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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.11.2021, RV/7101268/2020

Kosten der Heilbehandlung als außergewöhnliche Belastungen

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7101268/2020-RS1
Nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen sind nur Kosten, die durch eine Behinderung im Ausmaß einer festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 25 % bedingt sind, als Kosten der Heilbehandlung zu qualifizieren und damit ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Martina Salzinger in der Beschwerdesache ***1***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes ***2*** vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2018 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

In der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2018 vom machte der Beschwerdeführer (Bf.) unter anderem auf Grund der 100%igen Behinderung seiner Ehefrau ***3***, die laut eigenen Angaben ganzjährig Pflegegeld bezogen habe, Kosten der Heilbehandlung in Höhe von 9.568,16 € geltend. Dazu wurden nachfolgende Aufgliederung der beantragten außergewöhnlichen Belastungen sowie die dazugehörigen Belege in Kopie übermittelt:

1)Kosten für Krankheit und Behinderung:


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Sammelrechnung Apotheke ***4***
731,95 €
Dr. ***5***, Impfkosten
34,00 €
Dr. ***6***
90,00 €
***7***, med. Schuh
160,00 €
***8***, med. Fußpflege
124,00 €
***9***, med. Produkte
86,83 €
***10***-Apotheke
11,70 €
***11***, Fußpflege
31,00 €
Krankenhaus
171,90 €
Krankenhaus
212,20 €
Wundbehandlungszentrum
6.006,52 €
PKW-Transportkosten
1.908,06 €

2)PKW-Transportkosten 2018


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Apotheke ***4***
64 x 4 = 256 km
Apotheke ***10***
1 x 7 = 7 km
Apotheke ***12***
1 x 10 = 10 km
***9*** GmbH
10 x 6 = 60 km
Dr. ***5***
58 x 12 = 696 km
Dr. ***13***
5 x 6 = 30 km
Dr. ***14***
10 x 6 = 60 km
Dr. ***15***
3 x 6 = 18 km
Dr. ***16***
4 x 6 = 24 km
Krankenhaus
5 x 60 = 300 km
***17***
16 x 10 = 160 km
Dr. ***18***
3 x 4 = 12 km
Dr. ***19***
3 x 5 = 15 km
Dr. ***20***
2 x 4 = 8 km
Krankenhaus
15 x 9 = 135 km
***11***
1 x 6 = 6 km
***8***
4 x 8 = 32 km
Dr. ***6***
1 x 6 = 6 km
Wundbehandlungszentrum
76 x 35 = 2.660 km
***7*** - Fußberater
8 x 6 = 48 km
Summe
4.543 km
0,42 km-Geld
= 1.908,06 €

Vorgelegt wurden dazu u.a. die Kopien folgender Rechnungen/Belege:

3)Sammelrechnung über die für die Ehegattin des Bf. bei der Apotheke ***4*** im Beschwerdejahr erworbenen Medikamente, in der sich unter anderem folgende Posten finden:


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Datum
Bezeichnung
Preis
Thermacare Rücken S/L:
12,00 €
Heumanns Blasen- und Nierentee
9,95 €
Magnesium Verla
19,90 €
Biogelat Cranberry
21,00 €
Magnesium Verla
19.90 €
Magnesium Verla
19.90 €
Magnesium Verla
19.90 €

4)Rechnungen:

a) Rechnungsaussteller: Dr. ***21***


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Datum
Leistungen
Grippeimpfung
34,00

b) Rechnungsaussteller: ***7*** Orthopädie-Schuh-Technik GmbH


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Datum
Leistungen
Damenschuhe
160,00

c) Rechnungsaussteller: ***22*** (Frisör/Perückenmacher/Fußpflege)


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Datum
Leistungen
Pediküre
31,00
Pediküre
31,00
Pediküre
31,00
Pediküre
31,00

d) Rechnungsaussteller: ***23*** GmbH :

Rechnungsbelege über den Kauf von Hygieneartikeln im Betrag von insgesamt 86,83 €.

e)Rechnungsaussteller: ***10***-Apotheke


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Datum
Leistungen
Zahnfleischpinselung
11,70

f)Rechnungsaussteller: Apotheke ***12***


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Datum
Leistungen
Biocef FTBL (gebührenfrei)
0,00

g)Rechnungsaussteller: ***24***


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Datum
Leistungen
Fußpflege
31,00

5)Eine von Dr. med. ***6*** ausgestellte Rechnung, mit welcher eine am erfolgte gynäkologische Untersuchung (90,00 €) verrechnet worden ist.

6)Ergebnis der durchgeführten Begutachtung durch das Sozialministeriumservice vom wie folgt:


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Pos.Nr.
Grad d. Behinderung %
1
Koronare Herzkrankheit
70
2
Insulinpflichtiger Diabetes mellitus
60
3
Zustand nach Hüftgelenksendoprothesenimplantation rechts
30
4
Arterielle Hypertonie
20
Gesamtgrad der Behinderung
100 v. H.

Als Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung wird angeführt: "Die führende funktionelle Einschränkung wird durch die funktionelle Einschränkung lfd. Nr. 2,3,4 um 3 Stufen erhöht. Begründung: da zu Leiden 2 und 4 eine wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht und sich Leiden 4 erschwerend auf die Alltagsbewältigung auswirkt."

Demnach liegen folgende Zusatzeintragungen vor: "ist Diabetiker", "ist Trägerin eines Metallimplantats" und "ist Trägerin einer Metallendoprothese/Osteosynthesematerial" sowie "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung". Außerdem bedinge ein Krankheitszustand wegen Zuckerkrankheit/Zöliakie einen Gesamtgrad der Behinderung von mind. 20 %.

Im Einkommensteuerbescheid 2018 vom wurden auf Grund der vorgelegten Unterlagen zusätzliche Kosten in Höhe von 8.824,90 € anerkannt. Nicht berücksichtigt wurden damit insgesamt 743,26 €. Diese setzen sich zusammen aus 243,18 € an Fahrtkosten zu diversen Apotheken, der Gebietskrankenkasse, zur Fußpflege und zu einem Fußberater sowie Aufwendungen für diverse Nahrungsergänzungsmittel in Höhe von 122,55 €, eine Zahnfleischpinselung in Höhe von 11,70 €, Aufwendungen für die kosmetische Fußpflege in Höhe von 155 €, Produkte zur häuslichen Pflege, die bereits mit dem Pflegegeld abgedeckt seien in Höhe von 86,83 €, als auch Aufwendungen für Impfungen und Allgemeinmedizin in Höhe von 124 €.

Dies wurde damit begründet, dass die beantragen Fahrtkosten zur Anschaffung von Hilfsmitteln nach der allgemeinen Lebenserfahrung mit Anschaffungen des täglichen Lebens verbunden werden würden, weshalb es sich nicht um außergewöhnliche Belastungen handle. Des Weiteren seien die Aufwendungen für die Fußpflege sowie die damit in Zusammenhang stehenden Fahrtkosten nicht als Kosten der Heilbehandlung anzuerkennen, da ob des gestiegenen Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung das Merkmal der Außergewöhnlichkeit fehle.

Dagegen erhob der Bf. mit Eingabe vom , eingebracht am , Beschwerde und führte dazu unter Verweis auf ein beigelegtes Schreiben des Finanzministeriums vom begründend aus, dass die Fahrkosten die im Zusammenhang mit der Behinderung seiner Frau unter Verwendung des eigenen Kraftfahrzeuges entstanden seien, Kosten der Heilbehandlung darstellen würden. Des Weiteren müsse die Ehefrau des Bf. auf Grund des hochgradigen Diabetes medizintechnisch befugte Fußpfleger in Anspruch nehmen, weshalb diese Aufwendungen sowie die zugehörigen Fahrtkosten mit der Krankheit im Zusammenhang stehen würden.

Im Schreiben vom hielt der Bf. nach erfolgtem Vorhalt des Finanzamtes fest, dass die Führung eines Fahrtenbuches nicht notwendig sei, da sämtliche beantragten Kosten für Fahrten zu Ärzten und Apotheken laut der Aufstellung mit Kostenbelegen nachgewiesen worden seien.

Mit dem Bescheid vom wurde die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 vom als unbegründet abgewiesen. Dazu wurde zusammenfassend ausgeführt, dass Fahrtkosten zur Beschaffung von Medikamenten nur insoweit als Kosten der Heilbehandlung anzuerkennen seien, als sie nicht mit Fahrten für Anschaffungen des täglichen Lebens verbunden werden würden. Um beurteilen zu können, ob die Apothekenfahrten gesondert durchgeführt oder aber mit den bereits berücksichtigten Fahrten zu Ärzten am gleichen Tag bzw. mit Anschaffungen des täglichen Lebens verbunden worden seien, wäre ein gehörig geführtes Fahrtenbuch notwendig gewesen. Mangels Vorlage eines Fahrtenbuches sei es nicht im notwendigen Maße glaubhaft gemacht worden, dass jede Apothekenfahrt gesondert ergangen sei. Die Fahrten zur ***17*** seien weder Fahrten zu Heilbehandlungen noch Fahrten zur Besorgung von Hilfsmitteln, weshalb sie nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigbar seien. In Bezug auf die "kosmetische Fußpflege" sei dargelegt worden, dass es sich hiebei - in Abgrenzung zur medizinischen Behandlung durch einen Podologen - lediglich um das Kürzen von Fußnägeln sowie das Entfernen von Hühneraugen und Hornschwielen handle, nicht jedoch um eine direkte Behandlung der Füße wie z.B. die Korrektur von Fehlstellungen. Im verfahrensgegenständlichen Fall seien keine Rechnungen von ausgebildeten Podologen sondern viel mehr von kosmetischen Fußpflegern vorgelegt worden. Eine kosmetische Fußpflege sei mangels Außergewöhnlichkeit nicht als Belastung iSd. § 34 EStG abzugsfähig, da sie auch von Personen ohne Erkrankung/Behinderung regelmäßig in Anspruch genommen werde. Des Weiteren liege keine ärztliche Verordnung in diesem Zusammenhang vor. Die Kosten für Impfungen sowie Nahrungsergänzungsmittel seien nicht anzuerkennen gewesen, da es sich um Kosten zur Prävention von Krankheiten und nicht zur Linderung oder Heilung von Krankheiten handle. Bei den Behandlungen durch die Allgemeinmedizinerin als auch bei der Anschaffung der Tinktur zur Zahnfleischpinselung bestehe kein Zusammenhang mit der Behinderung. Diese Aufwendungen seien als allgemeine Krankheitskosten anzuerkennen, würden sich allerdings mangels Überschreitung des Selbstbehaltes steuerlich nicht auswirken.

In Folge beantragte der Bf. mit Eingabe vom die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht. Darin führte der Bf. ergänzend zu den bereits in der Beschwerde vorgebrachten Argumenten aus, dass die Fahrten zur Apotheke nicht mit den Fahrten für Anschaffungen des täglichen Lebens verbunden worden seien. Dies da der Bf. gegenüber eines Pflegeheimes wohne und seit Jänner 2012 täglich persönlich die notwendige Verpflegung zu Fuß hole.

Im Vorlagebericht an das Bundesfinanzgericht gab die Behörde an, dass betreffend die Aufwendungen für die gesonderten Fahrten zur Apotheke in Höhe von 139,86 € ob der Glaubhaftmachung durch den Bf. die Stattgabe der Beschwerde beantragt werde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Strittig ist, ob die dem Bf. durch die Behinderung seiner Ehefrau wie folgt entstandenen Ausgaben unter Kosten der Heilbehandlung zu subsumieren und damit als außergewöhnlichen Belastungen nach §§ 34 ff EStG 1988 zu berücksichtigen sind:

a)Impfkosten in Höhe von € 34,00
b)Kontrolluntersuchung beim Gynäkologen in Höhe von € 90,00
c)Zahnfleischpinselung in Höhe von € 11,70
d)Kosten für Nahrungsergänzungsmittel und Wärmepads in Höhe von € 122,55
e)Fußpflege in Höhe von € 124,00 und € 31,00
f)Hygieneartikel in Höhe von € 86,83
g) Fahrtkosten in Höhe von € 243,00
Die für den Beschwerdefall bedeutsame Rechtslage (jeweils in der hier relevanten Fassung) stellt sich wie folgt dar:

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein, sie muss zwangsläufig erwachsen und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

Die Belastung ist nach § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Die Belastung beeinträchtigt nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen näher geregelten Selbstbehalt übersteigt. Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen von mehr als 36.400 Euro 12 %.

§ 35 Abs. 1 EStG 1988 bestimmt:

"(1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen
-durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
-bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-) Partners (§ 106 Abs. 3),
-ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-) Partners, wenn er mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und vom (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt und der (Ehe-)Partner Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt,
-durch eine Behinderung eines Kindes (§ 106 Abs. 1 und 2), für das keine erhöhte Familienbeihilfe gemäß
§ 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 gewährt wird,
und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu."

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind nach § 35 Abs. 2 EStG 1988 durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Ergänzend zu § 35 EStG 1988 wurde die Verordnung des Bundesministeriums für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996, (Verordnung), erlassen.

In § 1 Abs. 1 der Verordnung heißt es:

"§ 1. (1) Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen
-durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
-bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des
(Ehe-)Partners (
§ 106 Abs. 3 EStG 1988),
-ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des
(Ehe-)Partners (
§ 106 Abs. 3 EStG 1988), wenn dieser Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt, oder
-bei Anspruch des Steuerpflichtigen selbst oder seines (Ehe-)Partners auf den Kinderabsetzbetrag oder den Unterhaltsabsetzbetrag, durch eine Behinderung des Kindes (
§ 106 Abs. 1 und 2 EStG 1988), für das keine erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 gewährt wird,
so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen."

Eine Behinderung liegt nach § 1 Abs. 2 der Verordnung vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25 % beträgt.

Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 der Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen (§ 1 Abs. 3 der Verordnung).

Nach § 4 der Verordnung sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

Auf Basis der angeführten Rechtslage ergibt sich für den Beschwerdefall im Einzelnen Folgendes:

Nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen sind nur Kosten, die durch eine Behinderung im Ausmaß einer festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 25 % bedingt sind, als Kosten der Heilbehandlung zu qualifizieren und damit ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen.

Sofern Krankheitskosten nicht im Zusammenhang mit einer Behinderung im Ausmaß von mindestens 25 % stehen, unterliegen sie den allgemeinen Bestimmungen des § 34 EStG 1988, sodass der vom Steuerpflichtigen zu tragende Selbstbehalt abzuziehen ist.

Die Feststellung der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) ist bindend vom Sozialministeriumservice zu treffen und wird durch eine amtliche Bescheinigung nachgewiesen.

Im Beschwerdefall beträgt der Selbstbehalt gemäß § 34 EStG 1988 12 % vom Einkommen, sohin über 5.000 €. Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen, von denen ein Selbstbehalt abzuziehen ist, wirken sich daher nur einkünftemindernd aus, soweit sie diesen Selbstbehalt übersteigen.

ad) Kosten für Impfung, Kontrolluntersuchung, Zahnfleischpinselung

Gegenständlich steht fest, dass der Gattin des Bf. vom Sozialministeriumservice eine Gesamtbehinderung von 100% bescheinigt worden ist. Weiters ergibt sich aus den Akten, dass Pflegegeld bezogen worden ist. Der festgestellten Behinderung liegen laut dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung Teilbehinderungenzugrunde, deren Behinderungsgrad eigenständig zu werten ist (Koronare Herzkrankheit mit 70%, Insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit 60 %, Hüftgelenksendoprothesenimplantation mit 30 % und Arterielle Hypertonie mit 20 %).

Vor dem Hintergrund der im vorigen dargestellten Rechtslage ergibt sich, dass nur die auf die drei erstgenannten Leiden rückführbaren Kosten bei Vorliegen von Zwangsläufigkeit ohne Anrechnung auf den Selbstbehalt abgezogen werden können, weil nur betreffend diese Gesundheitsbeeinträchtigungen eine über 25 % liegende Minderung der Erwerbsfähigkeit bescheinigt worden ist.

Für das Bundesfinanzgericht ist diesbezüglich aber nicht erkennbar, inwiefern die unter diesem Punkt angeführten Ausgaben für Zahnfleischpinselung, Impfung und Vorsorgeuntersuchung mit den ausgewiesenen Behinderungen in Zusammenhang stehend oder als Folgeerkrankung einer Behinderung zu werten sind.

Auch gilt es zu beachten, dass Aufwendungen, die rein der Erhaltung der Gesundheit dienen, steuerlich nicht abzugsfähig sind, stellen doch derartige Maßnahmen Aufwendungen zur allgemeinen Gesundheitsvorsorge dar (vgl. ).

Im Einklang mit dem Finanzamt können die entsprechenden Zahlungen daher nicht als außergewöhnliche Belastungen ohne Abzug eines Selbstbehaltes anerkannt werden.

ad)Kosten für Nahrungsergänzungsmittel und Wärmepflaster

Weder mittels der vom Sozialministeriumservice ausgestellten Bescheinigung noch auf Basis eines anderen ärztlichen Gutachtens wurde festgestellt, dass derartige Aufwendungen medizinisch erforderlich gewesen wären. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den vom Bf. angeschafften Artikeln und einer bescheinigten Behinderung ist daher für das Bundesfinanzgericht nicht nachgewiesen.

Zudem ist die für den Abzug der genannten Aufwendungen vom Gesetz geforderte Zwangsläufigkeit nicht als gegeben zu werten. Zum einen wird der Erwerb von Nahrungsmittelergänzungsprodukten in Zeiten eines gesteigerten Gesundheitsbewusstseins ganz allgemein für breite Bevölkerungsschichten als sinnvoll erachtet und daher auch entsprechend beworben. Zum zweiten wird zwar nicht verkannt, dass die Anwendung eines Wärmepflasters geeignet gewesen sein kann, die gesundheitlichen Beschwerden der Gattin zu lindern, doch ist eine solches Produkt für jedermann nutzbar und eignet sich nicht nur für die Gattin des Bf. im Hinblick auf ihre konkrete Gesundheitsbeeinträchtigung (vgl. ).

Für das Bundesfinanzgericht ist somit die Erforderlichkeit zur Verbesserung des Leidenszustandes aus der Behinderung nicht als gegeben zu erachten, weshalb die gegenständlichen Aufwendungen nicht ohne Anwendung des Selbstbehaltes abzugsfähig sind.

ad)Fußpflege

Die zu den genannten Aufwendungen vorgelegten Rechnungen wurden von Kosmetiksalons ausgestellt und die vorgenommene Leistung als "Fußpflege" ausgewiesen.

Im Gegensatz zur medizinischen Fußpflege (= Podiologie), die auch direkte Behandlungen der Füße (z. B. das Beschleifen von Zehennägeln zur Korrektur von Fehlstellungen) umfasst, werden bei der kosmetischen Fußpflege im Wesentlichen die Zehennägel gekürzt und die Hornhaut an den Füßen sowie die Hornschwielen namens Hühneraugen entfernt (vgl. erneut ).

Kosten für Fußpflege stellen nicht Kosten der Heilbehandlung im Sinn der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen dar, da Fußpflege nicht nur von Personen mit diversen Krankheiten, sondern auch von gesunden Personen in Anspruch genommen wird. Fußpflege ist demnach als Körperpflege im weiteren Sinn zu definieren: Selbst bei Vorliegen einer Diabeteserkrankung unter Notwendigkeit der Verhinderung von Folgeschäden ist eine außergewöhnliche Belastung durch die so entstandenen Kosten nicht gegeben, da sonst der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen nicht gewahrt wäre: Denn auch bei nicht mit Vorerkrankungen Belasteten soll mit Fußpflege logischerweise die Verhinderung von Folgekrankheiten (aufgrund nicht vorgenommener Fußpflege) bewirkt werden, ebenso wie bereits die Körperpflege an sich durch das Ausüben von Hygienemaßnahmen Krankheiten verhindert ().

Belege, die den medizinischen Charakter der Fußpflegekosten nachgewiesen hätten, wurden trotz ausführlicher Darstellung der Rechtslage in der Beschwerdevorentscheidung, der diesbezüglich Vorhaltcharakter zukommt, nicht vorgelegt. Eine ärztliche Verordnung zur Vornahme der Fußpflege (vgl. ) ist nicht aktenkundig.

Damit war den Fußpflegekosten in Höhe von € 155,00 die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung im Sinn des § 34 Abs. 1 EStG 1988 abzusprechen.

ad) Hygieneartikel

Gemäß § 4 der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen sind nicht regelmäßige Aufwendungen für Hilfsmittel sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen. Bereits aus dem Wortlaut der Verordnung ergibt sich daher, dass nur nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen, Kosten der Heilbehandlung darstellen.

Keine Kosten der Heilbehandlung bilden demnach Aufwendungen, die regelmäßig durch die Pflegebedürftigkeit verursacht werden, wie Kosten für Pflegepersonal, Verbandsmaterialien, Hygieneartikel usw. Diese Kosten werden nämlich durch das Pflegegeld abgegolten (Jakom/Baldauf EStG 2014, § 35 Rz 27).

Auch nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes stellen diese Aufwendungen keine Kosten der Heilbehandlung nach § 4 der Verordnung dar, die neben den Pauschbeträgen ohne Kürzung um den Selbstbehalt zu gewähren wären.

ad) Fahrtkosten

Werden getätigte Aufwendungen als Kosten der Heilbehandlung nach § 4 der Verordnung gewertet, so sind auch die damit in Zusammenhang stehenden Fahrtkosten in Höhe des amtlichen Kilometergeldes als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehaltes zu berücksichtigen.

Auf Grundlage der im vorigen dargestellten rechtlichen Beurteilung und der im Vorlagebericht vom Finanzamt erfolgten Außerstreitstellung der Fahrten zum Apotheker und ***9*** GmbH im Betrag von € 139,86 sowie unter zusätzlicher Berücksichtigung der Fahrten zum Fußberater kommt insgesamt folgenden Fahrtkosten nicht der Charakter einer abzugsfähigen außergewöhnlichen Belastung im Sinne des § 4 der Verordnung zu:

a)Fahrten zu ***11*** (Fußpflege): 1 x 6km = 6 km
b)Fahrten zu ***22*** (Fußpflege): 4 x 8km = 32 km
c)Fahrt zu Frau Dr. ***6*** (Kontrolluntersuchung): 1 x 6km = 6km
d)Fahrten zur ***17*** (dort erfolgte keine Heilbehandlung): 16 x 10 km = 160 km

Insgesamt ergibt sich folgende Berechnung der anerkannten Fahrtkosten:


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Vom Bf. geltend gemachte Kilometer
4.543 km
X 0,42 =
1.908,06 €
Abzüglich Kilometer laut BFG
-204 km
X 0,42 =
  • 85,68 €
Kilometergeld laut BFG
4.272 km
X 0,42 =
1.822,38 €

Die Ermittlung der unter Kennzahl 417 anzusetzenden außergewöhnlichen Belastungen stellt sich so dar:


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Unregelmäßige Ausgaben für Heilbehandlung lt. Bf.
€ 9.568,16
Abzüglich nicht anerkannte Fahrtkosten
- € 85,68
Abzüglich nicht anerkannte Apothekerkosten
- € 122,55
Abzüglich nicht anerkannte Impfkosten
-€ 34,00
Abzüglich nicht anerkannte Kontrolluntersuchung
- € 90,00
Abzüglich nicht anerkannte Zahnpinselung
-€ 11,70
Abzüglich nicht anerkannte Fußpflege (***25***)
-€ 124,00
Abzüglich nicht anerkannte Fußpflege (***11***)
-€ 31,00
Abzüglich nicht anerkannte Hygienemittel
-€ 86,83
Kosten der Heilbehandlung laut BFG
€ 8.982,40

Was die nicht anerkannten Aufwendungen für die Ehefrau des Bf. anbelangt, so können diese zwar bei Vorliegen von Zwangsläufigkeit unter Krankheitskosten, die nicht mit einer Behinderung zusammenhängen subsumiert werden, diesfalls aber nur nach den allgemeinen Bestimmungen des § 34 EStG 1988, sodass der vom Steuerpflichtigen zu tragende Selbstbehalt abzuziehen ist (vgl. § 2 Abs. 2 der VO sowie ).

Dieser beträgt im Beschwerdefall auf Grund des Einkommens des Bf. jedoch 12 %, somit mehr als 5.000,00 €, weshalb sich die Berücksichtigung der Kosten mangels Überschreitung des Selbstbehaltes im Ergebnis nicht einkünftemindernd auswirkt.

Bemessungsgrundlagen und Ermittlung der Einkommensteuer für das Jahr 2018:

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (245)……………………………………………28.198,56 €

Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (245)……………………………………………49.243,56 €

Gesamtbetrag der Einkünfte ................................................................... 77.442,12 €

Sonderausgaben (§ 18 EStG 1988):

Pauschbetrag für Sonderausgaben ................................................................... - 60,00 €

Außergewöhnliche Belastungen:

Aufwendungen vor Abzug des Selbstbehaltes (§ 34 (4) EStG 1988).............- 1.059,90 €

Selbstbehalt ................................................................................................... 1.059,90 €

Pauschbeträge nach der Verordnung über außergewöhnliche
Belastungen wegen der Behinderung des (Ehe)Partners ………………..…………..-840,00 €

Nachgewiesene Kosten aus der Behinderung des (Ehe)Partners nach
der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen……………………………..- 8.982,40 €

Einkommen ............................................................................................67.559,72 €

Die Einkommensteuer gem. § 33 Abs. 1 EStG 1988 beträgt:

0 % für die ersten 11.000,00……………………………………………………………..………………0,00 €
25 % für die weiteren 7.000,00…………………………………………………………………..1.750,00 €
35 % für die weiteren 13.000,00……………………………………………….………………..4.550,00 €
42 % für die weiteren 29.000,00……………………………………………..………………..12.180,00 €
48 % für die restlichen 7.559,72………………………………………………..………………..3.628,67 €
Steuer vor Abzug der Absetzbeträge........................................................22.108,67 €

Pensionistenabsetzbetrag .................................................................................... 0,00 €

Steuer nach Abzug der Absetzbeträge .................................................... 22.108,67 €

Die Steuer für die sonstigen Bezüge beträgt:
0 % für die ersten 620,00 .................................................................................... 0,00 €
6 % für die restlichen 11.846,34 ..................................................................... 710,78 €
Einkommensteuer..................................................................................22.819,45 €

Anrechenbare Lohnsteuer (260) ..............................................................- 19.909,16 €

Rundung gem. § 39 Abs. 3 EStG 1988 ................................................................ 0,29 €

Festgesetzte Einkommensteuer ..............................................................2.910,00 €

Nichtzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG die ordentliche Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da den hier zu behandelnden Streitpunkten nicht der Charakter einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zukommt, ist eine ordentliche Revision nicht zulässig. Dies deshalb, weil es im Beschwerdefall lediglich um die Lösung von Sachverhaltsfragen ging, die keine über den Beschwerdefall hinausreichende Bedeutsamkeit aufweisen, und in der Entscheidung auch nicht von der darin angeführten Rechtsprechung abgewichen wurde.

Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101268.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at