Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.10.2021, RV/7105443/2017

Wie wirkt sich die Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides ohne Vorliegen einer objektiven Ungewissheit auf den Beginn der Verjährungsfrist der abgeleiteten Abgabe aus?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***2*** in der Beschwerdesache ***1***, vertreten durch ***3***, über die Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamtes Baden Mödling vom betreffend die gemäß § 295 Abs. 1 BAO erfolgte Abänderung der Einkommensteuer 2007 zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) erzielte im Streitjahr 2007 neben anderen Einkünften auch Einkünfte aus der Beteiligung an der ***4*** KG, StNr ***5***.

Am erging an die ***4*** KG ein auf § 200 Abs. 1 BAO basierender vorläufiger Bescheid betreffend Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für das Jahr 2007, wobei die Abgabenbehörde den Ausspruch der Vorläufigkeit mit einem nicht näher bezeichneten und noch nicht beendeten Rechtsmittelverfahren begründete. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Aufgrund der vorläufigen Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO wurde zunächst am und in der Folge am der mit datierte Einkommensteuerbescheid 2007 gemäß § 295 Abs. 1 BAO abgeändert. Am erfolgte eine Aufhebung gemäß § 299 BAO des Abänderungsbescheides gemäß § 295 Abs. 1 BAO vom . In weiterer Folge erfuhr vorgenannter Einkommensteuerbescheid 2007 am eine Abänderung gemäß § 295 Abs. 1 BAO.

Als Ergebnis einer Außenprüfung wurde am gegenüber der ***4*** KG das Verfahren betreffend die Feststellung der Einkünfte für das Jahr 2007 wiederaufgenommen bzw. im darauf basierenden Feststellungsbescheid 2007 der Anteil des Bf. in der Höhe von 21.788,52 Euro zum Ansatz gebracht. Sowohl gegen den Bescheid betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Feststellung der Einkünfte 2007 als auch gegen den darauf basierenden Feststellungsbescheid 2007 wurde Beschwerde erhoben.

Am erfolgte unter Berücksichtigung des Anteils des Bf. in der Höhe von 21.788,52 Euro eine neuerliche Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2007 gemäß § 295 Abs. 1 BAO.

Mit Eingabe vom hat der Bf. gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben und dazu begründend ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 207 Abs. 2 BAO für das Veranlagungsjahr 2007 bereits am Verjährung eingetreten sei und daher der Einkommensteuerbescheid 2007 vom ersatzlos aufzuheben sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab.

Mit Eingabe vom beantragte der Bf. die Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht sowie die Entscheidung durch den Senat und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Ergänzend wurde ausgeführt, dass in Anbetracht der Tatsache, dass im Zuge einer Außenprüfung das Verfahren betreffend den Feststellungbescheid 2007 wiederaufgenommen worden sei, davon auszugehen sei, dass es sich bei dem ursprünglichen - mit datierten - Feststellungsbescheid um keinen vorläufigen Bescheid gehandelt haben könne, andernfalls sich das Wiederaufnahmeverfahren erübrigt hätte.

Mit Eingabe vom ergänzte der Bf. seinen Vorlageantrag dahingehend, als er eine Stellungnahme des steuerlichen Vertreters, welcher die Verfahren bei den Feststellungsbescheiden betreue, vorlegte. Daraus ergebe sich, dass die ursprünglichen Feststellungsbescheide keine tauglichen vorläufigen Bescheide dargestellt hätten, sondern endgültige Bescheide gewesen seien. Aus diesem Grund seien auch die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide endgültige Abgabenbescheide gewesen, sodass im gegenständlichen Verfahren bereits Verjährung eingetreten sei.

Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/4100499/2020 wurde der die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügende Bescheid betreffend Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für das Jahr 2007 aufgehoben. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Erlassung des mit datierten vorläufigen Feststellungsbescheides 2007 objektiv keine Ungewissheit zugrunde gelegen sei und daher in Entsprechung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2008/15/0328, betreffend die Gesellschafter der ***4*** KG mit Ablauf des Jahres der Bescheiderlassung - somit mit Ablauf des Jahres 2009 - die Festsetzungsverjährung der Einkommensteuer 2007 in Gang gesetzt und unter Berücksichtigung von Verlängerungshandlungen diese spätestens mit eingetreten sei. Aus diesem Grund habe sich die am verfügte Wiederaufnahme in Ermangelung von Auswirkungen auf die Einkommensteuerpflicht des Jahres 2007 unter dem Blickwinkel des § 20 BAO als nicht zweckmäßig erwiesen.

Mit Eingabe vom hat der Bf. seinen Antrag auf Entscheidung durch den Senat sowie Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Feststellungen

Die Veranlagung der Einkommensteuer 2007 erfolgte zuletzt mit Bescheid vom . Die Änderung des Einkommensteuerbescheides 2007 gemäß § 295 Abs. 1 BAO erfolgte auf Grundlage der bescheidmäßigen Feststellungen des Finanzamtes Klagenfurt zur Steuernummer ***5******4*** (Feststellung der Einkünfte der ***4*** KG gemäß § 188 BAO vom ). Gegen diesen Grundlagenbescheid wurde Beschwerde erhoben.

Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/4100499/2020 wurde der die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügende Bescheid betreffend Feststellung der Einkünfte gemäß § 188 BAO für das Jahr 2007 aufgehoben. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Festsetzungsverjährung der Einkommensteuer 2007 in Gang gesetzt und unter Berücksichtigung von Verlängerungshandlungen diese spätestens mit eingetreten sei.

In Streit steht, ob der mit Bescheid vom erfolgten Änderung des Einkommensteuerbescheides 2007 gemäß § 295 Abs. 1 BAO die Festsetzungsverjährung entgegenstand.

Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig. Dagegen sprechende Umstände wurden nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen annehmen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 207 Abs. 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist betreffend die Festsetzung der Einkommensteuer fünf Jahre, wobei § 208 Abs. 1 lit. a BAO den Beginn der Verjährung mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist, festlegt.

Abweichend von diesem Grundsatz beginnt die Verjährung in den Fällen des § 200 BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde (§ 208 Abs. 1 lit. d BAO).

3.1.1. Durchschlagswirkung des vorläufigen Feststellungsbescheides 2007 vom auf das Einkommensteuerverfahren 2007

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/15/0153, wie folgt ausgeführt:

"Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, stellt sich das Verfahren nach § 188 BAO als Bündelung eines Ausschnittes der Einkommensteuerverfahren aller Beteiligten dar. Vorläufige Bescheide werden erlassen, um einen dem Grunde nach wahrscheinlich entstandenen Abgabenanspruch in jenen Fällen realisieren zu können, in denen der eindeutigen und zweifelsfreien Klärung der Abgabepflicht oder der Höhe der Abgabenschuld nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens vorübergehende Hindernisse entgegenstehen. Soweit im Rahmen eines Feststellungsverfahrens gemäß § 188 BAO die Höhe des einheitlichen Gewinnes bzw. Überschusses aufgrund vorübergehender Hindernisse nicht ermittelt werden kann, steht der Anteil am Gewinn bzw. Überschuss der einzelnen Beteiligten nicht fest. Diese Ungewissheit kommt durch die Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides zum Ausdruck und erfasst insoweit auch den abgeleiteten Einkommensteuerbescheid. Folglich liegt hinsichtlich dieser Ungewissheit auch dann ein Anwendungsfall des § 208 Abs. 1 lit. d BAO vor, wenn ein Feststellungsbescheid gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig ergangen ist und der davon abgeleitete Bescheid - im Hinblick auf § 295 BAO - endgültig erlassen wurde (vgl. ).

Wurde ein vorläufiger Abgabenbescheid erlassen, obwohl keine Ungewissheit iSd § 200 Abs. 1 BAO bestanden hat, und erwächst ein derartiger Bescheid in Rechtskraft, so ist nach der hg. Rechtsprechung in der Folge auch für die Frage, mit welchem Zeitpunkt die Verjährung beginnt, von der Ungewissheit iSd § 200 Abs. 1 BAO bei Bescheiderlassung auszugehen. Dies hat zur Folge, dass der Verjährungsbeginn nach der Regelung des § 208 Abs. 1 lit. d BAO bestimmt wird und keinesfalls vor dem Zeitpunkt der Erlassung des vorläufigen Abgabenbescheids liegen kann."

Entgegen den Ausführungen des Bf. hat somit die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer 2007 nicht mit Ablauf des Jahres des Entstehens des Abgabenanspruchs, sondern mit Ablauf des Jahres, in dem der vorläufige Bescheid erlassen wurde, begonnen (vgl. auch Ritz, BAO6 § 208 Tz 4) und somit auch nicht - unter Berücksichtigung von Verlängerungshandlungen - am geendet.

3.1.2. Folgen der Erlassung eines vorläufigen Feststellungsbescheides ohne Vorliegen einer Ungewissheit für den Beginn der Verjährung der davon abgeleiteten Abgaben

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/15/0153, des Weiteren ausgeführt:

"Entscheidend für den - nach der Regelung des § 208 Abs. 1 lit. d BAO zu bestimmenden - Beginn der Verjährung ist daher, ob zum Zeitpunkt der Erlassung der in Rede stehenden vorläufigen Bescheide - objektiv gesehen - eine Ungewissheit bestanden hat und wann diese Ungewissheit weggefallen ist. Hat tatsächlich keine Ungewissheit bestanden, beginnt die Verjährung mit Ablauf des Jahres der Erlassung des vorläufigen Bescheids (vgl. , mwN).

Zwar unterliegt die Erlassung von Feststellungsbescheiden selbst grundsätzlich nicht der Festsetzungsverjährung des § 207 Abs. 1 BAO (vgl. etwa ), sodass § 207 BAO keine Grenze für deren Erlass bietet.

Allerdings ist für den Beginn und damit den Lauf der Verjährungsfrist für das Einkommensteuerverfahren 2007 die oben beschriebene Durchschlagswirkung einer vorläufigen Feststellung durch § 208 Abs. 1 lit. d BAO zeitlich befristet, wonach die Verjährung mit dem Ablauf des Jahres beginnt, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde.

Hat tatsächlich keine Ungewissheit bestanden, beginnt die fünfjährige Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 2007 mit Ablauf des Jahres der Erlassung des vorläufigen Feststellungsbescheids betreffend die Beteiligung S- bzw. U-KG, also in beiden Fällen mit Ablauf des Jahres 2009, und würde - ohne Berücksichtigung von allfälligen Verlängerungshandlungen - mit Ablauf 2014 und sohin deutlich vor dem Ende der absoluten Verjährungsfrist im Jahr 2022 enden."

Im Hinblick auf die Ausführungen im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/4100499/2020, wonach der Begründung des Feststellungsbescheides 2007 vom weder das Vorliegen einer Ungewissheit der Abgabepflicht noch eine solche betreffend den Umfang derselben entnommen werden könne, wurde die Verjährungsfrist für die Einkommensteuer 2009 mit Ablauf des Jahres 2009 in Gang gesetzt. Auf Grund der innerhalb der Verjährungsfrist erfolgten, im Verwaltungsgeschehen explizit dargestellten und als Amtshandlungen iSd. § 209 Abs. 1 erster Satz BAO zu qualifizierenden Abänderungen gemäß § 295 Abs. 1 BAO endete die Verjährung demnach am .

In Ermangelung des Vorliegens weiterer, zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist führender, Amtshandlungen stand der mit Bescheid vom gemäß § 295 Abs. 1 BAO erfolgten Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2007 vom das Rechtsinstitut der Verjährung entgegen.

Aus den dargelegten Gründen war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da das Bundesfinanzgericht in seinem Erkenntnis der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gefolgt ist, liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.

Wien, am

[...]

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 208 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 208 Abs. 1 lit. d BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7105443.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at