Außergewöhnliche Belastung bei Behinderung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***2***, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes ***3*** (nunmehr ***FA***) vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht:
I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Am reichte der Beschwerdeführer (in der Folge: Bf.) elektronisch eine Erklärung zur Veranlagung der Einkommensteuer 2019 (Arbeitnehmerveranlagung) ein.
Die Veranlagung durch die belangte Behörde erfolgte mit Bescheid vom (ON 2). Vom Antrag wurde insoweit abgewichen, als die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 1.323,65 Euro nicht in Zusammenhang mit einer Behinderung angesetzt worden sind. Grund sei, dass kein ursächlicher Zusammenhang mit der festgestellten Behinderung vorliege.
In Summe kam es zu mit dem angefochtenen Bescheid zu einer Abgabennachforderung von 1.087 Euro.
Am erhob der Bf. gegen den Bescheid vom auf elektronischem Wege das Rechtsmittel der Bescheidbeschwerde (ON 1). Wie in Rz 839f der Lohnsteuerrichtlinien des BMF angeführt sei, gelte bei einer unfallbedingten Behinderung der festgestellte Grad der Behinderung immer rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Unfalls. Überdies werde ein Sachverständigengutachten beigelegt.
Die belangte Behörde wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom (ON 3) als unbegründet ab. In dem vorgelegten Sachverständigengutachten vom sei keine rückwirkende Feststellung ersichtlich. Somit sei der Freibetrag und die geltend gemachten zusätzlichen Kosten nicht zu berücksichtigen.
Mit über FinanzOnline eingebrachtem Schreiben vom (ON 4) begehrte der Bf. die Vorlage der Bescheidbeschwerde zur Entscheidung an das Verwaltungsgericht. Anbei sende er ein neues, rückwirkend ausgestelltes Sachverständigengutachten. Er beantrage daher neuerlich den Pauschalbetrag für eine 80%ige Behinderung sowie die Ausgaben für Hilfsmittel und Kosten der Heilbehandlung in Höhe von 1.323 Euro.
Mit Schreiben vom legte die belangte Behörde die Bescheidbeschwerde dem Verwaltungsgericht vor. Aufgrund des nunmehr vorliegenden Sachverständigengutachtens werde beantragt, den Freibetrag für Behinderung ab ***1*** 2019 anzuerkennen. Hinsichtlich der Anerkennung der Kosten für die außergewöhnliche Belastung werde auf eine beigelegte Aufstellung verwiesen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Der Bf. war im Streitjahr als Krankenpfleger nichtselbständig beschäftigt und erzielte daraus laut Lohnzettel steuerpflichtigen Bezüge in Höhe von 29.320,81 Euro. Darüber hinaus bezog er durch die Österreichische Gesundheitskasse (insgesamt 5 Lohnzettel) einen Gesamtbetrag an steuerpflichtigen Bezügen von 8.434,80 Euro.
Eine durch eine Behinderung verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Bf. ist seit ***1*** 2019 gegeben und beträgt 80%.
Dem Bf. erwuchsen Kosten der Heilbehandlung, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen, in Höhe von 424,36 Euro und sonstige Krankheitskosten, die nicht im Zusammenhang mit der Behinderung stehen (insbesondere eine Brille) in Höhe von 824,72 Euro.
Beweiswürdigung
Die festgestellten steuerpflichtigen Bezüge sind zwischen den Parteien unstrittig und ergeben sich aus den gemeldeten Lohnzetteln.
Hinsichtlich des Vorliegens einer außergewöhnlichen Belastung ist allgemein darauf hinzuweisen, dass es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe zB , 95/14/0124) Sache des Abgabepflichtigen ist, das Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen von außergewöhnlichen Belastungen darzutun.
Der Steuerpflichtige ist verpflichtet, bei Inanspruchnahme der Begünstigung nach § 35 Abs 5 EStG 1988 den ursächlichen Zusammenhang zwischen seiner und den von ihm angewendeten Heilmitteln bzw. Heilbehelfen nachzuweisen ().
Der Bf. hat die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch ein Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (ON 9) nachgewiesen. Hinsichtlich der übrigen Kosten (Hilfs- und Arzneimittel) hat der Bf. entsprechende Belege beigebracht (ON 7).
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)
Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein, zwangsläufig erwachsen und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.
Nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dann wesentlich beeinträchtigt, wenn dieses den einkommensabhängigen Selbstbehalt übersteigt. Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen zwischen 14.600,00 Euro und 36.400 Euro 10 % des Einkommens (inklusive sonstige Bezüge gemäß § 67 EStG 1988) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen.
Gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 können Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen iSd § 34 Abs. 1 und 2 EStG 1988 ohne Berücksichtigung des in § 34 Abs. 4 EStG 1988 festgelegten Selbstbehaltes u.a. für Mehraufwendungen aus dem Titel einer Behinderung berücksichtigt werden, sofern die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 EStG 1988 vorliegen und soweit diese die Summe pflegebedingter Geldleistungen übersteigen. Dazu kann der Bundesminister für Finanzen mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf den Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 und ohne Anrechnung auf Pflegeleistungen zu berücksichtigen sind.
Nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 steht einem Steuerpflichtigen ein Freibetrag zu, wenn dieser außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat. Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die (abgesehen von den Empfängern einer Opferrente und bei Berufsunfällen) vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen entweder durch Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. im Negativfall durch einen entsprechenden Bescheid nachzuweisen ist.
Nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 beträgt dieser Freibetrag bei einem Grad der Behinderung von 75% bis 84% 718 Euro pro Jahr.
Der Freibetrag steht jährlich zu und eine Aliquotierung ist nicht vorzunehmen (Peyerl in Jakom EStG 1988 2021, § 35 Rz 12 mVa ). Der Freibetrag steht auch dann zur Gänze zu, wenn die die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit erst im Lauf des Kalenderjahres erfolgt (Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn (Hrsg), Kommentar zum EStG20 Tz 8/1; kritisch: Peyerl, aaO). Das Verwaltungsgericht folgt der von Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn (Hrsg), Kommentar zum EStG20 Tz 8/1 vertretenen Ansicht. Dies entspricht auch der Verwaltungspraxis (LStR Rz 839f). Der festgestellte Grad der Behinderung des Bf. beträgt 80%. Pflegegeld wurde nicht bezogen. Es steht demnach der volle Freibetrag in Höhe von 718 Euro zu.
Nach § 35 Abs. 7 EStG 1988 kann der Bundesminister für Finanzen nach den Erfahrungen der Praxis im Verordnungsweg Durchschnittssätze für Kosten bestimmter Krankheiten sowie körperlicher und geistiger Gebrechen festsetzen, die zu Behinderungen im Sinne § 35 Abs. 3 EStG 1988 führen.
Nach § 1 Abs. 1 der Verordnung für außergewöhnliche Belastungen, BGBl. 303/1996 idF BGBl. II 430/2010 (im Folgenden kurz: VO), sind bei Vorliegen von Aufwendungen durch eine eigene körperliche und geistige Behinderung die in den §§ 2 bis 4 der Verordnung genannten Mehraufwendungen ohne Kürzung des Freibetrages und um pflegebedingte Geldleistungen zu berücksichtigen, wenn das Ausmaß der Behinderung mindestens 25 % beträgt.
Nach § 4 der VO sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel sowie Kosten der Heilbehandlung im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen. Die Mehraufwendungen gemäß § 4 dieser VO sind nicht um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen (§ 1 Abs. 3 der VO).
Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit von Kosten der Heilbehandlung nach § 4 der Verordnung ist, dass diese in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen (). Zu den Kosten der Heilbehandlung zählen auch die in diesem Zusammenhang anfallenden Fahrtkosten (). Erfasst sind nur solche Krankheitskosten, die typischerweise mit einer Heilbehandlung verbunden sind und nicht Kosten zur Vorbeugung von Krankheiten. Bloße Vorstellungen der Betroffenen über eine bestimmte medizinische Betreuung stellen keinen triftigen medizinischen Grund für Aufwendungen dar (idS ).
Nach dem festgestellten Sachverhalt sind dem Bf. Kosten der Heilbehandlung, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen, in Höhe von 424,36 Euro erwachsen. Bei den vom Bf. geltend gemachten Kosten für die Spitalsbehandlung war eine Haushaltsersparnis von 130,75 Euro zu berücksichtigen.
Insgesamt waren die genannten 424,36 Euro als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen.
Darüber hinaus erwuchsen dem Bf. Krankheitskosten, die nicht im Zusammenhang mit der Behinderung stehen in Höhe von 824,72 Euro. Dieser Betrag übersteigt nicht den Selbstbehalt gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988, weshalb es zu keiner steuerlichen Auswirkung kommt.
Zur vom Bf. geltend gemachten Anschaffung einer Gymnastikmatte ist anzumerken, dass Aufwendungen für den Erwerb von Wirtschaftsgütern dann keine außergewöhnliche Belastung darstellen, wenn durch sie ein entsprechender Gegenwert erlangt wird, wenn somit bloß eine Vermögensumschichtung und keine Vermögensminderung eintritt (). Eine andere Beurteilung kann gegebenenfalls erforderlich sein bei Beschaffung von Wirtschaftsgütern, die auf Grund ihrer Verwendbarkeit nur für bestimmte individuelle Personen (zB. Prothesen, Seh- oder Hörhilfen) oder wegen ihrer spezifisch nur für Behinderte geeigneten Beschaffenheit keinen oder nur einen sehr eingeschränkten allgemeinen Verkehrswert haben (). Dies ist bei einer marktgängigen Gymnastikmatte nicht der Fall, weshalb keine außergewöhnliche Belastung im Sinne der §§ 34 f EStG 1988 vorliegt.
Die vom Bf. geltend gemachten Kosten für die amtsärztliche Untersuchung für einen Führerschein stehen mit der Behinderung des Bf. nicht in Zusammenhang und stellen weder Aufwendungen für Hilfsmittel noch für Heilbehandlung dar. Zudem sind sie nicht zwangsläufig erwachsen, weil es dem Bf. frei steht, einen Führerschein zu beantragen. Diese Kosten sind daher nicht als außergewöhnliche Belastung abzuziehen.
Insgesamt war der angefochtene Bescheid spruchgemäß insofern abzuändern, als der Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 sowie die Kosten der Heilbehandlung, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehen als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt anzuerkennen waren.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine ausdrückliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, dass eine Aliquotierung des Freibetrages nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 bei unterjährige Feststellung einer Behinderung nicht zu erfolgen hat, besteht nicht. Damit liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb eine Revision gegen dieses Erkenntnis zuzulassen ist.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 34 Abs. 4 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 35 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 4 Außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100294.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at