Gebrauchsabgabe - Beginn der Strafbarkeitsverjährung bei mehreren Gesamtschuldnern
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RV/7500100/2021-RS1 | Aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 16 Abs 1 letzter Satz GAG und den Zweck der Verjährungsbestimmungen spielt es bei einer Personenmehrheit iSd § 2 Abs 3 GAG keine Rolle gegenüber welchem Gesamtschuldner die Gebrauchsabgaben festgesetzt wurden. Andernfalls würde bei Tätern, an denen kein Abgabenbescheid ergeht, die Verjährung nie zu laufen beginnen und würde der für den Staat bereits entstandene Strafanspruch nie erlöschen. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag.Dr. Wolfgang Pagitsch in der Verwaltungsstrafsache gegen ***Bf***, ***Bf-Adr***, über dessen Beschwerde vom gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, vom , GZ: MA6/196000000656/2019, wegen 22 Verwaltungsübertretungen nach § 1 Abs 1 iVm § 16 Abs 1 und Tarifpost D 1 und D 4 des Gebrauchsabgabegesetzes (GAG) vom , LGBl. für Wien Nr. 20, idF der Kundmachung ABl. der Stadt Wien Nr. 52/2016 zu Recht erkannt:
I.) Der Beschwerde wird gemäß § 50 VwGVG Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.
II.) Der Beschwerdeführer hat gemäß § 52 Abs 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.
III.) Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof durch die vor dem Bundesfinanzgericht belangte Behörde nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Bisheriger Verfahrensgang
Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, vom , GZ: MA6/196000000656/2019, wurde ***Bf*** hinsichtlich 22 Verwaltungs-übertretungen nach § 1 Abs 1 iVm § 16 Abs 1 und Tarifpost D 1 und D 4 GAG für schuldig befunden, da er als handelsrechtlicher Geschäftsführer der ***A-GmbH*** vor der ***1-Adr***, auf dem öffentlichen Gemeindegrund, der dem öffentlichen Verkehr dient, ein Gerüst im Ausmaß von 19 m², eine Baustofflagerung im Ausmaß von 12 m² (im Juni und Juli 2017 von 23 m²) und eine Mobil-Toilette im Ausmaß von 1 m² aufgestellt habe, wobei er hiefür bis zum weder eine Gebrauchsabgabe erwirkt, noch die Gebrauchsabgabe entrichtet habe und dadurch die Gebrauchsabgaben für die Monate Juni 2017 bis Jänner 2018 verkürzt habe. Er wurde deswegen zu Geldstrafen von insgesamt € 6.380,00 (Kosten insgesamt € 681,00) und im Fall der Uneinbringlichkeit zu Ersatzfreiheitsstrafen von insgesamt 331 Stunden verurteilt. Zudem wurde im Straferkenntnis ausgesprochen, dass die ***A-GmbH*** gem § 9 Abs 7 VStG über die verhängten Geldstrafen und die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand hafte.
In der am vom Beschuldigten dagegen eingebrachten Beschwerde bringt dieser im Wesentlichen vor, dass für Juni bis Dezember 2017 bereits Verjährung eingetreten und die ***A-GmbH*** im Jänner 2018 nicht mehr tätig gewesen sei.
Im Zuge eines umfangreichen Vorhalteverfahrens übermittelte die belangte Behörde auch einen abgabenrechtlichen Nachbemessungsbescheid vom an die ***B-GmbH*** hinsichtlich der oa. Gebrauchsabgabenverkürzungen und teilte mit, dass auf Basis dieses Bescheides gegen den Beschuldigten als Geschäftsführer der ***B-GmbH*** ein Verwaltungsstrafverfahren geführt und die Strafverfügung rechtskräftig geworden sei. Die übrigen Gesellschaften seien in diesen Bescheid nicht erwähnt und deren Vertreter daher auch nicht belangt worden.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Festgestellter Sachverhalt
Der Beschuldigte war im inkriminierten Zeitraum sowohl handelsrechtlicher Geschäftsführer der ***A-GmbH*** als auch der ***B-GmbH***. Die ***A-GmbH*** war Bauherrin und Auftraggeber (Gebraucher) der Umbauarbeiten an der ***1-Adr***, die ***B-GmbH*** war mit dem Bauvorhaben befasst bzw. bauausführende Firma (Nutzer).
Mit Straferkenntnis vom , GZ: MA6/196000000656/2019, wurde der Beschuldigte als handelsrechtlicher Geschäftsführer der ***A-GmbH*** wegen 22 Verwaltungsübertretungen nach § 1 Abs 1 iVm § 16 Abs 1 und Tarifpost D 1 und D 4 GAG verurteilt, da er bis zum Gebrauchsabgaben für die Monate Juni 2017 bis Jänner 2018 im Zusammenhang mit der ***1-Adr*** verkürzt habe. Gegen dieses Straferkenntnis wurde vom Beschuldigten fristgerecht Beschwerde erhoben.
Weiters wurde der Beschuldigte bereits mit Strafverfügung vom , GZ: MA6/ARP-S-780/2018 u.a., als handelsrechtlicher Geschäftsführer der ***B-GmbH*** hinsichtlich der ***1-Adr*** rechtskräftig verurteilt, da er bis zum oa. Gebrauchsabgaben verkürzt habe. Die beiden Strafentscheidungen sind nahezu ident und unterscheiden sich im Wesentlichen nur hinsichtlich der Funktion des Beschuldigten (Geschäftsführer ***B-GmbH*** bzw. Geschäftsführer ***A-GmbH***) und des Zeitpunktes hinsichtlich der Beendigung der Verwaltungsübertretungen ( bzw. ).
Grundlage für diese Strafentscheidungen waren Erhebungen der belangten Behörde, wobei zwei Nachbemessungsbescheide erlassen wurden.
Zunächst wurde mit Bescheiddatum ein Nachbemessungsbescheid an die ***B-GmbH*** erlassen und die oa. streitgegenständlichen Gebrauchsabgaben vorgeschrieben. Es ist unstrittig das der Bescheid zugestellt wurde, auch wenn das genaue Zustelldatum nicht mehr festgestellt werden konnte. Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass der Bescheid jedenfalls noch im Jänner 2018 erlassen wurde. Demnach wurde die oa. Gebrauchsabgabe hinsichtlich des Gerüstes, der Baustofflagerung und der Mobiltoilette betreffend die Monate Juni 2017 bis Jänner 2018 spätestens Ende Jänner 2018 durch die Abgabenbehörde erstmals bescheidmäßig festgesetzt. Dieser Abgabenbescheid bildete auch die Grundlage für die erste Strafentscheidung (Strafverfügung vom ). Es konnte nicht festgestellt werden, dass dieser Nachbemessungsbescheid vom aufgehoben wurde.
Weiters erging mit Bescheiddatum hinsichtlich der selben Abgabenansprüche ein weiterer (inhaltsgleicher) Abgabenfestsetzungsbescheid und zwar neuerlich an die ***B-GmbH*** (Baufirma) sowie an die ***A-GmbH*** (Auftraggeber), ***C-GmbH*** und ***D-GmbH*** (jeweils Baufirma) als Gesamtschuldner, welcher erst am von der belangten Behörde versandt wurde. Dieser bildete die Grundlage für die zweite Strafentscheidung bzw. das beschwerdegegenständliche Straferkenntnis.
Beweiswürdigung
Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind aktenkundig und unstrittig. Das der Abgabenfestsetzungsbescheid vom im Jänner 2018 erlassen wurde, wird auch von der belangten Behörde nicht bestritten. Dieser Umstand wird auch dadurch bekräftigt, dass dieser Bescheid die Grundlage für die Strafverfügung vom an den Beschuldigten bildete.
Rechtsgrundlagen
Gem § 45 Abs 1 Z 2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen.
Gem § 31 Abs 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs 2 VStG) vorgenommen worden ist. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.
Gemäß § 31 Abs 2 VStG erlischt die Strafbarkeit einer Verwaltungsübertretung durch Verjährung. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt in dem in § 31 Abs 1 VStG genannten Zeitpunkt. In die Verjährungsfrist werden nicht eingerechnet:
1. die Zeit, während deren nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet oder fortgesetzt werden kann;
2. die Zeit, während deren wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, beim Gericht oder bei einer anderen Verwaltungsbehörde geführt wird;
3. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;
4. die Zeit eines Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof oder vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
Gem. § 2 Z 2 COVID-19-VwBG wird die Zeit vom bis zum Ablauf des in Verjährungsfristen nicht eingerechnet.
Gem § 16 Abs 1 letzter Satz GAG dauert die Verkürzung der Gebrauchsabgabe so lange an, bis der Abgabepflichtige die Selbstbemessung nachholt oder die Gebrauchsabgabe bescheidmäßig festgesetzt wird.
Rechtliche Erwägungen
4.1. Zu Spruchpunkt I. und II. (Einstellung und Kosten)
Seit der Neufassung der Strafbestimmungen im Gebrauchsabgabegesetz 1966, LGBI. für Wien Nr. 11/2013, ist das Delikt der Abgabenverkürzung der Gebrauchsabgabe als Dauerdelikt normiert.
Bei Dauerdelikten, bei denen zur Verwirklichung des Tatbildes nicht nur die Herbeiführung eines rechtswidrigen Zustandes, sondern auch dessen Aufrechterhaltung erforderlich ist, beginnt die Verjährungsfrist in jenem Zeitpunkt, in dem der rechtswidrige Zustand beendet ist (). Gem. § 16 Abs 1 letzter Satz GAG dauert die Verkürzung der Gebrauchsabgabe so lange an, bis der Abgabepflichtige die Selbstbemessung nachholt oder die Gebrauchsabgabe bescheidmäßig festgesetzt wird.
Da die in der bekämpften Strafentscheidung angeführten Gebrauchsabgaben mit Erlassung des Abgabenbescheides vom an die ***B-GmbH*** Mitte/Ende Jänner 2018 erstmals bescheidmäßig festgesetzt wurden, sind die jeweiligen strafbaren Taten spätestens Ende Jänner 2018 abgeschlossen worden bzw. hat das strafbare Verhalten aufgehört. Mit diesem Zeitpunkt wurde der rechtswidrige Zustand durch bescheidmäßige Vorschreibung der Gebrauchsabgaben durch die Abgabenbehörde beendet und ist somit auch die Handlungspflicht des Täters erloschen.
Aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 16 Abs 1 letzter Satz GAG und den Zweck der Verjährungsbestimmungen spielt es dabei bei einer Personenmehrheit iSd § 2 Abs 3 GAG keine Rolle gegenüber welchem Gesamtschuldner die Gebrauchsabgaben festgesetzt wurden. Andernfalls würde bei Tätern, an denen kein Abgabenbescheid ergeht, die Verjährung nie zu laufen beginnen und würde der für den Staat bereits entstandene Strafanspruch nie erlöschen. Somit hätte es die Behörde in der Hand den Verjährungsbeginn des jeweiligen Täters selbst zu bestimmen. Zudem liegen aufgrund der erstmaligen Festsetzung der Gebrauchsabgaben und Beendigung des rechtswidrigen Zustandes keine schützenswerten Rechtsgüter mehr vor und hätte ein Täter, an denen kein Abgabenbescheid ergeht, keine Möglichkeit mehr den rechtswidrigen Zustand zu beenden.
Daraus folgt, dass unter Berücksichtigung des § 2 Z 2 COVID-19-VwBG für alle im bekämpften Straferkenntnis bezeichneten Verwaltungsübertretungen die dreijährige Strafbarkeitsverjährung spätestens Ende März 2021 eingetreten ist, da auch keine verjährungshemmenden Umstände bekannt sind.
Tritt die Strafbarkeitsverjährung während des Beschwerdeverfahrens ein, hat das Verwaltungsgericht den Eintritt der Strafbarkeitsverjährung gemäß § 38 VwGVG iVm § 31 Abs 2 VStG wahrzunehmen, den Bescheid aufzuheben und das Verfahren einzustellen (Weilguni in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG² § 31 Anm 13).
Es liegen daher Umstände vor, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen, das Strafverfahren ist somit gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen. Damit entfällt auch die Haftung der ***A-GmbH*** gem. § 9 Abs. 7 VStG.
Da das Verfahren schon aus diesem Grund einzustellen war, erübrigt es sich auch auf die Frage einer möglichen Doppelbestrafung (Bestrafung als Vertretungsbefugter gem § 9 Abs 2 VStG der ***B-GmbH*** und der ***A-GmbH***) einzugehen (vgl. dazu ).
Da der bekämpfte Bescheid aufzuheben war, konnte gem § 44 Abs 2 VwGVG eine mündliche Verhandlung entfallen.
Zudem sind gem § 52 Abs 8 VwGVG die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerde-führer nicht aufzuerlegen, da der Beschwerde Folge gegeben wurde.
Zu Spruchpunkt III. (Unzulässigkeit der Revision)
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da der Lösung des vorliegenden Falles im Wesentlichen reine Sachverhaltsfragen zu Grunde lagen bzw sich die Rechtsfolge des Eintritts der Strafbarkeitsverjährung unmittelbar aus dem Gesetz (§ 45 Abs 1 Z 2 VStG) ergibt, war gemäß § 25a Abs 1 VwGG die Unzulässigkeit der Revision für die belangte Behörde gegen das vorliegende Erkenntnis auszusprechen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Verwaltungsstrafsachen Wien |
betroffene Normen | § 31 Abs. 2 VStG, Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991 § 45 Abs. 1 Z 2 VStG, Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52/1991 § 16 Abs. 1 Wiener Gebrauchsabgabegesetz 1966, LGBl. Nr. 20/1966 § 2 Z 2 COVID-19-VwBG, Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz, BGBl. I Nr. 16/2020 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7500100.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
JAAAC-28942