zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.09.2021, RV/7105745/2019

Erfüllung des Vorfragentatbestandes bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag bei nachträglicher Beurteilung durch das zuständige Gericht als grob fahrlässige Abgabenverkürzung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mazars Austria GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Kärntner Ring 5 - 7, 1010 Wien über die Beschwerde vom gegen den abweisenden Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom betreffend Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010

zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Beim Beschwerdeführer (Bf.) fand im Zeitraum Jänner bis März 2018 gemäß § 147 BAO iVm § 99 Abs. 2 FinStrG eine Außenprüfung statt. Der Prüfungsbeginn erfolgte am um 10.00 Uhr in der Kanzlei des Steuerberaters. Die abverlangten Bücher und Aufzeichnungen wurden nach Vereinbarung bis zum vorbereitet.

Am wurde dem Außenprüfer von der steuerlichen Vertretung eine Selbstanzeige gemäß § 29 FinStrG über nicht erklärte Gebührennoten von Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen übergeben. Ebenso wurden die zu führenden Bücher und Aufzeichnungen vorgelegt.

Die Verdächtigen-Vernehmung wurde am durchgeführt.

Die vorgelegte Selbstanzeige mit der Aufstellung der Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen der Jahre 2008 - 2015 vom sei samt dem lückenlos vorgelegten Bankkonto im Rahmen der Außenprüfung mit dem übermittelten Kontrollmaterial abgeglichen worden. Es seien sämtliche Gebührennoten/Bescheide, mit den entsprechenden Zahlungen des BMI für die Jahre 2010 - 2015 vollständig offengelegt und angezeigt worden.

Für die Jahre 2008 - 2009 hätten aufgrund der Aufbewahrungsfrist nach § 132 BAO keine Unterlagen mehr beigeschafft werden können. Diese Jahre seien von der steuerlichen Vertretung geschätzt worden. Das übermittelte Kontrollmaterial beinhalte Zahlungen des BMI an den Bf. Es sei in einigen Jahren vorgekommen, dass auch Honorare von Bezirkshauptmannschaften, Landesregierungen, Stadtgemeinden bezogen wurden, die nicht im Kontrollmaterial erfasst sind. Dies habe zu Abweichungen geführt, wobei mehr Einnahmen in der Selbstanzeige erklärt wurden, als Zahlungen im Kontrollmaterial erfasst sind.

Im Zuge der Außenprüfung sei mit eine neue Excel-Aufstellung samt vollständigen Bankkonto, sowie Eingangs- und Ausgangsrechnungen, über die selbständige Tätigkeit als Sportler übergeben worden. Die Excel-Aufstellung beinhalte sämtliche Ergänzungen der beiden selbständigen Tätigkeiten als Dolmetscher und die der als Sportler. Die Einnahmen, die über das Bankkonto lukriert wurden, hätten von der Außenprüfung nachvollzogen werden können. Die Bareinnahmen hätten jedoch anhand der vorgelegten Unterlagen und der fortlaufenden Nummerierung nicht auf Vollständigkeit überprüft werden können. Die Nummerierung sei teilweise doppelt vergeben worden bzw. lückenhaft. Die Ausgaben, die größtenteils den damaligen Trainer des Bf. betrafen, seien anhand der vom Trainer eingebrachten Selbstanzeige und der Eingangsrechnungen glaubhaft gemacht worden.

Die von der steuerlichen Vertretung geschätzten Jahre 2008 bis 2009 seien anhand des vorliegenden Kontrollmaterials festgesetzt worden. Das Jahr 2010 sei aufgrund der eingebrachten Selbstanzeige vom und der Ergänzung vom (Sportler-Honorare) abgeändert worden.

Aufgrund des übermittelten Kontrollmaterials und der Selbstanzeige seien neue Tatsachen hervorgekommen, die zu einer Wiederaufnahme des Verfahren führen.

Das Finanzamt ging aufgrund dieser Feststellungen von hinterzogenen Abgaben von der verlängerten Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 BAO (10 Jahre) aus und nahm die Verfahren hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2015 (Anmerkung: verfahrensgegenständlich sind nur die Jahre 2008 bis 2010, die in die verlängerte Verjährungsfrist fallen) auf und erlies am neue Sachbescheide.

Mit Eingabe vom beantragte der steuerliche Vertreter die Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer 2008, 2009 und 2010 und Einkommensteuer 2008, 2009 und 2010 gemäß § 303 (1) BAO wiederaufzunehmen und deren Festsetzungen aufzuheben. Dieser Antrag wurde folgendermaßen begründet:

"Wie Sie beiliegender Kopie zum Erkenntnis des Spruchsenats beim Finanzamt ***2*** entnehmen können, wurde der Bf. in der mündlichen Verhandlung vom 00.00.0000 für schuldig gesprochen, Abgaben grob fahrlässig durch die Abgabe von unrichtigen Einkommensteuer- und Umsatzsteuerjahreserklärungen für den Zeitraum 2008 bis 2015 verkürzt zu haben. Das vorgeworfene Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs. 1 FinStrG für die Jahre 2008 bis 2010 wurde von der Finanzstrafbehörde gemäß § 136 FinStrG eingestellt.

Das Ergebnis des beiliegenden Erkenntnisses folgt somit den Inhalten der vorgelegten Selbstanzeige vom , wonach der Bf. aufgrund der dargestellten Umstände eine fahrlässige Abgabenverkürzung im Sinne des § 34 FinStrG bewirkt hat. Daraus ergibt sich für das Recht zur Festsetzung von Abgaben gemäß § 207 Abs. 2 iVm § 323 Abs. 27 BAO eine Frist von fünf Jahren. Dementsprechend dürfen wir darauf hinweisen, dass somit das Recht zur Festsetzung der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 bereits verjährt ist.

Es wird ersucht, dem Antrag auf Wiederaufnahme stattzugeben."

Das Finanzamt wies den Antrag auf Wiederaufnahme mit Bescheid vom ab. Begründend wurde ausgeführt, dass weder Tatsachen noch Beweismittel neu hervorgekommen seien noch sei aus dem Spruchsenatserkenntnis eine anders entschiedene Vorfrage abzuleiten. Das Strafverfahren sei für die Jahre 2008 bis 2010 eingestellt worden, insbesondere deshalb weil aufgrund der Tatsache einer fahrlässigen Abgabenverkürzung in den Folgejahren die verfahrensgegenständlichen Jahre bereits finanzstrafrechtlich verjährt waren. Mit dieser Begründung sei das Vorliegen eines der Wiederaufnahmetatbestände gemäß § 303 Abs. 1 BAO betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2008, 2009 und 2010 nicht dargetan. Insbesondere seien betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2008, 2009 und 2010 weder Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen.

In der gegen den Abweisungsbescheid vom innerhalb offener Rechtsmittelfrist eingebrachten Beschwerde vom wiederholt der steuerliche Vertreter des Bf. sein Anbringen und brachte ergänzend vor:

Aufgrund einer Selbstanzeige über nicht erklärte Einnahmen ging das Finanzamt von einer Abgabenhinterziehung gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG aus und nahm die Verfahren in der verlängerten - zehn Jahre - Verjährungsfrist auf und erlies neue Sachbescheide.

Damit habe das Finanzamt die Frage der Hinterziehung als Vorfrage geklärt und die Annahme einer vorsätzlichen Hinterziehung getroffen.

Im folgenden Finanzstrafverfahren hinsichtlich der Jahre 2008 bis 2015 sei im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 00.00.0000 im Zuge der Befragung durch den Spruchsenat der Verdacht der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung beseitigt worden und erging folgendes Erkenntnis: "Der Bf. ist schuldig ist, er hat grob fahrlässig durch die Abgabe unrichtiger Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen für den Zeitraum 2008 bis 2015, somit unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflicht bewirkt, dass bescheidmäßig festzusetzende Abgaben, zu niedrig festgesetzt und dadurch verkürzt wurden.

Sofern der Spruchsenat den Verschuldensgrad des Vorsatzes festgestellt hätte, wäre eine Verurteilung nach § 33 Abs. 1 FinStrG erfolgt. Da aber ein grob fahrlässiges Verhalten festgestellt wurde, erfolgte hinsichtlich der Jahre 2008 bis 2010 ein Freispruch und das Finanzstrafverfahren, in dem dem Bf. vorgeworfen wurde, er habe das Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 FinstrG hinsichtlich Umsatzsteuer 2008 bis 2010 sowie Einkommensteuer 2008 bis 2010 begangen, wurde eingestellt. Es lägen somit für den Zeitraum 2008 bis 2010 keine hinterzogenen Abgaben vor. Das Vorliegen von hinterzogenen Abgaben sei aber Voraussetzung für die Verlängerung der Verjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 BAO.

Das Ergebnis des Finanzstrafverfahrens war somit, dass keine vorsätzliche Abgabenhinterziehung vorlag, sondern dass der Bf. für eine grob fahrlässige Abgabenverkürzung nach § 34 Abs 1 FinStrG verurteilt wurde. Für die Strafbemessung wurden daher auch nur die Jahre 2011 bis 2015 herangezogen, nachdem die Jahre 2008 bis 2010 gemäß § 207 Abs. 2 iVm § 323 Abs. 27 BAO bereits abgabenrechtlich verjährt waren."

Weiters wurde ein Eventualantrag gemäß § 299 BAO gestellt.

Das Finanzamt wies die Beschwerde vom mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab und verwies zunächst auf das Vorbringen in der Beschwerde:

"… Das Finanzamt hat somit im Rahmen der Betriebsprüfung die Frage einer etwaigen Hinterziehung als Vorfrage geklärt und die Annahme einer vorsätzlichen Hinterziehung getroffen.

Die im Erkenntnis des Spruchsenates getroffene Entscheidung der grob fahrlässigen Abgabenverkürzung ist eine neu hervorgekommene Tatsache, die die Annahme einer vorsätzlichen Abgabenverkürzung laut Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung beim Bf. widerlegt. …"

In der Begründung der Beschwerdevorentscheidung wurde ausgeführt, dass laut Beschwerdevorbringen die beantragte Wiederaufnahme auf den Neuerungstatbestand gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO gestützt worden sei.

Die Abweisung des Antrages wurde wie folgt begründet:

"…

Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO seien ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten.

Ein Antrag nach § 303 Abs. 1 lit. b BAO könne nur auf solche Tatsachen der Beweismittel gestützt werden, die beim Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren.

Das Erkenntnis des Spruchsenats vom 00.00.0000 sei erst nach Abschluss der wiederaufzunehmende Verfahren ergangen und könne schon aus diesem Grund den Neuerungstatbestand des § 303 Abs. 1 lit. b BAO nicht erfüllen.

Die Entscheidung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde in einer bestimmten Rechtssache allein stelle darüber hinaus keine neue Tatsache im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar.

Darüber hinaus betreffe die Verurteilung nach § 34 Abs. 1 FinStrG nur die Veranlagungsjahre 2011 bis 2015 und nicht die verfahrensgegenständlichen Jahre 2008 bis 2010.

Zur verwiesenen Literatur von Achatz im Finanzstrafrecht sei anzumerken, dass aus den diesbezüglichen Ausführungen nicht erkennbar sei, welcher Wiederaufnahmetatbestand aus welchen Erwägungen als anwendbar erachtet werde, wenn die Finanzstrafbehörde eine Hinterziehung nicht feststelle.

…"

Der Bf. stellte daraufhin am gegen den o.a. Bescheid einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht.

Mit Beschluss vom wurde der beschwerdeführenden Partei gemäß § 85 Abs. 2 BAO aufgetragen, die Bezeichnung der Umstände (§ 303 Abs. 1 BAO), auf die der (Wiederaufnahme)Antrag vom gestützt wird, zu beheben, da dem Antrag die in der Bestimmung des § 303 Abs. 2 lit. b BAO (Verweis auf Abs. 1) geforderte Bezeichnung der Umstände, auf die sich der Antrag stützt, nicht zu entnehmen sei.

Entscheidend sei, dass aus dem Wiederaufnahmsantrag hervorgehe, welches Verfahren gemeint sei. Dies gelte gleichermaßen für die Bezeichnung der Wiederaufnahmsgründe (§ 303 Abs. 2 lit. b BAO).

Mit Eingabe vom wurde der Mängelbehebungsauftrag erfüllt, in dem die Umstände, auf die der Antrag gestützt wird, genannt wurden.

Der Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2008 bis 2010 vom stützte sich auf § 303 Abs. 1 lit. c BAO. Die zugrundeliegenden Sachbescheide vom wurden von der Finanzbehörde im Zuge der Betriebsprüfung unter der Annahme, dass eine vorsätzliche Abgabenhinterziehung vorliege, erlassen.

Diese Vorfrage sei in der Folge vom der Finanzstrafbehörde anders beurteilt worden. Mit sei ein Finanzstrafverfahren gegen den Bf. betreffend die Jahre 2008 bis 2015 eingeleitet und am 00.00.0000 darüber verhandelt worden. Im Erkenntnis vom sei der Spruchsenat zu der Erkenntnis gekommen, dass der Bf. aufgrund der dargestellten Umstände in den Jahren 2008 bis 2015 eine fahrlässige Abgabenverkürzung im Sinne des § 34 FinStrG bewirkt hatte.

Da demnach keine Abgabenhinterziehung vorlag, seien die allgemeinen Verjährungsvorschriften zur Anwendung gekommen, wodurch hinsichtlich der Abgaben der Jahre 2008 bis 2010 bereits Verjährung eingetreten war.

Abschließend beantragte die beschwerdeführende Partei nochmals der Beschwerde Folge zu geben.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. war in den streitgegenständlichen Jahren als Einzelunternehmer in den Bereichen Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen und als Sportler (Sportart) tätig.

Im Zeitraum Dezember 2017 bis März 2018 fand eine Außenprüfung statt. Aufgrund einer Selbstanzeige über nicht erklärte Einnahmen ging das Finanzamt von einer Abgabenhinterziehung gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG aus und nahm die Verfahren für die Jahre 2008 bis 2015 in der verlängerten - zehn Jahre - Verjährungsfrist auf und erlies neue Sachbescheide.

Mit Erkenntnis des Spruchsenates ***2*** vom 00.00.0000 wurde der Bf. für schuldig gesprochen, dass er grob fahrlässig durch die Abgabe unrichtiger Einkommensteuer- und Umsatzsteuerjahreserklärungen für den Zeitraum 2008 bis 2015 die bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben zu niedrig festgesetzt und dadurch verkürzt wurden.

Für die Jahre 2011 bis 2015 wurden die verkürzten Beträge an Umsatz- und Einkommensteuer festgesetzt.

Hingegen wurde das Finanzstrafverfahren, in dem dem Bf. vorgeworfen wurde, er habe das Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 FinStG (vorsätzliche Abgabenhinterziehung) begangen, hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2010 eingestellt.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den dem Bundesfinanzgericht von der Abgabenbehörde übermittelten Unterlagen (Antrag auf Wiederaufnahme betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2008 bis 2010 vom , abweisender Bescheid vom , Beschwerde vom , Beschwerdevorentscheid8ng vom und Vorlageantrag vom ), dem vorgelegten Erkenntnis des Spruchsenates vom 00.00.0000 und ist im Übrigen nicht strittig.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Beschied abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

  • der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

  • Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

  • der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Abs. 2: Der Wiederaufnahmsantrag hat zu enthalten:

  • die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;

  • die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird.

Gemäß § 2a BAO gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sinngemäß im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz nicht anzuwenden.

Gemäß § 269 Abs. 1 BAO haben die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind.

§ 85 Abs. 2 BAO normiert: Mängel von Eingaben (Formgebrechen, inhaltliche Mängel, Fehlen einer Unterschrift) berechtigen die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung; inhaltliche Mängel liegen nur dann vor, wenn in einer Eingabe gesetzlich gefordert inhaltliche Angaben fehlen. Sie sind dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt; werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht.

§ 116 Abs. 1 BAO: Sofern die Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmen, sind die Abgabenbehörden berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen (§§ 21 und 22) und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen.

Abs. 2: Entscheidungen der Gerichte, durch die privatrechtliche Vorfragen als Hauptfragen entschieden wurden, sind von der Abgabenbehörde im Sinn des Abs. 1 zu beurteilen. Eine Bindung besteht nur insoweit, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, bei der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen vorzugehen war.

§ 207 Abs. 1 BAO normiert, dass das Recht, eine Abgabe festzusetzen, nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung unterliegt.

Gemäß § 207 Abs. 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24a des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. …

Ob eine Abgabe hinterzogen ist, ist eine Vorfrage (, 0084; ; bis 0078; ), für deren Entscheidung die Behörde nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet. Hat ein Gericht von Amts wegen den Sachverhalt zu ermittelt, besteht eine Bindung an die Entscheidung des Gerichtes.

Nach § 303 Abs. 1 BAO ist ausschlaggebend, ob die Kenntnis der Umstände seinerzeit einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte, nicht jedoch wie der neue Bescheid lautet, zu dem es nun gekommen ist (Ritz, BAO6, § 303 Tz 57).

Bei Kenntnis der Vorfrage, nämlich dass die nicht erklärten Einnahmen eine grob fahrlässige Abgabenverkürzung darstellt und folglich die 5-jährige Verjährungsfrist anzuwenden ist, wären die Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2010 nicht zu erlassen gewesen.

Im gegenständlichen Verfahren hat die Abgabenbehörde nach eigener Anschauung diese Frage einer hinterzogenen Abgabe als Vorfrage vorgenommen und die längere Verjährungsfrist für die Festsetzung der Abgaben herangezogen. Eine solche Beurteilung ist in die Begründung des Bescheides aufzunehmen, sie ist somit nicht Spruchbestandteil, fließt jedoch in den Spruch des Bescheides ein.

Im diesem Fall wurde nachträglich die Vorfrage der hinterzogenen Abgabe von der für sie zuständigen Behörde (Gericht) abweichend von der Beurteilung durch die Vorfragenbehörde entschieden und stellt somit einen Wiederaufnahmsgrund gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO (Vorfragentatbestand) dar.

Mit Erkenntnis vom 00.00.0000 hat der Spruchsenat beim Finanzamt ***2*** das Verfahren gegen den Bf. wegen § 33 Abs. 1 FinStrG für schuldig erkannt, dass er grob fahrlässig durch die Abgabe unrichtiger Einkommensteuer- und Umsatzsteuererklärungen für den Zeitraum 2008 bis 2015, somit unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht bewirkt, dass bescheidmäßig festzusetzende Abgaben zu niedrig festgesetzt und dadurch verkürzt wurden.

Das Verfahren, in dem dem Bf. vorgeworfen wurde, er habe das Finanzvergehen nach § 33 Abs. 1 FinStrG hinsichtlich der Umsatz- und Einkommensteuer 2008 bis 2010 begangen, wurde gemäß § 136 FinstrG eingestellt.

Damit wurde der Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO verwirklicht und ist dem Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren der streitgegenständlichen Verfahren Folge zu geben.

Dem vom Bf. eingebrachten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens vom ist jedoch die in der Bestimmung des § 303 Abs. 2 lit. b BAO (Verweis auf Abs. 1) geforderte Bezeichnung der Umstände, auf die sich der Antrag stützt, nicht zu entnehmen.

Entscheidend ist, dass aus dem Wiederaufnahmsantrag hervorgeht, welches Verfahren gemeint ist. Dies gilt gleichermaßen für die Bezeichnung der Wiederaufnahmsgründe (§ 303 Abs. 2 lit. b BAO).

§ 302 Abs. 2 BAO regelt die Inhaltserfordernisse für Wiederaufnahmsanträge. Fehlen dies Angaben, so liegen inhaltliche Mängel im Sinne des § 85 Abs. 2 BAO vor, die im Rahmen eines Mängelbehebungsauftrages saniert werden können.

Es ist zwar aus dem Antrag ersichtlich, dass eine Wiederaufnahme angestrebt wird, und welche Verfahren gemeint sind. Der verfahrensgegenständliche Wiederaufnahmsantrag ist jedoch insofern mangelhaft, weil die Bezeichnung des Wiederaufnahmegrundes fehlt.

Da der Antrag auf Wiederaufnahme mangelhaft war, wurde der Bf. vom Bundesfinanzgericht mittels Beschluss vom aufgefordert den Mangel, nämlich die Benennung des Wiederaufnahmegrundes, auf den sich der Antrag stützt, zu bezeichnen.

Die Begründungen in den Bescheiden des Finanzamtes hinsichtlich einer neu hervorgekommenen Tatsache gründen auf der Annahme des Finanzamtes, dass sich der Wiederaufnahmegrund auf eine neu hervorgekommene Tatsache bezieht. Dies ist dem Antrag des Bf. vom 12.11.20218 jedoch nicht zu entnehmen.

In Beantwortung des Mängelbehebungsauftrages vom nennt der steuerliche Vertreter den Wiederaufnahmegrund, auf den sich der Antrag bezieht, nämlich § 303 Abs. 1 lit. c BAO (= Vorfragentatbestand) und gilt somit als ursprünglich richtig eingebracht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zur Frage des Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass bei Beurteilung einer Vorfrage einer Abgabenhinterziehung durch das zuständige Gericht, die Abgabenbehörde an diesen Spruch gebunden ist und ein Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 Abs. 1 lit. c BAO vorliegt. Das Gericht weicht der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab.

Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 207 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 269 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 85 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 2a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 116 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 207 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Vorfrage
nachträgliche Beurteilung einer Abgabenverkürzung als grob fahrlässig durch das zuständige Gericht
Wiederaufnahme auf Antrag
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7105745.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at