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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.09.2021, RV/7102414/2021

Eigenantrag auf erhöhte Familienbeihilfe wegen Intelligenzminderung; in den Gutachten des SMS wurde die Erwerbsunfähigkeit wegen fehlender Unterlagen nicht vor dem 21. Lebensjahr bescheinigt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK


Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pavlik über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Christoff Wolfgang Beck, Wiesingerstraße 8, 1010 Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe ab Oktober 2019, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (Bf), geb. 1977, stellte im Wege ihres Erwachsenenvertreters am einen Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages wegen Intelligenzminderung.

Der Antrag wurde vom Finanzamt (FA) mit Bescheid vom ab Oktober 2019 unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut des § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) mit der Begründung abgewiesen, dass der Untersuchungstermin beim Sozialministeriumservice (kurz: SMS) nicht wahrgenommen worden sei, weswegen kein Grad der Behinderung festgestellt werden habe können.

Gegen den Abweisungsbescheid wurde vom Erwachsenenvertreter am Beschwerde erhoben und vorgebracht, dass die Bf neben ihrer psychischen Erkrankung, verbunden mit einer Intelligenzminderung, auch an einer Angst vor Ärzten leide. Aus diesem Grund sei es sehr schwierig, sie zum Besuch solcher Termine zu motivieren. Leider habe sie sich auch am geweigert, den zuständigen Sozialarbeiter zu dem Termin zu begleiten. Frau Bf habe sich derart aufgeregt, dass der Sozialarbeiter so damit beschäftigt gewesen sei, Frau Bf zu beruhigen, dass er in der Hektik vergessen habe, das Sozialministerium über ihr Nichterscheinen zu informieren.

Es ergehe das höfliche Ersuchen um Ausgabe eines neuen Termins, auf welchen Frau Bf ausgiebig vorbereitet werde, sodass das gegenständliche Verfahren fortgesetzt werden könne.

Das FA forderte auf Grund der Beschwerde beim Sozialministeriumservice neuerlich ein Gutachten an. Die Bf erschien am zur Untersuchung. Folgendes Gutachten wurde von Dr.in Dok1, Fachärztin für Psychiatrie, erstellt:

Anamnese:
Aufgrund von Sprachbarriere erschwerte Anamneseerhebung. Laut Auskunft der ho. anwesenden Bezugsbetreuerin der Antragsstellerin sei die Antragstellerin, nachdem es zu Spannungen mit dem Vater der Antragstellerin gekommen sei, seit ca. 2 J. im betreuten Wohnen der Lebenshilfe, davor habe die Antragstellerin bei ihren Eltern gelebt. Derzeit besuche die Antragstellerin eine Tagesstruktur in der "Werkstatt 15", es bestehe eine aufrechte Erwachsenenvertretung. Aktuelle befundliche Dokumentation einer psychischen Erkrankung sei nicht vorliegend, da sich die Antragstellerin weigere, Arzttermine wahrzunehmen.

Derzeitige Beschwerden: Die Antragstellerin berichtet über subj. Wohlbefinden. Befragt nach den Gründen ihrer Erwachsenenvertretung kann die Antragstellerin keine Angaben machen. Bezügl. anamnestischer Angaben (Ausbildung, berufl. Entwicklung, Tagesstruktur) macht die Antragstellerin widersprüchliche, nicht verwertbare Angaben. Die ho. anwesende Betreuungsperson der Lebenshilfe (teilbetreutes Wohnen) gibt an, die Antragstellerin beim Einkaufen, beim Umgang mit Geld, bei Außenterminen, Freizeitgestaltung sowie Raumpflege zu unterstützen. Nahrungszubereitung erledige die Antragstellerin selbst.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Keine FÄ-psychiatr. Behandlung.
Keine Psychotherapeut. Behandlung.

Medikation laut Befundbericht Dr. H. (): Eiseninfusion

Sozialanamnese:
Antragstellerin in China geboren. Im 14. Lj. nach Österr. gekommen. Laut eigenen Angaben HS und Polytechnikum absolviert. Laufende Tagesstruktur in Werkstatt 15. Sonstige Ausbildung /berufl. Werdegang nicht explorierbar. Besachwaltet. Teilbetreutes Wohnen Lebenshilfe.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Sachwalterschaftsgutachten Dr. M. ():
Diagostisch leichte Intelligenzminderung mit sozialer und emotionaler Unreife; sowohl auf einfacher als auch komplexer inhaltlicher Ebene nicht fähig, Zusammenhänge zu erkennen bzw. deren Notwendigkeit erfassen, beurteilen und danach handeln zu können.

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: altersentsprechend
Ernährungszustand:
Größe: cm Gewicht: kg Blutdruck:
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
Gesamtmobilität - Gangbild:
Psycho(patho)logischer Status:
Wach, bewusstseinsklar, zeitlich und situativ eingeschränkt orientiert. Zeitrasterstörung. Komplexe Überblicksgewinnung reduziert. Auffassung reduziert. Konzentration grobklinisch unauffällig. Im Verhalten freundlich und angepasst. Duktus im Rahmen der Sprachbarriere nicht prüfbar. Keine Hinweise auf produktiv-psychot. Symptomatik. Affizierbarkeit in beiden Skalenbereichen gegeben. Ängstliche Befindlichkeit. Schlaf unauffällig. In den ADLs eingeschränkt. Keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung fassbar.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Auf Grund des vorgelegten Befundes kann EU ab 7/2011 bestätigt werden. Eine weiter zurückreichende Bestätigung von EU ist auf Grund fehlender Befundvorlage nicht möglich.

Dauerzustand: ja

Das FA wies die Beschwerde unter Zugrundelegung der in dem vorstehend angeführten Gutachten getroffenen Feststellungen mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Volljährige Vollwaisen haben gemäß § 6 Abs. 2d unter anderem dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

Gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht.

Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Nachdem der Untersuchungstermin zur Feststellung einer Erwerbsunfähigkeit nicht wahrgenommen und Ihr Antrag somit abgewiesen wurde, erfolgte auf Grund Ihrer Beschwerde die Anforderung eines weiteren ärztlichen Sachverständigengutachtens.

Die Beschwerdeschrift wurde dabei der untersuchenden Behörde zur Kenntnis gebracht.

Lt. dem übermittelten Sachverständigengutachten vom , wurde auf Grund der Untersuchung am ein Gesamtgrad der Behinderung von 70% sowie der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit mit 7/2011 festgestellt.

In der Entscheidung des wurde hinsichtlich des Eintritts der Behinderung folgendes festgestellt:

"Eine Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 mit einen Grad von mindestens 50 v.H. bzw. einer damit verbundenen voraussichtlichen dauernden Erwerbsunfähigkeit kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt, sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche (bei i. W. unter 21jährigen) einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist bzw. (bei i. W. über 21jährigen) eine damit verbundene voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht bzw. die voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit nach sich zieht (vgl. ; ; VwGH2. 7. 2015, 2013/16/0170; )."

In Ihrer Stellungnahme vom wurde auf die schlüssige Feststellung des Behinderungsgrades hingewiesen und damit die Schlüssigkeit des Gutachtens nicht in Zweifel gezogen.

Eine Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ist jedoch nur dann möglich, wenn das Kind wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Im betreffenden Gutachten wurde der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit jedoch erst mit dem 34. Lebensjahr (7/2011) festgestellt.

Mangels Vorliegens der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen muss Ihre Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden."

Der Erwachsenenvertreter stellte am mit der folgenden Begründung einen Vorlageantrag:

"… Aus dem Sachverständigengutachten geht allerdings hervor, dass der Grad der Behinderung von 70 % erst deshalb ab 07/2011 bestätigt werden könne, weil eine weiter zurückreichende Bestätigung aufgrund fehlender Befundvorlage nicht möglich gewesen sei.

Die Nichtvorlage gründet darauf, dass der Erwachsenenvertreter der Beschwerdeführerin keine früheren Befunde vorliegen und diese trotz Bemühungen auch nicht von dritter Seite aus beschafft werden konnten.

Aus dem Krankheitsbild der Beschwerdeführerin geht jedoch eindeutig hervor, dass der Grad der Behinderung bereits seit ihrer Geburt vorliegt.

Aus dem bereits vorgelegtem Gutachten vom geht hervor, dass der Vater der Beschwerdeführerin bereits am die Sachwalterschaft für diese angeregt hatte. Die Betroffene sei seit der Geburt geistig nicht voll entwickelt (Gutachten vom , Seite 2) Es ist nicht nachvollziehbar, dass im Sachverständigengutachten des BASB Landesstelle Wien vom nicht festgestellt werden konnte, dass die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist. Schon aufgrund des Krankheitsbildes sowie nach Begutachten der Beschwerdeführerin müsste dies für eine Sachverständige eindeutig feststellbar sein.

Darüber hinaus hätte die Behörde - für den Fall, dass sie nicht schon aufgrund des Krankheitsbildes von der Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin vor dem 21. Lebensjahr ausgeht - aufgrund der amtswegigen Ermittlungspflicht nach § 39 AVG weitere Erhebungen anstellen müssen…"

Die Bf. wurde am neuerlich untersucht und von Dr. Dok2, Facharzt für Psychiatrie, folgendes Gutachten erstellt:

Anamnese:
VGA 10/20: 70% seit 7/11 (Gutachten Dr. M.) Beschwerde, dass die Beeinträchtigung schon seit Geburt vorliege, es liegt eine Intelligenzminderung vor, die AW versteht schlecht deutsch, sie sei seit 1989 in Österreich, HS Abschluss, sie habe bei den Eltern gelebt, sie habe als Küchengehilfin gearbeitet, sie sei jetzt bei der Lebenshilfe (weiß nicht seit wann)

Derzeitige Beschwerden: keine besonderen Beschwerden

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: 0

Sozialanamnese:
lebt in betreuter WG, Werkstätte der Lebenshilfe, keine Angaben über Einkommen, kein Pflegegeld , keine Erwachsenenenvertretung

Zusammenfassung relevanter Befunde (ink). Datumsangabe): keine rezenten Befunde

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:
Ernährungszustand:
Größe: cm Gewicht: kg Blutdruck:
Status (Kopf/ Fußschema)- Fachstatus:

Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt. An den oberen Extremitäten bestehen rechtsseitig keine Paresen, linksseitig bestehen keine Paresen. Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar. Die Koordination ist intakt. An den unteren Extremitäten bestehen rechtsseitig keine Paresen, linksseitig, bestehen keine Paresen, Fersen/ Zehenspitzen/ Einbeinst bds. möglich, die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar. Die Koordination ist intakt. Die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben. Das Gangbild ist ohne Hilfsmittel unauffällig:

Gesamtmobilität - Gangbild:
Psycho(patho)logischer Status:
versteht schlecht deutsch, einfach strukturiert, teilorientiert, Auffassung reduziert, gut affizierbar, nicht produktiv; keine Schlafstörung

Frau ***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA. Dies besteht seit: 07/2011

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist gegeben, da höher gradige kognitive Beeinträchtigungen vorhanden sind, welche eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht möglich machen.

Dauerzustand: ja

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

Feststellungen:

Die Bf. ist 1977 geboren und vollendete 1998 das 21. Lebensjahr.

Die Bf bezieht seit 2012 Pflegegeld (Stufe 1) und stand von 1994 bis 2003 immer wieder in einem Beschäftigungsverhältnis und bezog daraus geringe Einkünfte.

Aus den Anamnesen der Sachverständigengutachten ergibt sich, dass die Bf seit 1989 in Österreich wohnt, die Hauptschule absolvierte und das Polytechnikum gemacht hat. Danach hat die Bf als Küchengehilfin gearbeitet.

Die Bf wohnte bei ihren Eltern und befindet sich seit ca. zwei Jahren im betreuten Wohnen der Lebenshilfe. Sie ist seit mit einem Hauptwohnsitz bei der Lebenshilfe Wien, Verein für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, in Adresse, gemeldet.

Im Sachwalterschaftsgutachten vom diagnostizierte Dr. M. der Bf. eine leichte Intelligenzminderung mit sozialer und emotionaler Unreife; sie sei sowohl auf einfacher als auch komplexer inhaltlicher Ebene nicht fähig, Zusammenhänge zu erkennen bzw. deren Notwendigkeit erfassen, beurteilen und danach handeln zu können. Der Behinderungsgrad wurde mit 70 vH rückwirkend ab Juli 2011 festgestellt.

Die mit dem Gutachten vom befasste Fachärztin für Psychiatrie stellte bei der Bf nach Anamneseerhebung und durchgeführter Untersuchung sowie unter Heranziehung des Gutachtens von Dr. M. vom eine leichte Intelligenzminderung fest und reihte die Erkrankung unter die Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 70 vH., rückwirkend ab Juli 2011, ein. Der Rahmensatz wurde wie folgt begründet: Leichte Intelligenzminderung. Eine Stufe unter dem oberen Rahmensatz bei betreuter Arbeitsform (Tagesstruktur) und Notwendigkeit von Besachwaltung und Wohnbetreuung. Teilselbstständigkeit in manchen Bereichen jedoch erhalten.

Der Bf wurde eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt, jedoch weder vor dem 18. noch vor dem 21. Lebensjahr.

Diese Einschätzung wurde damit begründet, dass auf Grund des vorgelegten Befundes eine Erwerbsunfähigkeit ab Juli 2011 bestätigt werden könne. Eine weiter zurückreichende Bestätigung von Erwerbsunfähigkeit sei auf Grund fehlender Befundvorlage nicht möglich.

Im Gutachten vom bescheinigte der Sachverständige, ebenfalls ein Facharzt für Psychiatrie, der Bf erneut einen Gesamtgrad der Behinderung von 70 vH und eine Erwerbsunfähigkeit, beides rückwirkend ab Juli 2011, und hielt fest, dass es keine Änderungen zum Vorgutachten gäbe.

Das BFG stellt fest, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit der Bf, resultierend aus einer körperlichen oder geistigen Behinderung, (erst) ab Juli 2011, somit weit nach Vollendung des 21. Lebensjahres, besteht.

Beweiswürdigung:

Dieser Sachverhalt beruht auf den durchgeführten Anamnesen, den von der Bf vorgelegten Befunden von Dr. H. vom , dem Sachwalterschaftsgutachten von Dr. M. vom , den im Zuge des Antragsverfahrens erstellten Gutachten vom und vom , einer internen Datenbankabfrage und der ZMR-Abfrage vom .

Das Bundesfinanzgericht gelangt aus den nachstehend angeführten Gründen zum Ergebnis, dass die in den Gutachten übereinstimmend getroffenen Feststellungen, wonach bei der Bf erst seit Juli 2011 ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 % und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit, rückwirkend ab Juli 2011, vorliegt, mit größter Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entspricht.

Die Bf stand laut Abfrage aus der internen Datenbank jedenfalls von 1994 bis 2003 immer wieder in einem Beschäftigungsverhältnis und bezog daraus geringfügige Einkünfte.

Die Bf bezieht erst seit 2012 Pflegegeld (Stufe 1).

Die beiden im Zuge des Verfahrens erstellten Gutachten sind schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei.

Auf die Art der Leiden und deren Ausmaß wurde ausführlich eingegangen.

Das Gutachten von Dr. M. ist in die Beurteilung eingeflossen und steht nicht im Widerspruch zu den gutachterlichen Beurteilungen.

Von der Bf wurden keine relevanten Befunde vorgelegt, aus denen der Eintritt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr abgeleitet hätte werden können.

Die Ausführungen der Sachverständigen im Gutachten, dass eine weiter zurückreichende Bestätigung von Erwerbsunfähigkeit auf Grund fehlender Befundvorlage nicht möglich war, sind einleuchtend und überzeugend, da der Arzt die Beeinträchtigung durch eine Erkrankung bzw. Behinderung naturgemäß nur zum Zeitpunkt der Untersuchung mit Sicherheit feststellen kann und eine Einschätzung über Zeiträume, die bereits 20 Jahre oder mehr zurückliegen, in den meisten Fällen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in aller Regel nur bei Vorliegen von relevanten Befunden vornehmen kann.

Das Vorbringen des Erwachsenenvertreters, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass im Sachver-ständigengutachten des BASB Landesstelle Wien vom nicht festgestellt habe werden können, dass die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres ein-getreten ist, da dies aus dem Krankheitsbild der Bf eindeutig hervorgehe und die Behinderung bereits seit Geburt vorliege und aus dem vorgelegten Gutachten vom hervorgehe, dass die Bf seit der Geburt geistig nicht voll entwickelt sei, war somit nicht geeignet, die von den Sachverständigen getroffenen Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Gesetzliche Grundlagen:

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 legt fest, in welchem Ausmaß sich die Familienbeihilfe bei einem erheblich behinderten Kind erhöht.

Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundes-amtes für Soziales und Behindertenwesen (nunmehr: Sozialministeriumservice) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behindertenein-stellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

In der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, geändert durch BGBl. II Nr. 251/2012, ist Folgendes normiert:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehendgilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der funktionellen Einschränkungen in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderungzu bewirken, liegt vor, wenn

- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilunggerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten…"

Rechtliche Beurteilung:

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe:

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, § 8, Rz 5 ). Das bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr einge-tretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, § 8, Rz 21).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist für die Erfüllung des Tatbestandes des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 bei geistiger oder körperlicher Behinderung der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eine Erwerbsunfähigkeit bewirkt. Es kommt weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt (vgl. ; ; ).

Gutachten - Allgemeines:

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. z.B. ; ).

Bescheinigung des Sozialministeriumservice:

Nach den Bestimmungen des § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher: Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens) nachzuweisen (vgl z.B. ; ; ; ).

Das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG 1967 hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl. ; ; ).

Das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu , und , sowie ) hat sich im Fall, dass ein volljähriger Antragsteller die erhöhte Familienbeihilfe beantragt, darauf zu erstrecken, ob die 50%ige Behinderung oder die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist (vgl. etwa ).

Erwerbsfähigkeit:

Der VwGH stellte in ständiger Rechtsprechung zur Erwerbsfähigkeit iSd Pensionsgesetzes 1965 fest, dass die Person in der Lage sein müsse, durch eigene Arbeit einen wesentlichen Beitrag zum Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Fähigkeit sei abstrakt zu beurteilen, d.h. es sei nicht entscheidend, ob die in Frage kommenden Tätigkeiten gerade am Arbeitsmarkt verfügbar seien oder nicht, es müsse sich aber um eine Beschäftigung handeln, die grundsätzlich Gegenstand des allgemeinen Arbeitsmarktes sei; es komme aber sehr wohl darauf an, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Einsatzfähigkeit für bestimmte Tätigkeiten (Berufsbilder) vorlägen. Hierbei sei weiters zu berücksichtigen, ob die Einsatzfähigkeit auch im Hinblick auf die üblichen Erfordernisse in der Arbeitswelt (z.B. Einhaltung der Arbeitszeit oder Fähigkeit zur Selbstorganisation) noch gegeben sei (vgl. das Erkenntnis des BVwG vom , GZ. W228 2136072-1, unter Verweis auf das Erkenntnis des ).

Feststellung, in welchem Ausmaß eine Behinderung gegeben ist bzw. wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist:

Die Aufgabe des Arztes als Gutachter bzw. fachkundiger Berater des Gerichtes oder sonstiger Auftraggeber besteht darin, entsprechend den ihm vom Auftraggeber gestellten Beweisfragen medizinische Befunde zu erheben und diese unter Berücksichtigung der sonstigen ihm zugänglich gemachten Informationen auf der Basis medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlichen Erfahrungswissens zu bewerten, um so dem "Auftraggeber" (hier: FA) eine Entscheidung der rechtlich erheblichen Fragen zu ermöglichen.

Demgemäß werden bei der Feststellung, ab welchem Zeitpunkt ein bestimmter Grad der Behinderung bzw. ab wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, von den sachverständigen Ärzten des Sozialministeriumservice neben der Anamnese, den Untersuchungsergebnissen und dem ärztlichen Erfahrungswissen die von den Antragstellern vorgelegten Befunde herangezogen.

Bei der Einschätzung dürfen andere als behinderungskausale Gründe (wie z.B. mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, die Arbeitsplatzsituation, Arbeitsunwilligkeit, oÄ) wie eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes (etwa durch Folgeschäden) nach Vollendung des 21. Lebensjahres) für die Beurteilung nicht herangezogen werden (vgl ).

Mitwirkungspflicht bei Begünstigungsvorschriften:

Nach der Judikatur des VwGH besteht bei Begünstigungsvorschriften und in Fällen, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Eine Mitwirkungspflicht ist gerade in den Fällen wichtig und unerlässlich, in denen der Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe wegen Erwerbsunfähigkeit von Personen gestellt wird, die erheblich älter als 21 bzw. 25 Jahre alt sind.

Die Vorlage von "alten" und relevanten Unterlagen (Befunden, Bestätigung über Spitalsaufenthalte oder Therapien etc.) seitens des Antragstellers ist gerade dann wichtig bzw. unerlässlich, wenn ein Sachverständiger (weit rückwirkend) den Zeitpunkt festzusetzen hat, seit wann ein bestimmter Behinderungsgrad vorliegt oder wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist.

Fehlen derartige Befunde, warum auch immer, können die vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen und liegt die Ursache auch darin, dass Erkrankungen unterschiedlich stark ausgeprägt sind, häufig einen schleichenden Verlauf nehmen oder sich mit zunehmendem Alter verschlechtern.

Diese Auffassung vertritt auch Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 8, II. Erhebliche Behinderung [Rz 10 - 35]. Es sei wohl nicht zu bestreiten, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Behörde eingeschränkt sind, wenn Sachverhalte zu beurteilen sind, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen. Auch der Sachverständige könne aufgrund seines medizinischen Fachwissens ohne Probleme nur den aktuellen Gesundheitszustand des Erkrankten beurteilen. Hierauf komme es aber nur dann an, wenn der derzeitige Behinderungsgrad zu beurteilen sei oder die Feststellung, ob eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliegt, zeitnah zum relevanten Zeitpunkt erfolgen könne. Der Sachverständige könne in den übrigen Fällen nur aufgrund von Indizien, insbesondere anhand von vorliegenden Befunden, Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung eingetreten ist. Somit werde es primär an den Beschwerdeführern, allenfalls vertreten durch ihre Sachwalter, liegen, den behaupteten Sachverhalt, nämlich ihre bereits vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (Verweis auf die Entscheidungen des ; , RV/0687-W/05).

Für die im Jahr 1977 geborene Bf sind diese Ausführungen uneingeschränkt anwendbar.

Leichte Intelligenzminderung:

Im vorliegenden Fall attestierten die Sachverständigen der Bf nach Anamneseerhebung, durchgeführter Untersuchung und unter Einbeziehung des Gutachtens von Dr. M. eine leichte Intelligenzminderung.

Intelligenz ist nicht eindeutig definiert und hängt von einer Reihe von Fertigkeiten ab, zB von Kognition, Sprache, Merkfähigkeit, Gedächtnis, Übersichtsfähigkeit, von motorischen und sozialen Fertigkeiten. Bei Intelligenzminderung können alle Fertigkeiten oder nur einzelne Teilbereiche beeinträchtigt sein. Die Intelligenzminderung führt oft zu Schwierigkeiten im Aneignen von Kenntnissen sowie beim Handeln und Denken (bedingt durch Konzentrations-störungen oder Gedächtnisschwäche), beschränktes Interesse und eine verzögerte intellek-tuelle Reife. Betroffene sind schulbildungsfähig, meist allerdings nur in Förderschulen für Lernbehinderte. Zusätzlich kann zur Intelligenzminderung noch eine soziale und emotionale Unreife hinzukommen, sodass die Betroffenen eigenständig den Anforderungen einer Ehe oder der Kindererziehung nicht nachkommen können (BVwG , W200 2012322-1).

Die klinisch-psychologische Diagnostik bei Personen mit intellektueller Beeinträchtigung ist ein komplexer Prozess und setzt umfassendes diagnostisches Wissen, die Kenntnis geeigneter Verfahren sowie ausreichende Erfahrung mit der Untersuchung intellektuell beeinträchtigter Personen der jeweiligen Altersgruppe seitens des Gutachters voraus. Bei Durchführung der Diagnostik ist auf das Entwicklungsniveau der Person und deren kommunikative Möglich-keiten zu achten. Die Fragen sollten kurz, konkret und deutlich formuliert sein. Informationen über den Entwicklungsstand, die Entwicklungs- und Bildungsgeschichte, die Krankengeschichte einschließlich Komorbiditäten und störungsrelevanter Rahmenbedingungen sollten durch Befragung von mehreren zuverlässigen, unabhängigen Quellen erhoben werden. Die Anamnese wird durch eine Verhaltensbeobachtung und Verhaltensanalyse ergänzt. Neben dem kognitiven ist auch das soziale und emotionale Entwicklungsniveau sowie die Persönlich-keitsentwicklung ein Bestandteil der Untersuchung (Auszug aus der Richtlinie für die Erstellung von klinisch-psychologischen und gesundheitspsychologischen Befunden und Gutachten, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz).

Der VwGH sprach zB im Erkenntnis vom , 2009/16/0325, unter Verweis auf das Erkenntnis vom , 2010/16/0220, aus, dass auch bei einer Behinderung von 100 % nicht ausgeschlossen sei, dass der Betreffende imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es komme daher neben dem Grad auf die Art der Behinderung und die trotz Behinderung verrichtbaren Tätigkeiten an.

Eine Intelligenzminderung (Mangel an intellektuellen Fähigkeiten), die zweifelsfrei seit Geburt besteht oder durch andere Umstände verursacht wird, bedeutet daher nicht, dass eine Person niemals imstande war, einer für sie adäquaten Arbeit nachzugehen oder dass eine Erwerbs-unfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr bestanden hat.

Bindung der Abgabenbehörde und des Bundesfinanzgerichtes an die Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice, wenn diese schlüssig sind:

Ein Gutachten ist

•vollständig, wenn es die von der Behörde oder dem Gericht gestellten Fragen beantwortet (sofern diese zulässig waren)

•nachvollziehbar, wenn das Gutachten von der Beihilfenstelle und vom Gericht verstanden werden kann und diese die Gedankengänge des Gutachters, die vom Befund zum Gutachten führten, prüfen und beurteilen kann und

•schlüssig, wenn es nach der Prüfung auf Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit immer noch überzeugend und widerspruchsfrei erscheint

Die Gutachten unterliegen, wie alle anderen Beweismittel, der freien behördlichen/richterlichen Beweiswürdigung.

Das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht sind an die Gutachten des SMS gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob diese vollständig, nachvollziehbar und schlüssig sind und im Fall mehrerer Gutachten oder einer Gutachtensergänzung nicht einander widersprechen (vgl. ; ; Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310). Erforderlichenfalls ist für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).

Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ua.).

Die Beihilfenbehörden, und auch das Gericht, haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (vgl. ).

Wie schon festgehalten, erachtet das Bundesfinanzgericht die in den zwei im Zuge des Verfahrens erstellten Gutachten getroffenen Feststellungen als vollständig, nachvollziehbar und schlüssig.

Im ggstdl. Fall besteht keine vor dem 21. Lebensjahr (eine spätere Berufsausbildung liegt nicht vor) eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Daher steht weder der Grundbetrag noch der Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag) zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob und ab wann eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" gegeben ist, handelt es sich um eine Tatfrage und ist das BFG an die vom Sozialministeriumservice erstellten Gutachten gebunden, sofern diese schlüssig sind. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.

Wien, am

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