Keine Zulässigkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei zur Fristversäumnis führender mangelnder Kanzleiorganisation des steuerlichen Vertreters
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***1***, ***2***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes ***3*** vom betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO (wegen Versäumung der Vorlagefrist hinsichtlich Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016)
zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Aufgrund einer abgabenrechtlichen Außenprüfung (AB.Nr. ***1234567***) bei der Beschwerdeführerin wurde am u.a. ein Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016 erlassen.
2. Gegen diesen Bescheid wurde am Beschwerde erhoben, die keine Begründung enthielt. Nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens erging am eine zum großen Teil die Beschwerde abweisende Beschwerdevorentscheidung.
Sowohl die Beschwerdevorentscheidung als auch die gesondert ergangene Begründung wurden mit Zustellnachweis Rsb am nachweislich dem Geschäftsführer zugestellt.
3. Innerhalb der Frist des § 264 Abs. 1 BAO wurde gegen diese Beschwerdevorentscheidung kein Vorlagentrag eingebracht.
4. Mit Fax vom wurde der beschwerdegegenständliche Wiedereinsetzungsantrag betreffend Versäumung der Vorlagefrist betreffend den Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016 vom gestellt. Gleichzeitig wurde ein Antrag auf Vorlage der Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016 vom an das Bundesfinanzgericht gestellt.
Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
"Die Versäumung der Vorlagefrist hinsichtlich des Feststellungsbescheides Gruppenmitglied 2016 vom ist auf folgenden Sachverhalt zurückzuführen:
In chronologischer Reihenfolge:
Am wurde die Bescheidbegründung zum Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016 (Beschwerdevorentscheidung gern. § 262 BAO) dem Vertreter der Beschwerdeführerin im Postweg zugestellt.
Am gleichen Tag hat der Vertreter die Frist zur Vorlage der Beschwerde vom gegen den Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016 vom beim Bundesfinanzgericht in den in dessen Steuerberatungskanzlei geführten Zentralkalender eingetragen. Dabei ist ihm das Missgeschick unterlaufen, dass er im Anzeigenfeld des Monatskalenders nicht, wie vorgesehen, den 23. August, sondern den als Ende der Frist anklickte. (Beweis: Ausdruck des Ereignisbogens vom , 12h39)
Am heutigen wurde der Rechtsmittelakt vom abgabenrechtlichen Vertreter zur Bearbeitung herangezogen und festgestellt, dass die Vorlagefrist bereits am endete.
Mit heutigem Tage ist hervorgekommen, dass die Vorlagefrist hinsichtlich der Beschwerde vom gegen den Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016 vom beim Bundesfinanzgericht bereits abgelaufen war. Es wird daher unverzüglich nach Kenntniserlangung des Hindernisses der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht. Es war nicht vorherzusehen, dass dem Vertreter in der Hektik des Kanzleibetriebes während der Urlaubszeit das oben erwähnte Missgeschick nicht auffiel. Erst bei Wahrnehmung seines Auftrages zur Vorlage der der Beschwerde vom gegen den Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016 vom beim Bundesfinanzgericht trat dieser Umstand hervor."
5. Am erging der Bescheid, mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen wurde. Die Abweisung wurde damit begründet, dass ein mangelndes Kontrollsystem keine leichte Fahrlässigkeit mehr darstelle.
6. Gegen diesen Bescheid wurde am mit Eingabe durch Telefax Beschwerde erhoben.
Ergänzend zur chronologischen Darstellung der Ereignisse wie im Antrag auf Wiedereinsetzung vom , begründete der steuerliche Vertreter die Beschwerde wie folgt:
"Durch ein Missgeschick, das auch dem sorgfältigsten und pflichtbewussten Menschen widerfahren kann, unterblieb die Wahrnehmung der Vorlagefrist hinsichtlich der Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2016 vom . Um darzulegen wie leicht durch einen unglücklichen Mausklick, nämlich nur 1 Zentimeter unterhalb des vorgesehenen Datums, ein anderes Datum gespeichert wird, wird noch einmal das Ereignisblatt aus dem Zentralkalender der Steuerberatungskanzlei vorgelegt. In diesem "Mausklick" ist die Unvorhersehbarkeit des Ereignisses impliziert, welche die Versäumung der Frist herbeigeführt hat."
7. Am erging die Beschwerdevorentscheidung, mit der die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde.
Aus der Darstellung des Verfahrensganges geht hervor, dass bezüglich der Bescheide, die im Zusammenhang mit der genannten abgabenrechtlichen Außenprüfung erlassen worden waren, ein weiterer Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt wurde:
Hinsichtlich des Feststellungsbescheides Gruppenmitglied für 2015 vom wurde die Beschwerdefrist versäumt. Der am gestellte Wiedereinsetzungsantrag wurde mit Bescheid vom als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen, welche nicht weiter bekämpft wurde.
Die Abweisung begründete das Finanzamt damit, dass der Fristvormerk für den Vorlageantrag direkt im Programm MS-Outlook eingetragen wurde, ohne dass dieses Programm irgendeine Prüfroutine zur Verifizierung der Richtigkeit des gesetzten Termins aufweise.
Der steuerliche Vertreter brachte nicht vor, dass bei Eintragung des Termins eine Kontrolle dahingehend erfolgt sei, ob der gewählte Termin tatsächlich innerhalb der gesetzlichen Frist für die Stellung eines Vorlageantrages liegt. Ein solche Organisation des Fristvormerks in der Kanzlei des Vertreters gehe aber über einen bloß minderen Grad eines Versehens hinaus, zumal in der Beschwerde selbst die Fehlerträchtigkeit bei der Eintragung des Termins in MS-Outlook dargetan werde, wenn vorgebracht wird, dass dann, wenn man "1 cm unterhalb des vorgesehenen Datums klicke" das falsche Datum als Fristende vermerkt wird. Da ein entsprechendes Kontrollsystem, welches ausschließe, dass ein falscher Termin als Fristende in den Kalender eingetragen wird, gänzlich fehle, liege darin ein grobes Verschulden, das die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließe.
Aus der Darstellung des Verfahrensganges in der Beschwerdevorentscheidung geht hervor, dass auch in der der genannten Außenprüfung vorangegangenen Außenprüfung Feststellungen getroffen wurden, die u.a. eine Wiederaufnahme des Feststellungsverfahrens Gruppenträger (das ist die "***Z_GmbH***_") 2013 und 2014 erforderlich machten und wurde diesbezüglich einem Mängelbebungsauftrag des Bundesfinanzgerichts nicht fristgerecht Folge geleistet. Auch in diesem Fall wurde für die Beschwerdeführerin am ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt, der vom Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom zu GZ. RV/5101732/2019 aufgrund der nachlässigen Kanzleiorganisation des steuerlichen Vertreters abgewiesen wurde.
8. Mit Telefax vom beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde beim Bundesfinanzgericht unter Wiederholung der Begründung aus der Beschwerde.
9. Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde aus den in der Beschwerdevorentscheidung genannten Gründen. Ergänzend wurde angemerkt, dass der Vorlageantrag gegenüber der Beschwerde keinerlei neues Vorbringen enthalte.
10. Mit Telefax vom nahm der steuerliche Vertreter die Anträge auf eine Entscheidung durch den Senat und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.
2. Beweiswürdigung
Die unter Punkt 1 getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Akten und dem vom Finanzamt nicht widerlegten Vorbringen des steuerlichen Vertreters der Beschwerdeführerin.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
§ 308 Abs 1 BAO lautet:
"Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108-110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."
§ 308 Abs 3 BAO lautet:
"Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde (Abgabenbehörde oder Verwaltungsgericht), bei der die Frist wahrzunehmen war bzw. bei der die Verhandlung stattfinden sollte, eingebracht werden. Bei Versäumnis einer Beschwerdefrist (§ 245) oder einer Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (§ 264) gilt § 249 Abs. 1 dritter Satz sinngemäß. Im Fall der Versäumung einer Frist hat der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen."
Der Antrag vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde innerhalb der Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses eingebracht und gleichzeitig die versäumte Handlung in Form eines Vorlageantrages nachgeholt.
Strittig ist, ob der steuerliche Vertreter durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die ursprüngliche Frist einzuhalten und ob bejahendenfalls lediglich ein minderer Grad des Versehens im Hinblick auf die Versäumung der Frist vorgelegen ist.
Unvorhergesehen ist ein Ereignis, das die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (; ).
Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mitteln nicht verhindern konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (; ).
Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes liegt in der Versäumung der Frist aufgrund eines falschen Fristenvormerks im elektronischen Kalender kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis. Das Bundesfinanzgericht folgt hier der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach ein bloßes "Vergessen" oder "schlichtes Übersehen" ohne das Hinzutreten besonderer, hierfür ausschlaggebender Umstände kein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 308 Abs. 1 BAO darstellt und somit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu begründen vermag (). Ein solches Hinzutreten besonderer, hierfür ausschlaggebender Umstände ist im gegenständlichen Fall nicht erkennbar.
Auch wenn ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis vorliegen würde, hindert ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden der Partei an der Versäumung die Bewilligung der Wiedereinsetzung.
Ein minderer Grad des Versehens ist leichter Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB gleichzusetzen (zB ; , 2009/16/0098; , 2012/13/0051). Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (zB ).
Keine leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand auffallend sorglos handelt (zB ). Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (zB ; ; ; ).
An rechtskundige Parteienvertreter ist hiebei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (; , 0078).
Das Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten (vgl zB ; ).
Maßgebend ist somit, ob dem Parteienvertreter grobe Mängel der Kanzleiorganisation oder eine mangelhafte Überwachung und Kontrolle (vgl zB ; , 98/15/0130) anzulasten sind (Ritz, BAO, 6. Aufl. 2017, § 308, Rz 8 - 18).
Zur Kanzleiorganisation gehört die Führung eines Fristenvormerks (vgl zB -0249; zum Fristenkalender ; zum Fristenbuch ; bei EDV-System ).
Der Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen sichergestellt sind. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen ua. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (zB ; ; ; ).
Von einem bloß minderen Grad des Versehens des Parteienvertreters kann nicht mehr gesprochen werden, wenn Organisationsmängel vorliegen, wodurch die fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen nicht gewährleistet ist, wenn das Kontrollsystem, wodurch Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind, unzureichend ist oder wenn das Bestehen der Aufsichtspflicht überhaupt nicht erkannt wird (zB ; ; ; ).
Die Unterlassung der besonderen Kontrolle ist eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Steuerberaters in seiner Stellung als berufsmäßiger Parteienvertreter; sie ist nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren (; ).
Das gesamte Beschwerdevorbringen lässt nicht erkennen, dass in der Kanzlei des steuerlichen Vertreters ein wirksames Kontrollsystem für die Wahrung von Fristen eingerichtet wäre. Der Vertreter nimmt die Eintragung der Fristen persönlich vor, ohne dass eine Gegenkontrolle durch eine zweite Person erfolgen würde. Bei Einträgen wichtiger Fristen in elektronische Kalender sollte das Risiko ein falsches Datumsfeld anzuklicken jedenfalls durch Einrichtung geeigneter Kontrollmaßnahmen ausgeschaltet werden.
Wie unter Punkt 1 dieses Erkenntnisses festgestellt, wurde bereits im November 2019 eine Frist zur Erfüllung eines Mängelbehebungsauftrages und im Jänner 2019 die Beschwerdefrist bezüglich des Gruppenfeststellungsbescheides 2015 versäumt und wurden jeweils erfolglos Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
Die gegenständliche Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages im August 2019 ist somit bereits das dritte derartige Ereignis bezüglich desselben Klienten innerhalb relativ kurzer Zeit.
Insgesamt betrachtet beruht die Fristversäumnis auf einer, bereits vom bemängelten, nachlässigen Kanzleiorganisation des steuerlichen Vertreters. Somit liegt hinsichtlich des Verschuldens an der Fristversäumnis ein nicht bloß minderer Grad des Versehens vor.
Die Beschwerde gegen den Bescheid, mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen wurde, war daher spruchgemäß abzuweisen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Erkenntnis folgt der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an die Organisation eines Kanzleibetriebes. Eine ordentliche Revision war daher nicht zuzulassen.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100659.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at