Gerichtsentscheidungen (hier: betreffend Energieabgabenvergütung) kein Wiederaufnahmegrund nach § 303 BAO
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Martin Christoph Wittmann in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Köstenbauer Wirtschaftstreuhand KG, Stefan Seedoch Allee 14, 8230 Hartberg, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich Energieabgabenvergütung für das Kalenderjahr 2011 erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Bisheriger Verfahrensgang
Mit Eingabe vom beantragte der Bf die Wiederaufnahme des Verfahrens gem § 303 BAO betreffend Energieabgabenvergütung (im Folgenden: ENAV) für das Jahr 2011 und die Festsetzung der Vergütung laut einem dem Wiederaufnahmsantrag beiliegenden berichtigten Antrag. Er berief sich in seiner Begründung auf das Erkenntnis des , wonach aufgrund der fehlenden Genehmigung durch die Europäische Kommission die Einschränkung der ENAV auf Produktionsbetriebe gem § 2 Abs 1 EnAbGVergG (auch: EAVG) idF BudBG 2011 nicht mit in Kraft getreten sei und die ENAV für Dienstleistungsbetriebe weiterhin zustehe.
Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiederaufnahme mit Bescheid vom ab, da das angeführte Erkenntnis des BFG insb im abgeschlossenen Verfahren weder als neu hervorgekommene Tatsache noch als Beweismittel zu qualifizieren sei und deswegen keinen Wiederaufnahmegrund darstelle.
Gegen diesen Bescheid brachte der Bf am Beschwerde ein und berief sich abermals auf das erwähnte BFG-Erkenntnis. Zudem regte er an, die Entscheidung bis zur Erledigung der (damals noch) anhängigen Amtsrevision vor dem VwGH (Ro 2016/15/0041) gegen das BFG-Erkenntnis vom gem § 271 BAO auszusetzen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde vom ab und wiederholte begründend abermals, dass im ggst Fall die Voraussetzung des Neuhervorkommens von Tatsachen oder Beweismitteln fehle. Was die angeregte Aussetzung gemäß § 271 Abs 1 BAO betreffe, so könne nach dieser Gesetzesstelle eine Aussetzung der Entscheidung verfügt werden, wenn wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Beschwerde anhängig ist oder sonst vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren schwebt, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Beschwerde ist. Im gegenständlichen Fall gehe es aber um die Rechtsfrage des Vorliegens von Wiederaufnahmegründen und nicht um die rechtliche Beurteilung des Anspruches auf ENAV für Dienstleistungsbetriebe. Im Übrigen erfolge eine etwaige Aussetzung der Entscheidung über eine Beschwerde gemäß § 271 BAO amtswegig, die Partei habe dabei kein Antragsrecht.
Am stelle der Bf einen Vorlageantrag.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ist wie im Verfahrensgang geschildert aktenkundig, wurde von keiner Partei bestritten und kann daher als erwiesen angenommen werden.
2. Rechtslage
Das Bundesgesetz über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung - BAO), idF BGB I 2018/3, lautet auszugsweise:
"Wiederaufnahme des Verfahrens.
§ 303
(1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
[…]
Aussetzung der Entscheidung
§ 271
(1) Ist wegen einer gleichen oder ähnlichen Rechtsfrage eine Beschwerde anhängig oder schwebt sonst vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde ein Verfahren, dessen Ausgang von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung über die Beschwerde ist, so kann die Entscheidung über diese unter Mitteilung der hiefür maßgebenden Gründe ausgesetzt werden, sofern nicht überwiegende Interessen der Partei (§ 78) entgegenstehen. Dies hat vor Vorlage der Beschwerde durch Bescheid der Abgabenbehörde, nach Vorlage der Beschwerde durch Beschluss des Verwaltungsgerichtes zu erfolgen.
[…]"
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Im Beschwerdefall ist strittig, ob ein Wiederaufnahmegrund nach § 303 Abs 1 BAO im konkreten Fall vorliegt.
Voraussetzung für die Wiederaufnahme von Verfahren sind iSd § 303 Abs 1 lit b BAO neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel (Neuerungstatbestand).
Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB ; , 95/14/0094; , 2006/13/0107; , 2010/15/0064). Tatsachen sind nicht nur sinnlich wahrnehmbare Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind (Ansichten, Absichten oder Gesinnungen wie zB die Zahlungswilligkeit; ). Solche Tatsachen sind zB
Zufluss von Einnahmen, die Betriebseinnahmen sind (zB ),
Nichtverausgabung von geltend gemachtem Erhaltungsaufwand (),
getätigte Ausgaben (die Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen sind),
Unterbleiben von Aufzeichnungen (; , 93/14/0233),
Mangel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (, 88/13/0077),
für die Bewertung von Wirtschaftsgütern oder für die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von Anlagevermögen maßgebende Umstände.
Keine Wiederaufnahmegründe (keine Tatsachen) sind insb (s Ritz, BAO, 6. Aufl, § 303, Tz 23 mwN):
neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rsp oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (; , 96/15/0148; , 2008/15/0215);
Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (; , 96/17/0373; , 2002/16/0286-0289);
höchstgerichtliche Erkenntnisse (vgl -0161; , 97/17/0257-0279; , 98/14/0015; , 2008/13/0175), wie etwa EuGH-Entscheidungen (; , 2009/16/0005; , 2012/16/0210) oder Urteile des EGMR ().
Neu hervorkommen können als Beweismittel (§ 166) etwa Urkunden (§ 168) und Aufzeichnungen (zB solche gem § 124). Ein neu hervorgekommenes Beweismittel ist nicht nur eine bereits vorliegende Zeugenaussage, sondern auch die Namhaftmachung eines Zeugen, der in der Lage ist, über ein entscheidungsrelevantes Beweisthema eine Aussage zu machen ( 880/77; vgl auch ). Als tauglicher Wiederaufnahmegrund kommt ein Beweismittel nur in Betracht, wenn es der Partei genannt werden darf (vgl § 183 Abs 4).
Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden stellen auch keine Beweismittel iSd § 303 BAO dar (, 93/14/0015, 0082).
Gem Art 129 B-VG bestehen für den Bund ein als "Bundesverwaltungsgericht" zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes und ein als "Bundesfinanzgericht" (BFG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen. Durch die Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl I 2012/51, wurde die Bundesverfassung geändert und die zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit im österreichischen Rechtssystem implementiert. Die erste Stufe bildet das Verwaltungsgericht, die zweite Stufe ist der VwGH. Seit gibt es erstmalig Verwaltungsgerichte in Österreich und entscheiden nach ausdrücklicher verfassungsgesetzlicher Anordnung (Art 134 Abs 7 B-VG) seitdem mit allen richterlichen Garantien ausgestattete Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass diese BFG-Entscheidung vom , RV/5100360/2013, nunmehr vom VwGH mit Erkenntnis vom , Ro 2016/15/0041, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben wurde. Nach Ergehen des (Dilly's Wellnesshotel [II]), klärte der VwGH nämlich mit dieser Entscheidung abschließend, dass die ENAV Dienstleistungsbetrieben für Zeiträume nach Jänner 2011 nicht zustehe. Der VwGH führt darin aus, dass er die in der bisherigen, ständigen Rsp vertretene Rechtsansicht bezogen auf die innerstaatliche Vorschrift des § 4 Abs 7 EAVG aufrecht hält, nämlich dass in der Veröffentlichung der Beihilferegelung durch die Kommission die "Genehmigung durch die Europäische Kommission" iSd § 4 Abs 7 EAVG zu erblicken und daher die Regelung der EAVG-Novelle 2011 - aus der Sicht des nationalen Rechts - mit in Kraft getreten ist.
Nunmehr ist abschließend entschieden, dass die Einschränkung der Vergütung von Energieabgaben auf Produktionsbetriebe ab Februar 2011 rechtmäßig ist.
Da jedoch eine Gerichtsentscheidung nach der st Rsp des VwGH keinen Wiederaufnahmegrund iSd § 303 Abs 1 lit b BAO darstellt und das BFG ein Gericht iSd österreichischen Bundesverfassung ist, konnte die Beschwerde schon deshalb nicht erfolgreich sein (vgl auch ; und ).
Im Übrigen hätte eine Wiederaufnahme ohnedies aufgrund des Urteiles des EuGH keinen Erfolg gehabt, da es in Kenntnis dieses Judikates alleine oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens keinen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (vgl § 303 Abs 1 letzter Satz BAO).
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf die umfangreiche, zitierte Judikatur des VwGH, wonach eine Entscheidung des BFG kein tauglicher Wiederaufnahmegrund ist. Hinzu kommt, dass der VwGH dieses BFG-Erkenntnis nunmehr wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben hat.
Da keine ungelöste Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist die Revision nicht zulässig.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100841.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at