Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.11.2021, RV/7100842/2021

erhöhte Familienbeihilfe; im Gutachten des SMS, erstellt auf Grund des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten wurde eine 50%ige Behinderung bescheinigt; für die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit ist nur relevant, ob eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lj. vorliegt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK


Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***1*** über die Beschwerde des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Landstraßer Hauptstraße 82 Tür 11, 1030 Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Finanzamt Wien 4/5/10 vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab Juni 2020, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (kurz: Bf.) geb. 1999, ist seit durch den Erwachsenenvertreter Dr. Thomas Hofer-Zeni vertreten (Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom , GZ. 59 P 48/20y- 9).

Der Erwachsenenvertreter stellte namens des Bf. am einen Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (Autismus-Spektrum-Störung) ab dem Zeitpunkt, zu dem die Behinderung eingetreten ist.

Der Bf. wurde im Zuge des Antragsverfahrens am von Dr. Dok1, Facharzt für Allgemeinmedizin, untersucht und folgendes Gutachten, Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen BASB, Landesstelle Wien vom , erstellt:

Herr Bf. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Es liegt kein Leiden vor, das eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bedingt.
x Dauerzustand

Das Finanzamt wies den Antrag unter Zugrundelegung der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen (keine Erwerbsunfähigkeit) seiner Entscheidung zu Grunde und wies den Antrag mit Bescheid vom ab Juni 2020 unter Hinweis auf die Bestimmungen der §§ 6 Abs. 2 lit. d und 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) ab.

In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde (Schreiben vom ) wurde vom Erwachsenenvertreter vorgebracht, dass ihm das Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen BASB, Landesstelle Wien, vom am zugestellt worden sei, dh einen Tag nach Zustellung des Abweisungsbescheides. Der Antragsteller habe daher keinerlei Möglichkeit gehabt, zu diesem Gutachten Stellung zu nehmen bzw. weitere Beweise vorzulegen. Dies werde als Verfahrensfehler geltend gemacht.

Folgende Unterlagen wurden im Zuge der Beschwerde vorgelegt:

- Abschlussbericht ERANOS - Individuelle Berufliche Rehabilitation:

- Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten des Sozialministerium-Services vom

Aus dem Abschlussbericht ERANOS sei ersichtlich, dass es sehr fraglich sei, ob Herr Bf. in der Lage ist, eine Ausbildung zu machen oder eine Tätigkeit am ersten oder zweiten Arbeitsmarkt auszuüben. Dies aufgrund einer unmittelbaren Wahrnehmung der Tätigkeit von Herrn Bf. im Rahmen einer Maßnahme vom bis .

Das Sozialministeriumservice komme bei der Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten zu dem Ergebnis, dass der Grad der Behinderung 50 von 100 beträgt. Auf welcher Grundlage sich eine derartig rasche Besserung insbesondere im Hinblick auf eine grundsätzlich nicht heilbare oder besserbare angeborene Erkrankung ergebe, werde im nunmehrigen Gutachten nicht angegeben.

Diesbezüglich hätte jedoch das vorliegende eingeholte Gutachten auch auf das vorhergehende Gutachten Bezug nehmen müssen.

Es liege daher, entgegen dem eingeholten Gutachten, tatsächlich eine auch festgestellte Behinderung im Umfang von 50 % vor, sodass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe vorliegen würden.

Aus diesen Gründen werde daher der Antrag gestellt, es möge der Beschwerde gegen den Ablehnungsbescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 Folge gegeben werden und dem Antrag auf Zuerkennung von Familienbeihilfe für Herrn ***Bf1*** stattgegeben werden.

Der Bf. wurde am von Dr. Dok2, Facharzt für Neurologie, untersucht und folgendes Sachverständigengutachten, Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien, erstellt:

Anamnese:

VGA : 20% (seit 1/17 It Befund Psycholog. Test soz. Phobie, umschriebene Entwicklungsstörung, Kundeneinwendung, die Behinderung sei zu tief eingeschätzt worden, es wird ein unvollständiger Befund ohne Diagnose (Gutachten Dr. M. ) vorgelegt, er sei staatenlos, habe die Schule vor der Matura abgebrochen, bisher keine Berufsausbildung.

Derzeitige Beschwerden: es werden keine angegeben

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: keine

Sozialanamnese:
lebt bei Großmutter, kein Einkommen, kein Pflegegeld, keine Erwachsenenvertretung.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe): kein relevanter Befund

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Ernährungszustand:
Größe: cm Gewicht: kg Blutdruck:
Status (Kopf/ Fußschema) - Fachstatus:

Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt.

An den oberen Extremitäten bestehen rechtsseitig keine Paresen, linksseitig bestehen keine Paresen. Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar. Die Koordination ist intakt. An den unteren Extremitäten bestehen rechtsseitig keine Paresen, linksseitig bestehen keine Paresen, Fersen/ Zehenspitzen/ Einbeinstand bds. möglich, die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar. Die Koordination ist intakt. Die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben. Das Gangbild ist ohne Hilfsmittel unauffällig

Gesamtmobilität- Gangbild:
Psycho(patho)logischer Status:
Zeitlich, örtlich zur Person ausreichend orientiert, Auffassung regelrecht, Antrieb ausreichend, keine kognitiven Einschränkungen, Stimmung euthym, keine Ein- und Durchschlafstörung, nicht produktiv, nicht suizidal eingeengt

Herr Bf. ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen kann nicht bestätigt werden, da keine höhergradigen psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen vorhanden sind welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht möglich machen.

X Dauerzustand.


Das Finanzamt legte die in dem Gutachten getroffenen Feststellungen (Gesamtgrad der Behinderung 20%, keine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit) seiner Entscheidung zugrunde und wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in der ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gem. § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Da auf Grund der Ausführungen des fachärztlichen Sachverständigengutachtens vom (das Gutachten wird getrennt übermittelt), der Gesamtgrad der Behinderung mit 20 % festgestellt werden konnte und das Vorliegen einer dauernden Erwerbsunfähigkeit verneint wurde, ist kein Anspruch auf die Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung gegeben."

Gegen die Beschwerdevorentscheidung wurde fristgerecht ein unbegründeter Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht gestellt (Schreiben vom , eingelangt beim Finanzamt am ).

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. ist am 1999 geboren und vollendete am xx.xx.2020 das 21. Lebensjahr.

Der Bf. hat seit einen Erwachsenenvertreter.

Der Bf. absolvierte die HTL und brach diese im Februar 2019 ab.

Der Bf. wohnt bei der Großmutter.

Der Bf. war laut vorgelegter Bestätigung der Vormerkung zur Arbeitssuche vom vom bis und vom bis laufend als Arbeit suchend vorgemerkt.

In den Gutachten des Sozialministeriumservice vom und vom wurde der Gesamtgrad der Behinderung von 20 v.H. rückwirkend ab Jänner 2017 festgestellt und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht bescheinigt.

Das Bundesfinanzgericht geht aus den nachfolgend angeführten Gründen in freier Beweiswürdigung davon aus, dass die in den Gutachten getroffenen Feststellungen mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt beruht auf den durchgeführten Anamnesen, den Untersuchungen des Bf., dem vom Bf. vorgelegten psychologischen Kurzbefund vom Jänner 2017 (soziale Phobie, umschriebene Entwicklungsstörung der motor. Funktionen), einem unvollständigen Befund ohne Diagnose (Gutachten Dr. M. vom ) und den in den Sachverständigengutachten getroffenen Feststellungen.

Die Anlage zur Einschätzungsverordnung sieht bei Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen folgende Richtsatzpositionen vor:

Die mit der Erstellung der vorliegenden Gutachten befassten Sachverständigen, ein Arzt für Allgemeinmedizin (erstes Gutachten), und ein Facharzt für Neurologie (zweites Gutachten), reihten die Erkrankung des Bf. nach Anamneseerhebung, durchgeführter Untersuchung und unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde unter die Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung ein und stellten den Gesamtgrad der Behinderung übereinstimmend mit 20 v.H. fest.

Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde dem Bf. in keinem der beiden Gutachten bescheinigt, dies mit der Begründung, dass kein Leiden vorliege, welches eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit bedinge bzw. dass keine höhergradigen psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen vorhanden seien, welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht möglich machen würden.

Der Erwachsenenvertreter macht in seiner Beschwerde einen Verfahrensfehler geltend, indem er vorbringt, dass der Antragsteller keiner Möglichkeit gehabt habe, zum Gutachten des Sozialministeriumservice vom Stellung zu nehmen bzw. weitere Beweise vorzulegen, da das Gutachten erst einen Tag nach Zustellung des Abweisungsbescheides zugestellt worden sei.

Aus dem (im Zuge des Vorlageantrages) vorgelegtem Abschlussbericht ERANOS (Anm.: Ein Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen bzw. neurologischen Erkrankungen, http://www.phoenixproject.at/berufliche-rehabilitation/eranos.html) sei ersichtlich, dass es aufgrund einer unmittelbaren Wahrnehmung der Tätigkeit von Herrn Bf. im Rahmen einer Maßnahme vom bis sehr fraglich sei, ob dieser in der Lage sei, eine Ausbildung zu machen oder eine Tätigkeit am ersten oder zweiten Arbeitsmarkt auszuüben.

Das Sozialministeriumservice komme bei der Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten vom (Anm.: ebenfalls vorgelegt gemeinsam mit dem Vorlageantrag) zu dem Ergebnis, dass der Grad der Behinderung 50 von 100 betrage. Auf welcher Grundlage sich eine derartig rasche Besserung insbesondere im Hinblick auf eine grundsätzlich nicht heilbare oder besserbare angeborene Erkrankung ergebe, werde im nunmehrigen Gutachten nicht angegeben.

Diesbezüglich hätte jedoch das vorliegende eingeholte Gutachten auch auf das vorhergehende Gutachten Bezug nehmen müssen. Es liege daher, entgegen dem eingeholten Gutachten, tatsächlich eine festgestellte Behinderung im Umfang von 50 % vor, sodass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe vorliegen würden.

Mit der Rechtsmeinung, dass dem Bf. die erhöhte Familienbeihilfe zustehe, weil diesem im Gutachten, welches im Zuge der Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten erstellt wurde, eine 50%ige Behinderung bescheinigt wurde, befindet sich der Erwachsenenvertreter aus folgenden Gründen im Irrtum:

Im Fall, dass eine Person einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten stellt, ist die im Zeitpunkt der Entscheidung maßgebliche Sachlage entscheidend, jedoch haben im Rahmen der im Verfahren nach § 14 Abs. 2 BEinstG vorzu

nehmenden Einschätzung des Grades der Behinderung die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit im Vordergrund zu stehen (, ).

Es ist keine Einschätzung darüber vorzunehmen, ob eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist (§ 2 Abs. 1 BEinstG).

Im Fall, dass eine volljährige Person einen Antrag auf rückwirkende Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe stellt, ist nur maßgeblich, ob die Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr (bzw. bei Berufsausbildung: 25. Lebensjahr) eingetreten ist.

Die Höhe des Grades der Behinderung ist bei derartigen Anträgen nicht von Bedeutung (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21, vgl. auch des , sowie ).

Die vom Bf. bzw. Erwachsenenvertreter erst im Zuge des Vorlageantrages vorgelegten Unterlagen (Abschlussbericht ERANOS und Bescheid betreffend die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten) hätten nach Ansicht des Gerichtes somit nicht zu einer anderen Entscheidungsfindung durch die Sachverständigen im Sozialministeriumservice geführt, da daraus keine Rückschlüsse auf eine Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr getroffen hätten werden können.

Im Abschlussbericht ERANOS wurde lediglich (zukunftsbezogen) festgehalten, dass aufgrund einer unmittelbaren Wahrnehmung der Tätigkeit von Herrn Bf. im Rahmen einer Maßnahme vom bis sehr fraglich sei, ob dieser in der Lage sein wird, eine Ausbildung zu machen oder eine Tätigkeit am ersten oder zweiten Arbeitsmarkt auszuüben.

Zusammenfassend wird daher festgestellt, dass das Bundesfinanzgericht die in den zwei Gutachten übereinstimmend getroffenen Feststellungen, wonach beim Bf. vor dem 21. Lebensjahr keine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, als vollständig, schlüssig und nachvollziehbar und mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit als den Tatsachen entsprechend erachtet, da diese Feststellungen damit begründet wurden, dass eine Alltagsselbständigkeit ohne regelmäßige Therapieerfordernis gegeben sei bzw. dass bei mäßiger Beeinträchtigung keine Behandlungsnachweise vorliegen würden.

Ob die Erkrankung des Bf. in Zukunft zu einer Erwerbunfähigkeit führt, ist nicht Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens.

Gesetzliche Grundlagen:

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 legt fest, in welchem Ausmaß sich die Familienbeihilfe bei einem erheblich behinderten Kind erhöht.

Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundes-amtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

§ 10 FLAG 1967 idF ab lautet:

(1) Die Familienbeihilfe wird, abgesehen von den Fällen des § 10a, nur auf Antrag gewährt; die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) ist besonders zu beantragen.

(2) Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Rechtliche Beurteilung:

Voraussetzung für die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe:

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, § 8, Rz 5 ). Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr einge-tretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (vgl. , unter Verweis auf den FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, § 8, Rz 21).

Erfüllung des Tatbestandes des § 8 Abs. 5 FLAG 1967

Der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ist erst dann erfüllt, wenn die Krankheit zu einer derartigen erheblichen Behinderung führt, welche (bei i. W. unter 21jährigen) einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist bzw. (bei i. W. über 21jährigen) eine damit verbundene voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist.

Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, ab welchem eine Erkrankung vorliegt noch auf den Zeitpunkt, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht bzw. die voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit nach sich zieht (vgl. zB ).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es unerlässlich, dass auf Grund von medizinischen Tatsachen im Rahmen einer Gutachtenserstellung auf verifizierbare Umstände zurückgegriffen werden kann. Alleine das Bestehen einer Möglichkeit bzw einer (wenn auch überwiegenden) Wahrscheinlichkeit in Anbetracht der bestehenden Unsicherheiten für die gutachterliche Feststellung des Vorliegens einer dauernden Erwerbsunfähigkeit sei als Faktum nicht ausreichend (vgl. auch , , Ro 2017/16/0009).

Gutachten - Allgemeines:

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. z.B. ; ).

Bescheinigung des Sozialministeriumservice:

Nach den Bestimmungen des § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher: Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens) nachzuweisen (vgl z.B. ; ; ; , ).

Das Verfahren zur Einschätzung des Grades der Behinderung eines "Kindes", für welches erhöhte Familienbeihilfe begehrt wird, ist rechtlich in besonderer Weise geregelt. Welche Sachverhalte festzustellen und durch Gutachten fachkundig untermauert zu begründen sind, wird durch den Verweis auf die Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 und die dazu ergangene Verordnung detailliert festgelegt (vgl. zB ).

Das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG 1967 hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. ; , , ).

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu , und , sowie ) hat sich im Fall, dass ein volljähriger Antragsteller die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, darauf zu erstrecken, ob die 50%ige Behinderung oder die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist (vgl. etwa ).

Die Aufgabe des Arztes als Gutachter bzw. fachkundiger Berater des Gerichtes oder sonstiger Auftraggeber besteht darin, entsprechend den ihm vom Auftraggeber gestellten Beweisfragen medizinische Befunde zu erheben und diese unter Berücksichtigung der sonstigen ihm zugänglich gemachten Informationen auf der Basis medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlichen Erfahrungswissens zu bewerten, um so dem "Auftraggeber" (hier: FA) eine Entscheidung der rechtlich erheblichen Fragen zu ermöglichen.

Demgemäß werden bei der Feststellung, ab welchem Zeitpunkt ein bestimmter Grad der Behinderung bzw. ab wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist oder eine Erwerbstätigkeit wieder möglich ist, von den sachverständigen Ärzten des Sozialministeriumservice neben der Anamnese, den Untersuchungsergebnissen und dem ärztlichen Erfahrungswissen die von den Antragstellern vorgelegten Befunde herangezogen.

Festgehalten wird, dass bei der Einschätzung andere als behinderungskausale Gründe (wie z.B. mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitsunwilligkeit, oÄ) für die Beurteilung nicht herangezogen werden dürfen (vgl ).

Anwendung der Richtsatzverordnung

Die Sachverständigen im Sozialministeriumservice haben bei ihrer Einschätzung die Richtsatzverordnung anzuwenden und die Erkrankung des Antragstellers je nach Einstufung vorzunehmen. Bei der Anwendung der Richtsatzverordnung kann nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auf Erfahrungswerte einer jahrzehntelangen Praxis zurückgeblickt werden und erfolgt durch die Anwendung der Richtsatzverordnung durch deren klar abgrenzbare Vorgaben bei der Beurteilung von Behinderungen durch Prozentsätze nicht nur eine bundeseinheitliche Vollziehung nach objektiven Kriterien, sondern bringt diese insbesondere auch das erforderliche Maß an Rechtssicherheit (vgl zB ).

Bindung an die Gutachten des Sozialministeriumservice, sofern die Gutachten schlüssig sind

Die Gutachten unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien behördlichen/richter-lichen Beweiswürdigung. Das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht sind an die Gutachten des SMS gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. ; und 2009/16/0310, ). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).

Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ua.).

Ein Abgehen seitens der Beihilfenbehörden und des Gerichtes von diesen Gutachten ist nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung möglich (vgl. ).

Ein Gutachten ist
- vollständig, wenn es die von der Behörde oder dem Gericht gestellten Fragen beantwortet (sofern diese zulässig waren)
- nachvollziehbar, wenn das Gutachten von der Beihilfenstelle und vom Gericht verstanden werden kann und diese die Gedankengänge des Gutachters, die vom Befund zum Gutachten führten, prüfen und beurteilen kann und
- schlüssig, wenn es nach der Prüfung auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit immer noch überzeugend und widerspruchsfrei erscheint

Den Gutachten des Sozialministeriumservice kann allerdings unter anderem durch ein Gegengutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten werden (vgl. ; ; , vgl. auch ).

Wie schon festgehalten, erachtet das Bundesfinanzgericht die im Zuge des Verfahrens erstellten Gutachten getroffenen Feststellungen als vollständig, nachvollziehbar und schlüssig.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag) zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob und ab wann eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" gegeben ist, handelt es sich um eine Tatfrage, bei der das BFG an die vom Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden ist, sofern diese schlüssig sind. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise


























§ 14 Abs. 2 BEinstG, Behinderteneinstellungsgesetz, BGBl. Nr. 22/1970
§ 2 Abs. 1 BEinstG, Behinderteneinstellungsgesetz, BGBl. Nr. 22/1970






ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100842.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at