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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.09.2021, RV/6100212/2021

Außergewöhnliche Belastung wegen Behinderung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf), ein Pensionist, beantragte in seiner Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2019 die Berücksichtigung außergewöhnlicher Belastungen wegen eigener Behinderung infolge "Zuckerkrankheit, Tuberkulose, Zöliakie, Aids", Grad der Behinderung 25%.

Mit Vorhalt vom forderte das Finanzamt den Bf auf, bis einen Behindertenausweis des Sozialministeriumservice inkl. Eintragung der Diät "Zucker" nachzureichen.

In Beantwortung dieses Vorhaltes teilte der Bf mit, dass ihm anlässlich eines zweitägigen Krankenhausaufenthaltes im Oktober 2012 dringend die Einhaltung einer lebenslangen Diät wegen Zöliakie (Marsh III a) empfohlen worden sei, er auch diese Befunde in Papierform vorlegen könne. Über einen Behindertenausweis verfüge er nicht, da er erst im letzten Jahr erfahren habe, dass er einen entsprechenden Steuerfreibetrag geltend machen könne.

Am erfolgte die Veranlagung zur Einkommensteuer 2019 (Arbeitnehmerveranlagung), wobei außergewöhnliche Belastungen keine Berücksichtigung fanden. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der pauschale Freibetrag aufgrund einer speziellen Diätverpflegung nicht berücksichtigt werden konnte, da ab 2004 die Feststellung des Grades der Behinderung inklusive Notwendigkeit einer Diätverpflegung vom Sozialministeriumservice zu erfolgen habe.

Mit Eingabe vom erhob der Bf Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2019 und führte aus, dass er nachweislich seit August 2012 an Zöliakie leide und zwischenzeitlich einen Antrag auf entsprechende Feststellung des Behinderungsgrades inkl. Vorliegen einer Diätverpflegung beim Bundessozialamt in Salzburg eingebracht habe. Sobald er einen Bescheid seitens des BSA bzw. einen Ausweis erhalten habe, werde er die Dokumente vorlegen. Weiters würde der Bf gern erfahren, inwieweit eine "Nachverrechnung" des Freibetrages für die letzten Jahre möglich sei.

Mit Eingabe vom legte der Bf ein Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom vor, mit welchem dem Bf die Erkrankung Zöliakie MARSH III A mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 % und damit verbundenen Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung bescheinigt wurde.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2019 als unbegründet abgewiesen:

"Der vom Sozialministerium Service festgestellte Grad der Behinderung in Höhe von 30 % samt nachweislicher Diätverpflegungserfordernis kann erstmalig im Jahr der Bestätigung (2020) geltend gemacht werden. Die erforderliche Diätverpflegung in den Vorjahren kann als Krankheitskosten mit Selbstbehalt (Grad der Behinderung erst ab 2020) geltend gemacht werden, würde aber in Ihrem Fall aufgrund des Selbstbehaltes zu keiner steuerlichen Auswirkung führen".

Mit Eingabe vom stellte der Bf einen Antrag auf Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht. Der vom SMS festgestellte Grad der Behinderung mit 30 % beruhe auf den vorgelegten Befunden aus dem Jahr 2012.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gesetzliche Bestimmungen:

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:

- sie muss außergewöhnlich sein,
- sie muss zwangsläufig erwachsen,
- sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

Letzteres ist nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 dann der Fall, wenn die Belastung einen u.a. nach dem Einkommen des Steuerpflichtigen berechneten Selbstbehalt übersteigt. Krankheitskosten erfüllen dem Grunde nach diese Voraussetzungen, allerdings ist idR von diesen Kosten der Selbstbehalt abzuziehen.

Davon abweichend können nach der Bestimmung des § 34 Abs. 6 EStG 1988 gewisse Aufwendungen auch ohne Berücksichtigung eines Selbstbehaltes abgezogen werden. Dazu zählen u.a. Aufwendungen wegen Körperbehinderung.

§ 35 EStG 1988 lautet:

"(1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
- bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-) Partners (§ 106 Abs. 3),
- ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-) Partners, wenn er mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und vom (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt und der (Ehe-)Partner Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt,
- durch eine Behinderung eines Kindes (§ 106 Abs. 1 und 2), für das keine erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 gewährt wird,
und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage),

so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.

(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hiefür maßgebenden Einschätzung,

2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010, für die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

- Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes,BGBl. Nr. 183/1947).

- Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

- In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

(3) Es wird jährlich gewährt bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 % bis 34 % ein Freibetrag von Euro 75, …

(5) Anstelle des Freibetrages können auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6). ...

(7) Der Bundesminister für Finanzen kann nach den Erfahrungen der Praxis im Verordnungsweg Durchschnittssätze für die Kosten bestimmter Krankheiten sowie körperlicher und geistiger Gebrechen festsetzen, die zu Behinderungen im Sinne des Abs. 3 führen. ...."

§ 2 und § 3 der hierzu ergangenen Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl 303/1996 idF BGBl II 430/2010, setzen Pauschbeträge für Krankendiätverpflegung fest, sofern der Grad der Behinderung mindestens 25% erreicht.

Feststehender Sachverhalt und rechtliche Würdigung:

Im Beschwerdefall liegt ein Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice (SMS) vom vor. Darin wurde dem Bf. ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 % infolge Zöliakie und die Notwendigkeit einer Diät bescheinigt.

Der Bf beantragt nunmehr die rückwirkende Anerkennung des Freibetrages wegen 30 %iger Behinderung und des Pauschalbetrages für Diät (Zöliakie) aufgrund dieses vorgelegten Sachverständigengutachtens des SMS vom rückwirkend für das Jahr 2019.

Voraussetzung für eine steuerliche Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen (ohne Selbstbehalt) im Zusammenhang mit einer Behinderung ist in allen Fällen das Vorliegen einer amtlichen, im vorliegenden Fall vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumsservice) auszustellenden und (allenfalls) im elektronischen Wege der Abgabenbehörde gemäß § 35 Abs. 8 EStG1988 zu übermittelnden Bescheinigung über eine festgestellte Behinderung sowie die graduelle Einstufung dieser Behinderung (Feststellung des Grades der Behinderung) (siehe hierzu ; , RV/1100290/2020).

Im Beschwerdefall liegt ein Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice (SMS) vom vor, in welchem dem Bf. ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 % bescheinigt wurde.

Die Feststellung, ob, ab wann und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, ist nicht von der Abgabenbehörde, sondern bindend von den in § 35 Abs. 2 EStG 1988 genannten Stellen zu treffen (Jakom/Baldauf EStG, 2015, § 35 Rz 7).

Die Anführung der Stellen, die zur Feststellung der Behinderung und des Ausmaßes der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. des Grades der Behinderung berufen sind, und ferner die Anordnung, dass der Anspruch auf einen Freibetrag an die Vorlage einer amtlichen Bescheinigung dieser Stellen geknüpft ist, lassen erkennen, dass der Gesetzgeber bindende Beweisregeln geschaffen und damit insbesondere die Regel des § 166 BAO - wonach als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht kommt was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist - durchbrochen hat (Fuchs in Hofstätter/Reichel, EStG Kommentar § 35 Tz 4).

Der Nachweis der Notwendigkeit zur Einhaltung einer Krankendiätverpflegung iSd § 2 Abs. 1 der zitierten Verordnung kann durch eine Bescheinigung eines Arztes oder durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erfolgen. Hängt die jeweilige Diät mit der Einstufung durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zusammen und wurde eine mindestens 25%ige Erwerbsminderung für diese Leiden festgestellt, entfällt der Abzug des Selbstbehaltes iSd § 34 Abs. 4 EStG 1988. In allen anderen Fällen ist ein Selbstbehalt iSd § 34 Abs. 4 EStG abzuziehen (Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 35 Anm. 42).

Der Nachweis der Behinderung kann nur durch ein Gutachten der im Gesetz genannten zuständigen Stelle geführt werden. Haus- oder fachärztliche Bestätigungen oder Privatgutachten sind nicht ausreichend (Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke, EStG 16. EL, § 35 Anm 32). Ebensowenig vermögen Arztbriefe anlässlich eines zweitätigen stationären Krankenhausaufenthaltes den gesetzlich ausdrücklich geforderten Nachweis zu ersetzen.

Eine im Laufe eines Kalenderjahres erfolgte Feststellung des Grades einer Behinderung gilt aus Vereinfachungsgründen immer für das ganze Kalenderjahr. Werden in einem Kalenderjahr vom Bundesministerium für Soziales und Behindertenwesen aufgrund mehrerer Befunde (zB aufgrund eines Antrages auf Neufestsetzung oder einer Neuuntersuchung bei Befristung unterschiedliche Grade der Behinderung festgesetzt, ist aus Vereinfachungsgründen für das ganze Kalenderjahr der höhere festgestellte Grad der Behinderung anzusetzen.

Eine solche Bescheinigung für das Beschwerdejahr stellt aufgrund der Gesetzeslage eine unabdingbare Voraussetzung für die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen der genannten Art dar und kann demzufolge nicht durch die Vorlage von ärztlichen Bestätigungen von Allgemeinmedizinern oder von fachärztlichen Gutachten substituiert werden. So reichen weder Gutachten von Amtsärzten noch Privatgutachten aus, um die behördliche Einstufung zu ersetzen. Die Abgabenbehörde hat ihrer Entscheidung die jeweils vorliegende amtliche Bescheinigung zugrunde zu legen ().

Für die Entscheidung der Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Behinderung vorliegt, ist somit - im gegenständlichen Fall - ausschließlich die Feststellung des Sozialministeriumsservice maßgeblich und die Abgabenbehörde ist an diese gebunden.

Der Bf. wurde in der Begründung der Beschwerdevorentscheidung vom darauf hingewiesen, dass im Beschwerdeverfahren ein Nachweis des Vorliegens des Grades der Behinderung durch das SMS lediglich für das Jahr 2020, nicht jedoch für das Beschwerdejahr 2019 erbracht wurde. Da der Abgabenbehörde kein vom Sozialministeriumsservice ausgestellter Behindertenpass für 2019 vorliegt und auch vom Bf. keine diesbezügliche amtliche Bescheinigung für das Jahr 2019 vorgelegt wurde, konnte dem Begehren des Bf. nicht entsprochen.

Das Bundesfinanzgericht schließt sich diesbezüglich der in der Beschwerdevorentscheidung vertretenen Rechtsansicht, der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Vorhaltscharakter zukommt, an.

Die Feststellung, ob, ab wann und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, ist nicht von der Abgabenbehörde, sondern bindend von den in § 35 Abs. 2 EStG 1988 genannten Stellen zu treffen (Jakom/Baldauf EStG, 2015, § 35 Rz 7).

Derartige Nachweise wurden vom Beschwerdeführer nicht beigebracht. Da für das Streitjahr 2019 kein Behinderungsgrad betreffend Zöliakie bescheinigt wurde, war spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Beschwerdefall ist eine Revision nicht zulässig, weil sich die einkommensteuerrechtliche Rechtsfolge bei Nichtvorlage einer entsprechenden Bescheinigung des Sozialministeriumservice unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Damit ist das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zu verneinen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.6100212.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at