Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.12.2021, RV/7102446/2021

rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe wegen Intelligenzminderung; Stattgabe, da im Ergänzungsgutachten die Erwerbsunfähigkeit auf Grund weiterer vorgelegter Unterlagen festgestellt wurde

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK


Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pavlik über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Sandra Christa Cejpek, Neudorferstraße 35, 2353 Guntramsdorf, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend Abweisung des Antrags auf Gewährung von Familienbeihilfe ab Oktober 2020, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der bekämpfte Bescheid wird (ersatzlos) aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (Bf), geb. Feb99, brachte beim Finanzamt (FA) am einen Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbeitrages ein.

Auf dem Formular "Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung, Beih 3, wurde folgendes angekreuzt:

"ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung"

Die Bf wird seit November 2020 gemäß § 271 ABGB durch eine Erwachsenenvertreterin vertreten (Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom , GZ. 000).

Die gerichtliche Erwachsenenvertretung umfasst folgenden Wirkungsbereich;
- Verwaltung von Einkommen, Vermögen und Verbindlichkeiten;
- Vertretung gegenüber Gerichten, Behörden und Sozialversicherung
- Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen.

Die Erwachsenenvertretung wurde damit begründet, dass nach der Aktenlage, insbesondere auf Grund des eingeholten psychiatrischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. B. vom (ON 12) bei ***Bf1*** eine psychiatrische Erkrankung im Sinne einer leichten Intelligenzminderung besteht und ihre Entscheidungsfähigkeit dadurch beeinträchtigt ist. ***Bf1*** sei nicht in der Lage, die im Spruch angeführten Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen; sie ist vor allem bei komplexen Fragestellungen schnell überfordert und benötigt vor allem Unterstützung In finanziellen Angelegenheiten. Für eine gesetzliche Erwachsenenvertretung in Betracht kommende nächste Angehörige seien nicht vorhanden. Die Übernahme der gerichtlichen Erwachsenenvertretung für ***Bf1*** durch den NÖ Landesverein für Erwachsenenschutz, Erwachsenenvertretung sei aus Kapazitätsgründen abgelehnt worden.

Über Vorhalt des FA vom wurde von der Erwachsenenvertreterin Folgendes bekanntgegeben:

"1. Es wurde kein Pflegegeld beantragt.

2. Die Betroffene wohnt gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und der gemeinsamen Tochter im Haus des Lebensgefährten. Dieser kommt für alle Kosten im Zusammenhang mit der Liegenschaft und den Lebenshaltungskosten auf. Die Betroffene finanziert mit dem Kinderbetreuungsgeld und der Familienbeihilfe für die Tochter nur die Ausgaben rund um die Tochter (Windeln, Babynahrung, etc.)

3. Die Betroffene bekommt weder von der Mutter noch vom kürzlich verstorbenen Vater Unterhaltsleistung."

Die Bf wurde am von Dr.in E. untersucht und folgendes Gutachten erstellt:

Anamnese:
Unauffällige frühkindliche Entwicklung, Sonderschulbesuch bei alleinig kognitiver Entwicklungsverzögerung ohne soziale oder motorische Problematik. Aufgrund familiärer Belastungen vorübergehend Betreuung SPZ Hinterbrühl, danach jeweils 1 Jahr begleitende Betreuung UH Pottenstein, Lebenshilfe Felixdorf und Berndorf. Überall unproblematische Eingliederung in Gruppen und Arbeitsprozesse, Streben nach Eigenständigkeit.

01/2017 ärztliches Sachverständigengutachten gemäß FLAG: psychomotorische Retardierung, alleinig kognitive Beeinträchtigung, GdB 50 vH.

Frau M. kommt nach Erreichen der Volljährigkeit ohne Begleitung zur Nachuntersuchung.

Derzeitige Beschwerden:
Sie sei sehr glücklich über die derzeitige Situation, sie freue sich so, dass sie mit ihrer 1,5 jährigen Tochter und dem Mann seit 2 Jahren zusammen lebe. Mit ihrem Partner komme sie gut zurecht, sie könne sagen, "jetzt geht es mir wirklich gut, ich kann selbständig leben".

Sie habe keine weiteren Ausbildungen in den letzten Jahren gemacht, sei bis zu Milinas Geburt in der Lebenshilfe gewesen. Sie habe viel in der Küche gearbeitet, das habe ihr wirklich gut gefallen. Sie sei dort mit allen gut zurecht gekommen, das Halten an Strukturen und Vorgaben sei kein Problem für sie gewesen. Jetzt zu Hause sei es manchmal schwerer, aber sie wolle stark sein für die Tochter. Grundsätzlich komme sie gut mit dem Mädchen aus, sie könne auch recht gut die Tagesstruktur für die Tochter gestalten. Das Jugendamt sei vor einem Jahr da gewesen, aber es habe alles gepasst, sie habe seitdem nichts mehr vom JA gehört. Sie sei tagsüber alleine mit der Tochter, manchmal komme die Mutter auf Besuch, mit der komme sie auch gut aus. Auch die Mutter des Freundes komme helfen, etwa 1x/Woche. Es bestünde eine Erwachsenenvertretung bezüglich finanzieller Angelegenheiten, sie habe aber keine Unterlagen. Arzt- und Amtswege sowie alle anfallenden Alltagswege mache sie alleine, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei kein Problem. Sie schaffe den Haushalt alleine, manche Arbeiten teile sie mit dem Freund. Sie gehe alleine einkaufen. Mit Kindergartenbeginn der Tochter wolle sie eine Arbeit suchen, könne sich Beschäftigung "vielleicht im Einzelhandel, Lebensmittelgeschäft, Regale schlichten..." gut vorstellen.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: Keine Dauermedikation, keine Therapien

Sozialanamnese:
Lebt mit Partner und Tochter (1,5 Jahre) in einem kleinen Haus; derzeit Karenz, ASO Abschluss, tw. stationäre Betreuung als Jugendliche bei familiärer Problematik, Nachmachen des NMS Abschlusses 2018/2019, Geburt der Tochter 2019, seitdem Karenz, keine weiteren beruflichen Qualifizierungen;

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe): Keine neuen Befunde beigebracht

Untersuchungsbefund:

Psycho(patho)logischer Status:
freundliche, mitteilsame, gepflegte junge Frau; imponiert anfangs noch etwas unsicher, gewinnt rasch an Selbstvertrauen, erzählt dann folgerichtig und formal geordnet in ganzen etwas einfacheren Sätzen mit regelrechter Sprechgeschwindigkeit und Artikulation über die letzten Jahre und Alltag; Lesefähigkeit ausbildungsentsprechend; Orientierung, Mnestik (Langzeit, Kurzzeit), Affizierbarkeit, Stimmungslage, Vigilanz, Konzentration, Impulsivität situationsadäquat;

Stellungnahme zum Vorgutachten:

Im Vergleich zum Vorgutachten aus 01/2017 hat Frau M. große Entwicklungssprünge gemacht: sie lebt wunschgemäß mit Partner in einem eigenen Haus, sorgt ohne durchgehende Unterstützung für ihre 1,5jährige Tochter und möchte mit Kindergarteneintritt des Mädchens als Arbeiterin ev. im Lebensmitteleinzelhandel arbeiten gehen. Hilfe (Erwachsenenvertretung) benötigte

Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:

Frau C,M. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Die Selbsterhaltungsfähigkeit in Form einfacher Arbeiterinnentätigkeit ist am ersten Arbeitsmarkt gegeben.

Dauerzustand: ja

Unter Zugrundelegung der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen wies das FA den Antrag mit Bescheid vom mit der Begründung ab, dass Anspruch auf Familienbeihilfe bei voraussichtlich dauernder Erwerbsunfähigkeit besteht. Die Berufsunfähigkeit müsse vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein. Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit liege im Fall der Bf nicht vor.

Gegen den Abweisungsbescheid wurde am folgende Beschwerde erhoben:

"Der Antrag auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe ab Oktober 2020 wurde zu Unrecht abgewiesen.

Begründet wird die Abweisung damit, dass voraussichtlich keine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit vorläge, die vor dem 21. Geburtstag bzw. während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eintreten müsste.

Die belangte Behörde lässt jedoch jegliche inhaltlichen Erklärungen, aus denen sich diese Vermutungen ableiten könnten, vermissen.

Auf wiederholte Anfrage bei der belangten Behörde wurden der Beschwerdeführerin auch keine Unterlagen vorgelegt, aus denen sich diese Schlüsse der erkennenden Behörde ergeben könnten.

Vermutet wird, dass die Rechtsgrundlage für die hier bekämpfte Entscheidung in einem Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom begründet ist, das jedoch nicht zur Frage einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit eingeholt wurde, sondern für die Beurteilung des Gesamtgrads der Behinderung.

Wohlbekannt ist, dass man mit einem Behinderungsgrad sowohl erwerbsfähig, als auch erwerbsunfähig sein kann und daher sich ob des Umstands des Grades der Behinderung bzw. einer anfälligen Herabstufung im Hinblick auf einen zuvor gewährten Behinderungsgrad oder aber auch eine Erhöhung desselben zuvor Feststellungen noch keinerlei Rückschlüsse auf eine dauerhafte Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit zulassen.

Sofern daher die belangte Behörde dieses Gutachten für seine Entscheidungsfindung herangezogen hat, ist dieses zur Sachverhaltsfeststellung ungeeignet und wurde daher der Sachverhalt auch unrichtig beurteilt; darüber hinaus ist ein Verfahrensmangel einzuwenden, da einer Antragstellerin/Verfahrensbeteiligten alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind, die der Beweisfindung zugrunde gelegt werden.

Dieser Grundsatz gilt insbesondere dann, wenn seitens des Antragstellers bzw. der hier Beschwerdeführerin wiederholt die Übermittlung bezughabender Unterlagen eingefordert wird und die belangte Behörde diesem Ansuchen wiederholt nicht nachkommt.

Es gelten hier sohin wesentliche Verfahrensgrundsätze als verletzt, wodurch die vorliegende Entscheidung per se anfechtbar wird.

Die Beschwerdeführerin ist bislang noch nie einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen.

Die Beschwerdeführerin verfügt über eine siebenjährige Ausbildung in einer Sonderschule.

Der ursprüngliche Versuch der Einschulung in einer öffentlichen Volksschule schlug fehl. Eine weitere Schulbildung hat die Beschwerdeführerin nicht genossen.

Bis zum 16. Lebensjahr war sie in diversen Heimen untergebracht. Ab ihrem 16. Lebensjahr absolvierte sie im Rahmen von Jugend-Coachings und Maßnahmen und zur Berufsvorbereitung diverse Schnupperkurse etc. Ab dem 17. Lebensjahr besuchte die Beschwerdeführerin die Lebenshilfe In Berndorf. Im Rahmen dieser Tagesstruktur wurde die Betroffene schwanger und befindet sich seit Geburt ihrer Tochter Milena im Juli 2019 in pauschalem KBG-Bezug.

Richtig ist, dass die Beschwerdeführerin davon "träumt", einer eigenständigen unselbständigen Beschäftigung nachzugehen, mit der sich auch ein Lebensunterhalt bestreiten kann. Bislang wurde jedoch weder die Bereitschaft, noch das diesbezügliche Können der Beschwerdeführerin unter Beweis gestellt. Vielmehr hat sich anlässlich des Besuchs der Lebenshilfe, die sie hauptsächlich im Hauswirtschaftsbereich (Nähen) geschult hat, festgestellt, dass sie aufgrund ihrer eingeschränkten Auffassungsgabe und Bildung weder stressresistent ist, noch Abläufe in der vorgegebenen Zeit umsetzen kann. Sie hat bei sämtlichen Tätigkeiten alten anderen stets hinterhergehinkt, auch wenn sie die Arbeit dann immer gewissenhaft ausgeführt hat.

Mit zu berücksichtigen ist, dass zum damaligen Zeitpunkt die Beschwerdeführerin noch keine Verpflichtungen und Verantwortungen, wie dies nunmehr als Mutter einer bald zweijährigen Tochter der Fall ist, wahrzunehmen hatte.

Vor diesem Hintergrund, sowie dem Umstand, dass mit Ausnahme des Arbeitsprojekts bei der Lebenshilfe die Beschwerdeführerin über keinerlei Erfahrung am Arbeitsmarkt verfügt, sind die Schlussfolgerungen der belangten Behörde, wonach voraussichtlich keine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit vorläge, schwer in Zweifel zu ziehen.

Zumindest bisher und zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine Erwerbsfähigkeit auszuschließen.

Wäre bisher bereits eine Erwerbsfähigkeit vorgelegen, hätte die Beschwerdeführerin bereits eine Lehre absolvieren können, oder in einem Unternehmen für Hilfstätigkeiten angelernt werden. Dies ist jedoch bis zur Vollendung ihres 20. Lebensjahrs (unmittelbar vor der Geburt ihrer Tochter) wohl aus gutem Grund nicht umgesetzt worden.

Die Voraussetzungen, wonach vor dem 21, Geburtstag Erwerbsunfähigkeit eingetreten sein muss, ist somit unstrittig gegeben, da andernfalls keine Gründe entgegengestanden wären, die Beschwerdeführerin bisher nicht - wenn auch für leichte und gering qualifizierte Tätigkeiten - am Arbeitsmarkt einzusetzen.

Diesbezüglich lässt der bekämpfte Bescheid jegliche Auseinandersetzung mit der Thematik vermissen und lasst sich aus der Begründung diesbezüglich nicht ableiten, dass die belangte Behörde sich in dieser Hinsicht Gedanken zur Beschwerdeführerin gemacht hat.

Bei Antrag Stellung ist auf die objektiven Gegebenheiten im Zeitpunkt der Antragstellung abzuzielen.

Diese wurden der erkennenden Behörde durch die Übermittlung der entsprechenden Zeugnisse, Betreuungsmaßnahmen und bisherigen Arbeitsstätten nachgewiesen.

Anhand dieser von der Beschwerdeführerin vorgelegten Urkunden hätte die belangte Behörde nur zu dem Ergebnis gelangen können, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt und somit im Sinne des Gesetzeswortlauts keine Berufsfähigkeit vorliegt.

Wunschvorstellungen und gesteckte Ziele der Beschwerdeführerin dieser so negativ auszulegen, dass hieraus keine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit resultiert, sondern vielmehr von einer Erwerbsfähigkeit auszugehen ist, lässt den Umstand gänzlich außer Acht, dass bei der Beschwerdeführerin eine verzögerte motorische sowie sprachliche Entwicklung vorliegt, die auch in weiterer Folge nicht gefördert wurde.

Aufgrund dessen liegt bei der Beschwerdeführerin auch eine leichte Intelligenzminderung vor.

Diese objektiven Umstände, gepaart mit der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin keinerlei dauerhaften bzw. zielgerichteten Erfahrungen am Arbeitsmarkt aufzuweisen hat, bedeuten für die Beschwerdeführerin aktuell, dass diese nicht erwerbsfähig ist.

Die Beschwerdeführerin kann den Arbeitsmarkt und ihre Chancen, dort Fuß zu fassen, nicht objektiv einschätzen, ebenso wie es ihr unmöglich ist, ihre subjektiven Fähigkeiten mit den Anforderungen am Arbeitsmarkt ins Verhältnis zu setzen.

Inwiefern allfällige Schulungen und Förderprogramme diesen Umstand künftig aus der Welt schaffen können, ist nicht verfahrensrelevant, da auf den aktuellen Status quo und die bisherigen Entwicklungen und realistischen Entwicklungen in der Zukunft abzustellen ist.

Die Beschwerdeführerin überzeugt in ihrem Habitus durch ihre freundliche und ruhige Art, sie ist dem Leben gegenüber positiv eingestellt und bringt auch Fleiß und Optimismus mit. Sie nimmt angebotene Unterstützung gerne an und ist bei der Ausübung ihr übertragener Aufgaben bemüht. Gleichzeitig ist sie mit geringfügig komplexeren Themen jedoch überfordert und versucht dies zu kaschieren. Der Umstand, dass jemand wahrnehmen könnte, dass sie mit der Situation überfordert ist, bzw. die Zusammenhänge nicht überblicken kann, ist ihr peinlich und wird sie hierdurch unangenehm berührt.

Diese Persönlichkeitsfaktoren sind ein weiterer Grund, warum eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit nicht per se ausgeschlossen werden kann, sondern im Sinne ausgeglichenen Beurteilung der Wünsche, Chancen und Möglichkeiten einerseits sowie der bisherigen Erfahrungen, Ausbildung und Motivation andererseits zugunsten einer Erwerbsunfähigkeit ausschlagen.

Es ist der Beschwerdeführerin hoch anzurechnen, dass sie sich grundsätzlich mit diesem Umstand nicht abfinden will und daher Dritten gegenüber immer wieder bemüht zum Ausdruck bringt, dass sie ein Fußfassen am Arbeitsmarkt plant, kann dies jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass - insbesondere im Hinblick auf den gegenwärtig Pandemie-bedingt angespannten Arbeitsmarkt - keinesfalls die Arbeiterin erster Wahl sein wird und daher - wenn überhaupt eine dauerhafte Arbeitsfähigkeit etabliert werden kann - dies nur im Rahmen von diesbezüglichen Arbeits-/Sozialprojekten möglich sein wird.

Unter diesen Prämissen ist die bekämpfte Entscheidung sowohl mit dem Rechtsmangel der unrichtigen rechtlichen Beurteilungen, als auch insbesondere der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung beschwert, als auch wurden im Hinblick auf die Durchsetzung des Verfahrens die Verfahrensvorschriften nicht eingehalten und der Beschwerdeführerin nicht umfassend die Möglichkeit gewährt, die Entscheidungsgrundlagen (die im Rahmen der Begründung nicht einmal zitiert werden) nachvollziehen zu können.

Aus all diesen Gründen ist die rechtliche Schlussfolgerung der belangten Behörde im Sinne der Abweisung des Antrags auf Zuerkennung der Familienbeihilfe mit einem Mangel behaftet. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung des Sachverhaltes hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass zum Antragszeitpunkt bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Gewährung einer erhöhten Familienbeihilfe gegeben sind.

Beweis: Einvernahme von Sophie T., Jugendamt BH Baden, p.a. 2500 Baden, Schwartzstraße 50;

Einholung eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens;

Es wird sohin gestellt der

ANTRAG

das Bundesfinanzgericht möge der Beschwerde Folge geben und den angefochtenen Bescheid dahingehend korrigieren, dass der Beschwerdeführerin ab Oktober 2020 die erhöhte Familienbeihilfe zuerkannt wird.

Die Bf wurde auf Grund der eingebrachten Beschwerde am neuerlich untersucht und von Dr.in A.B. folgendes Gutachten erstellt:

Anamnese:

Unauffällige frühkindliche Entwicklung, Sonderschulbesuch bei alleinig kognitiver Entwicklungsverzögerung ohne soziale oder motorische Problematik. Aufgrund familiärer Belastungen vorübergehend Betreuung SPZ Hinterbrühl, danach jeweils 1 Jahr begleitende Betreuung UH Pottenstein, Lebenshilfe Felixdorf und Berndorf. Überall unproblematische Eingliederung in Gruppen und Arbeitsprozesse, Streben nach Eigenständigkeit.

01/2017 ärztliches Sachverständigengutachten gemäß FLAG: psychomotorische Retardierung, alleinig kognitive Beeinträchtigung, GdB 50 vH.

Frau M. kommt nach Erreichen der Volljährigkeit ohne Begleitung zur Nachuntersuchung.

Derzeitige Beschwerden:

Fr. M. war für 2 Jahre bei der Lebenshilfe Berndorf (sie hat Bestellungen und Verpackungen gemacht und war dann in der Küche ). Sie wurde dann schwanger und blieb zuhause. Sie lebt mit dem Freund und Kindesvater zusammen in einem Haus. Die Tochter ist 1 Jahr. Fr. M. managt die Kindererziehung alleine. Der Freund ist berufstätig. Sie ist jetzt mit dem 2. Kind schwanger. Fr. M. hat eine Erwachsenenvertreterin (Fr. Cejpek), die sie bei finanziellen Angelegenheiten unterstützt; zusätzlich erfolgt eine Betreuung durch das Jugendamt (Fr. T.), welche die Erwachsenenvertretung organisiert hat. Sie sei jetzt zum 2. Kind schwanger. Sie möchte einmal im Einzelhandel arbeiten.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: keine Therapien

Sozialanamnese:
22 Jährige, hat einen Sonderschulabschluss, war im Landesjugendheim Pottenstein und in der Hinterbrühl; 2019 Geburt einer Tochter, jetzt wieder schwanger; wohnt mit dem Freund und Kindesvater zusammen.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe): keine aktuellen Befunde

12/2018 Lebenshilfe N.Ö.
Hauswirtschaftsbereich
04 / 2013 KH Mödling ( Kinderpsychiatrie )
leichte intellektuelle Behinderung, Enuresis

Untersuchungsbefund:


Psycho(patho)logischer Status:
tritt selbstbewußt auf, gibt geordnete Antworten, drückt sich gewählt aus ; wirkt geordnet

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Eine Selbsterhaltungsfähigkeit in Form einfacher Tätigkeiten am 1. Arbeitsmarkt scheint gegeben zu sein und ist zumutbar.

Dauerzustand: ja


Das FA wies die Beschwerde unter Zugrundelegung der in dem Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 haben Sie Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn Sie voraussichtlich dauernd erwerbsunfähig sind. Die Erwerbsunfähigkeit muss vor dem 21. Geburtstag oder während einer Berufsausbildung vor dem 25. Geburtstag eingetreten sein.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 idgF ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Die Beihilfenbehörde ist an das der Bescheinigung zugrundeliegende Gutachten gebunden und hat bei ihrer Entscheidung von dieser Bescheinigung auszugehen.

Am wurde infolge Ihrer Beschwerde vom eine neuerliche Begutachtung durch das Sozialministeriumservice durchgeführt. Laut Gutachten wurden ein Grad der Behinderung in Höhe von 50% ab und ein Grad der Behinderung von 30% für den Zeitraum ab festgestellt.

Eine dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde dabei nicht diagnostiziert. Dies wurde damit begründet, dass eine Selbsterhaltungsfähigkeit in Form einfacher Tätigkeiten am 1. Arbeitsmarkt gegeben scheint und zumutbar ist.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe für den beantragten Zeitraum sind somit nicht gegeben."


Die Bf stellte mit Schreiben vom einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und verwies auf ihre Beschwerdeausführungen.

Am wurde von der Erwachsenenvertreterin das untenstehende Schreiben vorgelegt:

Beilage Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau vom

"Betrifft: Feststellung Ihrer pensionsrechtlichen Ansprüche

Sehr geehrte Frau M.!

Nach Durchführung des pensionsbehördlichen Verfahrens ergeht nachfolgender

BESCHEID

Vom an gebührt ihnen als Hinterbliebene Ihres am verstorbenen Vaters, Herrn Vizeleutnant i.R. Franz M., ein Versorgungsbezug nach dem Pensionsgesetz 1905 in der Höhe von monatlich brutto EUR 722.30.

Dieser Versorgungsbezug besteht aus:

- einem Versorgungsgenuss von EUR 571,64

- einer Nebengebührenzulage zum Versorgungsgenuss von EUR 150,96

Weiters gebührt zum Waisenversorgungsbezug eine Zulage im Ausmaß des für ein Kind vorgesehenen Kinderzuschusses von monatlich brutto EUR 15,60.

Dieser Versorgungsbezug gebührt, solange die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt werden, und zwar für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 PG 1965.

Rechtsgrundlagen: Abschnitt 111 und Abschnitt IV des Pensionsgesetzes 1965 (PG 1965), BGBL Nr. 340, sowie §§ 62 und 64 PG 1965.

Begründung

Nach Einsichtnahme in die vorgelegten Urkunden und sonstigen Nachweise sind Sie erwerbsunfähig. Solange die Voraussetzungen des § 17 Pensionsgesetz zutreffen gebührt Ihnen somit ab dem auf den Todestag ihres Vaters folgenden Monatsersten ein monatlicher Waisenversorgungsbezug.

Die beiliegenden Berechnungsblätter sind ein Teil der Begründung dieses Bescheides. Sie enthalten in entsprechender Reihenfolge die einzelnen Rechenschritte zur Berechnung Ihres Anspruches. Die gesetzliche Grundlage wird an der jeweiligen Stelle zitiert; die Berechnung der Höhe Ihres Anspruches wurde unter Anwendung dieser zwingenden gesetzlichen Vorschriften durchgeführt…"

Das Bundesfinanzgericht richtete an die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau - Pensionsservice am folgendes Auskunftsersuchen:

"beim Bundesfinanzgericht ist eine Beschwerde der ***Bf1*** betreffend erhöhte Familienbeihilfe anhängig.

Die Erwachsenenvertreterin von Frau M. übermittelte dem Finanzamt am mit Fax den im Betreff angeführten Bescheid der Versicherungsanstalt öffentlich Be-diensteter, Eisenbahnen und Bergbau, Pensionsservice, demzufolge Frau M. ab als Hinterbliebene ihres am verstorbenen Vaters, Vizeleutnant i.R. Franz M., ein Versorgungsbezug nach dem Pensionsgesetz 1965 iHv mtl. brutto EUR 722,60 solange gebührt als die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen (Erwerbsunfähigkeit iSd § 17 Abs. 3 PG 1965) erfüllt werden.

In der Begründung des Bescheides wurde festgestellt, dass Frau M. nach Einsicht-nahme in die vorgelegten Urkunden und sonstigen Nachweise erwerbsunfähig ist.

Gemäß § 169 BAO iVm § 143 BAO ist zur Erfüllung der im § 114 BAO bezeichneten Aufgaben das Bundesfinanzgericht berechtigt, Auskunft über alle für die Erhebung von Abgaben maßgebenden Tatsachen zu verlangen. Die Auskunftspflicht trifft jedermann und umfasst auch die Verbindlichkeit, Urkunden und andere schriftliche Unterlagen vorzulegen.

Es wird daher um Übermittlung der vorgelegten Urkunden und sonstigen Nachweise bzw. um Bekanntgabe, in welche Unterlagen Einsicht genommen wurde, sowie - im Fall, dass ein ärztliches Gutachten erstellt wurde - auch um Übermittlung dieses Gutachtens binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens gebeten.

Ferner wird darum ersucht, bekannt zu geben, welche Kriterien die BVAEB bei der Beurteilung, ob jemand erwerbsunfähig ist, heranzieht und auf Grund welcher Überlegungen die BVAEB zum Ergebnis gelangt ist, dass Fr. M. erwerbsunfähig ist.

Folgende Unterlagen wurden übermittelt:

Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom , GZ. 24 P 55/20k-18 über die Bestellung von Mag. Sandra Cejpek, Rechtsanwältin, 2353 Guntramsdorf, Neudorferstraße 35, zur gerichtlichen Erwachsenenvertreterin gemäß § 271 ABGB

Psychiatrisches Sachverständigengutachten von Dr.in B., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige, Stadt, vom :

" … Zusammenfassendes Gutachten:

1. Frau M. ist das jüngste von 9 Kindern mit einer verzögerten motorischen und sprachlichen Entwicklung, sodass sie nach dem Kindergartenbesuch bis zum 7. Lebensjahr, nach einem Versuch die reguläre Volksschule zu besuchen, dann 7 Jahre die Sonderschule in Teesdorf absolvierte.

2. Vom 13. bis zum 16. Lebensjahr musste die Betroffene in einem Heim in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hinterbrühl verbringen, da die Mutter, bei der sie nach der Scheidung lebte, wiederholt in psychiatrisch stationärer Betreuung war. Es gab wenig bis keinen Kontakt zum leiblichen Vater. Sie erfuhr keinerlei Unterstützung durch die älteren Geschwister. Danach verbrachte sie 3 Jahre bei der Lebenshilfe, und ein Jahr im Landesjugendheim in Pottenstein.

3. Die Betroffene ist im Gespräch freundlich und zugewandt und sehr bemüht. Im Gespräch zeigt sich wiederholt die schnelle Überforderung vor allem bei komplexeren Fragestellungen. Dabei reagiert sie oft sehr emotional und beginnt zu weinen. Der Grund dafür sei, dass es ihr peinlich und unangenehm sei. Sie fügt dann auch auf Nachfragen hinzu, dass sie deshalb auch in der Schule oft gehänselt wurde. Sie ist bemüht eine gute Mutter zu sein und bemerkt ihre Überforderung im Umgang mit der Tochter.

4. Sie ist einverstanden mit einer gerichtlichen Unterstützung und gibt an, ich nehme gerne Unterstützung an, ich kann daraus lernen.

5. Vor allem beim MMSE und bei dem Gespräch bezüglich ihrer Finanzen zeigen sich ihre kognitiven Defizite beim Rechnen. Einen gröberen Überblick über Summen kann sie nicht erstellen, vor allem auch bei einfachen Rechnungen (500-70=) ist sie schnell überfordert, bzw. ist es ihr nicht möglich diese Rechnung durchzuführen.

6. Jedoch zeigt es sich, dass sie bei ausreichender Unterstützung mehr innere Sicherheit erlangen kann und sie diese Tätigkeiten dann selbstständig durchführen kann. Sie hatte alle nötigen Unterlagen geordnet in einer Mappe selbständig zur Untersuchung mitgebracht.

7. Anzumerken ist, dass beide Elternteile der Betroffenen von einer gerichtlichen Erwachsenenschutzvertretung unterstützt werden.

Konklusion

Ad 1)

Bei Frau M. C, besteht nach einer verzögerten körperlichen und Sprachentwicklung eine psychiatrische Erkrankung im Sinne einer leichten Intelligenzminderung.

Ad 2)

Frau M. ist nicht fähig, folgende Arten von Angelegenheiten nicht mehr ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen: Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten; Vertretung vor Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern; Abschluss von Rechtsgeschäften zur Deckung des Pflege- und Betreuungsbedarfs; Rechtsgeschäfte, die über die Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen

Bezüglich Personensorge, medizinische Behandlung und Aufenthaltsort benötigt sie keine Unterstützung und kann diese Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen.

Ad 3)

Der Gesundheitszustand von Frau M. erlaubt es, teilweise einer mündlichen Verhandlung zu folgen und die Anwesenheit in der Verhandlung würde ihr Wohl nicht gefährden."

BV AEB-PENSIONSSERVICE

med. Dienst im PS

OBERBEGUTACHTUNG EU Waise

Betrifft: SVNR: 1234, ***Bf1***

Prüfung erwerbsunfähige Waise

Stellungnahme der medizinischen Oberbegutachtung mit zusammenfassender Leistungsfeststellung

Von der BVAEB, Pensionsservice, in Auftrag gegebene Gutachten 13:50:30 F. Dr. (PST)

Diagnose (nach Relevanz hinsichtlich Arbeitsfähigkeit): intellektuelle Minderbegabung mit Selbstfürsorgedefizit Leistunqskalkül und medizinische Stellungnahme:

Begründung:

Seit frühester Kindheit besteht eine intellektuelle Minderbegabung mit Rechenschwäche sowie Leistungsschwächen. Nach Besuch der Sonderschule erfolgte keine Berufsausbildung. Eine Rechnung über den Zehnersprung kann nicht durchgeführt werden. Schreiben ist möglich, Lesen ist auf einfachem Niveau sinnerfassend möglich. Die sozialen Fertigkeiten sind reduziert. Die Betroffene ist nicht fähig Einkünfte, Vermögen und Verbindlichkeiten zu verwalten sowie sich vor einer Behörde zu vertreten, sowie Abschluss von Rechtsgeschäften zu tätigen.

Die psychische Belastbarkeit ist reduziert, nur minimaler Zeitdruck wird verkraftet. Die Fähigkeit, an einer beruflichen Aufgabe ausdauernd und in einer erwarteten Zeit zu arbeiten und dabei ein durchgehendes Leistungsniveau aufrechterhalten zu können, ist sehr gering. Übliche Arbeitspausen waren nicht ausreichend. Die intellektuelle Minderbegabung mit Selbstfürsorgedefizit hat der Betroffenen niemals im Leben die Erfüllung geregelter Tätigkeiten erlaubt. Besserung ist nicht zu erwarten. Es handelt sich um einen Dauerzustand.

Erstellt am
Oberbegutachter: Dr. Z.


Das Bundesfinanzgericht übermittelte die angeführten Unterlagen am an das Sozialministeriumservice mit dem Ersuchen um ergänzende Stellungnahme und führte aus:

"... Die Erwachsenenvertreterin hat einen Bescheid der BVAEB vom vorgelegt, wonach Fr. M. als Hinterbliebene ein Versorgungsbezug nach dem Pensionsgesetz 1965 solange gebührt, als die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen (Erwerbsunfähigkeit iSd § 17 Abs. 3 PG 1965) erfüllt werden.
§ 17 Abs. 3 PG 1965 lautet:
"(3) Dem Kind eines verstorbenen Beamten, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, gebührt auf Antrag ein monatlicher Waisenversorgungsgenuß, wenn es seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des im Abs. 2 genannten Zeitraumes infolge Krankheit oder Behinderung erwerbsunfähig ist."
Die dem Bescheid zu Grunde liegenden Unterlagen, darunter das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom und das Obergutachten vom , wurden von der BVAEB an das Bundesfinanzgericht übermittelt.
Diese Unterlagen werden an das SMS übermittelt.
Sie werden ersucht, ... eine begründete Stellungnahme abzugeben, ob an der bisherigen Beurteilung des SMS, wonach keine vor dem 21. Geburtstag eingetretene voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit besteht ("Eine Selbsterhaltungsfähigkeit in Form einfacher Tätigkeiten am 1. Arbeitsmarkt scheint gegeben zu sein und ist zumutbar") durch die vorgelegten Unterlagen eine Änderung eintritt oder ob diese beibehalten wird."

Mit Schriftsatz vom , eingelangt am , beantwortete das Sozialministeriumservice das Auskunftsersuchen und übermittelte ein "Nervenfachärztliches Sachverständigengutachten, aktenmäßige Stellungnahme", erstellt von Fr. Dr.in Dok, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, und führte darin unter Bezug auf die Fragestellung, die vorliegenden Vorgutachten und die neu vorgelegten Unterlagen aus wie folgt:

"Mit Vorlage der neuen Unterlagen tritt eine Änderung der getroffenen Beurteilung des SMS ein.
Es ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Geburtstag eingetreten ist.
Es scheint zwar nach Durchsicht aller Unterlagen zu einer gewissen Nachreifung gekommen zu sein. So wird beschrieben (Gutachten Dr.in B. Seite 22/27), dass die Betreuung der Kinder- und Jugendhilfe seit 2018 vorliegt. Die Betreuung durch eine Kinderkrankenschwester, die zur Unterstützung der Betreuung der Tochter der AW (geb. ) beigezogen wurde, 2/20 abgeschlossen werden konnte, ebenso die Betreuung der Familienhilfe plus, die im Oktober 2020 beendet wurde. Ein Unterstützungsbedarf sei nicht immer nötig. Es gäbe lediglich nur mehr finanzielle Probleme.
Daher ist prinzipiell eine weitere Nachreifung nicht ganz ausgeschlossen und eine abschließende Nachuntersuchung mit Vorlage einer aktuellen psychologischen Leistungsuntersuchung inclusive Intelligenztest wird in 3 Jahren empfohlen. ..."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

Sachverhalt:

Die Bf ist Feb99 geboren und vollendete am Feb2020 das 21. Lebensjahr.

Aus der Anamnese der Sachverständigengutachten ergibt sich, dass bei der Bf eine unauffällige frühkindliche Entwicklung besteht. Die Bf besuchte eine Sonderschule bei alleinig kognitiver Entwicklungsverzögerung ohne soziale oder motorische Problematik. Aufgrund familiärer Belastungen wurde die Bf vorübergehend im SPZ Hinterbrühl betreut, danach jeweils 1 Jahr begleitende Betreuung UH Pottenstein, Lebenshilfe Felixdorf und Berndorf. Es bestand überall eine unproblematische Eingliederung in Gruppen und Arbeitsprozesse und strebte die Bf nach Eigenständigkeit.

Die Bf lebt mit der gemeinsamen Tochter und ihrem Lebensgefährten seit zwei Jahren im Haus des Lebensgefährten zusammen. Dieser kommt für alle Kosten im Zusammenhang mit der Liegenschaft und den Lebenshaltungskosten auf.

Die Bf arbeitete nach ihren eigenen Angaben viel in der Küche und wurden in den letzten Jahren keine weiteren Ausbildungen gemacht.

Die Bf hat seit November 2020 einen Erwachsenenvertreter.

Die Bf bezieht kein Pflegegeld.

Sie bezieht als Hinterbliebene nach ihrem am verstorbenen Vater seit einen Versorgungsbezug nach dem Pensionsgesetz 1965 iHv monatlich brutto EUR 722,30 sowie eine Zulage im Ausmaß des für ein Kind vorgesehenen Kinderzuschusses von mtl. brutto EUR 15,60.

Im Zuge des Antrags- und Beschwerdeverfahrens wurden drei Gutachten erstellt (, und ).

In den Gutachten vom und vom wurde der Gesamtgrad der Behinderung mit 30% vH festgestellt und keine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr bescheinigt.

Im Gutachten vom wurde der Bf eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr bescheinigt.

Das Bundesfinanzgericht geht aus den nachstehend angeführten Gründen in freier Beweiswürdigung davon aus, dass bei der Bf die Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist.

Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt beruht auf den durchgeführten Anamnesen, dem Bescheid der Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau vom sowie folgenden Befunden und Unterlagen:
12/2018 Lebenshilfe NÖ Hauswirtschaftsbereich, 04/2013 KH Mödling Kinderpsychiatrie, Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom , GZ. 24 P 55/20k-18, neurologisches psychiatrisches Gutachten BVAEB Dr. F. vom , Schulnachricht SJ 2014/2015, Jahres-Abschlusszeugnis SJ 2014/15 der Allgemeinen Sonderschule Mödling für schwerstbehinderte und für mehrfach behinderte Kinder vom , Sachverständigengutachten vom und vom sowie ergänzendes Gutachten vom .

Die Bf leidet an einer Intelligenzminderung.

In der Einschätzungsverordnung sind bezüglich dieser Erkrankung/Behinderung je nach Schweregrad folgende Richtsatzpositionen vorgesehen:

Gutachten vom

Die mit dem Gutachten befasste Sachverständige reihte die Erkrankung der Bf (leichte Intelligenzminderung mit geringer sozialer Anpassungsstörung) nach Anamneseerhebung, durchgeführter Untersuchung und unter Einbeziehung der vorgelegten Befunde unter die Pos.Nr. der Einschätzungsverordnung und setzte den Gesamtgrad der Behinderung mit 30 vH rückwirkend ab März 2021 fest.

Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde mit der Begründung nicht bescheinigt, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit in Form einfacher Arbeiterinnentätigkeit am ersten Arbeitsmarkt gegeben sei.

Gutachten vom

Auch in diesem Gutachten wurde der Gesamtgrad der Behinderung mit 30 vH rückwirkend ab März 2021 festgesetzt und eine Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung nicht bescheinigt, dass Selbsterhaltungsfähigkeit in Form einfacher Arbeiterinnentätigkeit am ersten Arbeitsmarkt gegeben und auch zumutbar sei.

Ergänzendes Gutachten vom

Der Gutachterin Drin Dok, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie standen bei Erstellung des Ergänzungsgutachtens folgende Unterlagen bzw. Befunde zur Verfügung:

Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom , GZ. 000, neurologisches psychiatrisches Gutachten BVAEB Dr. F. vom sowie Schulnachricht SJ 2014/2015 und Jahres-Abschlusszeugnis SJ 2014/15 der Allgemeinen Sonderschule Mödling für schwerstbehinderte und für mehrfach behinderte Kinder vom ).

Unter Heranziehung der nunmehr vorgelegten Unterlagen gelangte die Ärztin zur Feststellung, dass nach der Aktenlage davon auszugehen sei, dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bei der Bf vor dem 21. Geburtstag eingetreten ist.

Das Bundesfinanzgericht erachtet diese Feststellung als vollständig, nachvollziehbar und schlüssig und sieht keinen Widerspruch zu den Gutachten vom und vom , da den Gutachtern zum Zeitpunkt ihrer Gutachtenserstellung die zuvor angeführten Unterlagen nicht zur Verfügung standen.

Gesetzliche Grundlagen:

§ 10 FLAG 1967 lautet:

(1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchs­voraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrundhinzukommt.

(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 legt fest, in welchem Ausmaß sich die Familienbeihilfe bei einem erheblich behinderten Kind erhöht.

Nach § 8 Abs. 5 erster Satz FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundes-amtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behindertenein-stellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

In der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, geändert durch BGBl. II Nr.251/2012, ist Folgendes normiert:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehendgilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der funktionellen Einschränkungen in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Gemäß § 8 Abs. 7 FLAG 1967 gelten die Abs. 4 bis 6 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Rechtliche Beurteilung:

Voraussetzung für die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, Rz 5 zu § 8). Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr einge-tretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).

Bescheinigung des Sozialministeriumservice

Der Grad der Behinderung und die Feststellung, ob bzw. ab wann eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, ist gemäß den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl , ) und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht.

Im Fall, dass ein volljähriger Antragsteller die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, haben sich die Feststellungen darauf zu erstrecken, ob die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist (vgl. etwa ).

Andere als behinderungskausale Gründe (wie z.B. mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitsunwilligkeit, oÄ) dürfen für die Beurteilung ebenso wenig herangezogen werden wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa auch durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres.

Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem die Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt hat. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt (vgl. , , ).

Der VwGH stellte zB im Erkenntnis vom , 99/12/0236, und vom , 2003/12/0174, zum Begriff der Erwerbsfähigkeit im Pensionsgesetz fest, dass dieser im allgemeinen Sprachgebrauch bedeute, in der Lage zu sein, durch eigene Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Fähigkeit sei nach der Rechtsprechung zwar abstrakt zu beurteilen (dh, es sei nicht entscheidend, ob die in Frage kommenden Tätigkeiten gerade am Arbeitsmarkt verfügbar seien oder nicht, es müsse sich aber um eine Beschäftigung handeln, die grundsätzlich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes sei); es komme aber sehr wohl darauf an, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Einsatzfähigkeit für bestimmte Tätigkeiten (Berufsbilder) vorliegen. Hiebei sei weiters zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (zB Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) noch gegeben sei.

Intelligenzminderung

Intelligenz ist nicht eindeutig definiert und hängt von einer Reihe von Fertigkeiten ab, zB von Kognition, Sprache, Merkfähigkeit, Gedächtnis, Übersichtsfähigkeit, von motorischen und sozialen Fertigkeiten. Bei Intelligenzminderung können alle Fertigkeiten oder nur einzelne Teilbereiche beeinträchtigt sein. Die Intelligenzminderung führt oft zu Schwierigkeiten im Aneignen von Kenntnissen sowie beim Handeln und Denken (bedingt durch Konzentrations-störungen oder Gedächtnisschwäche), beschränktes Interesse und eine verzögerte intellek-tuelle Reife. Betroffene sind schulbildungsfähig, meist allerdings nur in Förderschulen für Lernbehinderte. Zusätzlich kann zur Intelligenzminderung noch eine soziale und emotionale Unreife hinzukommen, sodass die Betroffenen eigenständig den Anforderungen einer Ehe oder der Kindererziehung nicht nachkommen können (BVwG , W200 2012322-1).

Die klinisch-psychologische Diagnostik bei Personen mit intellektueller Beeinträchtigung ist ein komplexer Prozess und setzt umfassendes diagnostisches Wissen, die Kenntnis geeigneter Verfahren sowie ausreichende Erfahrung mit der Untersuchung intellektuell beeinträchtigter Personen der jeweiligen Altersgruppe seitens des Gutachters voraus. Bei Durchführung der Diagnostik ist auf das Entwicklungsniveau der Person und deren kommunikative Möglich-keiten zu achten. Die Fragen sollten kurz, konkret und deutlich formuliert sein. Informationen über den Entwicklungsstand, die Entwicklungs- und Bildungsgeschichte, die Krankengeschichte einschließlich Komorbiditäten und störungsrelevanter Rahmenbedingungen sollten durch Befragung von mehreren zuverlässigen, unabhängigen Quellen erhoben werden. Die Anamnese wird durch eine Verhaltensbeobachtung und Verhaltensanalyse ergänzt. Neben dem kognitiven ist auch das soziale und emotionale Entwicklungsniveau sowie die Persönlich-keitsentwicklung ein Bestandteil der Untersuchung (Auszug aus der Richtlinie für die Erstellung von klinisch-psychologischen und gesundheitspsychologischen Befunden und Gutachten, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz).

Diagnoseerstellung durch die sachverständigen Ärzte des Sozialministeriumservice

Die sachverständigen Ärzte des Sozialministeriumservice ziehen für ihre zu treffenden Feststellungen, wie hoch der Grad der Behinderung bzw. wann die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, neben der durchgeführten Anamnese und Untersuchung des Antragstellers die Kenntnisse der Medizin und ihr eigenes Fachwissen heran. Unerlässlich für die Feststellungen sind auch Befunde und besonders hilfreich "alte" Befunde und Arztbriefe oder sonstige Unterlagen, die darauf schließen lassen, dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit auf Grund der Erkrankung (Behinderung bereits vor dem 21. Lebensjahr (bzw. wenn sich der Antragsteller noch in schulischer Ausbildung befand, das 25. Lebensjahr) eingetreten ist (vgl. , , , Ro 2017/16/0009).

Die Feststellungen, zu welchem Zeitpunkt eine Erkrankung bzw. Behinderung zu einer Erwerbsunfähigkeit geführt hat, können naturgemäß immer nur mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, aber nie mit Sicherheit getroffen werden, da die Gutachter bei ihrer Untersuchung nur das Ausmaß der Erkrankung zum Untersuchungszeitpunkt feststellen können. Die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann naturgemäß immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen ().

Der Antragsteller hat die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gut-achtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ).

Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice

Die Beihilfenbehörden (Finanzamt), und auch das Gericht, haben bei ihrer Entscheidung von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und sind an die Gutachten des SMS gebunden. Ein Abweichen ist nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung möglich (, ).

Die Beihilfenbehörden und das Gericht dürfen die Gutachten nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. ; ; Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).

Ein Gutachten ist

•vollständig, wenn es die von der Behörde oder dem Gericht gestellten Fragen beantwortet (sofern diese zulässig waren)

•nachvollziehbar, wenn das Gutachten von der Beihilfenstelle und vom Gericht verstanden werden kann und diese die Gedankengänge des Gutachters, die vom Befund zum Gutachten führten, prüfen und beurteilen kann und

•schlüssig, wenn es nach der Prüfung auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit immer noch überzeugend und widerspruchsfrei erscheint

Freie Beweiswürdigung:

Die Gutachten unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien richterlichen Beweiswürdigung.

Das Bundesfinanzgericht hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Zusammenfassend wird noch einmal festgestellt, dass das Bundesfinanzgericht die in dem Gutachten vom getroffene Feststellung, wonach bei der Bf die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist, als mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechend erachtet.

Der Beschwerde wird stattgegeben.

Die erhöhte Familienbeihilfe wird auf Grund der Feststellung im Gutachten vom , dass bei der Bf die Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist, die Bf das 21. Lebensjahr am Feb2020 vollendet hat und im Erstbescheid des Finanzamtes vom über den Zeitraum ab Oktober 2020 abgesprochen wurde, ab Oktober 2020 gewährt.

Nur der Zeitraum ab Oktober 2020 ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und wurde dadurch im Spruch über die umschriebene Sache verbindlich abgesprochen. Ein weiterer Abspruch ist daher seitens des Bundesfinanzgerichtes unzulässig (vgl. Lenneis /Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 13, V. Zu den einzelnen Bescheidmerkmalen [Rz 7 - 108]).

Festgehalten wird, dass das Gutachten vom keine Feststellung darüber getroffen wurde, wann genau (Zeitpunkt) vor dem 21. Lebensjahr die Erwerbsunfähigkeit eingetroffen ist.

Die Bf hat aber die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung beantragt.

Bemerkt wird, dass über den Zeitraum vor Oktorber 2020 vom Finanzamt noch nicht abgesprochen wurde. Das Finanzamt wird daher zu beurteilen haben, wann der genaue Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit datiert. Diesbezüglich wird die Einholung eines Ergänzungsgutachtens erforderlich sein.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag) zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob und ab wann eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" gegeben ist, handelt es sich um eine Tatfrage und ist das BFG an die vom Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden sofern diese schlüssig sind. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Beilage: Ergänzendes Gutachten vom

Wien, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at