Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.09.2021, RV/5101229/2019

kein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung; Frage des Verschuldens im Haftungsverfahren

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Susanne Feichtenschlager in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch BKS Steuerberatung GmbH & Co KG, Untere Hauptstraße 10, 3150 Wilhelmsburg, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten vom , Steuernummer StNr., zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Schreiben vom forderte das Finanzamt Herrn ***Bf1*** (Beschwerdeführer) auf, einen Beweis zu erbringen, dass im haftungsgegenständlichen Zeitraum alle Gläubiger der Primärschuldnerin GmbH (Primärschuldnerin) gleichmäßig befriedigt worden seien (Gläubigergleichbehandlung).

Mit Schreiben vom teilte der steuerliche Vertreter des Beschwerdeführers mit, dass einziger Gläubiger im Insolvenzverfahren der Primärschuldnerin die Dienstnehmerin bzw. der IEF, die NÖGKK sowie das Finanzamt als Abgabenbehörde gewesen seien. Auslöser für das Insolvenzverfahren wäre die Abgabenachforderung auf Grund der Außenprüfung durch die Abgabenbehörde. Ab Fälligkeit bzw. Zahlungsfrist der Abgabenachforderung seien keine Zahlungen mehr geleistet und das Insolvenzverfahren angemeldet worden. Es liege somit kein Verschulden des Beschwerdeführers vor. Dem Schreiben angeschlossen war das ausgefüllte Formular EV 7 über die Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse.

Mit Bescheid vom machte das Finanzamt die Haftung für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der Firma Primärschuldnerin GmbH in Höhe von 57.732,64 € geltend. Im Wesentlichen wurde begründend ausgeführt, dass kein Nachweis für die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegt worden sei. Die Zahlungsfrist der Abgabenachforderung aus der Betriebsprüfung sei der gewesen, es seien jedoch nach diesem Datum und vor der letztendlichen Insolvenzeröffnung am sehr wohl Zahlungen auf dem Finanzamtskonto eingegangen. Außerdem werde festgehalten, dass bei Selbstbermessungsabgaben maßgebend sei, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. Maßgebend sei somit der Zeitpunkt der Fälligkeit der betreffenden Abgaben, unabhängig davon, wann sie bescheidmäßig festgesetzt würden. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliege dem Haftungsschuldner. Für Abfuhrabgaben würden Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz bestehen. Die Nichtabfuhr der Kapitalertragsteuer könne nicht damit entschuldigt werden, dass die Geldmittel zur Entrichtung nicht ausgereicht hätten. Der Schuldner der Kapitalerträge habe gemäß § 95 Abs. 2 iVm Abs. 3 EStG die Kapitalertragsteuer einzubehalten und gemäß § 96 Abs. 1 EStG dem Betriebsfinanzamt abzuführen. In Zusammenhang mit der Ermessensübung wurde darauf hingewiesen, dass die Abgaben bei der Primärschuldnerin nicht mehr eingebracht werden könnten. Der Beschwerdeführer sei der in Betracht kommende Haftende der Primärschuldnerin und habe keine in der wirtschaftlichen Lage gelegene Billigkeitsgründe vorgetragen, weswegen das Finanzamt in der Inanspruchnahme als Haftenden eine Unbilligkeit im Sinne einer Unzumutbarkeit erblicken würde.

Mit Schriftsatz vom wurde nicht nur gegen den Haftungsbescheid, sondern auch gegen die zugrundeliegenden Abgabenbescheide (Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer 2013, Umsatzsteuerbescheid 2013, Haftungsbescheide betreffend Kapitalertragsteuer 2013 und 2014, Bescheide betreffend Wiederaufnahme betreffend Körperschaftsteuer 2013 und 2014, Bescheide über die Festsetzung von Anspruchszinsen 2013 und 2004, Bescheid über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen) das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht. Soweit das gegenständliche Verfahren betroffen ist wurde begründend ausgeführt, dass keine schuldhafte Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten vorliege. Bereits mit Schreiben vom sei dargelegt worden, dass einziger Gläubiger im Insolvenzverfahren der Primärschuldnerin die Dienstnehmerin bzw. der IEF, die NÖGKK sowie das Finanzamt als Abgabenbehörde gewesen seien. Auslöser für das Insolvenzverfahren wäre die Abgabenachforderung auf Grund der Außenprüfung durch die Abgabenbehörde. Ab Fälligkeit bzw. Zahlungsfrist der Abgabenachforderung seien keine Zahlungen mehr geleistet und das Insolvenzverfahren angemeldet worden. Es liege somit kein Verschulden des Beschwerdeführers vor.
Wie die Abgabenbehörde richtig ausführen würde, seien an die Abgabenbehörde nach dem Zahlungen erfolgt. Es liege somit kein Verschulden des Beschwerdeführers vor, das zur Inanspruchnahme der Haftung berechtigen würde. Dies auch deshalb, weil ein Verkauf der Eigentumswohnung erfolgt sei, um in beiden Insolvenzverfahren die Quote aufzubringen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid vom als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde festgehalten, dass ab der Fälligkeit bzw. Zahlungsfrist der Abgabenachforderungen aus der Betriebsprüfung () noch Zahlungen an das Finanzamt geleistet worden seien. Somit würden sich aus dem Akteninhalt infolge der erfolgten Teilzahlungen auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin keine deutlichen Anhaltspunkte für das Fehlen liquider Mittel zur Abgabenentrichtung ergeben. Nach Darlegung der diesbezüglichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes fasste das Finanzamt zusammen, dass sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass die Inanspruchnahme zur Haftung zu Unrecht erfolgt sei. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgaben könnten in diesem Verfahren nicht erfolgreich erhoben werden.

Mit Schriftsaft vom beantragte die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht, die Entscheidung durch den gesamten Senat sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Ergänzend zur Schuldhaftigkeit werde ausgeführt, dass der Verkauf der Wohnung deswegen erfolgt sei, um die Quote in beiden Insolvenzverfahren zu bedienen. Schon daraus könne sich keine Schuldhaftigkeit ergeben. Die Gründe dafür seien bereits im Vorhalteverfahren dargelegt worden

Mit Bericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde an das Bundesfinanzgericht vor und beantragte deren Abweisung.

Mit Schreiben vom zog der steuerliche Vertreter des Beschwerdeführers die Anträge auf Senatszuständigkeit und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück. Gleichzeitig wurde die Beschwerde dahingehend ergänzt, dass sich die Nachforderungen aufgrund einer Außenprüfung ergeben hätten. Nach Feststehen der Nachforderung seien an keine Gläubiger mehr Zahlungen geleistet worden. Das Insolvenzverfahren sei beantragt und eröffnet worden. Es liege daher kein schuldhaftes Vergehen vor, sondern der gleiche Sachverhalt, der zur Aufhebung des Haftungsbescheides in den Verfahren , und RV/7102970/2019 vom geführt hätte.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Mit Gesellschaftsvertrag vom wurde die Primärschuldnerin GmbH (= Primärschuldnerin) gegründet. Der am geborene Beschwerdeführer war ab der Gründung der Firma bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens deren handelsrechtlicher Geschäftsführer.

Im Jahr 2017 wurde bei der Primärschuldnerin eine Außenprüfung durchgeführt und in der Folge die dem gegenständlichen Haftungsbescheid zugrundeliegenden Abgabenbescheide (Bescheide vom ) erlassen.

Nachdem die Bescheide nach der Außenprüfung verbucht worden waren () wurden von der Primärschuldnerin noch folgende Überweisungen an das Finanzamt getätigt.


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Datum
Betrag in Euro
1.340,22
2.097,79
1.340,22
3.193,23
1.336,25
2.684,90
1.621,77
711,51

Es wurden in diesem Zeitraum auch Lohnsteuer und Lohnabgaben gemeldet. Die letzte diesbezügliche Meldung erfolgte für September 2017.

Trotz diesbezüglicher Aufforderung seitens des Finanzamt legte der Beschwerdeführer nicht offen, welche finanziellen Mittel der Primärschuldnerin zu den jeweiligen Fälligkeitstagen zur Verfügung standen und welche Verbindlichkeiten damit bedient werde mussten.

Mit Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom wurde über das Vermögen der Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet. Nach Schlussverteilung wurde mit Beschluss vom das Konkursverfahren aufgehoben und die Firma gemäß § 40 FBG gelöscht. Gläubiger im Konkursverfahren waren die Dienstnehmerin bzw. der IEF, die NÖGKK sowie das Finanzamt als Abgabenbehörde.

Mit Bescheid vom wurde die Haftung für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin in Höhe von 57.732,64 € geltend gemacht. Die diesbezüglichen Abgabenforderungen haften am Abgabenkonto der Primärschulderin zur Gänze unberichtigt aus:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag in Euro
Umsatzsteuer
2013
17.02.204
1.039,33
Umsatzsteuer
20104
7.866,62
Umsatzsteuer
01/2017
9.878,41
Umsatzsteuer
04/2017
1.236,84
Umsatzsteuer
05/2017
1.569,89
Kapitalertragsteuer
01-12/2013
15.061,72
Kapitalertragsteuer
01-12/2014
10.412,03
Körperschaftsteuer
2013
4.614,43
Körperschaftsteuer
2014
4.517,76
Anspruchszinsen
2013
484,08
Anspruchszinsen
2014
106,53
Säumniszuschlag
2013
403,12
Säumniszuschlag
2014
384,55
Säumniszuschlag
2015
157,33
Summe
57.732,64

Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Spruchsenates vom , SpS 451/18-IV, wurde ua ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Primärschuldnerin
a) vorsätzlich Kapitalertragsteuer 2012 iHv 6.876,89 €, Kapitalertragsteuer 2013 iHv 18.960,49 € und Kapitalertragsteuer 2014 iHv 11.505,01 € nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet (abgeführt) hat, sowie
b) grob fahrlässig unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Abgabe unrichtiger Umsatzszteuer- und Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 2012 bis 2014 die Verkürzung von
Umsatzsteuer 2012 iHv 3.311,28 €
Umsatzsteuer 2013 iHv 9.740,99 €
Umsatzsteuer 2014 iHv 8.692,40 €
Körperschaftsteuer 2012 iHv 4.467,00 €
Körperschaftsteuer 2013 iHv 12.568,00 € und
Körperschaftsteuer 2014 iHv 4.992,00 € bewirkt hat und dadurch die Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit a FinStrG sowie das Finanzvergehen nach § 34 Abs. 1 FinStrG begangen hat.
Aus der diesbezüglichen Vorlage des Finanzamtes als Finanzstrafbehörde an den Spruchsenat geht hervor, dass der Beschwerdeführer im haftungsgegenständlichen Zeitraum nicht alle Erlöse und Einnahmen in der Buchhaltung der Primärschuldnerin erfasste, obwohl er diese Beträge (als Person) erhielt. Durch diese Vorgangsweise verkürzte er Umsatz- und Körperschaftsteuer. Da die nicht erfassten Beträge dem Beschwerdeführer zugeflossen sind, er nicht nur Geschäftsführer sondern auch Gesellschafter war, liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung vor und er verkürzte daher auch die Kapitalertragsteuer. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Spruchsenat zeigte sich der Beschuldigte/Beschwerdeführer geständig.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten, den Parteinvorbringen, dem Straferkenntnis vom , SpS 451/18-IV und aus dem Abgabeninformationssystem.

Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Die in den Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Gemäß § 9 Abs 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Nach § 80 Abs 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 BAO voraus, dass eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht, die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis des §§ 80 ff BAO gehört, eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertreters vorliegt und die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.

3.1.1. Zur Vertreterhaftung

Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer von der Gründung der Primärschuldnerin GmbH bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens am deren Geschäftsführer war.

Die Haftung nach § 9 BAO stellt nicht die Haftung für einen Schaden dar, welcher dem Abgabengläubiger bei Gesamtbetrachtung der Abgabenschulden mehrerer Abgabenschuldner entstanden ist, sondern der Tatbestand des § 9 BAO stellt darauf ab, dass Abgabenschulden eines Abgabepflichtigen nicht eingebracht werden können.

Als Geschäftsführer der Primärschuldnerin war der Beschwerdeführer im haftungsrelevanten Zeitraum ihr abgabenrechtlicher Vertreter.

3.1.2. aushaftende Abgabenschuldigkeiten gegenüber der Primärschuldnerin

Geht einem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Abgabenbescheid zu halten (vgl. ). Durch § 248 BAO ist dem Haftenden allerdings ein eigenständiger Rechtszug gegen den seiner Haftungsinanspruchnahme zugrundeliegenden Abgabenbescheide eingeräumt. ()

Gemäß § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen.

Das Beschwerderecht gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch steht dem Haftungspflichtigen auch dann zu, wenn der betreffende Bescheid bereits vom Erstschuldner angefochten wurde, und selbst dann, wenn dazu bereits eine Entscheidung vorliegt (vgl. ). Aus § 248 BAO ergibt sich weiters, dass der zur Haftung Herangezogene jedenfalls den gegen ihn geltend gemachten Abgabenanspruch dem Grunde und der Höhe nach bekämpfen können muss ().

Gegenständlich hat der Beschwerdeführer nicht nur gegen den Haftungsbescheid gemäß § 9 BAO sondern auch gegen die zugrundliegenden Abgabenbescheide Beschwerde eingebracht. Werden gleichzeitig mit der Beschwerde gegen die Inanspruchnahme zur Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO auch die Sachbescheide angefochten, so ist nach der Judikatur des VwGH zuerst über die Rechtmäßigkeit der Haftung zu entscheiden. Dies deshalb, weil davon die Beschwerdebefugnis gegen die Sachbescheide (Beschwerdelegitimation) abhängt ().

Das bedeutet, dass mit der gegenständlichen Entscheidung beurteilt wird, ob die Inanspruchnahme des Beschwerdeführers als Haftungsschuldner für Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin an sich zu Recht erfolgt ist, in einem weiteren anschließenden Verfahren wird zu beurteilen sein, ob die Abgabenfestsetzung gesetzeskonform erfolgt ist.

3.1.3. Zur Uneinbringlichkeit

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Sie darf nur dann geltend gemacht werden, wenn der Ausfall nicht nur beim Erstschuldner, sondern auch bei mit ihm verbundenen Gesamtschuldnern sowie bei außerhalb des § 9 BAO Haftenden eindeutig feststeht (vgl. Ritz, BAO6, § 9 Tz 4 und 7, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Eine Entrichtung durch Dritte - allenfalls auch durch Überrechnung von Guthaben (§ 215 Abs. 4 BAO) - würde dazu führen, dass insoweit die Abgabenschuldigkeit erfüllt wäre; eine derartige Zahlung wäre auch noch im Beschwerdeverfahren über einen Haftungsbescheid zu berücksichtigen ().

Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit unbestritten fest, da mit Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom das Konkursverfahren nach Schlussverteilung aufgehoben und die Firma wegen Vermögenslosigkeit gelöscht wurde.

Die haftungsgegenständlichen Abgaben haften am Abgabenkonto der Primärschuldnerin zur Gänze unberichtigt aus.

3.1.4. Zur Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten

Für die Haftung relevant ist die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten (zB Entrichtungspflicht in § 80 Abs 1 letzter Satz, aus der das Gleichbehandlungsgebot abgeleitet wird, Einbehaltungs- und Abfuhrpflicht gem § 78 Abs. 3 EStG 1988 für Lohnsteuer oder gem § 95 Abs. 2 Satz 2 EStG 1988 für Kapitalertragsteuer).

Den Vertreter trifft die Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung bzw. Abfuhr von Abgabenverbindlichkeiten. Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob den Vertreter die Gleichbehandlungpflicht erfüllt hat, bestimmt sich danach, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre ().

Der Beschwerdeführer hat es im gesamten Verfahren unterlassen darzutun, dass der Primärschuldnerin bezogen auf die maßgeblichen Fälligkeitstage der haftungsgegenständlichen Abgaben die vorhandenen Mittel zur ordnungsgemäßen Entrichtung der Abgaben gefehlt hätten. Vielmehr wurde dargelegt, außer dem Finanzamt nur die Dienstnehmerin bzw. der IEF und die NÖGKK Gläubiger im Konkursverfahren gewesen seien. Dies lässt darauf schließen, dass die meisten anderen Gläubiger zur Gänze befriedigt worden sind. Der Umstand, dass die anderen Gläubiger voll (Zug-um-Zug) befriedigt worden sind, während die Abgabenverbindlichkeiten nicht (pünktlich) entrichtet worden sind, stellt eine gravierende Verletzung des Gläubigergleichbehandlungsgebotes dar. Aus der Meldung der Lohnabgaben (zuletzt für den Monat September 2017) geht hervor, dass jedenfalls die Löhne bis unmittelbar vor der Konkurseröffnung bezahlt worden sind.

Unabhängig von wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Gesellschaft ist die Verletzung der Verpflichtung zur Abfuhr Kapitalertragsteuer jedenfalls schuldhaft, weil es sich dabei um solche Abgaben handelt, deren Entrichtung bzw Abfuhr bei korrekter Geschäftsführung durch diese Schwierigkeiten nicht gehindert war ().

Für Abgaben, die der Vertretene als Abfuhrverpflichteter nicht ordnungsgemäß abgeführt hat (zB Lohnsteuer nach § 82 EStG, Kapitalertragsteuer nach § 95 EStG, Steuerabzugsbeträge nach § 99 EStG) haftet der Vertreter in voller Höhe, und zwar auch dann, wenn liquide Mittel zur Abfuhr dieser Abgaben nicht vorhanden gewesen wären.

Das bedeutet, dass die Haftung für die Kapitalertragsteuer in Höhe von 20.378,09 € jedenfalls besteht - unabhängig von den der Primärschuldnerin zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel.

Von einer Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ist daher insgesamt auszugehen.

3.1.5. Verschulden

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war (; ; ; vgl. Ritz, BAO6, § 9 Tz 22).

Die nach § 9 BAO erforderliche Verschuldensprüfung hat von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen (vgl. ). Daraus folgt, dass für die Haftung, der dem an die Primärschuldnerin ergangenen Abgabenbescheid zugrunde liegende Sachverhalt heranzuziehen ist, da es nicht Zweck des Haftungsverfahrens sein kann, die Sachverhaltserhebungen des Abgabenverfahrens zu wiederholen, die ohnedies Gegenstand des vom Beschwerdeführer angestrengten Beschwerdeverfahrens nach § 248 BAO sind. Lediglich haftungserhebliche Sachverhaltsfragen, die der Abgabenbescheid offenlässt, sind im Haftungsverfahren im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu ermitteln.

Als schuldhaft im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO gilt jede Form des Verschuldens. Leichte Fahrlässigkeit genügt.

Dass der Gesellschaft zu den haftungsrelevanten Fälligkeitsterminen keine ausreichenden Mittel zur Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zur Verfügung gestanden wären, wurde nicht behauptet. Dennoch wurden die Abgaben nicht (rechtzeitig) entrichtet bzw. abgeführt. Damit benachteiligte der Beschwerdeführer offenkundig bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel den Abgabengläubiger und verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot ().

Ein Unternehmer hat sich bei Ausübung seiner Tätigkeit mit den einschlägigen (abgabenrechtlichen) Vorschriften vertraut zu machen und sich im Zweifel bei der Behörde oder einem befugten Parteienvertreter zu erkundigen.

Der Beschwerdeführer hat im Haftungsverfahren kein glaubhaftes Vorbringen erstattet hat, wonach er nicht schuldhaft davon ausging, dass Einnahmen und Erträge der Primärschuldnerin nicht vollständig erklärt und die Abgaben nicht vollständig und pünktlich zu entrichten sind.

Der Hinweis auf das Erkenntnis des Ra 7102970/2019, und auf die Entscheidung des , vermag dem gegenständlichen Verfahren nicht zum Erfolg verhelfen. In den zitierten Entscheidungen wurde festgestellt, dass der Haftungsschuldner "ab Erkennbarkeit der Insolvenz sofort einen Rechtsanwalt eingeschaltet und entsprechend seinem Rat keine Zahlungen mehr geleistet, sondern fristgerecht einen Eigenantrag auf Eröffnung eines Konkursverfahrens gestellt" habe.

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer einerseits bis kurz vor Eröffnung des Konkursverfahrens Zahlungen (an das Finanzamt und Lohnzahlungen) geleistet. Dies wird auch in der Beschwerde ausgeführt: "Wie die Abgabenbehörde im ggstl. Bescheid richtig feststellt, erfolgten Zahlungen an die Abgabenbehörde nach dem ." Andererseits wird nicht behauptet, der Beschwerdeführer aufgrund eines entschuldbaren Rechtsirrtum nicht für die pünktliche Entrichtung der Abgabenverpflichtungen der Primärschuldnerin gesorgt habe.

Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Spruchsenat im Rahmen der mündlichen Verhandlung geständig zeigte. Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Spruchsenates vom wurde er für schuldig erkannt,
a) vorsätzlich Kapitalertragsteuer 2012 iHv 6.876,89 €, Kapitalertragsteuer 2013 iHv 18.960,49 € und Kapitalertragsteuer 2014 iHv 11.505,01 € nicht spätestens am fünften Tag nach Fälligkeit entrichtet (abgeführt) zu haben, sowie
b) grob fahrlässig unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht durch Abgabe unrichtiger Umsatzszteuer- und Körperschaftsteuererklärungen für die Jahre 2012 bis 2014 die Verkürzung von
Umsatzsteuer 2012 iHv 3.311,28 €
Umsatzsteuer 2013 iHv 9.740,99 €
Umsatzsteuer 2014 iHv 8.692,40 €
Körperschaftsteuer 2012 iHv 4.467,00 €
Körperschaftsteuer 2013 iHv 12.568,00 € und
Körperschaftsteuer 2014 iHv 4.992,00 € bewirkt und dadurch die Finanzordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 lit a FinStrG sowie das Finanzvergehen nach § 34 Abs. 1 FinStrG begangen zu haben.

Dass der Beschwerdeführer seine abgabenrechtlichen Pflichten, nämlich die pünktliche Entrichtung bzw. Abfuhr der Abgabenverbindlichkeiten der Primärschuldnerin aus deren vorhandenen Mitteln, schuldhaft verletzt hat, wurde damit dargelegt.

3.1.6. Kausalzusammenhang

Die Pflichtverletzung muss ursächlich für die Uneinbringlichkeit sein (). Hat der Geschäftsführer schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit war ().

Die Zeitpunkte, zu denen die einzelnen Abgabenverbindlichkeiten bei pflichtgemäßer Entrichtung aus den Mitteln der Primärschuldnerin zu tilgen gewesen wären, lagen größtenteils lange vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Es liegt daher auf der Hand, dass die von der beschwerdeführenden Partei zu verantwortenden Pflichtverletzungen für den Abgabenausfall kausal waren.

3.1.8. Nebengebühren

Was die Geltendmachung der Haftung für Nebengebühren (Anspruchszinsen, Säumniszuschlag) anlangt, ist auf die Bestimmung des § 7 Abs. 2 BAO zu verweisen, wonach sich persönliche Haftungen auch auf Nebengebühren im Sinne des § 3 Abs. 1 und 2 BAO erstrecken. ()

3.1.8. Ermessen

Die Heranziehung zur Haftung gemäß § 224 BAO ist in das Ermessen (§ 20) der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist (; vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren³, § 224 Anm. 11).

Unter Billigkeit versteht die ständige Rechtsprechung die "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", unter Zweckmäßigkeit das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben (Ritz, BAO6, § 20 Tz 7).

Vom Beschwerdeführer wurde nichts dahingehend vorgebracht, weshalb die Haftung wegen seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geltend gemacht werden dürfe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Haftung nicht nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte und des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden, sondern auch darüber hinaus. Eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen steht in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (). Eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit schließt nicht aus, dass künftig erzielte Einkünfte oder künftig neu hervorgekommenes Vermögen zur Einbringlichkeit der Haftungsschuld führen. Aufgrund des Alters des Beschwerdeführers (56 Jahre) ist mit der Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben noch zu rechnen.

Da der Abgabenausfall auf ein Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen ist, ist den Zweckmäßigkeitsgründen der Vorrang einzuräumen. In Hinblick auf die Vermögenslosigkeit der Primärschuldnerin ist die Geltendmachung der Haftung die einzige Möglichkeit, für die Einbringlichkeit der gegenständlichen Abgaben zu sorgen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall sind die zu klärenden Rechtsfragen durch die zitierte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einheitlich entschieden, sodass eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.5101229.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at