Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.12.2021, RV/5100472/2020

Haftung für Lohnsteuer

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***R*** in der Beschwerdesache ***Bf2***, ***Bf2-Adr*** vertreten durch ***RA**, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid gemäß § 9 BAO des Finanzamtes Braunau Ried Schärding vom , Steuernummer ***StNr***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO insofern teilweise stattgegeben, als der Haftungsbetrag iHv 7.716,44 um 941,22 € vermindert wird und nunmehr für die Lohnsteuer 03/2018 iHv 6.775,22 € besteht.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheid vom machte das Finanzamt gegenüber dem Beschwerdeführer die Haftung für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Firma ***X*** GmbH (Primärschuldnerin) im Ausmaß von 7.716,44 € geltend. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die im Spruch angeführten Abgabenschuldigkeiten bei der Primärschuldnerin uneinbringlich seien, da über das Vermögen der Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet worden sei. Die Geltendmachung der Haftung stelle die einzige Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Weiters könne auf Grund der künftigen Erwerbsmöglichkeiten nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass die Haftungsschulden auch beim Haftungspflichtigen uneinbringlich seien. Der Haftungspflichtige habe im Zusammenhang mit der Wahrnehmung seiner Pflichten auffallend sorglos gehandelt.

Mit Beschwerde vom wurde gegen den Haftungsbescheid vom das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht. Es sei richtig, dass mit Beschluss des Landesgerichtes ***LG*** vom über die ***X*** GmbH ein Insolvenzverfahren eröffnet und mit einer Sanierungsplanquote von 20 % abgeschlossen worden sei. Weiters sei richtig, dass zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung die Lohnsteuer, der Dienstgeberbeitrag und der Zuschlag zum DB für das Monat 03/2018 offen gewesen seien.
Bestritten werde, dass der Haftungspflichtige eine Pflicht nach § 78 Abs 3 EStG verletzt hätte. Nach dieser Bestimmung habe der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichen würden, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Beitrag zu berechnen und einzubehalten.
Unrichtig sei im gegenständlichen Fall, dass die Mittel zur Zahlung der Abgaben nicht ausgereicht hätten. Tatsächlich hätte- darauf werde im Insolvenzantrag auch eingegangen - ein positives Bankkonto in der Höhe von € 73.000,00 bestanden. Dies wäre im Status zum noch mit € 75.990,00 ausgewiesen, dieses Guthaben hätte auch zum Zeitpunkt bestanden, also jenem Zeitpunkt, in dem die Abgabenschuld von € 7.716,44 fällig geworden sei. Dabei sei noch gar nicht berücksichtigt, dass vor Insolvenzeröffnung auch offene Kreditlinien bei Bankinstituten bestanden hätten. Der Geschäftsführer habe sohin jedenfalls keinen Verstoß nach § 78 Abs 3 EStG begangen, da er dafür gesorgt hätte, dass ausreichend Mittel zur Verfügung stünden, die Abgabenschulden abzudecken.
Tatsächlich hätte der Geschäftsführer der ***X*** GmbH die Abgaben trotz der Tatsache, dass ausreichend Mittel vorhandengewesen wären, bei Fälligkeit nicht abgeführt. Zu diesem Zeitpunkt hätte er bereits die ***RÄ*** Rechtsanwälte GmbH mit der Erstellung eines Insolvenzantrages beauftragt. Routinemäßig - und entsprechend der gesetzlichen Rechtslage - werde den Geschäftsführern, welche einen Auftrag zur Insolvenzantragstellung erteilen würden, aufgetragen, nur noch sogenannte "Zug um Zug-Leistungen" zu bezahlen. Nach der österreichischen Rechtsordnung sei die Zahlung von Verbindlichkeiten im Zeitpunkt, ab dem die Insolvenzantragstellung und sohin das Vorliegen der Insolvenzgründe klar sei, nicht mehr gestattet. Der Beschwerdeführer habe die Pflicht nach § 78 Abs 3 EStG nicht verletzt. Der Haftungsbescheid sei bereits aus diesem Grund unrichtig begründet.
Aufgrund der gesetzlichen Rechtslage sei allerdings dem Geschäftsführer auch kein anderes Fehlverhalten vorzuwerfen, sodass der Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben sei.
Der Vollständigkeit halber sei auszuführen, dass nur die Lohnsteuer und nicht der Dienstgeberbeitrag bzw der Zuschlag zum DB unter die Anwendung des § 78 EStG fallen würde (), sodass hinsichtlich dieser Abgaben keine Haftung bestehe.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde vom teilweise stattgegeben und der angefochtene Bescheid auf den Betrag von € 6.775,22 abgeändert, da der Dienstgeberbeitrag und der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag von der Haftung ausgenommen wurden. Begründend wurde nach Wiedergabe der rechtlichen Grundlagen ausgeführt, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben am fällig gewesen seien. ln dieser Zeit wäre der Beschwerdewerber alleinverantwortlicher Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen. Wie in der Beschwerde angeführt worden sei, hätte zum Fälligkeitszeitpunkt ein ausreichendes Guthaben in Höhe von € 73.000,-- bestanden. Wenn die auf ausbezahlte Löhne entfallene Lohnsteuer nicht an das Finanzamt abgeführt werde, sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Primärschuldnerin, von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers auszugehen. Der Beschwerde wäre daher nur teilweise stattzugeben.

Im Vorlageantrag vom wurde kein weiteres Vorbringen erstattet und neben der ersatzlosen Aufhebung des Haftungsbescheides die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Zuständigkeit des gesamten Senates beantragt.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerdesache dem Bundesfinanzgericht vor.

Mit Schriftsatz vom legte die zuständige Richterin Rechtslage und Judikatur dar und ersuchte um Mitteilung, ob der gegenständlichen Vorlageantrag, der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung bzw. der Antrag auf Entscheidung durch den Senat aufrecht gehalten würden.

Mit Schreiben vom wurde seitens des Beschwerdeführers dazu bekannt gegeben, dass die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bekannt sei. Dabei sei entscheidend, dass die Mittel faktisch vorhandengewesen seien, allerdings wenige Tage bzw. Wochen vor der Insolvenzeröffnung nicht mehr abgeführt werden dürften. Es mag zwar sein, dass dem Gesetz ein Verbot an den Schuldner jegliche Zahlungen einzustellen nicht zu entnehmen sei. Eine Bevorzugung eines Gläubigers, also die Zahlung eines Gläubigers und anderer nicht, sei dem Gesetz an mehreren Stellen zu entnehmen. Hervorzuheben seien § 158 StGB (Begünstigung eines Gläubigers) bzw. § 30 IO (Anfechtung wegen Begünstigung). Wesentlich sei aber, ob die öffentliche Hand anders behandelt worden sei als die anderen Gläubiger. Im Zitat der Entscheidung 94/15/0158 finde sich die entscheidende Frage, nämlich "ob der Bund als Abgabengläubiger schlechter gestellt wurde als die anderen andrängenden Gläubiger". In der zitierten Entscheidung 2011/16/0075 habe der VwGH zwar ausgesprochen, dass es ein Zahlungsverbot nicht gäbe, er führe aber weiter aus: "Vielmehr hat der Gemeinschuldner unter Beachtung der Gläubigergleichbehandlung den Betrieb bis zur Konkurseröffnung fortzuführen." In der Entscheidung führe er weiter aus: "Soweit der Beschwerdeführer mit dem vermeintlichen Verbot von Zahlungen nach Stellen des Konkursantrages behaupten möchte, es seien keinerlei Zahlungen mehr erfolgt, ist er darauf hinzuweisen, dass es nicht auf die geleisteten Zahlungen, sondern auf die zur Zahlung der Abgabenschuldigkeiten zum Fälligkeitstag zur Verfügung gestandenen Mittel ankommt".
Wie ausgeführt (aber offenbar noch nicht ermittelt) seien die Mittel zum Stichtag vorhanden gewesen.
Es werde bekanntgegeben, dass der gegenständliche Vorlagenantrag aufrechterhalten werde, der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Antrag auf Entscheidung durch den Senat zurückgezogen werde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Mit Erklärung vom wurde die Firma ***X*** GmbH gegründet und unter der Nummer ***123*** in das Firmenbuch eingetragen. Seit war der am geborene Beschwerdeführer alleiniger Geschäftsführer der Firma.

Mit Beschluss des Landesgerichtes ***LG*** vom wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin das Sanierungsverfahren eröffnet. Am wurde der am angenommene Sanierungsplan mit folgendem wesentlichen Inhalt bestätigt:
"Alle Gläubiger erhalten zur vollständigen Befriedigung ihrer Forderung, gleichgültig ob es sich um offene Buchforderungen oder Wechselforderungen handelt, eine Quote von 20 % und zwar in folgenden Teilquoten:
Eine Teilquote von 5 % und alle Massekosten binnen 8 Wochen ab Annahme des Sanierungsplanes, weitere 5 % zahlbar binnen 12 Monaten, binnen 18 Monaten sowie binnen 24 Monaten je ab Annahme des Sanierungsplanes.
Die Ausschüttung der ersten Quote erfolgt durch den Masseverwalter."
Mit Beschluss vom wurde das Sanierungsverfahren aufgehoben.

Die Lohnsteuer 03/2018 wurde im Sanierungsverfahren mit einem Betrag von 8.469,02 € angemeldet. Nach Entrichtung der Quoten haftet sie nunmehr mit einem Betrag von 6.775,22 € unberichtigt am Abgabenkonto der Primärschuldnerin aus.

Der Beschwerdeführer hat das Gleichbehandlungsgebot bei Befriedigung der einzelnen Gläubiger nicht verletzt.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich unbestritten aus den vorliegenden Akten, dem Firmenbuch und der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgelegten Unterlagen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

§ 9 Abs. 1 BAO lautet:
"Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können."

§ 80 Abs. 1 BAO lautet:
"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden."

§ 224 Abs. 1 BAO lautet:
"Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten."

§ 20 BAO lautet:
"Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen."

§ 78 Abs. 3 EStG 1988 lautet:
"Reichen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht aus, so hat er die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO voraus, dass
< eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht,
< die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis der §§ 80 ff BAO gehört,
< eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertretenen vorliegt und
< die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.

Die Haftung des § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung, welche die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben bei der Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraussetzt. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist im Beschwerdefall gegeben, weil das Sanierungsverfahren aufgehoben wurde. Der über die Quote hinausgehende Abgabenrückstand ist daher bei der Primärschuldnerin uneinbringlich.

Die haftungsgegenständlichen Abgaben waren am fällig. Der Beschwerdeführer war seit der alleinige Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Daraus ergibt sich, dass die Abgaben zu einem Zeitpunkt fällig waren, in welchem er die Primärschuldnerin vertreten hat.

Sind die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten und die Vertreterstellung gegeben, so ist es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Sache des Vertreters, im Rahmen der ihm obliegenden qualifizierten Mitwirkungspflicht darzulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war. Nur der Vertreter wird in der Regel jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung des Vertretenen haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht ().

Aufgabe des Geschäftsführers ist es, im Verwaltungsverfahren allfällige Gründe aufzuzeigen, die ihn daran gehindert haben, die Abgabenschulden am oder nach dem Fälligkeitstag zu begleichen. Er hat darzustellen, dass ab dem Zeitpunkt, an welchem die von der Haftungsinanspruchnahme erfassten Abgaben fällig geworden sind, keine Geldmittel der Gesellschaft mehr vorhanden waren. Es hat nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogenen Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel.

Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern nur im Umfang der Kausalität zwischen seiner schuldhaften Pflichtverletzung und dem Entgang der Abgaben. Reichten die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden aus und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und den Abgabengläubiger somit benachteiligt hat, dann erstreckt sich die Haftung des Vertreters auch nur auf den Betrag, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt allerdings dem Vertreter. Weist er nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, dann haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag. Tritt der Vertreter diesen Nachweis nicht an, dann kann ihm die uneinbringliche Abgabe allerdings zur Gänze vorgeschrieben werden ().

Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vor dem Finanzamt dargelegt, dass er den Gleichbehandlungsgrundsatz eingehalten hat. Er hat keine Gläubiger gegenüber der Finanzverwaltung bevorzugt. Eine Haftungsinanspruchnahme für Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag ist daher (wie bereits in der Bescherdevorentscheidung) ausgeschlossen.

Von der Beachtung des Gleichbehandlungsgebotes ausgenommen ist die Lohnsteuer. Die Verpflichtung eines Vertreters nach § 80 BAO geht hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Gläubiger hinaus. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich, dass jede vom Vertreter vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflichten mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (). Nach ständiger Rechtsprechung ist die auf die ausbezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer jedenfalls einzubehalten und spätestens am Fälligkeitstag in voller Höhe zu entrichten. Jede vom Geschäftsführer vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne stellt eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflichten dar, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die Abfuhr der darauf entfallenden Lohnsteuer ausreichen und auch abgeführt werden. Die Bestimmung stellt nicht auf jene Gründe ab, die dazu geführt haben, dass nicht die volle Lohnsteuer abgeführt wurde.

Im Erkenntnis vom , Ra 2016/16/0097, hat der Verwaltungsgerichtshof auf Folgendes hingewiesen: "In den Erkenntnissen vom , 2008/15/0283, und vom , 2000/15/0168, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Verpflichtung nach § 80 BAO hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden (aller Gläubiger) hinausgeht; aus den Bestimmungen des § 78 Abs. 3 EStG ergibt sich die Verpflichtung, dass die Lohnsteuer - ungeachtet des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller andrängenden Gläubiger - jeweils zur Gänze zu entrichten ist."

Entgegen dem Vorbringen im Schreiben vom ("Wesentlich ist aber, ob die öffentliche Hand anders behandelt wurde als die anderen Gläubiger. Im Zitat der Entscheidung 94/15/0158 findet sich die entscheidende Frage, nämlich "ob der Bund als Abgabengläubiger schlechter gestellt wurde als die anderen andrängenden Gläubiger.") geht es eben im Zusammenhang mit der Lohnsteuer nicht darum, ob alle Gläubiger gleich behandelt wurden bzw. der Abgabengläubiger nicht schlechter behandelt wurde. Die Lohnsteuer ist immer abzuführen. Beim Vorhandensein ausreichender Mittel ist die Lohnsteuer vom vollen ausbezahlten Lohn abzuführen, wenn nicht ausreichende Mittel vorhanden sind, ist der zur Auszahlung gelangende Lohn entsprechend zu kürzen.

Das Beschwerdevorbringen, wonach nach der österreichischen Rechtsordnung die Zahlung von Verbindlichkeiten im Zeitpunkt, ab dem die Insolvenzantragstellung und sohin das Vorliegen der Insolvenzgründe klar sei, nicht mehr gestattet sei, kann der gegenständlichen Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 94/15/0158, Folgendes ausgesprochen: "Mit dem Einwand des Beschwerdeführers, alle von ihm nach dem geleisteten Zahlungen wären nach § 30 Abs 1 KO anfechtbar gewesen, wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt. Denn ob bzw inwieweit vom Beschwerdeführer geleistete Zahlungen nach den Bestimmungen der KO rechtsunwirksam bzw anfechtbar gewesen wären, ist ausschließlich im Konkursverfahren zu prüfen. Die im Abgabenverfahren zu prüfende Frage, ob der Bund als Abgabengläubiger nicht schlechter gestellt worden ist, als die anderen andrängenden Gläubiger, bleibt davon unberührt."

Auch im Erkenntnis vom , 2011/16/0075, sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass dem Gesetz ein Verbot an den Gemeinschuldner oder dessen organschaftlichen Vertreter, mit Stellen des Konkursantrages jegliche Zahlungen einzustellen, nicht zu entnehmen ist.

Insgesamt gesehen gelangte daher das Verwaltungsgericht zur Ansicht, dass die Uneinbringlichkeit der Lohnsteuer 03/2018 im Ausmaß von 6.775,22 € bei der Primärschuldnerin auf ein schuldhaftes Verhalten des Beschwerdeführers, nämlich auf die Verletzung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, zurückzuführen ist. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes spricht bei schuldhafter Pflichtverletzung die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben ().

Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff Billigkeit ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Berufungswerbers beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn versursacht worden ist. Dem Gesetzesbegriff Zweckmäßigkeit kommt die Bedeutung öffentliches Interesse an der Einhebung der Abgabe zu. Die Zweckmäßigkeit der Geltendmachung der Haftung liegt daran, dass nur durch diese Maßnahme eine Einbringlichkeit der angeführten Abgaben gegeben ist und nur so dem öffentlichen Interesse an der Erhebung der Abgaben nachgekommen werden kann.

Die Haftungsinanspruchnahme ist die einzige Möglichkeit, den Abgabenausfall zu kompensieren. Bei der Primärschuldnerin ist eine Einbringlichkeit der Abgabenverbindlichkeiten zur Gänze ausgeschlossen. Eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit beim Haftenden schließt nicht aus, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können (). Der Beschwerdeführer ist 53 Jahre alt, sodass eine Einbringlichkeit bei ihm durchaus möglich ist. Es würde einem Ermessensmissbrauch gleichkommen, die Haftung bei ihm nicht geltend zu machen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall sind die zu klärenden Rechtsfragen durch die zitierte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschieden, sodass eine Revision nicht zulässig ist.

Somit war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 78 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100472.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at