Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.09.2021, RV/2100516/2020

Keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***5*** p.A. ***6*** Erwachsenenvertretung, über die Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid des Finanzamtes Bruck Leoben Mürzzuschlag vom betreffend Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe für die Zeiträume Februar 2014 bis Mai 2014 und ab März 2019 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die am xx.xx.1996 geborene Beschwerdeführerin (Bf.) stellte am durch ihren Erwachsenenvertreter einen Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab für sich und einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, rückwirkend fünf Jahre ab Antragstellung.

In dem daraufhin über Ersuchen des Finanzamtes und im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen ("Sozialministeriumservice/SMS") erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde unter Hinweis auf Anamnese, relevanter vorgelegter Befunde und Untersuchungsbefund folgende Diagnose erstellt und dafür nach der angegebenen Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 50 v. H. festgestellt:


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"1
Borderline-Persönlichkeitsstörung und Opiatabhängigkeit, im Substitutionsprogramm seit Oktober 2018
Unterster Richtsatzwert dieser Richtsatzposition. Es besteht ein ständiger Behandlungsbedarf. Deutliche Anpassungsschwierigkeiten und Probleme in der Lebensführung sind erfassbar.
GdB 50%

Der Gesamt-GdB beträgt 50% und wird durch die GS1 gebildet.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern.
GdB liegt vor seit 06/2009
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: 2009 stationäre Behandlung Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie nach Suizidversuch
Frau
***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Die Probandin steht schon längere Zeit in einer regelmäßigen psychiatrischen fachärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung. Eine relevante Besserung des Gesundheitszustandes ist sehr wahrscheinlich."

Dieses Gutachten vidierte die leitende Ärztin am .

Im Bescheid vom wurde unter Verweis auf die Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) der Antrag der Bf. für den Zeitraum vom Februar 2014 bis Mai 2014 und ab März 2019 abgewiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass das Sozialministeriumservice keine dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt habe und daher ab März 2019 kein Anspruch auf (erhöhte) Familienbeihilfe bestehe. Da die Bf. die Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 erst seit Dezember 2014 bezieht, könne auch die erhöhte Familienbeihilfe erst ab diesem Zeitpunkt gewährt werden.

Mit Schreiben vom brachte der Erwachsenenvertreter der Beschwerdeführerin die Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid ein mit der Begründung, dass die Bf. aktuell als erwerbsunfähig anzusehen sei. Dies lasse sich aus der Begründung des Sachverständigen-Gutachtens des Sozialministeriumservice erschließen. Der Zeitraum der Erwerbsunfähigkeit erstrecke sich seit Juni 2009 bis jedenfalls Juni 2019, also über 10 Jahre. Aus dem Versicherungsdatenauszug der PVA vom und nach den Angaben der Bf. gehe hervor, dass sie nur über sehr geringe Arbeitszeiten bzw. Ausbildungszeiten verfüge.
Nach herrschender Rechtsprechung zu den Anspruchsvoraussetzungen der erhöhten Familienbeihilfe bei volljährigen Personen könne die Frage, ob eine behinderte Person voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht schematisch an Hand eines in einem bestimmten Zeitraum erzielten Einkommens oder nur auf Grund des Umstandes bestehender Arbeitsverhältnisse, sondern ohnedies nur unter Berücksichtigung von Art und Grad der Behinderung bzw. der medizinischen Gesamtsituation der betroffenen Person beurteilt werden.
Das letzte Beschäftigungsverhältnis, eine überbetriebliche Lehre am BFI Steiermark, sei auf Grund langer Krankenstände mit beendet worden. Es müsse angenommen werden, dass sich die Bf. als arbeitswillig gezeigt habe, sie aber auf Grund ihrer Diagnosen und den daraus resultierenden Krankenständen nicht ausreichend dazu im Stande sei, sich durch Erwerbsarbeit selbst zu erhalten. Folgende Unterlagen wurden beigelegt:
Befundbericht KABEG, Abteilung für Neurologie/Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters,
Arztbriefe LKH Hochsteiermark,
Kurzmitteilungen Suchberatung Obersteiermark, Dr. ***1***, vom Nov. 2016 -Mai. 2019,
Krankenstandsbestätigungen GKK Steiermark,
Versicherungsdatenauszug SV,
Sachverständigengutachten Prim. Univ.-Doz. Dr. ***2*** vom und
Sachverständigengutachten des SMS vom für den Zeitraum der rückwirkenden Zuerkennung ab Antragsdatum .

Nach Anforderung eines weiteren Gutachtens beim Sozialministeriumservice wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom unter Verweis auf die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 6 Abs. 2 lit. d, 8 Abs. 5 und Abs. 6 FLAG 1967 ab und führte in der Begründung aus, dass am elektronisch die Metadaten von dem neuerlich angeforderten Sachverständigen-Gutachten des Sozialministeriumservice übermittelt worden seien, in dem wiederum festgestellt worden sei, dass die Beschwerdeführerin voraussichtlich nicht dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Daraufhin stellte der Erwachsenenvertreter der Beschwerdeführerin den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) ohne weitere Begründung.

Im Zuge eines Vorhalteverfahrens wurde vom Erwachsenenvertreter der Bf. das im Auftrag des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen erstellte ärztliche Sachverständigengutachten vom übermittelt.

In dem zuletzt genannten Sachverständigengutachten wurde unter Hinweis auf Anamnese, relevanter vorgelegter Befunde und Untersuchungsbefund folgende Diagnose erstellt und dafür nach der angegebenen Richtsatzposition der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) wiederum ein Gesamtgrad der Behinderung (GdB) von 50 v. H. festgestellt:


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"1
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung und Opiatabhängigkeitssyndrom
unterer RSW, da ernsthafte und durchgängige Einschränkungen
GdB 50%

Der Gesamtgrad der Behinderung wird durch die GS1 gebildet.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Die Polytoxikomanie und die Panikattacken subsummieren sich unter die oben beschriebenen Diagnosen
Stellungnahme zum Vorgutachten:
Im Vergleich zum VGA von 05/2019 ergibt sich keine Änderung der psychischen Einschätzung
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern.
GdB liegt vor seit 06/2009
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor: Im Juni 2009 wurde der Befund eines eintägigen stationären Aufenthaltes an der Kinder- und Jugendpsychiatrie Leoben vorgelegt, eine "Selbstverletzungstendenzen" wurde beschrieben, dies entspricht jedoch keinem Suizidversuch
Es kann davon ausgegangen werden, dass dies erste Symptome der später beschriebenen Borderline Störung waren. Die Antragstellerin ist in psychiatrisch- psychotherapeutischer Behandlung, sowie in Substitutionsbehandlung, somit ist davon auszugehen, dass eine relevante Verbesserung des Gesundheitszustandes sehr wahrscheinlich ist. Das Arbeits- und Berufspsychologische Gutachten von wurde eingesehen, ergibt jedoch keine neuen Fakten, die eine Änderung der bisherigen Einschätzung bedingen.
Frau
***Bf1*** ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: NEIN
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Eine Besserung der Symptomatik ist durch die therapeutischen Maßnahmen sehr wahrscheinlich.
Nachuntersuchung 05/2022"

Dieses Gutachten vidierte die leitende Ärztin am .

Lt. Abfrage in der SV-Datenbank vom war die Bf. vom bis Lehrling am BFI Steiermark und bezog ab die Mindestsicherung.

Im Vorlagebericht führte das Finanzamt auszugsweise aus.
"Der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung wurde für die Zeiträume Dezember 2014 bis Oktober 2015 sowie von Mai 2016 bis Juli 2017 und von November 2017 bis Februar 2019 an die Bf ausbezahlt, da sie sich in diesen Zeiträumen in einer Berufsausbildung befand (laut Bestätigung vom von BFI/AMS endete das Ausbildungsverhältnis am ) - Anspruch gemäß § 6 Abs. 2 lit. g FLAG 1967.
Für den Zeitraum von Februar 2014 bis Mai 2014 wurde die Zuerkennung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung verneint (Abweisungsbescheid vom , zugestellt am ), da bis einschließlich Mai 2014 die Mutter der Bf, Frau
***3***, VNR ***4***, die Anspruchsberechtigte für die Familienbeihilfe war und diese auch erhalten hat.
Ab März 2019 wurde keine weitere Ausbildung nachgewiesen, ……
"

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) idgF haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 bezweckt die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen ().

Gemäß § 6 Abs. 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

Nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. g FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie erheblich behindert sind (§ 8 Abs. 5), das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist; § 2 Abs. 1 lit. b zweiter bis letzter Satz sind nicht anzuwenden.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, ist der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung, und würde er auch 100 % betragen (s auch ; ). Auch bei einer Behinderung von 100 % ist es nicht ausgeschlossen, dass der Betreffende imstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (). Allerdings ist bis zum 25. Lebensjahr auch § 2 Abs. 1 lit h (§ 6 Abs. 2 lit g) zu beachten. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, steht sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8, Rz 19).

Das nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl. dazu , sowie , und ) hat sich darauf zu erstrecken, ob ein Antragsteller wegen einer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. etwa ).

Ein Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen.

Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa , , und Ritz, BAO6 § 167 Rz 8 mwN) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend sind (vgl. zB , , und ).

Damit eine Person die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe erfüllt, muss die Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetreten sein und dies durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen ("Sozialministeriumservice") aufgrund der erstellten Sachverständigengutachten bescheinigt werden.
Die Sachverständigen im Sozialministeriumservice ziehen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. um den Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbsunfähigkeit feststellen zu können, neben den Untersuchungsergebnissen und ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heran.

§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 stellt darauf ab, dass der Vollwaise / "Sozialwaise" auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt; die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers kann immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen (; , und ).

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes sind im vorliegenden Beschwerdefall die Gutachten vollständig, ausführlich, schlüssig und widersprechen einander nicht.

Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag zusteht. Somit muss entweder ein Anspruch nach § 2 Abs. 1 lit a (für minderjährige Kinder), nach § 2 Abs. 1 lit b-l (für volljährige Kinder) oder ein Eigenanspruch nach § 6 Abs. 1 (minderjährige Vollwaisen), Abs. 2 (volljährige Vollwaisen) oder Abs. 5 (sog "Sozialwaisen") bestehen (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 8, Rz 5).

Dem Vorbringen in der Beschwerde ist entgegenzuhalten, dass in beiden Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen übereinstimmend festgestellt wurde, dass entsprechend den vom Erwachsenenvertreter vorgelegten Befunden der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin von 50% seit Juni 2009, aber voraussichtlich keine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vorliegt. Die ärztlichen Sachverständigen, beide aus dem Fachgebiet der Psychiatrie, haben übereinstimmend festgestellt, dass durch die therapeutischen Maßnahmen eine Besserung der Symptomatik sehr wahrscheinlich ist.

Daher wurde die dauernde Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres () oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, festgestellt. Die Bf. hat ab März 2019 keine weitere Berufsausbildung nachgewiesen.

Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht auch dann, wenn der Unterhalt des Kindes zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe (bei Aufenthalt in einer sozialpädagogischen Einrichtung) oder zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand (zB durch eine Bedarfsorientierte Mindestsicherung oder die Grundversorgung) getragen wird, da in diesen Fällen der Mindestunterhalt des Kindes bereits vollständig durch Mittel der öffentlichen Hand sichergestellt ist (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 6, Rz 20 und § 8, Rz 28).

Da die Beschwerdeführerin lt. der SV-Datenabfrage ab März 2019 die Mindestsicherung bezogen hat, besteht auch aus diesem Grund kein Anspruch auf Familienbeihilfe.

Somit liegen im gegenständlichen Fall ab März 2019 die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d iVm § 6 Abs. 5 FLAG 1967 nicht vor. Dasselbe gilt für die Voraussetzungen nach § 6 Abs. 2 lit. g FLAG 1967, da die Bf. in keiner Berufsausbildung steht.

Unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass der Erhöhungsbetrag nur dann zusteht, wenn auch der Anspruch auf den Grundbetrag gegeben ist, ergibt sich für den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe, rückwirkend fünf Jahre ab Antragstellung am , Folgendes:
nach den Angaben des Finanzamtes und lt. der Finanzamtsdatenbank war von 02/2014 - 05/2014 die Mutter der Bf. Anspruchsberechtigte und bezog die Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag;
in den Zeiträumen von 12/2014 - 10/2015, 05/2016 - 07/2017 und 11/2017 - 02/2019 war die Beschwerdeführerin selbst anspruchsberechtigt, da sie eine Berufsausbildung absolvierte und bezog die Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag.
In den dazwischen liegenden Zeiträumen stand die Bf. nicht in Berufsausbildung iSd § 6 Abs. 2 lit. g FLAG 1967 und hat deshalb weder Anspruch auf den Grundbetrag der Familienbeihilfe noch auf den Erhöhungsbetrag.

Es war wie im Spruch zu entscheiden.

Zur Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im Beschwerdefall kein Rechtsproblem strittig ist, sondern der als erwiesen anzunehmende Sachverhalt in freier Beweiswürdigung festgestellt wurde, ist gegen dieses Erkenntnis eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

Graz, am

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