Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.10.2021, RV/6100618/2018

Ermessensübung bei der Haftung nach § 11 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Salzburg-Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung der Beschwerdeführerin gemäß § 11 BAO zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Haftungsbescheid vom wurde die BF als ehemalige Geschäftsführerin der GmbH (in der Folge: die GmbH) für die aushaftenden Abgabenschulden der GmbH gemäß § 11 BAO zur Haftung für einen im Bescheid näher aufgeschlüsselten Betrag an Umsatz- und Körperschaftsteuer für die Jahre 2009-2013 in der Höhe von gesamt € 491.879,91 herangezogen. Dies begründete das FA damit, dass die BF mit Urteil des LG Salzburg vom 2017 als verantwortliche Geschäftsführerin der GmbH rechtskräftig für schuldig erkannt worden sei die Umsatz- und die Körperschaftsteuer der Jahre 2009-2013 verkürzt zu haben. Im Rahmen der Ermessensübung sei maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Einbringung dieser Abgabenschuldigkeit bei der Primärschuldnerin nach Auflösung der Gesellschaft infolge des Konkursverfahrens nicht mehr möglich sei. Dazu legte das FA der BF die entsprechenden Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide, den BP-Bericht, der die Begründung dieser Bescheide darstellte, sowie das Urteil des LG Salzburg vom 2017 bei.

Gegen diesen Haftungsbescheid erhob die BF durch ihren ausgewiesenen Vertreter fristgerecht Beschwerde und beantragte, dass keine Haftung für die BF ausgesprochen werde bzw. in eventu der Haftungsbetrag auf max. € 50.000,00 im Rahmen der Ermessensübung herabgesetzt werde. Dazu führte die BF im Wesentlichen aus, dass zwar grundsätzlich davon auszugehen sei, dass eine Haftung der BF gemäß § 11 BAO in Betracht komme, die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO aber völlig falsch gelöst worden sei. Die GmbH habe mit Ausnahme der behaupteten Steuerschulden keine Verbindlichkeiten gehabt, diese allein seien die Ursache für das nachfolgende Insolvenzverfahren gewesen. Der Begriff der Billigkeit könne primär als Gebot der Bedachtnahme auf die Interessen der Parteien bzw. auf die Angemessenheit einer Lösung in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei verstanden werden. Dabei seien je nach den Besonderheiten des Sachverhaltes und der anzuwendenden Ermessensbestimmung hierbei immer die einzelnen wirtschaftlichen Verhältnisse zu würdigen, ferner auch das bisher redliche oder unredliche Verhalten des Abgabepflichtigen, seine Einstellung zum Recht und seinen abgabenrechtlichen Pflichten, seine Abgabenehrlichkeit und das ernsthafte Bemühen um die Erfüllung abgabenrechtlicher Obliegenheiten. Auch die Frage der Zumutbarkeit des Erkennens der Abgabenpflicht könne bei der im Ermessen gelegenen Sanktion oder bei der Beseitigung dieser aus dem Blickwinkel der Billigkeit durchaus von Bedeutung sein. Die Behörde erster Instanz habe bei der Ermessensausübung durch die vollkommen unzureichende und unzulängliche, nur als rechtswidrig zu bezeichnende Begründung versagt, weswegen im Beschwerdeverfahren die Ermessensübung der Abgabenbehörde vollumfänglich durch das BFG zu prüfen und gegebenenfalls in diesem neu zu üben sei. Bei der vorhandenen Begründung handle es sich lediglich um eine Scheinbegründung.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das FA die Beschwerde als unbegründet ab, verwies zur Begründung nochmals auf die rechtskräftige Verurteilung der BF durch das LG Salzburg wegen vorsätzlicher Finanzvergehen hinsichtlich der angeführten Abgaben der GmbH. Zur Ermessensentscheidung führte das FA in der Beschwerdevorentscheidung aus, dass nach der Rechtsprechung die persönlichen Umstände in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung stünden. Da der öffentliche Auftrag zur Ergreifung aller Mittel vollstreckbare Abgaben einzubringen bei einer vorzuwerfenden Pflichtverletzung allfällige Einzelinteressen verdränge, habe sich das FA veranlasst gesehen, die Haftung im vollen Ausmaß geltend zu machen. Es handle sich bei der Haftung gemäß § 11 BAO zwar um keine Ausfallshaftung, dennoch sei darauf hinzuweisen, dass die Abgaben bei der GmbH nicht mehr eingebracht werden könnten. Bei zweifellos uneinbringlichen Abgabenschulden könnten die Abgabenbehörden die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschulden beim Haftenden bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigen. Der Weisung des LG Salzburg im Beschluss vom 2017 die verkürzten Abgaben binnen Jahresfrist zu entrichten sei bisher nicht entsprochen worden.

Darauf beantragte die BF durch ihren ausgewiesenen Vertreter fristgerecht die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das BFG sowie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

Mit Verfügung des GV Ausschusses vom wurde dieses Beschwerdeverfahren der ursprünglich damit belasteten und ab unbesetzten Gerichtsabteilung 7012 abgenommen und zum einer neuen Gerichtsabteilung zugewiesen.

Mit Verfügung des GV Ausschusses vom wurde dieses Beschwerdeverfahren der ab damit belasteten und seit unbesetzten Gerichtsabteilung 7014 abgenommen und mit der nunmehr damit befassten Gerichtsabteilung zur Entscheidung übertragen.

In der am durchgeführten mündlichen Verhandlung führten die Parteien des Verfahrens ergänzend Folgendes aus:

Der Vertreter der BF führte aus, dass die Stellungnahme des FA im Vorlagebericht falsch sei, da die BF hinsichtlich der nun in Haftung gezogenen Abgaben (USt und KöSt) nicht wegen gewerbsmäßiger Abgabenhinterziehung verurteilt worden sei. Die GmbH, deren Geschäftsführerin die BF gewesen sei, sei lediglich für den Barbetrieb im Bordell zuständig gewesen. Die Gesellschaft, die die Bordellbetriebskonzession ausgeübt habe, habe jedoch keine Angestellten gehabt, weswegen es zu Überschneidungen bei der Abwicklung der Kundenzahlungen für die Prostituierten gekommen sei. Die Prostitutionserlöse seien damit der zweiten GmbH zuzurechnen, weswegen die BF in keiner Weise persönlich bereichert geworden sei. Dies sei nach seiner Ansicht bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen.

Weiters sei die vom FA ausgesprochene Haftung für USt 2009 um ca. € 600,00 geringer als dies im Urteil des LG Salzburg ausgesprochen worden sei.

Der Amtsbeauftragte führte aus, dass das Vorbringen des Vertreters der BF im Ergebnis die Bindungswirkung des Strafurteiles aushebeln würde, da dies zu einer Überprüfung des Strafurteils im Haftungsverfahren vor dem BFG führen würde. Es sei der BF freigestanden, diese Argumente dem Strafverfahren vorzubringen.

Haftungen würden nur in dem Umfang ausgesprochen, als dafür ein offener Rückstand am Abgabenkonto vorliege.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Das BFG legt seiner Entscheidung den im folgenden dargestellten Sachverhalt zugrunde, der sich aus dem Abgabenkonto der GmbH und den vorgelegten Verwaltungsakten dieses Verfahrens ergibt. Diese Akten enthalten neben den Verfahrensschritten des FA im Haftungsverfahren auch das Urteil des LG Salzburg vom 2017 sowie den Bericht des Betriebsprüfungsverfahrens vom betreffend die GmbH.

Die BF war im Zeitraum vom bis zur Eröffnung des Konkurses am Alleingesellschafterin und selbstständig vertretungsbefugte Geschäftsführerin der GmbH. Dies ergibt sich aus dem Firmenbuchauszug der GmbH zu FN und der Insolvenzdatei des LG Salzburg zum Konkursverfahren ***1***.

Bei einer im Jahr 2015 durchgeführten Betriebsprüfung über die Jahre 2009-2013 traf das FA Feststellungen, wonach die GmbH nicht nur die Bar, sondern den gesamten Betrieb eine Salzburger Bordells geführt habe und dabei in den Jahren 2009-2013 Umsatz- und Körperschaftsteuern in der im Haftungsbescheid vom angeführten Höhe von gesamt € 491.879,91 nicht abgeführt habe und die BF einen Betrag zwischen rd. € 145.800,00 (2009) und € 222.100,00 (2011) persönlich einbehalten habe (vA aus der GmbH) Dies ergibt sich aus dem BP Bericht vom .

In dem in der Folge abgeführten gerichtlichen Finanzstrafverfahren wurde die BF unter anderem wegen der "Abgabe unrichtiger, nämlich Erlöse nicht erfassender Steuererklärungen mit der Erlassung der darauf beruhenden Erstbescheide für die Kalenderjahre 2009-2013" rechtskräftig wegen Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG und - nicht haftungsgegenständlich - hinsichtlich der vA aus den an sie zugeflossenen Prostitutionserlösen wegen gewerbsmäßiger Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 iVm § 38 Abs. 1 FinStrG verurteilt, da die BF sich die Vorteile aus den nicht abgeführten Kapitalertragsteuern selbst verschafft hat. Dies ergibt sich aus dem Spruch des Urteils im Protokollsvermerk und der gekürzten Urteilsausfertigung zu ***2*** des LG Salzburg vom 2017. Damit hat die BF aber auch die hinterzogenen Beträge, die hier haftungsgegenständlich sind, sich selbst zugewendet. Dies ergibt sich aus den Bestimmungen des § 8 Abs. 2 KStG und den Bestimmungen der §§ 93 ff. EStG.

Mit Haftungsbescheid vom wurde die BF gemäß § 11 BAO zur Haftung für Umsatzsteuern und Körperschaftsteuern 2009-2013 herangezogen, wobei die Umsatzsteuer 2009 mit dem auf dem Abgabenkonto der GmbH aushaftenden Betrag von € 59.785,60 und nicht mit dem im Urteil vom festgesetzten höheren Betrag von € 60.415,79 angesetzt wurde. Dies ergibt sich aus dem Abgabenkonto der GmbH.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Zur Zuständigkeit der Gerichtsabteilung:

Gemäß § 9 Abs. 9 BFGG kann der Geschäftsverteilungsausschuss einer Einzelrichterin oder einem Einzelrichter oder Senat eine ihr oder ihm zufallende Rechtssache durch Verfügung abnehmen, wenn die Einzelrichterin oder der Einzelrichter oder Senat verhindert oder wegen des Umfangs ihrer oder seiner Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist. Auf Grund der im Verfahrensgang dargestellten Beschlüsse des Geschäftsverteilungsausschusses ist sohin die nun zur Entscheidung des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens berufene Gerichtsabteilung zuständig.

2.2. Zur Amtspartei ab :

Gemäß § 323b Abs.1 BAO treten das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes.

Gemäß § 323b Abs. 2 BAO werden die am bei einem Finanzamt … anhängigen Verfahren von der jeweils am zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt.

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren, das vom FA Salzburg-Stadt dem BFG vorgelegt worden war, ist somit ab das FA Österreich zuständig.

2.3. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Strittig ist im gegenständlichen Verfahren nicht der zugrundegelegte Sachverhalt, insbesonders die rechtskräftige Verurteilung der BF wegen Abgabenhinterziehung betreffend USt und KöSt 2009-2013, sondern die Ermessensübung des FA bei Anwendung des §§ 11 BAO.

Strittig ist weiters die Höhe des Haftungsbetrages betreffend die USt 2009.

Gemäß § 11 BAO haften bei vorsätzlichen Finanzvergehen und bei vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden.

Dabei ist der Haftungstatbestand durch jede Art der Beteiligung am Finanzvergehen erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, welche Bedeutung dem Tatbeitrag für die Verwirklichung der Tat beizumessen ist ( )

Die Haftung des § 11 (BAO) setzt eine rechtskräftige Verurteilung im finanzbehördlichen bzw gerichtlichen Finanzstrafverfahren voraus ( , unter Berufung auf Stoll, BAO, 142 f, wonach § 11 auch finanzbehördliche Finanzstrafverfahren erfasse, obwohl dort nicht "verurteilt", sondern "erkannt" wird; )

Die rechtskräftige Verurteilung ist Tatbestandsmerkmal (zB Kopecky, Haftung, 62; Stoll, WT 1981, H 6, 3; Bibus, Wiederaufnahme in Koller/ Schuh/ Woischitzschläger, Betriebs­prüfung III, 24; glA : "Tatbestandswirkung"), somit keine Vorfrage iSd § 116 (zB BMF, AÖF 2006/186, Abschn 4; Unger in Althuber/Tanzer/Unger, BAO-HB, § 11, 60)

Der Haftungspflichtige selbst muss wegen eines vorsätzlichen Finanzvergehens rechtskräftig verurteilt worden sein. § 11 fordert nicht, dass alle Täter oder an der Tat Beteiligten das Finanzvergehen vorsätzlich begangen haben () (Ritz BAO6, § 11 Tz. 4)

Diese Tatbestandsmerkmale sind - von den Parteien des Verfahrens unbestritten - im gegenständlichen Beschwerdeverfahren erfüllt, die BF wurde als unmittelbare Täterin der oben beschriebenen vorsätzlichen Finanzvergehen verurteilt.

Auch der Bestimmung des § 11 ist die bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Nachrangigkeit der Haftungsinanspruchnahme gegenüber der Inanspruchnahme des Abgabenschuldners immanent. (Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I, BAO3, § 11, Rz. 8 unter Verweis auf BFG, RV/2100837/2013)

Bei der Ermessensübung ist - außer auf die Nachrangigkeit der Haftungsinanspruchnahme - vor allem auf den Grad des Verschuldens des Haftenden bei Begehung des Finanzvergehens in der Relation zu jenem des Abgabenschuldners Bedacht zu nehmen (vgl Kopecky, Haftung, 63), weiters darauf, wer durch den Verkürzungserfolg bereichert wurde (Stoll, BAO, 145; Urtz in Holoubek/Lang, Die allgemeinen Bestimmungen der BAO, 283; Tanzer/ Unger, BAO 2016/2017, 29)

Nach der Rechtsprechung (zB zu § 11 BAO ) stehen persönliche Umstände (wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit oder eine Vermögenslosigkeit des Haftenden) in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung. (Ritz BAO6, § 11 Tz. 5)

Die Haftung nach § 11 BAO trägt den Charakter einer Schadenersatzhaftung (vgl. z.B. Ritz, BAO3, § 11 Tz 1, mit Hinweis auf Kopecky, Die Haftung im österreichischem Steuerrecht, Wien 1971, 62, der auch auf die Haftung nach § 11 BAO als "Besicherungsinstitut" hinweist). Es handelt sich um eine unbeschränkte Primärhaftung (vgl. z.B. Stoll, BAO-Kommentar, 144) ()

Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen

Gemäß Art 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art 130 Abs. 3 B-VG liegt Rechtswidrigkeit außer in Verwaltungsstrafsachen und in den zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen gehörenden Rechtssachen nicht vor, soweit das Gesetz der Verwaltungsbehörde Ermessen einräumt und sie dieses im Sinne des Gesetzes geübt hat.

Damit gilt die sich aus Art 130 Abs 3 B-VG (idF BGBl I 2012/51) ergebende Einschränkung der Ermessensentscheidungen betreffenden Befugnisse der Verwaltungsgerichte (Prüfung der Ermessensübung der Verwaltungsbehörde, Übung des Ermessens durch das Verwaltungsgericht) nicht für in die Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichts gehörende Rechtssachen, somit für Bundesabgaben und für finanzstrafrechtliche Angelegenheiten (vgl zB Ritz/Koran, Finanzverwaltungsgerichtsbarkeit, 22) (Ritz, BAO6, § 279 Tz. 41) Die Ermessensübung iSd. § 20 BAO hat daher durch das BFG selbst zu erfolgen.

Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen) in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Die maßgebenden Kriterien für die Übung des Ermessens ergeben sich primär aus der Ermessen einräumenden Bestimmung. (Ritz, BAO6, § 20 Tz. 5) Dabei hat sich die Ermessensübung vor allem am Zweck der Norm zu orientieren (-0381; , 2008/16/0087; Orientierung an der Intention des Gesetzgebers, ). … Bei der Inanspruchnahme persönlich Haftender ist somit vor allem die Nachrangigkeit der Haftung zu berücksichtigen (vgl zB Ritz, ÖStZ 1991, 94; ). (Ritz, BAO6, § 20 Tz. 8) d.h. wenn die Abgabenschuld vom Abgabenschuldner nicht ohne Gefährdung und ohne Schwierigkeiten eingebracht werden könnte. (Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner Abgabenverfahren I, BAO (2021) § 20 Tz. 5)

Nach der ständigen hg. Rechtsprechung kann die Behörde die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigen (vgl. etwa das zu § 11 BAO ergangene hg Erkenntnis vom , 97/16/0006) und stehen persönliche Umstände wie die "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" oder eine Vermögenslosigkeit des Haftenden in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , 89/15/0067, sowie weiters die hg. Erkenntnisse vom , 2006/14/0044, vom , 2004/13/0142, und vom , 2006/15/0007 und 2006/15/0089) ()

Auf die Ermessensübung im konkreten Fall angewandt bedeutet dies, dass neben dem vom FA bereits zutreffend formulierten Entscheidungskriterium für die Ermessensübung zugunsten einer Haftungsinanspruchnahme der BF (Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der GmbH aufgrund der Insolvenz der Gesellschaft), noch zu berücksichtigen ist, dass die BF die nun im Haftungswege vorgeschriebenen Abgaben an Umsatz- und Körperschaftsteuer als GF der GmbH hinterzogen hat und sich diese Vorteile ebenso wie die Vorteile aus den nicht abgeführten Kapitalertragsteuern selbst zugewendet hat. Das BFG sieht trotz der durch den Vertreter der BF in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Ausführungen, wonach die Prostitutionserlöse an die falsche GmbH (und damit fälschlicherweise an die BF als Geschäftsführerin dieser GmbH) zugewiesen worden wären und den weiteren Ausführungen, wonach die BF diese Erlöse weitergegeben habe, keine Möglichkeit dieser Argumentation zu folgen. Aufgrund der Bindungswirkung an den Spruch des Strafurteiles in dem ausdrücklich ausgesprochen wurde, dass die BF die infrage stehenden Beträge hinterzogen hat und ihr als Geschäftsführerin (und Alleingesellschafterin) der GmbH diese Erlöse zugeflossen sind, sind die vom Vertreter der BF angeführten Ermessensüberlegungen im gegenständlichen Verfahren nicht berücksichtigbar.

Nach dem Urteil des LG Salzburg war die BF daher nicht nur Hinterzieherin dieser Abgaben, sie wurde durch den Verkürzungserfolg auch selbst bereichert. Unter diesen Voraussetzungen ist das Ermessen auch aus Sicht des BFG in der Richtung zu üben, dass die Abgaben der BF nach § 11 BAO in voller Höhe im Haftungswege vorzuschreiben sind.

Der Umstand, dass die BF die Abgaben hinterzogen und sich daraus bereichert hat, spricht aus Sicht des BFG auch dagegen, die von der BF für eine Billigkeitserwägung angeführten Argumente der Uneinbringlichkeit der gesamten im Haftungswege vorgeschriebenen Abgabenschuld zu berücksichtigen und den Haftungsbetrag auf maximal € 50.000,00 zu reduzieren. Das BFG folgt daher auch in diesem Punkt den Ausführungen des Erstbescheides, nach dem eine Vorschreibung des Haftungsbetrages an die BF nach § 11 BAO aus Zweckmäßigkeitserwägungen in voller Höhe zu erfolgen hatte.

Zur Frage der Höhe des in Haftung gezogenen Betrages für USt 2009 darf nochmals auf die bereits oben zitierten Ausführungen von Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I, BAO3 (zu § 11, Rz. 8 unter Verweis auf BFG, RV/2100837/2013) verwiesen werden, wonach auch der Bestimmung des § 11 die bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Nachrangigkeit der Haftungsinanspruchnahme gegenüber der Inanspruchnahme des Abgabenschuldners immanent ist. Daraus folgt, dass auch eine Haftung nach § 11 BAO nicht nur durch den Spruch des Urteils der Höhe nach absolut begrenzt ist, sondern im Rahmen dieses Höchstbetrages durch die Höhe des bei der GmbH noch offenen Abgabenbetrages vermindert werden kann. Die Festsetzung des Haftungsbetrages für USt 2009 erfolgte somit auch der Höhe nach zu Recht.

2.4. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die gegenständliche Entscheidung basiert zur Frage der Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen bei der Übung des Ermessens für den Ausspruch einer Haftung nach § 11 BAO auf den im Begründungsteil angeführten gesetzlichen Bestimmungen und der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 11 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.6100618.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at