Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.11.2021, RV/7102994/2021

Rechtmäßigkeit eines Zurückweisungsbescheides als Folge eines schlüssigen Gutachtens nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7102994/2021-RS1
Aufgrund der Tatsache, dass die Wirkung eines den Antrag auf (erhöhte) Familienbeihilfe abweisenden Bescheides ausschließlich mit der Änderung der Sach- und Rechtslage begrenzt ist, sprich dieser sohin gleichsam bis laufend gilt, ist einem– bei unveränderter Sach- und Rechtslage- gestellten Neuantrag zwingend mittels Zurückweisung wegen entschiedener Sache (res iudicata) zu begegnen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den RichterRi in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Zurückweisung des Antrages auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für das Kind ***1*** zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Eingabe vom stellte die Bf. mit der Begründung des Vorhandenseins von Haltungsschäden sowie kognitiver Leistungsschwäche den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für ihren minderjährigen Sohn.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Sohn der Bf. im Vorfeld gegenständlicher Antragstellung bereits viermal beim Sozialministeriumservice fachärztlich untersucht wurde, respektive die Gutachten vorgenanntem Kind nachstehende Behinderungsgrade attestierten: 10% seit 9/2018; 20% seit 4/2019; 40% seit 9/2019.

Korrespondierend mit nämlichen Ergebnissen wurde seitens der belangten Behörde der Antrag auf Gewährung erhöhter Familienbeihilfe ab September 2018 mit Bescheid vom rechtskräftig abgewiesen, respektive die Folgeanträge der Bf. ob Nichtänderung der Sach- und Rechtslage wegen entschiedener Sache (res iudicata) zurückgewiesen.

Am wurde das Kind der Bf. neuerlich beim Sozialministeriumservice untersucht, wobei der begutachtende Facharzt unter Bezugnahme auf den mit datierten klinisch- psychologischen Befund des Ambulatorium ***2*** zur Überzeugung gelangte, dass das Kind ***1*** in Anbetracht einer Entwicklungsstörung der motorischen Fähigkeiten sowie einer Lese- und Rechtschreibstörung einen ab Jänner 2021 bestehenden Behinderungsgrad von 30% aufweise.

In der Folge wurde der Antrag der Bf. mit der Begründung, dass angesichts obigen Gutachtens in Bezug auf den in Rechtskraft erwachsenen, den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages ab dem September 2018 abweisenden Bescheides vom keine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten sei, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Mit Eingabe vom wurde gegen den mit datierten Zurückweisungsbescheid Beschwerde erhoben und begründend auf neue Befunde verwiesen, wobei den Beilagen zu entnehmen ist, dass es sich bei diesen um den bereits in die Begutachtung eingeflossenen klinisch- psychologischen Befundes des Ambulatoriums ***2*** vom sowie einen weiteren, das Vorliegen einer Lese- und Rechtschreibstörung, respektive eine Entwicklungsstörung der motorischen Fähigkeiten des Kindes ***1*** widerspiegelnden Befund nämlichen Ambulatoriums vom handelt.

Mit dem Hinweis, dass dem Sohn der Bf. in der Begutachtung vom ebenso wie in den vier Vorbegutachtungen kein Behinderungsgrad von zumindest 50% attestiert worden sei, wurde das Rechtsmittel mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom abgewiesen.

In ihrem Vorlageantrag vom verwies die Bf. wiederum auf neue Befunde, wobei den Beilagen zu entnehmen ist, dass diese auf Konsultationen bei einem Augenfacharzt sowie einer Fachärztin für Kinderheilkunde sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie basieren. In zweitgenanntem, mit datierten Befund stellte die Fachärztin die Diagnose ADHS bzw. führt diese eine - in temporäre Hinsicht nicht näher spezifizierte - Medikation mit Retalin ins Treffen, welche beim Sohn der Bf. in eine Besserung der Aufmerksamkeitsfokussierung gemündet habe.

Die belangte Behörde führte in ihrem Vorlagebericht aus, dass die Bf. mit Eingabe vom neuerlich - einen bis dato unerledigten - Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für ihren Sohn gestellt hat.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Streitgegenstand

Vor dem Hintergrund des an oberer Stelle dargelegten Verwaltungsgeschehens steht, - in Abhängigkeit vom Ergebnis der Schlüssigkeitsprüfung des Gutachtens vom und einer daraus resultierenden etwaigen Änderung der Sach- und Rechtslage - die Rechtmäßigkeit, respektive die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Zurückweisungsbescheides auf dem Prüfstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

2. Rechtliche Würdigung

2.1. Voraussetzungen für die Gewährung des Erhöhungsbetrages

Gemäß § 8 Abs. 4 Z 3 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, ab um 155,90 € (Erhöhungsbetrag).

Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG).

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen (§ 8 Abs. 6 FLAG).

Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt (). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (z.B. mwN). Daraus folgt, dass de facto eine Bindung der Beihilfenbehörden an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes erstellten Gutachten gegeben ist. Die Tätigkeit der Behörden (bzw. des Bundesfinanzgerichtes) hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig anzusehen sind (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 mwN; ebenso z.B. ; ; ; ).

Das im gegenständlichen Fall vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) erstellte Gutachten vom ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes schlüssig, zumal in diesem es unter grundsätzlicher Bezugnahme auf die an oberer Stelle dargestellten Vorbegutachtungen auch die (Neu)Diagnose Lern- und Rechtschreibstörung des Ambulatoriums ***2*** (Befund vom ) einfließt.

Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtes sind weder die Umstände, dass die als "Leiden 2" titulierte Beeinträchtigung wegen fehlender Schwere schlussendlich nicht in eine Erhöhung des Behinderungsgrades mündet, noch jene der Nachreichung neuerer, im Zeitpunkt der Begutachtung noch gar nicht existenter Befunde der Schlüssigkeit der Feststellung eines ab Jänner 2021 bestehenden Behinderungsgrades von 30% abträglich.

In Ansehung vorstehender Ausführungen steht somit der Erhöhungsbetrag des § 8 Abs. 4 Z 3 FLAG nicht zu.

2.2. Abweisungsbescheid vom als Dauerbescheid

Ein Bescheid über die Abweisung eines Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe "ab" einem bestimmten Anspruchszeitraum, ohne im Spruch einen Endpunkt festzusetzen, gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sowie des Verwaltungsgerichtes jedenfalls für den Zeitraum bis einschließlich jenes Kalendermonats, in welchem der Bescheid erlassen wird, ungeachtet dessen, ob sich zwischen dem Anfangszeitpunkt und diesem Zeitpunkt die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Ein solcher Bescheid gilt jedoch über diesen Zeitpunkt der Bescheiderlassung hinaus solange weiter, als sich die der Bescheiderlassung zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nicht ändert ( mit Hinweis auf und ; ; ; ).

Entschiedene Sache (res iudicata) liegt nach übereinstimmender Rechtsprechung und Literatur dann vor, wenn seit Erlassung des ersten Bescheides die maßgebende Sach- und Rechtslage in den entscheidungswichtigen Punkten unverändert geblieben ist, somit dann, wenn sich weder die Rechtslage noch der Sachverhalt derart wesentlich geändert haben, dass dies (gemessen an den dem früheren Bescheid zu Grunde liegenden Wertungen) zu einer anderen Beurteilung der Verwaltungssache führen würde ( mit Hinweis auf ).

Eine solche entscheidungswesentliche Änderung der Sachlage läge gegenständlich erst dann vor, wenn - in Anbetracht der neuerlichen Antragstellung vom und unter Berücksichtigung neuerer, sprich noch nicht den Gegenstand der Letztbegutachtung vom bildender Befunde - vom Sozialministeriumservice ein Grad der Behinderung des Sohnes der Bf. von mindestens 50 % festgestellt würde. Erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Eintritt eines solchen Grades der Behinderung festgestellt wird, würde die zeitliche Wirkung des Abweisungsbescheides vom enden.

Demzufolge ist der angefochtene Zurückweisungsbescheid völlig rechtens ergangen und war daher wie im Spruch zu befinden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine derartige Rechtsfrage liegt nicht vor, da das BFG sowohl betreffend die Schlüssigkeitsprüfung des Gutachtens als auch daran anschließend der Qualifikation des Abweisungsbescheides vom als Dauerbescheid samt Rechtsfolgen der - im Erkenntnis dargelegten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt.

Wien, am

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