collée). Bei Ausübung ihrer Befugnisse müssen die Mitgliedstaaten die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, zu denen u.a. Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit gehörten (, Twoh).
Nach der deutschen Rechtsprechung gehörten die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht und der Nachweis der Legitimation des Unterzeichners nicht zu den Erfordernissen eines ordnungsgemäßen Belegnachweises (BFH , XI B 79/08, BFH/NV 2010, 72). Der Geschäftsführer der Bf habe sich bei Bestellung der Fahrzeuge am durch Herrn F. persönlich aufgrund des Fotos auf dem Ausweis von dessen Identität überzeugen können. An die Unterschriften der vorgelegten Nachweise die gleichen Anforderungen wie bei der Unterschrift auf einem Ausweis mit Vor- und Zunamen zu stellen, wäre aber übertrieben formalistisch. Es werde zusätzlich eine Kopie der Gewerbeanmeldung des Herrn F. vorgelegt, auf der die Unterschrift eher der in der Empfangsbestätigung der Bf entspreche. Danach könne die Identität des Unterschreibenden nicht in Zweifel gezogen werden. Zuletzt berufe sich die Bf noch auf Art 7 Abs 4 UStG, weil sie auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns keine Unrichtigkeit der Angaben des Abnehmers habe erkennen können.
In der Beschwerdevorentscheidung vom führt die belangte Behörde aus, das Auskunftsersuchen erging, weil von F. keine Umsätze angemeldet und die Umsatzsteuer nicht abgeführt worden seien. Nach Wiedergabe des Art 7 UStG und des Textes der VO BGBl 1996/401 führt die belangte Behörde aus: Zum Buchnachweis zähle neben der Aufzeichnung des Namens und der Anschrift des Abholenden und der Verbringungserklärung auch der Nachweis, dass der Beauftragte für den Abnehmer die Ware abholt, was durch eine spezielle Vollmacht oder einen Vermerk auf der Bestellung erfolgen könne (BFH , V R 26/05), worauf auch auf dem Vordruck der ursprünglich verwendeten Verbringungserklärung hingewiesen werde. Eine Reisepasskopie des Abholenden sei dafür als Nachweis nicht ausreichend. Die Überprüfung sei bereits vor Aushändigung der Ware vorzunehmen, insbesondere bei hochpreisigen nicht vertretbaren Wirtschaftsgütern wie Omnibussen.
Es stehe fest, dass der zur innergemeinschaftlichen Lieferung korrespondierende innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsland nicht versteuert worden sei, womit die materiellen Voraussetzungen der Steuerfreiheit gemäß Art 7 Abs 1 UStG nicht vorlägen (). Die Vertrauensschutzregel des Art 7 Abs 4 UStG greife nicht, wenn der Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung schon wegen fehlender oder mangelhafter Unterlagen (zB fehlende Vollmachten) seitens des Lieferanten nicht erbracht werden könne.
Im Vorlageantrag vom wird ergänzend vorgebracht, auf die am nachgereichte notariell beglaubigte Unterschrift des F. sei in der Beschwerdevorentscheidung nicht eingegangen worden. Die Ansicht des Finanzamtes, ein mangelhafter Abholnachweis sei nachträglich nicht sanierbar, sei weder unionsrechtlich haltbar noch ergebe sie sich aus dem UStG und der zitierten Verordnung. Allein die Tatsache eines nachträglich erbrachten Nachweises rechtfertige für sich nicht, die Steuerfreiheit zu versagen; bei vorliegenden materiellen Voraussetzungen verstoße das Bestehen auf Formalvorschriften gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot (); der Belegnachweis könne bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht nachgeholt werden, was auch der BFH (, V R 41/04) bekräftige ().
Auch der VwGH habe bestätigt, dass im Bereich der Nachweisführung nicht auf den Zeitpunkt der Nachweiserbringung abzustellen sei; es sei auch eine spätere Nachweisführung im Abgabenverfahren ausreichend und entscheidend, dass dem liefernden Unternehmen der Nachweis gelinge, dass die materiellen Voraussetzungen der Steuerfreiheit zweifelsfrei vorliegen ( mit Hinweis auf , Collée). Dass keine korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerbe vorliegen, sei vom Finanzamt erstmals in der Beschwerdevorentscheidung behauptet worden.
Es komme darauf an, dass der Unternehmer die Voraussetzungen der Steuerbefreiung unter Ausschöpfung sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel () tatsächlich nachweise (). Diesem BFG-Erkenntnis sei nicht entnehmbar, dass die Steuerfreiheit mangels korrespondierender innergemeinschaftlicher Erwerbe im Bestimmungsland versagt werde, sondern, weil der Nachweis misslang, dass die Ware ins übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt sei. Eine Verknüpfung von Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung und Versteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbes bestehe nicht (Verweis auf Ruppe, UStG³ und UStR 2000 Rz 3993).
Im Vorlagebericht führt die belangte Behörde aus, für den Verkauf eines Omnibusses durch die Bf (sowie von drei weiteren Bussen aus dem Nahkreis der Bf) sei eine Anzahlung von je 1.500 Euro geleistet worden, der innergemeinschaftliche Erwerb vom Abnehmer in Deutschland jedoch nicht erklärt worden. Fraglich sei das Vorliegen des Buchnachweises. Sollte das Gericht zum Schluss kommen, ein ordnungsgemäßer Buchnachweis liege vor, werde beantragt, die Steuerfreiheit wegen mangelnder Sorgfalt zu versagen. Steuerfreiheit bestehe nicht, wenn der Unternehmer wusste oder wissen musste, dass die betreffende Lieferung iZm Umsatzsteuerhinterziehung oder sonstigen, die Umsatzsteuer betreffenden Finanzvergehen stehe. Die ursprünglich mangelhaften Buchnachweise seien ein gewichtiges Indiz für die mangelnde Sorgfalt.
Im Auskunftersuchen der deutschen Finanzverwaltung wird ausgeführt:
"Bei meinem Steuerpflichtigen besteht der Verdacht auf Missing Trader Betrug. Nach Anmeldung wurden sofort hohe Umsätze getätigt. Sämtliche Einkäufe aus anderen EU-Mitgliedstaaten, sämtliche Verkäufe im Inland. Die Umsätze wurden nicht angemeldet, die Umsatzsteuer nicht abgeführt.
Die tatsächliche Existenz der Fahrzeuge ist zum Teil noch nicht gesichert. Ich bitte alle verfügbaren Unterlagen zu dem Geschäft zu übersenden und (wenn möglich) zu prüfen, ob das Fahrzeug tatsächlich existent ist.
Beim Weiterverkauf durch meinen Steuerpflichtigen wurde untypisch hohe Gewinnmargen erzielt. Die entsprechenden Rechnungen sind beigefügt. Es besteht die Vermutung, dass durch Ihren Steuerpflichtigen die Fahrzeuge unter dem tatsächlichen Wert veräußert wurden um die stillen Reserven nicht aufdecken zu müssen. Die Buchgewinne könnten auf meinen Steuerpflichtigen verlagert worden sein, da dieser offenbar nie beabsichtigt hatte, seinen steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Ich bitte daher zu prüfen, ob sich bei Ihrem Steuerpflichtigen konkrete Hinweise auf dieses Betrugsmodell ergeben."
Laut Vorhaltsbeantwortung durch die belangte Behörde vom ist seitens der deutschen Steuerverwaltung keine Rückmeldung über den Ausgang des dem Auskunftsersuchen zugrunde liegenden Verfahrens erfolgt. Zur Frage, welche Anhaltspunkte dafür sprächen, dass die Bf von einem Betrugsfall wusste oder hätte wissen müssen, gibt die belangte Behörde an: Da es nur aufgrund eines Rundmails des Käufers zur Geschäftsanbahnung und zum Verkauf des Omnibusses gekommen sei, gehe die Behörde davon aus, dass die Bf nicht sorgfältig gehandelt habe.
In der mündlichen Verhandlung wird seitens der Bf ergänzend vorgebracht, man sei durch die Geschäftsanbahnung über einen bereits bekannten H. Bushändler und das Prüfen der Unterlagen sorgfältig gewesen. Auch wenn in dem bei Besichtigung am geschlossenen Kaufvertrag nur die Anzahlung schriftlich festgehalten sei, sei die Kaufpreishöhe mündich vereinbart worden und in der Rechnung letztlich ausgewiesen worden. Wichtig sei der Bf, dass die Anzahlung geleistet werde, weil dann eine Sicherheit für das Einhalten des Vertrages vorhanden sei. Außerdem komme es der Bf darauf an, Busse in Bausch und Bogen verkaufen zu können und keine nachträglichen Reklamationen zu erhalten. Daher bevorzuge sie den Verkauf ins Ausland. An wen und zu welchen Konditionen der Käufer die Busse weiterverkaufe, wisse er nicht.
Seitens der belangten Behörde wird eingeräumt, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die materiellen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht vorliegen. Auch könne sie keine Indizien dafür nennen, dass die Bf von einem Betrug wusste oder hätte wissen müssen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Die Bf betreibt Reisebusse. Am wurde nach Besichtigung durch den Käufer über den Verkauf eines Reisebusses ein Kaufvertrag mit dem Unternehmen O. F. mit Sitz in H. geschlossen und am 1.500 Euro Anzahlung geleistet.
Am wird von der Bf die Rechnung über die Restzahlung von 38.500 Euro gelegt. Am wird der Bus der Marke/Type Autobus, Baujahr 2005, vom Bevollmächtigten der O. F., M., abgeholt und nach Deutschland verbracht.
Der Käufer ist deutscher Staatsbürger und hatte seinen Sitz ursprünglich in H. (wie in Kaufvertrag und Rechnung), zum Zeitpunkt der Abholung aber nach G. verlegt. Mit Kaufvertrag vom und Lieferung am selben Tag wurde der Bus vom Käufer um 60.500 Euro an einen anderen H. Bushändler weiterverkauft.
Auf dem Bankkonto der Bf langte am die Zahlung des F. über 38.500 Euro von dessen Bankkonto bei einem deutschen Kreditinstitut ein.
Beweiswürdigung
Am wird von der Bf für den Bus der Marke/Type Autobus, Baujahr 2005, (unternehmensinterne Bezeichnung "Bus 14") eine Rechnung über 40.000 Euro (abzüglich 1.500 Anzahlung = 38.500 Euro) an den Käufer gelegt, die sämtliche Rechnungsmerkmale gemäß § 11 Abs 1 Z 3 UStG (mit Ausnahme von lit d, Tag der Lieferung) bzw Art 11 Abs 2 UStG enthält und auf die Steuerfreiheit gemäß Art 6 Abs 1 UStG verweist.
Weiters hat die Bf zu dem Umsatz vorgelegt:
eine Erklärung über die Beförderung von Waren in das übrige Gemeinschaftsgebiet (Anhang 5 Innergemeinschaftliche Lieferung iSd Art 7 UStG) durch M. als sonstiger Beauftragter der O. F. vom ;
eine Erklärung über den Empfang von Waren durch F. als Inhaber des Unternehmens O. F. in seiner Funktion als Empfänger der Lieferung vom ;
eine Vollmacht zum Abholen des genau bezeichneten Fahrzeuges, ausgestellt von F. für M., legitimiert durch Führerschein Nr. Nummer, vom ;
Ausweiskopien des F. und des M.;
die Gewerbeanmeldung des F. zum Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen und Omnibussen der Stadt G..
Die Einsicht in das Kfz-Zentralregister ergibt, dass das Fahrzeug von der Bf am abgemeldet wurde. Die Unterschrift des Abholers M. auf der Erklärung zur Befürderung von Waren in das übrige Gemeinschaftsgebiet stimmt mit jener auf dem Ausweis überein. Die Unterschrift des F. auf dem Ausweis und den weiteren vorgelegten Dokumenten liegt nach Ansicht des Senates innerhalb einer Bandbreite, die das Erkennen einer allfälligen Fälschung nur mittels graphologischen Gutachtens ermöglichte.
Aus diesen Unterlagen erschließt sich der festgestellte Sachverhalt, der zwischen den Parteien auch nicht mehr strittig ist.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)
Streitgegenstand sind die Rechtsfragen, ob der Buchnachweis in der vorliegenden Art und Weise vollständig ist, ein allfälliger Mangel darin die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung vereitelt bzw bei Vollständigkeit die Steuerfreiheit wegen fehlender Sorgfalt der Bf versagt werden kann.
Nach Art 14 der Richtlinie 2006/112/EG (MwStRL) gilt als Lieferung von Gegenständen die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Gemäß § 3 Abs 1 UStG befähigt die Lieferung den Abnehmer, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen.
Ort der Lieferung ist grundsätzlich dort, wo sich der Gegenstand im Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht befindet bzw bei Beförderung dort, wo diese beginnt (Art 31, 32 MwStRL bzw § 3 Abs 7, 8 UStG).
Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der Gemeinschaft befördert werden von der Steuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen der als solcher in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Beförderung der Gegenstände handelt (Art 138 Abs 1 MwStRL).
Die Steuerbefreiung wird unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiung und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen (Art 131 MwStRL).
Steuerfrei sind die innergemeinschaftlichen Lieferungen, außer der Unternehmer wusste oder musste wissen, dass die betreffende Lieferung im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen oder sonstigen, die Umsatzsteuer betreffenden Finanzvergehen steht (Art 6 Abs 1 UStG).
Eine innergemeinschaftliche Lieferung liegt gemäß Art 7 Abs 1 UStG (idF vor BGBl I 2019/103) u.a. vor, wenn
der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat,
der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat und
der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat steuerbar ist.
Die Voraussetzungen müssen vom Unternehmer buchmäßig nachgewiesen sein (Art 7 Abs 3 UStG). Wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hat, dass der Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet worden ist, wird in der Verordnung BGBl 1996/401 idF BGBl II 2010/172 (VO zu Art 7) näher geregelt. Insbesondere erforderlich sind demnach bei Beförderung durch den Abnehmer (§ 2 VO zu Art 7):
Durchschrift oder Abschrift der Rechnung,
Handelsüblicher Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt (zB Lieferschein),
Erklärung des Abnehmers oder seines Beauftragten, dass er den Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördern wird.
Der Liefernde hat in einem Fall wie dem gegenständlichen aufzuzeichnen (§ 6 VO zu Art 7):
Name, Anschrift und UID des Abnehmers,
Name und Anschrift des Beauftragten des Abnehmers im Abholfall,
handelsübliche Bezeichnung und Menge des Liefergegenstandes,
Tag der Lieferung,
das vereinbarte Entgelt,
die Beförderung in das übrige Gemeinschaftsgebiet und
den Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet.
Die Beförderung ins übrige Gemeinschaftsgebiet muss leicht nachprüfbar nachgewiesen werden (§ 1 VO zu Art 7), die geforderten Buchnachweise müssen leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein (§ 5 VO zu Art 7).
Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität erfordert, dass die Mehrwertsteuerbefreiung gewährt wird, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige bestimmten formellen Forderungen nicht genügt hat (, VSTR, Rn 46). Diese materiellen Anforderungen sind, dass
das Recht, über den Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist,
der Erwerber ein Steuerpflichtiger ist, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns der Versendung oder Beförderung der Gegenstände handelt - hierbei gilt als Steuerpflichtiger nach Art 9 Abs 1 MwStRL, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt, unabhängig vom Vorliegen einer Identifikationsnummer (vgl , Euro Tyre BV, Rn 31) - ,
der Verkäufer nachweist, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist und
der Gegenstand aufgrund dieses Versandes oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat (zu alldem , Euro Tyre BV, Rn 24, 25).
Bei Ausübung der Befugnis nach Art 131 MwStRL, Bedingungen festzulegen, um die Voraussetzungen für die Mehrwertsteuerbefreiung zu beweisen, müssen die Mitgliedstaaten die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind. Eine nationale Maßnahme geht dann über das hinaus, was erforderlich ist, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen, wenn sie das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung im Wesentlichen von der Einhaltung formeller Pflichten abhängig macht, ohne die materiellen Anforderungen zu berücksichtigen und insbesondere ohne in Betracht zu ziehen, ob diese erfüllt sind. Die Umsätze sind nämlich unter Berücksichtigung ihrer objektiven Merkmale zu besteuern (, Euro Tyre BV, Rn 33, 34).
Nur in zwei Fällen kann die Nichteinhaltung formeller Anforderungen den Verlust des Rechts auf Mehrwertsteuerbefreiung nach sich ziehen: einerseits, wenn ein Steuerpflichtiger sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat bzw wusste oder wissen musste, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und nicht alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt; andererseits, wenn er den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt wurden (, Euro Tyre BV, Rn 38-40, 42).
Fehlende oder unrichtige Aufzeichnungen können zwar zur Versagung der Steuerfreiheit führen, eine spätere Nachweisführung im Abgabenverfahren ist jedoch ausreichend. Entscheidend ist, dass dem liefernden Unternehmer der Nachweis gelingt, dass die materiellen Voraussetzungen der Steuerfreiheit vorliegen (, unter Hinweis auf , Collée, Rn 28-31).
Im vorliegenden Fall wird der Bf die Steuerfreiheit versagt, weil nach Ansicht der belangten Behörde die Unterschriften auf Empfangsbestätigung und Abholvollmacht nicht mit jener auf dem vorgelegten Ausweis übereinstimmten und weil die Abholvollmacht erst nachträglich vorgelegt wurde. Weder ist die verspätete Erfüllung einer Formalbestimmung nach der Rechtsprechung schädlich für die Steuerfreiheit, noch erscheint dem erkennenden Senat nachvollziehbar, wie Abweichungen im Schriftbild einer Unterschrift geeignet sein sollen, im konkreten Fall das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung in Zweifel zu ziehen:
Der Abnehmer war persönlich zu Verkaufsverhandlungen bei der Bf, die im Zuge dessen seine Identität geprüft hat. Vereinbarungsgemäß und wie im Kaufvertrag vorgesehen wurde die Ware Mitte Jänner abgeholt. Das Entgelt wurde vom Konto des Abnehmers an die Bf überwiesen. Sämtliche von der VO zu Art 7 geforderten Aufzeichnungen wurden im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.
Es ist auch nicht einsichtig, wiefern Art 7 Abs 4 UStG im vorliegenden Fall einschlägig sein kann. Wird der Bf vorgeworfen, dass sie wusste, oder wissen hätte müssen, dass die betreffende Lieferung im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehungen steht, hätte schon aus dem Titel des Art 6 Abs 1 UStG die Steuerfreiheit versagt gehört. Die belangte Behörde geht aber vom Tatbild des Art 7 Abs 4 UStG aus, das verlangt, dass die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung (deren Voraussetzungen nicht vorlägen) auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.
Damit räumt die belangte Behörde ein, dass die Bf von einer allfälligen Steuerhinterziehung nicht wusste und auch nicht hätte wissen müssen, sondern lediglich nicht sorgfältig genug war bei Überprüfung der unrichtigen Angaben des Abnehmers. Der erkennende Senat schließt sich der Ansicht der belangten Behörde insoweit an, dass der Bf nicht vorwerfbar ist, von einer Umsatzsteuerhinterziehung Kenntnis haben zu müssen. Der Senat erblickt aber einerseits keine unrichtige Angaben des Abnehmers, denn die vorgelegten Unterlagen einschließlich der von der deutschen Finanzverwaltung übermittelten Rechnung über den Weiterverkauf belegen, dass O. F. der Abnehmer ist, der Bus nach Deutschland befördert wurde und dort im Rahmen des Unternehmens des Abnehmers als Ware eingesetzt wurde. Andererseits ist die mangelnde Sorgfalt der Bf nicht ersichtlich, denn zur Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes gehört es, die gesetzlich und verordnungsmäßig vorgeschriebenen Nachweispflichten einzuhalten - was im Rahmen der Kriterien der Rechtsprechung erfolgt ist - und die Identität des Abnehmers und des Abholenden festzustellen - Kopien der Ausweise lagen vor - sowie die UID des Abnehmers nachweisen zu lassen.
Da die Bf sämtliche Nachweise erbracht hat, alle bei gebotener Sorgfalt zu setzenden Überprüfungshandlungen getätigt hat und durch Abgabe der Zusammenfassenden Meldungen eine Überprüfung der innergemeinschaftlichen Lieferungen bzw Erwerbe durch die deutsche Finanzverwaltung ermöglicht hat, kann ihr kein Verhalten vorgeworfen werden, das geeignet ist, das Fehlen der materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung festzustellen. Letztlich wurde dies auch von der belangten Behörde am Ende der mündlichen Verhandlung eingestanden.
Darauf, dass der Abnehmer den innergemeinschaftlichen Erwerb in Deutschland nicht erklärt hat, hatte die Bf keinen Einfluss. Für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung wird aber die Besteuerung des korrelierenden innergemeinschaftlichen Erwerbes nicht vorausgesetzt, wenn der Lieferer nicht dazu beiträgt, die Identität des Erwerbers zu verschleiern (, R; , C-273/11, Mecsek-Gabona Kft).
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | Art. 7 Abs. 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 Art. 7 Abs. 3 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7103931.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at