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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.10.2021, RV/7101415/2021

Antrag auf Aufhebung eines von einem "Nichtbescheid" abgeleiteten Bescheides gem § 295 Abs 4 BAO idF BGBl. I Nr. 3/2021

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel Philip Pfau in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG, Rathausstraße 15, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom , Steuernummer ***BF1StNr1***, betreffend Aufhebung gem § 295 Abs. 4 BAO des Einkommensteuerbescheides 2009 zu Recht:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der Einkommensteuerbescheid 2009 vom wird gemäß § 295 Abs. 4 BAO aufgehoben.

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Bisheriger Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer war im Streitzeitraum unter anderem an der S AG(im Folgenden S-AG) als atypisch stiller Gesellschafter beteiligt.

Mit Anbringen vom beantragte der Beschwerdeführer seinen zuletzt aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen betreffend die S-AG gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid 2009 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO aufzuheben. Begründend führte er aus, dass gegen ein seinem Einkommensteuerbescheid zugrundeliegendes Dokument, das Form und Inhalt eines Feststellungsbescheides hat, bereits am Beschwerde (damals: Berufung) erhoben wurde.

Mit hg Beschluss vom , RV/2100002/2014, wurde die gegen den Feststellungsbescheid gerichtete Beschwerde wegen "unzureichender Bezeichnung des Bescheidadressaten" und somit mangelnder Bescheidqualität als unzulässig zurückgewiesen.

Mit neuerlichem Anbringen vom verwies der Beschwerdeführer auf seinen bereits am gestellten Antrag gem § 295 Abs. 4 BAO und den nunmehr ergangenen Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom und beantragte seinem Antrag vom nunmehr stattzugeben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers betreffend Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2009 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, im vorliegenden Fall sei der Einkommensteuerbescheid 2009 vom (Änderung gem § 295 (1) BAO) nicht nur aufgrund eines "Nichtbescheides" vom betreffend der S-AG erlassen worden, sondern auch aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen betreffend zwei weiterer näher bezeichneter GmbHs. Die sachverhaltsmäßige Bedingung für eine Aufhebung gem § 295 Abs. 4 BAO sei, dass sich der aufzuhebende Änderungsbescheid nur auf einen "Nichtbescheid" stütze. Das sei jedoch nicht der Fall, wenn die Änderung gem § 295 Abs. 1 BAO entweder zusätzlich oder allein auf einem oder mehreren anderen Grundlagenbescheiden basiere.

Dagegen richtete sich die Beschwerde in der der Beschwerdeführer nach Wiedergabe der Erläuterungen zur Einführung des § 295 Abs. 4 BAO mit BGBl I Nr. 76/2011 im Wesentlichen ausführte, dass die Argumentation des Finanzamtes, wonach dem Antrag deshalb kein Erfolg beschieden sein könne, weil der zu Unrecht auf einen Nichtbescheid gestützte Einkommensteuer-Änderungsbescheid 2009 vom auch andere (tatsächlich rechtskräftig gewordene geänderte bzw erstmalige) Feststellungstangenten berücksichtigt habe, rechtlich nicht nachvollziehbar sei. Die vom Finanzamt vertretene Rechtsansicht finde im Gesetzeswortlaut keine Deckung. Das Gesetz verlange keineswegs, dass der Bescheid nur dann aufgehoben werden dürfe, wenn mit diesem Änderungsbescheid nicht noch andere Änderungen verfügt worden seien und schränke in keiner Weise die Aufhebungsverpflichtung dahin ein, dass diese nicht zu erfolgen habe, wenn der Änderungsbescheid auch andere Feststellungsänderungen gem § 295 Abs. 1 BAO berücksichtigt habe. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre das Finanzamt daher verpflichtet gewesen, dem auf Aufhebung gem § 295 Abs. 4 BAO gerichteten Antrag vollinhaltlich stattzugeben.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab und wiederholte im Wesentlichen ihre Rechtsansicht. Ergänzend verwies sie ua auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2012/15/0127. Im Hinblick auf die klare Rechtslage und den Umstand, dass hinsichtlich des geänderten Einkommensteuerbescheides unbestritten § 295 Abs. 1 BAO als Verfahrenstitel zu Recht angewendet worden sei, sei auf das weitere Vorbringen nicht mehr einzugehen. Dem Umstand, dass im Einkommensteuerbescheid 2009 einem unwirksamen Feststellungsbescheid inhaltlich Rechnung getragen worden sei, komme iZm § 295 Abs. 4 BAO keine Bedeutung zu; maßgeblich sei ausschließlich die verfahrensrechtlich unzulässige Heranziehung des § 295 Abs. 1 BAO. Ergänzend sei festzuhalten, dass die Erfassung von festzustellenden Einkünften in einem Einkommensteuerbescheid eine bereits tatsächliche erfolgte Feststellung nicht voraussetze. Im Übrigen seien die im Einkommensteuerbescheid 2009 vom erfassten Einkünfte aus der S-AG mit Feststellungsbescheid gem § 188 BAO vom in gleicher Höhe festgestellt worden.

Mit Schriftsatz vom beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und bestritt weiterhin die Rechtsansicht der belangten Behörde.

Mit Vorlagebericht vom legt die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und führte aus, dass sich mit BGBl. I Nr. 3/2021 die Rechtslage im Zusammenhang mit § 295 Abs. 4 BAO geändert habe. Entscheidend sei nicht mehr die verfahrensrechtliche Ableitung eines Bescheides gem § 295 Abs. 1 BAO ausschließlich von einem unwirksamen Einkünftefeststellungsbescheid oder Einkünftenichtfeststellungsbescheid. Maßgeblich für eine Aufhebung eines Bescheides nach § 295 Abs. 4 BAO sei nunmehr, ob ein Bescheid auf einen Nichtbescheid, unwirksamen Einkünftefeststellungsbescheid oder Einkünftenichtfeststellungsbescheid gestützt worden sei. Dies sei gegenständlich der Fall. Der Einkommensteuerbescheid 2009 vom könne daher im Rahmen des Erkenntnisses über die Beschwerde antragsgemäß aufgehoben werden.

Mit Schriftsatz vom zog der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Entscheidung durch einen Senat zurück.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war im Streitzeitraum unter anderem an der S AG (im Folgenden S-AG) als atypisch stiller Gesellschafter beteiligt.

Mit Anbringen vom beantragte der Beschwerdeführer seinen zuletzt aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen betreffend die S-AG gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Einkommensteuerbescheid 2009 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO aufzuheben.

Mit hg Beschluss vom , RV/2100002/2014, wurde die Beschwerde gegen die die S-AG betreffenden, als Bescheide intendierte Erledigungen betreffend Feststellung von Einkünften gem § 188 BAO für die Kalenderjahre 2005 bis 2010 wegen "unzureichender Bezeichnung des Bescheidadressaten" und somit mangelnder Bescheidqualität als unzulässig zurückgewiesen.

Mit neuerlichem Anbringen vom verwies der Beschwerdeführer auf seinen bereits am gestellten Antrag gem § 295 Abs. 4 BAO und den nunmehr ergangenen Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom und beantragte seinem Antrag vom nunmehr stattzugeben.

2. Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und sind zwischen den Parteien nicht strittig.

Auch für das Bundesfinanzgericht haben sich - in Wahrnehmung seiner amtswegigen Ermittlungspflicht - keine Anhaltspunkte ergeben, an der Richtigkeit des festgestellten Sachverhaltes zu zweifeln. Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen annehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Als Folge der Aufhebung der in § 295 Abs. 4 BAO idF BGBl. I Nr. 76/2011 bzw 70/2013 normierten Antragsfrist durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G 159/2019 ua, hat der Gesetzgeber § 295 Abs. 4 BAO mit BGBl. I Nr. 3/2021 wie folgt neu gefasst:

"(4) Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt

  • eines Feststellungsbescheides (§ 188) oder

  • eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,

gerichtet ist, als unzulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das Dokument gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz gilt sinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben wird."

Die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO ist eine Verfahrensvorschrift (vgl. Ritz, BAO6, § 295 Tz 21a). Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl , mwN) hat das Verwaltungsgericht - in Ermangelung gesonderter Inkrafttretens- bzw Übergangsbestimmungen - auf Grund der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden verfahrensrechtlichen Rechtslage zu entscheiden. Die Neufassung des § 295 Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, ist am in Kraft getreten und ist somit, soweit diesbezügliche Beschwerden betroffen sind, auf alle an diesem Tag unerledigten Rechtsmittel anzuwenden.

Die Zurückweisung des Rechtsmittels gegen den dem Einkommensteuerbescheid 2009 zugrundeliegenden Feststellungsbescheid wegen mangelnder Bescheidqualität datiert mit . Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage und der getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass der Antrag des Beschwerdeführers vom bzw nochmals vom auf Aufhebung seines Einkommensteuerbescheides 2009 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO somit jedenfalls innerhalb der nunmehr zur Anwendung gelangenden Jahresfrist des § 295 Abs. 4 BAO idF BGBl. I Nr. 3/2021 gestellt wurde.

Damit ist das Schicksal der Beschwerde bereits entschieden.

Sofern die belangte Behörde den verfahrenseinleitenden Antrag seinerzeit im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen hatte, dass die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 295 Abs. 4 BAO als nicht gegeben erachtet wurden, weil der aufzuhebende Änderungsbescheid "zusätzlich oder allein auf einem oder mehrere[n] andere[n] Grundlagenbescheiden basiert" genügt es darauf hinzuweisen, dass § 295 BAO keine Teilrechtskraftdurchbrechung vorsieht. Zweck des mit BGBl. I Nr. 76/2011 eingefügten Absatz 4 des § 295 BAO war, dass auf Antrag der Partei Änderungsbescheide aufzuheben sind, die auf Grundlage eines "Dokumentes" erlassen wurden, das Form und Inhalt eines Feststellungsbescheides nach § 188 BAO aufweist, für das sich aber im Zuge des Beschwerdeverfahrens herausstellt, dass das "Dokument kein Bescheid ist". Dafür, dass diese Regelung nur dann zur Anwendung gelangen soll, wenn der Änderungsbescheid nur auf einem und nicht auf mehreren Dokumenten, die Form und Inhalt eines Feststellungsbescheides aufweisen, beruht, finden sich im Gesetz keinerlei Hinweise. Auch das von der belangten Behörde herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs, 2012/15/0127, vermag die Rechtsansicht der belangten Behörde nicht zu stützen. In diesem Fall hat der Verwaltungsgerichtshof vielmehr ausgesprochen, dass ein in Folge einer Wiederaufnahme ergangener Einkommensteuerbescheid gerade nicht als geänderter Bescheid iSd § 295 Abs. 1 BAO zu werten ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem zitierten Erkenntnis jedoch auch ausgesprochen, dass sich aus dem Wortlaut des § 295 Abs. 4 BAO eindeutig ergibt, dass die Anwendung dieser Bestimmung einen gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderten Bescheid voraussetzt. Dies ist im gegenständlichen Beschwerdefall bereits vor der Novellierung durch BGBl. I Nr. 3/2021 erfüllt gewesen. Bei dem Einkommensteuerbescheid 2009 vom handelt es sich um eine "Änderung gem § 295 (1) BAO zu Bescheid vom ", die laut Begründung explizit aufgrund der bescheidmäßigen Feststellungen ua des für die S-AG zuständigen Finanzamtes erfolgte.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sofern die belangte Behörde in der Beschwerdevorentscheidung offenbar davon ausgegangen zu sei scheint, dass die im Einkommensteuerbescheid 2009 vom erfassten Einkünfte aus der S-AG mit Feststellungsbescheid gem § 188 BAO vom in gleicher Höhe festgestellt worden seien und der abgeleitete Abgabenbescheid somit gleichsam ex post durch einen nachträglich ergangenen Grundlagenbescheid bestätigt worden sei, dieser Rechtsansicht die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entgegensteht. Auf diese (vgl ) hat auch der Verfassungsgerichtshof in seinen dem Prüfungsbeschluss zu G 159/2019 zugrundeliegenden Bedenken (Pkt 3.2.4.) hingewiesen und ausgeführt, dass in einem solchen Fall, "dieser ,abgeleitete' Bescheid doch ohne Rechtsgrundlage in die Rechtskraft des dem ,abgeleiteten' Bescheid vorausgehenden Abgabenbescheid eingreifen [dürfte]" und somit als rechtswidrig zu beurteilen sei.

Das Bundesfinanzgericht kommt rechtlich somit zu dem Ergebnis, dass die Abweisung des Antrages auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2009 vom gem § 295 Abs. 4 BAO durch die belangte Behörde zu Unrecht erfolgt ist. Der Beschwerde ist somit Folge zu geben und der Einkommensteuerbescheid 2009 wird aufgehoben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da eine klare Rechtslage vorliegt, die keine Auslegungsschwierigkeiten bereitet. Die Rechtsfolge der antragsgemäßen Aufhebung eines von einem Dokument, das kein Bescheid ist, abgeleiteten Bescheides ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 295 Abs. 4 BAO).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 295 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101415.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at