Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.10.2021, RV/7102392/2020

Kein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe gem. § 6 Abs, 5 FLAG, wenn die Kostentragung zur Gänze durch die öffentliche Hand erfolgt.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***3*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Wiener Kinder-und Jugendhilfe 2,20, Dresdner Straße 43, 1200 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom mit dem der Antrag vom auf Familienbeihilfe ab Mai 2019 für das den mj. ***Bf1***, geb. ***1***, abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der minderjährige Beschwerdeführer (Bf.) ***Bf1***, geb. am ***1***, stellte am vertreten durch die Wiener Kinder- und Jugendhilfe - Rechtsvertretung Bezirke 2, 20 Bezirk - den Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 (BGBl.I Nr. 77/2018) rückwirkend ab .

In dem Antrag wird ausgeführt, dass die Obsorge für den minderjährigen ***Bf1*** im vollen Umfang auf die Wiener Kinder- und Jugendhilfe übertragen worden sei.
Der mj. ***Bf1*** befinde sich seit in einer sozialpädagogischen Einrichtung im Rahmen der vollen Erziehung. Der Stadt Wien würden dadurch Kosten von mindestens EUR 80,- täglich entstehen. Der anstragstellende ***Bf1*** habe 0,00 Einkommen.

Der Antrag wurde vom Finanzamt (FA) mit Bescheid vom mit der Begründung abgewiesen, dass Kinder laut Familienlastenausgleichsgesetz § 6 Abs. 5 1. Satz einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe hätten, sofern ihr Unterhalt nicht zur Gänze aus der öffentlichen Hand geleistet werde.
Da von ***2*** und seinen Eltern kein Beitrag zur Tragung des Unterhaltes geleistet werde, war der Eigenantrag auf Familienbeihilfe abzuweisen.

Der Vertreter, die Wiener Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirk 2, 20, brachte gegen den Abweisungsbescheid fristgerecht Beschwerde ein.
Begründend wurde ausgeführt, dass entgegen des genannten Abweisungsbescheides ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe des mj. ***2*** v. bestehe, da die Einrichtung, in der der mj. ***2*** untergebracht sei, Verein X, auch spendenfinanziert sei.

Vorgelegt wurde eine Kopie eines Folders des Arbeitskreis X, in dem die Tätigkeiten des Arbeitskreises angeführt werden und weiters dass diese Einrichtung im Auftrag und mit Mitteln der Wiener Kinder- und Jugendhilfe arbeite. In einer beiliegenden Liste wurden die spendenfinanzierten WG´s angeführt ua. auch der Arbeitskreis X.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung ab und führte begründend wie folgt aus:

"Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 (Familienlastenausgleichsgesetz) haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat und können somit für sich selbst Familienbeihilfe beziehen.

Ein Eigenanspruch eines Kindes auf Familienbeihilfe besteht somit dann, wenn:
a) keine Haushaltszugehörigkeit zu den Eltern besteht und keine überwiegende Kostentragung seitens der Eltern stattfindet;
b) die Unterhaltskostentragung nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln, die zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfes dienen, erfolgt
c) ein Beitrag zur Tragung der Unterhaltskosten des Kindes vorliegt.

Wird der Unterhalt eines Kindes zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes dienen, besteht kein Anspruch auf die Familienbeihilfe, da nach dem Willen des Gesetzgebers in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist. Unter öffentliche Mittel sind sämtliche staatliche Unterstützungsleistungen zu verstehen, die dazu dienen, den Lebensunterhalt eines Kindes und seinen Wohnbedarf zu sichern. Dazu zählen insbesondere Mittel der bedarfsorientierten Mindestsicherung, Mittel der Grundversorgung, Mittel aufgrund welcher die öffentliche Hand für einen entsprechenden Krankenversicherungsschutz des Kindes im Rahmen der gesetzlichen Pflichtversicherung sorgt, aber auch zusätzliche Leistungen, die die Länder im Rahmen des Bezuges der Mindestsicherung zur Deckung der Wohnkosten gewähren (wie beispielsweise Wohnbeihilfe).

Im Umkehrschluss besteht bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen ein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe, sofern ein regelmäßiger Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten eines Kindes vorliegt, da in diesem Fall die Unterhaltskostentragung nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln erfolgt, die der Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfs dienen. Dieser Beitrag kann durch das Kind selbst erfolgen oder durch seine unterhaltspflichtigen Eltern. Der Gesetzgeber nennt keine Mindestbeträge im Hinblick auf die Höhe dieses Beitrages. D.h. auch kleine, geringfügige Beträge reichen aus, um von einem regelmäßigen Beitrag zu den Unterhaltskosten auszugehen. Da die Unterhaltskosten eines Kindes laufend anfallen, sollten die Beiträge zwar nicht zwingend monatlich, jedoch in zumindest regelmäßig wiederkehrenden Abständen erfolgen.

In der Beschwerde bringen Sie vor, dass die Einrichtung (WG NoMa), wo Sie untergebracht sind, durch Spenden finanziert wird. Spenden an diese Wohngemeinschaft stellen aber keinen regelmäßigen Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten von Ihnen dar. Der Mindestunterhalt von Ihnen wird somit ausschließlich durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt.
Daher ist Ihre Beschwerde als unbegründet abzuweisen."

Gegen die Beschwerdevorentscheidung brachte die Vertretung den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde (Vorlageantrag) durch das Bundesfinanzgericht ein.

"Die Begründung der Beschwerdevorentscheidung ist, dass die Einrichtung in welcher der mj. ***Bf1*** untergebracht ist durch Spenden finanziert wird. Spenden an diese Wohngemeinschaften stellen aber keinen regelmäßigen Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten dar. Der Mindestunterhalt wird somit ausschließlich durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt.
Wie bereits in unserem Antrag auf Bewilligung der Familienbeihilfe als auch in unserer Beschwerde angeführt wurde, befindet sich der Minderjährige in einer Wohngemeinschaft des Arbeitskreis Noma. Diese Einrichtung ist teilweise spendenfinanziert, die keine öffentlichen Mittel darstellen und somit geleistetem Unterhalt gleichzustellen sind. Es besteht somit keine volle Kostentragung durch den Jugendwohlfahrtsträger und begründet den Eigenanspruch auf Familienbeihilfe.
Im vorliegenden Fall wird der Beschwerdegrund der materiellen Rechtswidrigkeit geltend gemacht. Die in der Beschwerdevorentscheidung angeführte Rechtsgrundlage wurde für gegenständlichen Sachverhalt unrichtig angewandt."

Das Finanzamt legte den Vorlageantrag dem Bundesfinanzgericht vor und führte in der Stellungnahme aus, dass im gegenständlichen Fall die Spenden an die Wohngruppe gingen und dem Bf. diese Geldmittel in keinem Zeitpunkt zurechenbar seien.
Nach Ansicht des Finanzamtes würde die Gewährung der Familienbeihilfe im gegenständlichen Fall dem vom Gesetzgeber intendierten Sinn und Zweck des § 6 Abs. 5 FLAG 1967 widersprechen.

Das Bundesfinanzgericht wies in dem Vorhalt vom an die Wiener Kinder- und Jugendhilfe darauf hin, dass das Bundesfinanzgericht auf Grund eigener Angaben in dem oa. Schreiben vom davon ausgehe, dass der Unterhalt zur Gänze von der Stadt Wien getragen werde und ersuchte um Bekanntgabe der monatlichen Unterhaltskosten für den mj. Bf..

Die Kinder und Jugendhilfe der Stadt Wien führte dazu aus, dass der mj. Bf. aufgrund eines Gesamtvertrages der MA 11 mit der Einrichtung X untergebracht sei.

Aufgrund dieses, jährlich vom Gemeinderat zu bewilligenden Gesamtvertrages, würden mehrere Minderjährige in dieser Einrichtung untergebracht. Es gebe einen fixen Tagsatz pro Kind, der im Jahr 2021 € 230,- beträgt (jährliche Anpassung durch Inflation).
Da der mj. Bf. somit nicht mittels Einzelvertrag untergebracht sei, könne auch keine entsprechende Vorlage einer entsprechenden Vereinbarung mit der sozialpädagogischen Einrichtung erbracht werden.
Aus diesem Grund sei es auch nicht möglich, die geforderten Unterlagen hinsichtlich der monatlichen Unterhaltskosten (Bekleidung, Essen, etc.) welche Spenden diesen zugeordnet würden, vorzulegen, da durch den genannten Gesamtvertrag die Kosten nicht den einzelnen Minderjährigen zugeordnet werden könnten.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (Bf.), der mj. ***Bf1***, geb. ***1***, befindet sich seit in der der sozialpädagogischen Einrichtung im Rahmen der vollen Erziehung, Verein X und ist dort mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet.

Die Einrichtung arbeitet im Auftrag und mit Mittel der Wiener Kinder- und Jugendhilfe.

Die Wiener Kinder- und Jugendhilfe, MA11, ist mit der vollen Obsorge des mj. Bf betraut.
Der Stadt Wien entstehen dadurch Kosten von mindestens € 80,- täglich.

Die WG NOMA wird teilweise durch Spenden finanziert.

Der Bf bezieht kein eigenes Einkommen. Die leiblichen Eltern leisten keinen Unterhalt.

Regelmäßiger Unterhalt an den Bf. wurden nicht angeführt.

Der Minderjährige leistet keinen Kostenbeitrag zum Aufenthalt in der genannten Einrichtung.

2. Beweiswürdigung:

Die persönlichen Verhältnisse des Bf. und die Betrauung der Wiener Kinder- und Jugendhilfe, MA 11, mit der vollen Obsorge sind aktenkundig, nachgewiesen und unstrittig.

Dass der Bf kein eigenes Einkommen bezieht und die leiblichen Eltern keinen Unterhalt leisten, ist unstrittig.

Dass der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien Kosten von mindestens € 80 täglich entstehen, hat diese als Vertreter des Bf selbst vorgebracht.

Dass der Minderjährige keinen Kostenbeitrag leistet, ist unstrittig.

Dass keine Zuordnung der Spenden für monatliche Unterhaltskosten des Bf. möglich ist, wurde in dem Antwortschreiben vom vom Vertreter des Bf. ausgeführt.

Strittig ist im vorliegenden Fall, ob die Voraussetzung, dass der Unterhalt des Bf. nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen wird, durch die teilweise Finanzierung der Wohngruppe durch Spenden erfüllt ist und folglich ob dem mj. Bf. Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge ab Mai 2019 zustehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 idgF normiert:

Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Nach den Erläuterungen zum Initiativantrag (386/A 26. GP) sollte durch die Novellierung des § 6 Abs. 5 FLAG 1967 sichergestellt werden, dass ein Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe auch dann gegeben ist, wenn das Kind selbst aufgrund eines sozialversicherungsrechtlichen Anspruches (z.B. Pflegegeld) oder aufgrund einer eigenen Erwerbstätigkeit regelmäßig zur Deckung der Unterhaltskosten beiträgt.

Gleiches gilt, sofern die Eltern zwar nicht überwiegend, jedoch zumindest teilweise regelmäßig zum Unterhalt ihres Kindes beitragen (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG 2.A.2020 § 6 Rz20).

Wenn der Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe (bei Aufenthalt in einer sozialpädagogischen Einrichtung) oder zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand (zB durch eine bedarfsorientierte Mindestsicherung oder die Grundversorgung) getragen wird, besteht hingegen kein Anspruch auf Familienbeihilfe, da in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist. Gleiches gilt, sofern die Eltern zwar nicht überwiegend, jedoch zumindest teilweise regelmäßig zum Unterhalt ihres Kindes beitragen.

Im gegenständlichen Fall leisten weder die Eltern einen Unterhalt noch trägt der mj. Bf. selbst zur Deckung seines Unterhaltes bei.

Der mj. Bf. wohnt in einer WG, die durch Spenden unterstützt wird.

Entgegen der Auffassung des Bf. kommt es jedoch nicht darauf an, ob der Bf. in einer zur Gänze oder teilweise spendenfinanzierten Einrichtung untergebracht ist, da das Gesetz nicht darauf abstellt.

Der Unterhalt des Bf. wird aus Mitteln der öffentlichen Hand, im gegenständlichen Fall der Stadt Wien bezahlt.

Die Gemeinde zahlt laut den Ausführungen des Bf. mindestens Euro 80,00 täglich, jedoch flossen und fließen dem Bf. keine an ihn persönlich gewidmete Spenden zu.

Wird jedoch der Unterhalt eines Kindes zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes dienen, besteht kein Anspruch auf die Familienbeihilfe, da nach dem Willen des Gesetzgebers in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist.

In der Beschwerde bringt der Vertreter des mj. Bf. vor, dass die Einrichtung (WG NoMa), wo der mj. Bf. untergebracht ist, durch Spenden finanziert werde.

Spenden an diese Wohngemeinschaft stellen aber -den vorstehenden Ausführungen folgend keinen regelmäßigen Beitrag zur Deckung der Unterhaltskosten dar.
Die Kosten werden von der Stadt Wien in Höhe von mind. 80 Euro täglich bezahlt.
Der mj. Bf. hat kein Einkommen.

Weder vom mj. Bf. noch von dessen Eltern wird ein Beitrag zur Tragung des Unterhaltes geleistet.

Der Unterhalt von dem mj. Bf. wird somit ausschließlich durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt.

Da nach den Feststellungen im Sachverhalt der Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der Kinder und Jugendhilfe - der öffentlichen Hand - getragen wird, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe (vgl. ).

Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im vorliegenden Fall vorwiegend Sachverhaltsfragen zu beurteilen waren und sich die Lösung der Rechtsfrage bereits unmittelbar aus dem Gesetzestext ergibt, liegt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102392.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at