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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.08.2021, RV/1100166/2018

Besteuerung einer liechtensteinischen Freizügigkeitsleistung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf***, vertreten durch ***StB***Badstraße 23, 6844 Altach, über die Beschwerde gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Abweisung eines Antrages auf Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der Einkommensteuerbescheid 2016 vom wird gemäß § 299 Abs. 1 BAO aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Einkommensteuer 2016 der Beschwerdeführerin (Bf) fest, wobei eine von der ***2*** ausbezahlte Freizügigkeitsleistung in Höhe von 49.793 CHF zur Gänze steuerlich erfasst wurde.

2. Mit Schreiben vom beantragte die Bf die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 gemäß § 299 BAO mit der Begründung, dass die erhaltene Pensionskassenzahlung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 zu einem Drittel steuerfrei zu belassen sei. Unter Beilage eines Schreibens der ***3***/Betriebliche Vorsorge führte sie aus, dass sie diesen Betrag zwingend als Einmalzahlung habe beziehen müssen. Eine Option auf den Bezug von Rentenzahlungen habe sie nicht ausüben können.

3. Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Aufhebungsantrag ab mit der Begründung, dass mit dem Austritt der Bf aus der ***3*** per deren Freizügigkeitsleistung auf ein Sperrkonto bei der ***2*** überwiesen worden sei. Bei Auflösung eines derartigen Sperrkontos seien nach dem vorgelegten Schreiben der ***3*** keine Rentenzahlungen möglich, sondern könne nur eine einmalige Kapitalzahlung bezogen werden. Die Pensionskasse stelle grundsätzlich die betriebliche Altersvorsorge für Dienstnehmer in Liechtenstein dar. Ein Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis habe gleichzeitig auch das Ausscheiden aus der betrieblichen Altersvorsorge zur Folge. Das bis zum Ausscheiden angesparte Altersguthaben (Freizügigkeitsleistung) könne gemäß den gesetzlichen Vorgaben in der Folge auf ein für Vorsorgezwecke gesperrtes Konto bei einer Bank oder als Einlage in eine Freizügigkeitspolice übertragen werden. Der Vorsorgeschutz könne demnach entweder durch ein Freizügigkeitskonto oder durch eine Freizügigkeitspolice aufrechterhalten werden. Freizügigkeitspolicen könnten bei Lebensversicherungen abgeschlossen werden. Es sei zwar richtig, dass bei Auflösung eines Vorsorgesperrkontos keine Rentenzahlungen mehr möglich seien, doch hätte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Austritt aus der Pensionskasse auch die Möglichkeit bestanden, das Freizügigkeitsguthaben in eine Freizügigkeitspolice einzuzahlen.

4. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom brachte der steuerliche Vertreter vor, dass die Bf letztmalig im Jahr 2011 in Liechtenstein gearbeitet habe, bevor sie nach Krankenstand und Arbeitslosigkeit in die Berufsunfähigkeitspension gewechselt sei. Am sei die Freizügigkeitsleistung auf ein Sperrkonto überwiesen worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die Bf nicht mehr im Arbeitsprozess befunden. Die Erkrankung der Bf habe eine Wiederaufnahme der Arbeit verhindert. Damit sei auch eine Übertragung des Kapitals aus der Pensionskassa der Arbeitgeberin, die von der ***3*** verwaltet werde, in eine neue Pensionskasse nicht möglich gewesen sei. Dies werde auch von der ***3*** bestätigt. Mit sei der Bf eine Berufsunfähigkeitspension in Österreich zugesprochen worden. Seite dem beziehe sie auch aus der AHV-Liechtenstein eine Rentenleistung. Da die aus der Erkrankung resultierende Erwerbsunfähigkeit ein Wahlrecht der Bf bei der weiteren Verwendung des Pensionskassenguthabens faktisch verhindert habe, wäre es unbillig, die Pensionskassenabfindung zur Gänze der tariflichen Besteuerung zu unterziehen.

5. Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Richtig sei, dass bei Auflösung eines Sperrkontos die Freizügigkeitsleistung nur als einmalige Kapitalzahlung bezogen werden könne. Die Bf hätte aber vor der Einrichtung dieses Kontos die Möglichkeit gehabt, den Vorsorgeschutz im Wege einer Freizügigkeitspolice aufrechtzuerhalten und die späteren Altersleistungen in Rentenform zu beziehen. Es könne sohin nicht argumentiert werden, dass die Erwerbsunfähigkeit der Bf eine diesbezügliche Wahlmöglichkeit verhindert habe.

6. Mit Schreiben vom beantragte der steuerliche Vertreter die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht.

II. Sachverhalt

1. Die im Jahr 1956 geborene Bf war als Grenzgängerin bei der ***1*** in Liechtenstein nichtselbständig tätig. Mit beendete sie (krankheitsbedingt) ihre Auslandstätigkeit (vgl. Schreiben ***1*** vom ). Nach mehreren Monaten des Krankenstandes und der Arbeitslosigkeit wurde ihr im Jahr 2013 eine inländische Berufsunfähigkeitspension zugesprochen. Seit bezieht die Bf auch eine Altersrente der Liechtensteinischen Alters- und Hinterbliebenenversicherung (vgl. Schreiben der AHV vom ).

2. Infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses in Liechtenstein wurde das Vorsorgeverhältnis zur betrieblichen Pensionskasse der Dienstgeberin aufgelöst, welche am eine Austrittsabrechnung erstellte und die Freizügigkeitsleistung in Höhe von 48.393 CHF auf ein Sperrkonto bei der ***2*** überwies (vgl. Schreiben ***3*** vom ).

3. Im Jahr 2016 wurde das Vorsorge-Sperrkonto auf Antrag der Bf aufgelöst und ihr ein Altersguthaben von 49.793 CHF ausbezahlt (vgl. Schreiben der Liechtensteinischen Landesbank vom ).

4. Die Bf hatte weder zum Zeitpunkt der Überweisung des Altersguthabens auf das Sperrkonto bei der ***2*** noch zum Zeitpunkt der Auszahlung des Kapitals die Möglichkeit, den Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch aufrechtzuerhalten.

III. Beweiswürdigung

Die in Pkt. II./1. - 3. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den in Klammer angeführten Beweismitteln und sind im Übrigen unstrittig. Die Feststellung, dass die Bf keine Möglichkeit hatte, den Vorsorgeschutz mit Anspruch auf eine spätere Rentenzahlung durch den Abschluss einer Freizügigkeitspolice aufrechtzuerhalten, ist das Ergebnis umfangreicher Ermittlungen, die vom Bundesfinanzgericht sowie der Abgabenbehörde bei maßgeblichen schweizerischen und liechtensteinischen Stellen (Schweizerischer Pensionskassenverband, Bundesamt für Sozialversicherungen, Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge, Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, Schweizerischer Versicherungsverband, Finanzmarktaufsicht Liechtenstein, Liechtensteinischer Pensionskassenverband, Liechtensteinischer Versicherungsverband sowie 33 Versicherungsunternehmen) durchgeführt wurden (vgl. dazu ausführlich ). Diesen Ermittlungen zufolge ist für österreichische Grenzgänger und Grenzgängerinnen bei tatsächlich endgültigem Verlassen der Schweiz bzw. Liechtensteins im Freizügigkeitsfall, d.h. bei Verlassen der Vorsorgeeinrichtung (und des Wirtschaftsraumes Schweiz bzw. Liechtenstein) vor Eintritt des Vorsorgefalles, ein Wahlrecht zwischen Renten- und Kapitalbezug nicht gegeben; es besteht und bestand keine zumutbare Möglichkeit, den Anspruch auf eine spätere Altersrente durch Einlage der Austrittsleistung in eine Freizügigkeitspolice aufrechtzuerhalten.

IV. Erwägungen

1. Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Die Aufhebung setzt die vorherige Klärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes voraus (vgl. Ritz, BAO6 § 299 Tz 13).

Bei der Aufhebung auf Antrag bestimmt die betreffende Partei den Aufhebungsgrund. Sie gibt im Aufhebungsantrag an, aus welchen Gründen sie den Bescheid für inhaltlich rechtswidrig erachtet. Die Sache, über die in der Beschwerde gegen einen Bescheid, mit welchem der Aufhebungsantrag abgewiesen wird, zu entscheiden ist, wird bei der beantragten Aufhebung somit auch durch die Partei im Aufhebungsantrag festgelegt (, sowie , 2009/15/0119).

Erweist sich ein geltend gemachter Aufhebungsgrund im Beschwerdeverfahren als berechtigt, so hat das Verwaltungsgericht der Beschwerde Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid dahin abzuändern, dass der Bescheid, dessen Aufhebung beantragt wurde, aufgehoben wird ().

2. Gemäß § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 sind Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen aufgrund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen.

3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 des liechtensteinischen Gesetzes vom über die betriebliche Personalvorsorge (BPVG) in der für den Beschwerdefall maßgeblichen Fassung gilt zur Festsetzung der Mindestleistungen das Rentenalter der staatlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung von 64 Jahren, jedoch kann nach Art. 8 Abs. 2 erster Satz BPVG auch ein anderes Rentenalter gewählt werden, sofern eine mindestens gleichwertige Versicherung gewährt wird.

Nach Ziffer 7. des Reglements der Vorsorgestiftung richtet sich das Pensionsalter nach dem Vorsorgeplan (Vollendung des 64. Altersjahres). Ein vorzeitiger Bezug von Altersleistungen nach Vollendung des 60. Altersjahres ist möglich. Dies setzt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und den Bezug der AHV-Altersleistungen voraus.

Gemäß Art. 9 Abs. 1 BPVG werden Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenleistungen inder Regel als lebenslängliche oder temporäre Renten ausgerichtet.

Gemäß Art. 9 Abs. 2 erster Satz BPVG kann das Reglement der Vorsorgeeinrichtung vorsehen, dass die anspruchsberechtigte Person anstelle einer Alters-, Invaliden- oder einer Witwen- oder Witwerrente eine Kapitalabfindung verlangen kann, die mindestens 90%des versicherungstechnischen Barwertes der abzulösenden Rente betragen muss.

Scheidet ein Arbeitnehmer aus einem anderen Grunde als wegen Alter, Invalidität oder Tod aus der Vorsorgeeinrichtung aus, so hat diese gemäß Art. 11 Abs. 1 BPVG eine Freizügigkeitsleistung zu erbringen. Die Freizügigkeitsleistung entspricht nach Art. 11 Abs. 2 erster Satz BPVG dem zurückgestellten Deckungskapital.

Gemäß Art. 12 Abs. 1 BPVG ist die Freizügigkeitsleistung weiterhin für die Vorsorge des aus der Versicherung ausscheidenden Arbeitnehmers zu verwenden. Zu diesem Zweck wird sie an die Vorsorgeeinrichtung seines neuen Arbeitgebers überwiesen.

Falls sich dies nicht durchführen lässt, ist sie gemäß Art. 12 Abs. 2 erster Satz BPVG als Einlage für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice bei einem in Liechtenstein zugelassenen Versicherungsunternehmen einzuzahlen oder auf ein für Vorsorgezwecke gesperrtes Konto bei einer liechtensteinischen Bank einzulegen.

Gemäß Art. 12 Abs. 3 BPVG wird die Freizügigkeitsleistung bar ausbezahlt, wenn diese weniger als einen Jahresbeitrag des Versicherten beträgt.

Auf Verlangen des Arbeitnehmers wird die Freizügigkeitsleistung nach Art. 12 Abs.4 BPVG außerdem bar ausbezahlt, falls er den Wirtschaftsraum Liechtenstein - Schweiz endgültig verlässt oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnimmt (lit. a) und nicht nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraumes für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch in der Rentenversicherung versichert ist (lit. b).

Unter den gleichen Voraussetzungen kann nach Art. 12 Abs. 6 BPVG eine Freizügigkeitspolice durch Rückkauf aufgelöst oder ein gesperrtes Bankkonto freigegeben werden. Bei Erreichen des ordentlichen Rentenalters nach dem AHVG entsteht ein Anspruch auf Auszahlung.

4. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG voraus, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist (vgl. , und , mwN). Begünstigungsschädlich ist sohin eine Wahlmöglichkeit zwischen einem Rentenbezug und einer Kapitalauszahlung (vgl. bis 0183).

In Fällen, in denen das Vorsorgeverhältnis mit der betrieblichen Pensionskasse des liechtensteinischen Dienstgebers infolge der Beendigung des Dienstverhältnisses vor Eintritt des Vorsorgefalles beendet wurde, ist daher, wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat, entscheidend, ob ein Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung im Rahmen einer Freizügigkeitspolice hätte aufrechterhalten werden können (vgl. , und ). Eine solche (begünstigungsschädliche) Möglichkeit stand der Bf aber - wie unter Pkt. III. ausgeführt - nicht offen. Vielmehr war der Bezug der Freizügigkeitsleistung ausschließlich in kapitalisierter Form möglich, weshalb die Voraussetzungen für eine Besteuerung gemäß § 124b Z 53 EStG gegeben sind. Damit erweist sich der Einkommensteuerbescheid 2016 aber als rechtswidrig.

5. Gemäß § 20 BAO müssen Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Eine zentrale Bedeutung kommt bei der Ermessensübung dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu (vgl. ). Damit ist dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit einzuräumen (vgl. , sowie Ritz, BAO, 6. Aufl., § 299 Tz 54, mwN).

Wie oben ausgeführt, ist ein Drittel der in Rede stehenden Pensionsabfindung in Höhe von 49.793 CHF steuerfrei zu belassen. Die sich daraus ergebende steuerliche Auswirkung ist erheblich; damit stehen einer Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2016 auch keine im Rahmen der Ermessensübung zu berücksichtigenden Umstände entgegen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Erlassung des neuen Einkommensteuerbescheides 2016 in die Zuständigkeit des Finanzamtes fällt (vgl. ).

6. Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Revision ist nicht zulässig, da es sich ausschließlich um die Beantwortung von Tatfragen handelt und die zugrundeliegenden Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des VwGH ausreichend beantwortet sind.

Innsbruck, am

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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.1100166.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at