Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 12.10.2021, RV/7105757/2018

Der erweiterte Anwendungsbereich des § 295 Abs. 4 BAO i.d. Neufassung BGBl I Nr. 3/2021 schließt das Antragsrecht auch für Bescheide, die im wiederaufgenommenen Verfahren ergangen sind, ein

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende Mag. Manuela Fischer, den Richter Mag. Robert Posch sowie die fachkundigen Laienrichter KR Ing. Georg Senft und Mag. Rudolf Kortenhof in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ebit consulting GmbH Steuerberatungsgesellschaft, Liechtensteinstraße 45A Tür 6, 1090 Wien, und Fritzsche Frank Fletzberger Rechtsanwälte GmbH, Nibelungengasse 11 Tür 4, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom zu Abweisung des Antrags gemäß § 295 Abs. 4 BAO betreffend Aufhebung der Körperschaftsteuerbescheide 2002 und 2003, Steuernummer ***BF1StNr1*** in Anwesenheit der Schriftführerin Sabrina Klein zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO statt gegeben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Am beantragte die ***Bf1*** (davor Bf. i.d.F. Bf. bzw. Bf.), den Körperschaftsteuerbescheid 2002 vom sowie den Körperschaftsteuerbescheid 2003 vom , die im Gefolge von Betriebsprüfungen aufgehoben und in Anwendung von § 303 Abs. 4 BAO neu erlassen worden waren, gemäß § 295 Abs. 4 BAO aufzuheben, da sie auf Basis von Nichtbescheiden ergangen seien.
Der Bescheid 2002 weise ein (gegenüber dem Erstbescheid um € 1.620.073,50) erhöhtes Einkommen aus, wovon € 1.419.156,50 auf Grundlage einer seitens des Finanzamtes nicht anerkannten, mit der Holding (i.d.F. Holding) abgeschlossenen atypisch stillen Gesellschaft stammen würden.
Ebenso sei das dem Körperschaftsteuerbescheid 2003 zugrunde gelegte Einkommen aufgrund einer Betriebsprüfung um € 2.822.939,63 erhöht worden, wobei ein Betrag von € 2.790.560,88 aus der Nichtanerkennung der stillen Gesellschaft herrühre.
Eine Neufestsetzung im Ausmaß der zu Unrecht zugerechneten Tangentenbeträge wurde beantragt.
Der VwGH habe in seiner Entscheidung vom , Zl. 2010/15/0017 festgestellt, dass die Gewinnfeststellungsbescheide der atypisch stillen Gesellschaft als Nichtbescheide zu qualifizieren seien. Begründend sei dazu erläutert worden, dass Rechtsnachfolger der Bf. nicht die Bf. gewesen sei sondern die Ges neu, (i.d.F. Ges neu).
Die Behörde habe zwar am neue, an die richtigen Parteien adressierte Nichtfeststellungsbescheide erlassen, die Steuer aus den (alten) Tangenten würden die Bf. jedoch weiter belasten.
Der Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO sei innerhalb der in § 304 Abs. 4 BAO normierten Frist zu stellen, die im gegenständlichen Fall am , dem Tag der Entscheidung durch den VwGH zu laufen begonnen habe, weshalb der Antrag rechtzeitig gestellt worden sei.

Mit Bescheid vom wurde der Antrag der Bf. auf Aufhebung der Körperschaftsteuerbescheide 2002 und 2003 abgewiesen.
Die Bescheide für 2002 vom sowie für 2003 vom seien in Anwendung des § 303 BAO ergangen und nicht gemäß § 295 BAO abgeändert worden.
Der Grund für die Bescheidänderungen sei darin gelegen, dass im Zuge der Nichtanerkennung einer atypisch stillen Gesellschaft Nichtfeststellungsbescheide gemäß § 188 BAO ergangen seien, in denen ausgesprochen worden sei, dass es zu keiner Feststellung von Einkünften nach dieser Gesetzesstelle komme.
Diese Bescheide seien aufgrund eines irreparablen Zustellmangels nicht rechtswirksam ergangen und würden Nichtbescheide darstellen.
Die Bf. gehe davon aus, dass die in den Feststellungsbescheiden getroffenen Korrekturen, diese seien erst nachträglich als Nichtbescheide erkannt worden, Grund für die Änderungen der Körperschaftsteuerbescheide gewesen seien. Dies sei zwar richtig, gehe jedoch am Formalproblem vorbei. Die Erlassung von auf § 295 BAO gestützten Bescheiden sei zwar erforderlich gewesen, die Behörden hätten sich aber auf § 303 BAO berufen. Die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO sei aus diesem Grund nicht anwendbar.

Die Bf. erhob nach mehreren Fristverlängerungsanträgen am Beschwerde gegen den Bescheid vom .
Die Holding habe sich mit Vertrag vom an der Bf. als atypisch stille Gesellschafterin beteiligt. Die atypisch stille Gesellschaft sei mit Sacheinlage- und Einbringungsvertrag vom beendet worden.
Am sei bei der Bf. eine Abspaltung zur Neugründung erfolgt. Aufnehmende Gesellschaft sei die neu gegründete Ges neu gewesen. Die partielle Gesamtrechtsnachfolge zur Spaltung habe, wie der VwGH im Erkenntnis vom , Zl. 2010/15/0017 erwogen habe, zur Folge gehabt, dass die Ges neu im Abgabenverfahren für die Steuerjahre 2002 und 2003 an die Stelle der Bf. (Bf.) getreten sei.
An die Bf. hätten daher keine Tangenten für die Jahre 2002 und 2003 zu ergehen.
§ 191 Abs. 2 BAO normiere, dass Feststellungsbescheide nach § 188 BAO und Nichtfeststellungsbescheide nach § 190 BAO nach Beendigung der stillen Gesellschaft an die ehemaligen Gesellschafter zu ergehen hätten. Derartige Bescheide seien somit bis zum Zeitpunkt der Spaltung (2005) an die Holding und die Bf. zu adressieren, und danach an die Holding sowie die Ges neu.
Die Nichtfeststellungsbescheide würden die Grundlage für die abgeleiteten Körperschaftsteuerbescheide bilden.
Jahr 2002
Im Jahr 2002 sei zunächst am ein erklärungsgemäßer Körperschaftsteuerbescheid erlassen worden, wobei die Tangente aus der atypisch stillen Beteiligung der Holding zugewiesen worden sei.
Auf Grundlage eines Nichtfeststellungsbescheides vom sei am ein neuer Körperschaftsteuerbescheid ergangen, der formell rechtskräftig geworden sei.
Der Grundlagenbescheid (Nichtfeststellungsbescheid) vom sei in der Folge gemäß § 299 BAO aufgehoben und durch den Nichtfeststellungsbescheid vom ersetzt worden.
Zu diesem habe der VwGH mit Erkenntnis vom , Zl. 2010/15/0017 festgestellt, dass es sich um Nichtbescheide handle, da sie u.a. an die Bf. adressiert gewesen seien und nicht an die Ges neu, die infolge der Spaltung im Jahr 2005 hinsichtlich der atypisch stillen Beteiligung als Rechtsnachfolgerin der Bf. anzusehen sei.
Für den abgeleiteten Körperschaftsteuerbescheid 2002 vom gebe es damit keinen Grundlagenbescheid mehr.
Der Körperschaftsteuerbescheid der Bf. enthalte eine aus der atypisch stillen Gesellschaft resultierende Tangente i.H.v. € 1.419.156,50, der der Ges neu hätte zugewiesen werden müssen.
Auf Grundlage des VwGH-Erkenntnisses habe die Behörde am einen weiteren, diesmal richtig adressierten Nichtfeststellungsbescheid erlassen, mit dem die Tangenteneinkünfte in gleicher Höhe der Ges neu zugerechnet worden seien.
Der Körperschaftsteuerbescheid der Bf. vom , der zuletzt auf dem Nichtfeststellungsbescheid vom basiert habe, sei unverändert geblieben.
Die Tangente für das Jahr 2002 sei somit zweifach, sowohl bei der Bf. wie auch der Ges neu berücksichtigt worden.
Da sich der Körperschaftsteuerbescheid 2002 als materiell unrichtig erwiesen habe, sei ein Antrag nach § 295 Abs. 4 BAO gestellt worden.
Jahr 2003
Die Körperschaftsteuer für das Jahr 2003 sei zunächst mit Bescheid vom festgesetzt worden, wobei eine Tangente i.H.v. € 2.790.560,88 infolge der noch anerkannten atypisch stillen Gesellschaft der Holding zugerechnet worden sei.
Als Folge des vom Finanzamt am als Nichtfeststellungsbescheid intendierten Dokuments sei der Körperschaftsteuerbescheid am insoweit abgeändert worden, als die Gewinne der atypisch stillen Gesellschaft der Bf. zugewiesen worden seien.
Gegen den Nichtfeststellungsbescheid vom sei Berufung erhoben, diese aber abgewiesen worden. In der Folge habe der VwGH in dem benannten Erkenntnis klargestellt, dass der Bescheid mangels Adressierung ins Leere gelaufen sei.
Ebenso wie im Vorjahr hätte die Tangente nicht der Bf. sondern der Ges neu zugerechnet werden müssen.
Basierend auf dem VwGH-Erkenntnis habe die Behörde am einen neuen, richtig adressierten Nichtfeststellungsbescheid erlassen, mit dem die aus der atypisch stillen Gesellschaft resultierende Tangente der Ges neu zugerechnet worden sei.
Der an die Bf. ergangene Körperschaftsteuersteuerbescheid 2003 sei wie der Bescheid des Vorjahres unverändert geblieben. Die Tangente des Jahres 2003 i.H.v. € 2.790.560,88 somit im Ergebnis zweimal berücksichtigt worden.
In ihrer rechtlicher Beurteilung verweist die Bf. auf die Funktion der Bestimmung des § 295 Abs. 1 BAO die darin bestehe, abgeleitete Bescheide mit den aktuellen Inhalten der zu Grunde liegenden Feststellungsbescheide in Einklang zu bringen ().
Gegenständlich seien die ursprünglichen Körperschaftsteuerbescheide durch neue Bescheide ersetzt worden, um den (vermeintlichen) Nichtfeststellungsbescheiden Rechnung zu tragen.
Da sich erst in der Folge herausgestellt habe, dass es sich bei den Grundlagenbescheiden um Nichtbescheide gehandelt habe, habe die Bf. die Aufhebung der materiell unrichtigen Körperschaftsteuerbescheide 2002 und 2003 vom bzw. beantragt, da sie sich auf Nichtbescheide stützen würden.
Der Antrag sei mit Bescheid vom abgewiesen worden.
Die Begründung des bekämpften Bescheides, wonach die Körperschaftsteuerbescheide 2002 und 2003 auf Grundlage des § 303 BAO und nicht des § 295 (1) BAO erlassen worden seien sei unerheblich, da das Vorgehen der Behörde objektiv den Tatbestand des § 295 (1) BAO erfülle. Auch die belangte Behörde gestehe in ihrer Bescheidbegründung zu, dass ein Vorgehen nach § 295 Abs. 1 BAO erforderlich gewesen wäre.

Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen.
Nach wörtlicher Wiedergabe der Beschwerde erläutert die Behörde, dass einer Aufhebung von Bescheiden nach § 295 (4) BAO 3 Voraussetzungen zu Grunde liegen würden:
- die Zurückweisung einer Bescheidbeschwerde (als unzulässig) gegen einen Nichtbescheid und somit gegen eine Erledigung, die als Feststellungsbescheid i.S.d. § 188 BAO oder als Nichtfeststellungsbescheid beabsichtigt gewesen sei;
- einen auf § 295 Abs. 1 BAO gestützten Abgaben- (bzw. Feststellungs-)bescheid, der erlassen wurde, weil der Nichtbescheid zu Unrecht als Grundlagenbescheid qualifiziert worden sei;
- einen Antrag der Partei im ,abgeleiteten' Verfahren, der vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge maßgeblichen Frist des § 304 BAO gestellt worden sei.
Die Behörde wiederholte, dass sich die Körperschaftsteuerbescheide auf § 303 BAO und nicht auf § 295 (1) BAO gestützt hätten, weshalb die zweite dargestellte Voraussetzung nicht vorliege.

Am brachte die Bf. eine Vorlageantrag ein.
Darin wurde ergänzend festgestellt, dass die Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Bruck Leoben Mürzzuschlag vom (StNr. 65 103/3573) zur Beschwerde der X (vormals Y) sowie der Holding als Rechtsnachfolger der ehemaligen atypisch Stillen abgewiesen und rechtskräftig geworden sei. Damit seien die aufgrund der steuerlich nicht anerkannten stillen Gesellschaft resultierenden Tangenten der Jahre 2002 und 2003 der X (Rechtsnachfolger der Ges neu) endgültig zugerechnet worden was bedeute, dass sie bei der Bf. ein weiteres Mal und im Ergebnis bei zwei Steuersubjekten berücksichtigt worden seien.

In der am abgehaltenen mündliche Verhandlung verwies die Bf. auf die Aufhebung des § 295 Abs. 4 BAO (alte Fassung) durch den VfGH und den Anwendungsvorrang der neuen Fassung. Diese habe nicht mehr die Aufhebung eines auf § 295 Abs. 1 gestützten Bescheides zur Voraussetzung, sondern beziehe sich auf jegliche Art von Bescheiden, die auf Grundlage eines Nichtbescheides ergangen seien. Auf entsprechende Judikatur sowie Gesetzesmaterialien wurde verwiesen.
Die Behörde erläuterte, dass bei der Bf. im Rahmen von Prüfungen festgestellt worden sei, dass es nicht erklärte Gewinne aus einem Betrieb gab, da diese davon ausgegangen sei, dass eine atypisch stille Gesellschaft vorliege und die Gewinne bei der Holding zu besteuern seien. Die Behörde habe die Gesellschaft nicht anerkannt. Aus den Zahlen der Bescheide (Anmerkung: gemeint die Körperschaftsteuerbescheide) sei erkennbar, dass es unabhängig von diesem Umstand noch weitere Feststellungen bei der Bf. gegeben habe.
Die Bf. verwies darauf, dass diese Ausführungen in diametralem Gegensatz zur Begründung des angefochtenen Bescheides stehen, wonach die Erlassung von auf § 295 BAO gestützten, abgeleiteten Bescheiden erforderlich gewesen sei.
Die Behörde ergänzt, dass für das Jahr 2002 vom VwGH festgestellt wurde, dass der Nichtfeststellungsbescheid vom ein Nichtbescheid sei. Da der Körperschaftsteuerbescheid 2002 im Jahr 2007 erlassen worden sei, sei eine Ableitung von einem Nichtbescheid nicht denkbar.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

§ 295 Abs. 1 BAO lautet:
Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben. Mit der Änderung oder Aufhebung des abgeleiteten Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist.

§ 295 Abs. 4 BAO i.d.F BGBl. I Nr. 62/2019 lautet:
Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines
- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines
- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument
gestützte Änderungsbescheide (Abs. 1) auf Antrag der Partei (§ 78) aufzuheben. Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen.

Der VfGH hat im Erkenntnis , Zl G159/2019 die Unsachlichkeit der für Wiederaufnahmeanträge geltenden Frist betreffend Anträge auf Aufhebung eines "abgeleiteten" Bescheides wegen absoluter Nichtigkeit des "Grundlagenbescheides" festgestellt und den Satz ,Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach §304 maßgeblichen Frist zu stellen.' mit Ablauf vom als verfassungswidrig aufgehoben.

Mit BGBl. I Nr. 3/2021 wurde § 295 Abs. 4 BAO abgeändert und trat am mit folgendem Wortlaut in Kraft:
(4) Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt
- eines Feststellungsbescheides (§ 188) oder
- eines Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,
gerichtet ist, als unzulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das Dokument
gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz gilt sinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben wird.

Wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung (zuletzt Ra 2019/13/0111 vom ) judiziert, sind verfahrensrechtliche Bestimmungen (Normen des Verfahrensrechts) im Allgemeinen ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens auch auf Sachverhalte bzw. Rechtsvorgänge anzuwenden, die sich davor ereignet haben (vgl. ; , Ra 2019/13/0067, jeweils mwN; vgl. auch Stoll, BAO-Kommentar, 62; Mairinger/Twardosz, ÖStZ 2007, 16 [17]).

Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Körperschaftsteuer 2002
Der Körperschaftsteuerbescheid 2002 erging zunächst antragsgemäß am . Aufgrund einer vermeintlich rechtsgültig abgeschlossenen Vereinbarung über eine atypisch stille Gesellschaft mit der Holding wurden dieser laut Erklärungsbeilage die gesamten, von der Bf. erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. € 1.419.156,50 zugewiesen.
Am erging ein antragsgemäßer Gewinnfeststellungsbescheid an die atypisch stille Gesellschaft.
Im Zuge einer Außenprüfung für das Jahr 2002 wurde die atypisch stille Gesellschaft mangels fremdüblicher Vereinbarungen nicht anerkannt. Dies führte zu einem Nichtfeststellungsbescheid vom , der in der Folge gemäß § 299 BAO aufgehoben (Grundlage dafür war der Umstand, dass diesem keine Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens voranging)und durch einen Nichtfeststellungsbescheid vom ersetzt wurde und in dem ausgesprochen wurde, dass eine Feststellung von Einkünften zu unterbleiben hat. Folge des ersten ergangenen Nichtfeststellungsbescheides sowie weiterer Feststellungen der Außenprüfung war ein im wiederaufgenommenen Verfahren neu festgesetzter Körperschaftsteuerbescheid vom , in dem der in Abzug gebrachte Gewinnanteil neutralisiert und zudem weitere Feststellungen der Ap. getroffen wurden.
Im Feststellungsverfahren wurde am Berufung gegen den Nichtfeststellungsbescheid für 2002 erhoben.
Körperschaftsteuer 2003
Der Körperschaftsteuerbescheid 2003 erging erklärungsgemäß am .
Die Bf. sowie die atypisch stille Gesellschaft wurden einer weiteren Prüfung für die Jahre 2003 bis 2006 unterzogen.
Aufgrund der Würdigung der Ap. bei der atypisch stillen Gesellschaft erging am ein an die Bf. gerichteter Nichtfestellungsbescheid in dem das Finanzamt aussprach, dass für dieses Jahr keine Einkünfte festzustellen seien, wobei zur Begründung auf den Ap.-Bescheid für das Jahr 2002 verwiesen wurde.
Folge war ein im wiederaufgenommenen Verfahren erlassener Körperschaftsteuerbescheid für 2003 vom , in dem einerseits der Abzug der, der V&N Holding laut Erklärung zugewiesen von ihr erzielten Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. € 2.790.560,88 neutralisiert und andererseits weitere Feststellungen die Bf. betreffend getroffen wurden.
Im Feststellungsverfahren wurde am Berufung gegen den Nichtfeststellungsbescheid für 2003 erhoben.

Der Rechtsgang im Feststellungsverfahren u.a. für die Veranlagungsjahre 2002 und 2003 endete mit Erkenntnis des Zl. 2010/15/0017 in dem die Beschwerde zurückgewiesen wurde, nachdem der Bescheid an die Bf. und nicht an die Ges neu (aufgrund partieller Gesamtsrechtsnachfolge) zu richten gewesen war.
Am stellte die Bf. den Antrag auf Aufhebung der Körperschaftsteuerbescheide 2002 und 2003 gemäß § 295 Abs. 4 BAO, der mit dem gegenständlich bekämpften Abweisungsbescheid vom abgewiesen wurde.
Mit Eingabe vom wurde (nach mehreren Fristverlängerungsansuchen) Beschwerde erhoben, die mit Beschwerdevorentscheidung vom abgewiesen wurde.
Die Bf. stellte in der Folge am einen Vorlageantrag gemäß §264 Abs. 1 BAO.

Rechtzeitigkeit der Beschwerde
Wenn die Bf. bei Einbringung der des Antrags gemäß § 295 (4) BAO zur Rechtzeitigkeit des Antrags vermeinte, dieser sei fristenwahrend eingebracht worden, nachdem für dessen Berechnung der Tag der Entscheidung durch den VwGH im Feststellungsverfahren vom anzusehen sei, war sie damit im Unrecht.
Nach dem Erkenntnis des lässt die Bezugnahme des § 295 (4) BAO auf den in § 304 BAO festgelegten Ablauf der Frist für Wiederaufnahmen keinen Zweifel daran, dass sich diese auf den abgeleiteten Bescheid bezieht, der gegenständlich für den Antrag betreffend der Aufhebung des Körperschaftsteuerbescheides für 2002 nach § 295 (4) BAO gemäß alter, bis geltender Rechtslage, als verspätet zu werten gewesen wäre.
Dass dennoch keine Verfristung vorliegt, ergibt sich aus der im Zuge des Covid-19-StMG, BGBL I 3/2021 geänderten Fassung des § 295 (4) BAO, die eine Frist von einem Jahr ab Rechtskraft der Zurückweisung vorsieht.
Der Zurückweisungsbescheid des VwGH erging mit Erkenntnis Zl. 2010/15/0017 vom , die Einbringung des Aufhebungsantrages mit Eingabe vom . Damit wurde sowohl die für den Aufhebungsantrag des Jahres 2002 wie auch für 2003 maßgebliche Frist gewahrt.

Antragsrecht gemäß § 295 (4) BAO
Die Neufassung des § 295 (4) in der zit. Form brachte nicht nur eine Neuregelung der Antragsfrist, sondern auch eine Erweiterung des Anwendungsbereiches mit sich.
Bestand die Bindung an Feststellungsbescheide nach alter Fassung nur für Änderungsbescheide gemäß § 295 (1) BAO, erfolgte durch Neufassung der Formulierung von ,Änderungsbescheide (Abs. 1)' durch ,Bescheide' eine Erweiterung des Antragsrechts auf alle Bescheide, die auf den Nichtbescheid gestützt sind (vgl. Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren3, § 295 Rz. 6).

Die in Ritz, BAO6, § 295 Rz. 21b dargestellten Voraussetzungen für die Aufhebungen, die u.a.
- einen auf § 295 Abs. 1 gestützten Abgaben- (bzw. Feststellungs-)bescheid, der erlassen wurde, weil der Nichtbescheid zu Unrecht als Grundlagenbescheid qualifiziert wurde'
erfordert, wobei diese Begründung zentrale Grundlage für die Abweisung des gegenständlich bekämpften Bescheides bzw. der BVE darstellt, erweisen sich im Lichte der gesetzlichen Neufassung als nicht mehr zutreffend.

Im gegenständlichen Fall ergingen die Körperschaftsteuerbescheide im wiederaufgenommenen Verfahren nach § 303 (4) BAO und liegen damit Bescheide gemäß § 307 BAO vor.

Ritz beschäftigte sich in einem Artikel (AFS 2017, 162) mit den Folgen von Nichtbescheiden nach der damals geltenden Rechtslage und sah bei der Fassung von § 295 (4) BAO legistischen Handlungsbedarf nicht nur hinsichtlich der zu kurzen Antragsfrist, sondern auch betreffend des zu geringen Anwendungsbereiches.
Sein Vorschlag einer legistischen Lösung, der Neufassung des § 295 (4) BAO wurde (mit Ausnahme des hinzugetretenen 4. Satzes) wortident in die BAO übernommen.
Gemäß seiner Kommentierung der von ihm vorgeschlagenen Neufassung sollen damit bestehende Nachteile der geltenden Gesetzeslage beseitigt werden, wobei er dazu u.a. ausführt:
,Dieses Beschwerderecht besteht gleichermaßen, wenn Einkünfte beispielsweise in einem den Veranlagungsbescheid ändernden Bescheid (z.B. gemäß §295 Abs. 1 BAO gestützt auf einen nachträglich erlassenen oder abgeänderten Feststellungsbescheid) oder in einem neuen Sachbescheid iSd § 299 Abs. 2 BAO oder iSd § 307 Abs. 1 BAO in der im Nichtbescheid ausgewiesenen Höhe berücksichtigt sind.'

Den parlamentarischen Unterlagen zur gesetzlichen Neufassung ist dazu in den erläuternden Bemerkungen zum Initiativantrag zu entnehmen:
,…Mit der Änderung wird für die Partei die Möglichkeit geschaffen, einen Antrag auf Aufhebung des Bescheides zu stellen, der sich auf den Nichtbescheid gestützt hat. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage betrifft die Aufhebung damit nicht nur Änderungsbescheide gemäß § 295 Abs. 1 BAO sondern alle Bescheide, die auf den Nichtbescheid gestützt sind…'

Aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes, der überdies in den erläuternden Bemerkungen seinen Niederschlag fand, ergibt sich daher eindeutig, dass das Antragsrecht des § 295 (4) BAO auf alle diesbezüglichen Bescheide Anwendung findet.

Zur Ansicht der Behörde, wonach die vom VwGH als Nichtfeststellungsbescheid erkannte Erledigung des Jahres 2002 vom stammt und damit nicht Grundlage des (abgeleiteten) Körperschaftsteuerbescheides vom sein kann ist festzuhalten:
Der (erste) Nichtfeststellungsbescheid für 2002 erging am und war Grundlage des fraglichen Körperschaftsteuerbescheides. Die Aufhebung dieses Nichtfeststellungsbescheides gemäß § 299 BAO erfolgte (wie aus dem VwGH-Erkenntnis hervorgeht), da im Zuge von dessen Erlassung keine Wiederaufnahme verfügt worden war. Dieser Umstand wurde mit dem am erlassenen, inhaltlich unverändert gebliebenen Nichtfeststellungsbescheid saniert.
Nach Ansicht des Senates ist der daraus von der Behörde gezogene Schluß, dass § 295 (4) BAO auf Grundlage dieses Umstandes nicht zur Anwendung gelangen kann, nicht zutreffend, lag dem Körperschaftsteuerbescheid doch ein Nichtfeststellungsbescheid zu Grunde, der durch die spätere Wiederaufnahme keine inhaltliche Änderung erfuhr.
Sollte man jedoch zur Ansicht gelangen, dass der Nichtfeststellungsbescheid vom zu einer materiellrechtlichen Änderung des Körperschaftsteuerbescheides vom führen sollte, wäre dieser Körperschaftsteuerbescheid ohnedies gemäß § 295 (1) BAO aufzuheben und neu festzusetzen gewesen.

Die im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Körperschaftsteuerbescheide der Jahre 2002 und 2003 berechtigen daher auf Grundlage der anzuwendenden gesetzlichen Vorschrift zur Stellung eines Antrags gemäß § 295 Abs. 4 BAO.

Ob die Behörde nach Aufhebung der Bescheide die von der Bf. beantragten Änderungen, die alleine von der Erlassung der Nichtfestsetzungsbescheide herrühren und somit nicht die von der Ap. getroffenen (sonstigen) Feststellungen umfassen, unter Bedachtnahme auf die Verjährungsregelungen im Zuge der Neuerlassung der Bescheide antragsgemäß festzusetzen vermag, wird sie im Einzelfall zu klären haben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob Bescheide, die sich nicht ausschließlich auf Zurückweisungsbescheide stützen, einem Antrag nach § 295 (4) BAO n.F. zugänglich sind, bzw. inhaltlich unveränderte, im wiederaufgenommenen Verfahren zeitlich nach dem abgeleiteten Bescheid ergangene Grundlagenbescheide von dem Antragsrecht umfasst sind, fehlt, war eine Revision als zulässig zu erklären.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7105757.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at