Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.11.2021, RV/7101143/2021

Keine Wiederaufnahme gem. § 303 BAO aufgrund von geänderter VwGH-Rechtsprechung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Judith Daniela Herdin-Winter in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart (nunmehr Finanzamtes Österreich ) vom betreffend Wiederaufnahme Einkommensteuer für die Jahre 2014 bis 2018, Steuernummer ***BF1StNr1***, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am , im Beisein der Schriftführerin ***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2014 bis 2018. Er habe per Information des BMI mittels E-Mail vom erstmalig vom Erkenntnis des , betreffend Versteuerung von Taggeldern bei Einsätzen im Sinne des § 39a Abs. 2 BDG davon Kenntnis erlangt, dass Beamte für diesen Zeitraum als Auslandsbeamte iSd § 26 Abs. 3 BAO sowie der §§ 3 Abs. 1 Z 8 und 92 EStG 1988 anzusehen seien. Zusätzlich sei am eine parlamentarische Anfrage mit der Nr. 3123/J an den Bundesminister für Finanzen ergangen. In der Stellungnahme dazu werde auch der verfahrensrechtliche Aspekt der Wiederaufnahme abgedeckt, um eine einheitliche Vorgehensweise sicherzustellen. Der Beschwerdeführer ersuche daher um Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2014 bis 2018.

Mit Bescheiden vom wurden die Anträge betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren der Jahre 2014 bis 2018 von der belangten Behörde abgewiesen. Zur Begründung führte diese aus, dass gem. § 303 Abs. 1 lit. b BAO ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wieder aufgenommen werden könne, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Keine Wiederaufnahmegründe (keine Tatsachen) seien etwa (siehe Ritz, BAO, § 303 Tz 23):

a) neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen würden (; , 96/15/0148; , 2008/15/0215);

b) Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (; , 96/17/0373; , 2002/16/0286-0289)

Auf Grund der obigen Ausführungen seien in den gegenständlichen Verfahren keine neuen Tatsachen hervorgekommen, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren iSd § 303 BAO abzuweisen gewesen sei.

Mit Schreiben vom brachte der Beschwerdeführer dagegen die verfahrensgegenständlichen Beschwerden ein und begründete diese damit, dass es Ende August 2020 innerhalb der Finanzverwaltung ein Informationsschreiben (Newsletter) gegeben habe, in dem alle Finanzämter Österreichs über das Erkenntnis des VwGH, die neue Rechtsansicht sowie die damit einhergehende Vorgehensweise informiert worden seien.

Dabei sei auch der verfahrensrechtliche Aspekt der Wiederaufnahme abgedeckt worden, um eine einheitliche Vorgehensweise sicherzustellen. Von einigen Finanzämtern sei die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß der Rechtsansicht des VwGH und dem Auftrag des Finanzministeriums umgesetzt und die im Grunde gleichen Verfahren, zum Teil auch von Amts wegen, wieder aufgenommen worden.

Um eine Ungleichbehandlung hintanzuhalten, werde um Wiederaufnahme der entsprechenden Einkommenssteuerverfahren für die Jahre 2014 bis 2018 ersucht, da die Bescheide von Vorfragen abhängig gewesen seien und nachträglich über die Vorfragen von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens im Spruch anderslautende Bescheide herbeigeführt hätten.

Dem Vernehmen nach bestehe bei den einzelnen Finanzämtern eine uneinheitliche Spruchpraxis in Hinblick auf für die Steuerpflichtigen positive Wiederaufnahmeentscheidungen, auf Grund der die Steuerbefreiung der EU-Taggelder anerkannt und die Einkommensteuer neu berechnet werde. Dies sei weder sachlich begründet noch entspreche es dem Gleichheitsgrundsatz. Der Beschwerdeführer ersuche deshalb nachdrücklich um Wiederaufnahme der Verfahren, Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesfinanzgericht sowie um Steuerbefreiung für die zur Auszahlung gelangten Taggelder.

Mit BVE vom wurden die Beschwerden von der belangten Behörde als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung führte diese jeweils wie folgt aus:

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO könne ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wieder aufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Gem. § 303 Abs. 2 BAO habe der Wiederaufnahmeantrag zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt werde und

b) die Bezeichnung der Umstände, auf die der Antrag gestützt werde.

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO seien ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände; also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, 6. Auflage, Wien 2017, § 303, Tz 21 und die dort zitierte Judikatur). Keine Wiederaufnahmegründe (keine Tatsachen) seien etwa (siehe Ritz, aaO, § 303 Tz 23)

a) neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen würden (; , 96/15/0148; , 2008/15/0215)

b) Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (; , 96/17/0373; , 2002/16/0286-0289)

c) Hervorkommen von Rechtsirrtümern (VwGH17.09.1990, 90/15/0118)

d) unterschiedliche Beweiswürdigung durch eine Verwaltungsbehörde einerseits und durch eine Verwaltungsstrafbehörde oder ein Gericht andererseits (; , 97/13/0269,0270; ,96/15/0108)

e) höchstgerichtliche Erkenntnisse (vgl. -0161; , 97/17/0257-0279; , 98/14/0015; , 2008/13/0175), wie etwa EuGH-Entscheidungen (; , 2009/16/0005; , 2012/16/0210) oder Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ()

f) die Änderung von Erlässen, wie z.B. der EStR 2000 ().

Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag auf Wiederaufnahme auf die Entscheidung des VwGH (Ro 2018/13/0008) gestützt. Auf Grund der obigen Ausführungen seien in den gegenständlichen Verfahren keine neuen Tatsachen hervorgekommen, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren iSd § 303 BAO abzuweisen gewesen sei.

Mit Schreiben vom ersuchte der Beschwerdeführer um Vorlage der Beschwerden an das Bundesfinanzgericht, da es in einem Rechtstaat nicht sein könne, dass ein Finanzamt die Wiederaufnahme eines Verfahrens wiederholt kategorisch ablehne und ein zweites Finanzamt in einem gleichen Verfahren das Verfahren von Amts wegen wiederaufnehme. Das widerspreche dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

Am fand die vom Beschwerdeführer beantragte mündliche Verhandlung statt. Der Beschwerdeführer erschien trotz ordnungsgemäßer Ladung (Rückschein vom ) nicht.

Der Vertreter der belangten Behörde bedauerte, dass der Beschwerdeführer nicht zur Verhandlung erschienen ist und Auskunft darüber geben könne, welche Dienststelle in gleichgelagerten Fällen eine Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens durchgeführt habe. Ihm seien keine Fälle, in denen bei gleichgelagerten Sachverhalt eine Wiederaufnahme gewährt worden sei, bekannt. Er gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer wahrscheinlich keine tiefergehenden Kenntnisse über die verfahrensrechtlichen Bestimmungen besitze, insbesondere über die Voraussetzungen zur Abänderung von Bescheiden gem. § 299 BAO oder die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme gem. § 303 BAO.

Der Vertreter der belangten Behörde verwies hinsichtlich der Frage, ob ausreichende Gründe für eine Wiederaufnahme der Verfahren vorliegen, auf die Ausführungen in der BVE.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2014 bis 2018, da dieser aufgrund des Erkenntnisses des in den gegenständlichen Veranlagungsjahren als Auslandsbeamter anzusehen und die Berechnung der Einkommensteuer entsprechend anzupassen sei.

Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen entsprechen dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt und sind insoweit unstrittig.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 303 Abs. 2 BAO hat der Wiederaufnahmeantrag die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird, und die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird, zu enthalten.

In den verfahrensgegenständlichen Anträgen auf Wiederaufnahme der Jahre 2014 bis 2018 führte der Beschwerdeführer aus, dass der Verwaltungsgerichtshof entschieden habe, dass die Dienststelle des Beamten bei Einsätzen iSd § 39a BDG für die Dauer der Entsendung an eine ausländische Einrichtung im Ausland liege, der Beamte daher für diesen Zeitraum als Auslandsbeamter iSd § 26 Abs 3 BAO anzusehen sei und etwaige zur Auszahlung gelangten Taggelder daher einer Steuerbefreiung unterliegen würden. Durch diese Entscheidung seien der Neuerungstatbestand bzw. der Vorfragentatbestand des § 303 BAO erfüllt.

Damit gründet sich der Antrag auf Wiederaufnahme jedoch auf eine gerichtliche Entscheidung, die einen im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides bekannten Sachverhalt nachträglich rechtlich anders beurteilt. Weitere Gründe, warum nachträglich neue Sachverhaltselemente hervorgekommen seien, brachte der Beschwerdeführer nicht vor.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden jedoch keine Wiederaufnahmegründe, die den Neuerungstatbestand erfüllen (vgl. ; , 2002/16/0286). Neue Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existent waren, aber erst später hervorkommen (nova reperta; Ritz, BAO6, § 303 Tz 30). Außer Streit steht in diesem Zusammenhang, dass die den gegenständlichen Einkommensteuerbescheiden jeweils zugrundeliegenden Sachverhalte der belangten Behörde bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide bekannt waren.

Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung sind aber auch die Voraussetzungen des § 303 Abs. 1 lit. c BAO (Vorfragentatbestand) nicht erfüllt. Eine Vorfrage ist eine Rechtsfrage, für deren Entscheidung die berufene Behörde nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Entscheidung berücksichtigt werden muss. Eine Vorfrage ist somit eine Frage, deren Beantwortung ein unentbehrliches Tatbestandselement für die Entscheidung der Hauptfrage ist, also ein vorweg zu klärendes rechtliches Moment, das für sich allein Gegenstand einer bindenden Entscheidung einer anderen Behörde (bzw. derselben Behörde in einem anderen Verfahren) ist (vgl. Ritz, BAO6, § 116 Rz 1). Die Einordnung des Beschwerdeführers als Auslandsbeamter iSd § 26 Abs. 3 BAO stellt eine solche Vorfrage gerade nicht dar. Das Vorliegen einer Vorfrage ist von der belangten Behörde daher zu Recht verneint worden.

Abschließend brache der Beschwerdeführer noch vor, dass den Wiederaufnahmeanträgen gemäß § 303 BAO stattzugeben sei, um eine Ungleichbehandlung durch verschiedene Vorgangsweisen der Finanzämter hintanzuhalten. Dazu ist festzuhalten, dass der VwGH bereits festgehalten hat, dass auch eine allfällige rechtswidrige Anwendung des Gesetzes bei der Erlassung von Verwaltungsakten gegenüber anderen Betroffenen niemandem ein Recht auf diesbezügliche Gleichbehandlung ("im Unrecht") gibt (vgl. ).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sind Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden keine Wiederaufnahmegründe, die den Neuerungstatbestand erfüllen (vgl. ; , 2002/16/0286). Es lag somit keine Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101143.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at