Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.08.2021, RV/7101657/2017

Schätzung infolge mangelhafter bzw. fehlender Grundaufzeichnungen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Manuela Fischer in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die
Beschwerden vom und
gegen die
Bescheide des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom , und
betreffend
Umsatzsteuer der Jahre 2013, 2014 und 2015 (ursprünglich Beschwerden gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide 1-12/2014 und 1-6/2015 vorliegend) sowie
Einkommensteuer 2014, Steuernummer StNr
zu Recht erkannt:

  • Den Beschwerden wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
    Die angefochtene Bescheide werden abgeändert.

  • Die Umsatzsteuer 2013 wird festgesetzt mit Euro 3.894,66;

  • Die Umsatzsteuer 2014 wird festgesetzt mit Euro 4.187,74;

  • Die Umsatzsteuer 2015 wird festgesetzt mit Euro 2.648,97;

  • Die Einkommensteuer 2014 wird festgesetzt mit NULL.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen, welches einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses bildet.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.) betrieb im beschwerdegegenständlichen Zeitraum das Cafe am Ort.
Mit Meldung der Betriebsaufgabe vom via finanzonline wurde der Behörde mitgeteilt, dass infolge des Verkaufes des Cafes der Betrieb im Juli 2017 eingestellt wurde.

Bei der Bf. fand hinsichtlich der Einkommensteuer 2013 sowie der Umsatzsteuer für die Zeiträume 2013, 2014 und bis 6/2015 eine Außenprüfung (AP) statt. Die AP wurde mit Bericht vom abgeschlossen.
Dem Bericht der AP (auf den verwiesen wird) waren u.a. die folgenden Feststellungen, insbesondere zu Mängeln der Aufzeichnungen, zu entnehmen:
Die Losungen seien pro Tag erfasst und jeweils als Bareinnahme in ein händisch geführtes "Kassabuch" (Losungsbogen pro Monat) eingetragen worden.
Wie die AP der Niederschrift der Finanzpolizei vom entnehmen konnte, wurden die Tageslosungen nach den Angaben der Bf. mittels händischer Bonierung und auch mittels Registrierkasse erfasst, wobei nicht alle Geschäftsvorgänge elektronisch erfasst wurden. Die ausgedruckten Einzelbons (Z-Bons) waren am Monatsende der steuerlichen Vertretung übergeben worden. Die Bf. gab auch an, dass täglich ein Kassasturz durchgeführt wurde. Einen Endkassastand des letzten Geschäftstages konnte die Finanzpolizei nicht feststellen.
Diese Grundaufzeichnungen wurden der AP auch nach Aufforderung nicht vorgelegt, da diese, wie die steuerliche Vertretung angab, durch die Bf. vernichtet worden seien.
Die Bf. habe auch gegenüber der AP angegeben, dass die Losungen mittels Kassasturz ermittelt würden. Grundaufzeichnungen über die rechnerische Ermittlung der Tageslosung (Anfangsbestand, Endbestand, Bareinkäufe, Bareinlagen) seien nicht vorgelegen. Gegenüber der AP sei vorgebracht worden, dass die Bf. alle Merkmale erfülle um eine vereinfachte Losungsermittlung durchzuführen und dass von einem Schwund von 15% auszugehen sei.
Nach Ansicht der AP könnten die geführten Losungsbögen die Führung der Berechnungsblätter zur Losungsermittlung nicht ersetzen. Eine nachvollziehbare Darstellung der Bargeschäfte sei nicht vorgelegen, sodass insgesamt von einem schweren Mangel der Buchführung auszugehen gewesen sei und daher grundsätzlich die Berechtigung zur Schätzung vorgelegen sei.
Der AP sei mitgeteilt worden, dass die 10%-igen und 20%-igen Umsätze nachträglich mit Hilfe des Wareneingangsbuches getrennt worden seien. Doch sei das Wareneingangsbuch trotz mehrmaliger Aufforderung der AP nicht vorgelegt worden.
Die AP habe Differenzen zwischen den gebuchten Tageslosungen und den in den Losungsbögen enthaltenen Beträgen festgestellt. Als Erklärung dafür sei angegeben worden, dass für 2013 falsche Losungsbögen abgelegt worden seien und die Differenzen der Jahre 2014 und 2015 auf Tipp- bzw. Buchungsfehlern beruhten.

Infolge der festgestellten Aufzeichnungsmängel und fehlenden Grundaufzeichnungen sei der AP eine Überprüfung der Bücher und Aufzeichnungen nicht möglich gewesen, sodass die Besteuerungsgrundlagen gem. § 184 BAO zu schätzen gewesen seien.
Basierend auf dem Wareneinkauf und den vorliegenden Preislisten sei pro Sparte der RAK berechnet worden und so der kalkulierte 20%-ige Umsatz ermittelt worden. Der 10%-ige Umsatz sei pro Jahr im Verhältnis der in den Umsatzsteuervoranmeldungen enthaltenen Daten zu den 20%-igen Umsätzen zugerechnet worden. Ein pauschaler Schwund von 5% sei berücksichtigt worden.
Zusätzlich sei ein Sicherheitszuschlag von 15% festgesetzt worden.

Die Abgabenbehörde erließ mit Datum , den Feststellungen der AP entsprechend, die Bescheide betreffend Umsatzsteuer des Jahres 2013 sowie Festsetzungen der Umsatzsteuer für 1-6 und 7-12/2014 sowie 1-6/2015.

Die Abgabenbehörde führte in der Folge die Veranlagungen durch und erließ die Jahresbescheide betreffend:
Umsatzsteuer 2014 am und betreffend Umsatzsteuer 2015 am . In der Begründung dieser Bescheide war angeführt, dass die bereits gegen die Festsetzungsbescheide am erhobene Beschwerde auch gegen die Jahresbescheide wirkt.
Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 wurde am erlassen.
In der Begründung des Einkommensteuerbescheides 2014 war angeführt, dass die Feststellungen der AP zum Jahr 2014 eingearbeitet worden seien und dementsprechend die erklärten Einnahmen/Erlöse auf Euro 38.500,00 erhöht worden seien.

Es lagen somit folgende Bescheide vor:
Mit Bescheid vom wurde die Umsatzsteuer 2013 iHv Euro 4.936,00 festgesetzt.
Mit Bescheid vom wurde die Umsatzsteuer 2014 iHv Euro 5.160,99 festgesetzt (Bescheid trat an die Stelle der Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide vom ).
Mit Bescheid vom wurde die Umsatzsteuer 2015 iHv Euro 3.010,48 festgesetzt (Bescheid trat an den Umsatzsteuerfestsetzungsbescheid vom ).
Mit Bescheid vom wurde die Einkommensteuer 2014 iHv Euro 138,00 festgesetzt.

Gegen den Umsatzsteuerbescheid des Jahres 2013 sowie die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide der Zeiträume 1-6 und 7-12/2014 sowie 1-6/2015 wurde rechtzeitig mit Schriftsatz vom Beschwerde erhoben.
Anzumerken war, dass die gegen die Festsetzungsbescheide gerichteten Beschwerden gem. § 253 BAO auch als gegen die später ergangenen Jahresbescheide zur Umsatzsteuer 2014 und 2015 gerichtet galten.

Gegen den Umsatzsteuer- und den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2014 wurde mit Schriftsatz vom Beschwerde erhoben. Es wurde darin festgehalten, dass die Ergebnisse der AP nicht anerkannt werden und wurde auf die Begründung in der Beschwerde vom verwiesen.

Im Schriftsatz der Bf. vom war zur Begründung der Beschwerde ausgeführt, dass die Schätzung gem. § 184 BAO gesetzwidrig erfolgt sei, da die Abgabenbehörde nur dann schätzen dürfe, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen könne. Es werde dazu auch auf die im Verfahren eingebrachten ergänzenden Schriftsätze der Bf. vom 8.10. und hingewiesen. Darin sei dargelegt worden, dass die Bf. die gesetzlich nötigen Grundaufzeichnungen geführt habe. Die Bf. erfülle die Merkmale, die für eine vereinfachte Losungsermittlung (gem. BarbewegungsVO) erforderlich seien. Sie habe die jährliche Umsatzgrenze von Euro 150.000 nicht überschritten und sei somit die Losungsermittlung mittels Kassasturz möglich. Die Einnahmen müssten nicht einzeln erfasst werden, sondern würden durch Rückrechnung aus dem ausgezählten End- und Anfangsbestand der Kasse ermittelt. Die Kasse diene als Kontrolle und Erleichterung. Das Ergebnis aus dem täglichen Kassasturz und täglichen Kassabon werde in die Losungslisten übertragen. Nach der Barbewegungs-VO sei es nicht vorgesehen, dass der Umsatz in Kategorien wie Bier, Wein, Kaffee etc. aufzuzeichnen sei. Es lägen daher weder sachliche noch formelle Mängel bei den Grundaufzeichnungen und folglich bei der Führung der Bücher vor. Zum Nachweis der Richtigkeit der Umsatzaufzeichnungen werde für 2014 eine Nebenrechnung "Ermittlung der gewichteten RAK auf Basis der Ist-Einkäufe 2014 und der Verkaufspreise lt. Getränkekarte" vorgelegt. Im Schriftsatz sei vorgebracht worden, dass das Lokal während des Tages über längere Zeiträume ohne Kundschaft bleibe und der Großteil der Umsätze durch Stammkunden, bei denen es sich überwiegend um Pensionisten handle, erzielt werde. Laufkundschaft gebe es kaum. Das Preisniveau sei sehr niedrig und die Gewinnspanne gering.
In der Beschwerde war weiter festgehalten, dass die Führung eines Wareneingangsbuches nicht zweckmäßig erscheine, da sämtliche Wareneinkäufe selbstverständlich mit elektronischer Datenerfassung auf den entsprechenden Wareneingangskonten erfasst worden seien. Die Losungen seien nachträglich entsprechend den Konten in 20%-ige und 10%-ige Umsätze getrennt worden. Dieser Vorgang sei gewählt worden, da die Bf. im geprüften Zeitraum nicht jeden Umsatz in der Registrierkasse erfasst und durch ausgedruckten Bon dokumentiert habe.
Das Rechnungsmodell weise einen Schwund von 15% aus. Dieser entspräche insofern der Realität als er auf Warenverderbnis und Einladungen zurückzuführen sei. Aufgrund der Struktur des kleinen Lokals lasse sich der Schwund plausibel begründen und sei nicht mit einem Gastronomiebetrieb in guter Lage zu vergleichen.
Bei Durchführung der Schätzung seien nicht alle Umstände berücksichtigt worden, wie z.B. Lage des Beisels, Kundenstruktur und Öffnungszeiten und sei die AP nicht gewillt gewesen das Lokal öfter und länger zu besuchen um sich von den berücksichtigungswürdigen Umständen ein korrektes Bild zu machen.
Die Beschwerde richte sich auch gegen die Höhe des Sicherheitszuschlages von 15% der jede Grundlage und Begründung vermissen lasse.
Es werde die Festsetzung der Umsätze entsprechend den Losungsaufzeichnungen begehrt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurden die Beschwerden gegen die Bescheide betreffend Umsatzsteuer der Jahre 2013 bis 2015 sowie betreffend Einkommensteuer 2014 als unbegründet abgewiesen.
Die Abgabenbehörde hielt u.a. fest, dass in der Beschwerde nichts vorgebracht worden sei, was die im Bericht der AP enthaltenen Feststellungen hätte entkräften können.
Es sei nicht verständlich, warum erst vorgebracht werde, dass die Umsätze mittels Kassabons ermittelt werden, die dann aber von der Bf. entsorgt werden und dann vorgebracht werde, dass nicht alle Umsätze mit der Registrierkasse erfasst würden.
Es wurde, unter Verweis auf Tz. 1 des AP-Berichts, festgehalten, dass die zur Losungsermittlung erforderlichen Grundaufzeichnungen vernichtet worden seien. Diesen käme der Charakter aufbewahrungspflichtiger Belege gem. § 131 Abs. 1 Z 5 und 132 Abs. 1 BAO zu, welche die Überprüfung der Eintragungen in die Bücher und Aufzeichnungen ermöglichen sollen und die für die Erhebung der Abgaben von Bedeutung seien.
Der in der beigebrachten, selbst erstellten Berechnung vorgenommene Schwund von 15% sei realitätsfremd.
Die AP habe die aus den Aufzeichnungen ersichtlichen Wareneingänge mit Hilfe der Preislisten der Bf. hochgerechnet und wurde auf Basis der Erfahrungswerte ein RAK vorgenommen. Die AP habe auf die konkreten Verhältnisse im Betrieb der Bf. anknüpfen können und sei es nicht notwendig gewesen bei der Schätzung auf Vergleichsbetriebe zurückzugreifen. Die Umstände des Betriebes hätten gegen einen überdurchschnittlich großen Schwund gesprochen. Aufgrund der Angaben, dass es wenig Laufkundschaft gegeben habe und dass vorwiegend Stammgäste im Pensionsalter gegeben waren, sei die zu erwartende Konsumation bereits beim Einkauf relativ genau abzuschätzen gewesen und sei der Schwund gering zu halten gewesen.

Mit Schreiben vom beantragte die Bf. die Vorlage der Beschwerden an das Bundesfinanzgericht (BFG).
Es wurde vorgebracht, dass die in der Beschwerde aufgelisteten Gründe keine entsprechende Würdigung und Berücksichtigung gefunden hätten. Die AP habe die Anwendung der vereinfachten Losungsermittlung gem. § 1 Abs. 1 BarbewegungsVO nicht anerkannt, da eine der Voraussetzungen dafür die Nichtführung von Einzelaufzeichnungen über die Bareingänge sei. Dies treffe im Fall der Bf. zu. Diese habe die einzelnen Bons der Handkasse nie einzeln in den Büchern erfasst, sondern die Tagesumsätze in einer Summe in die Losungslisten übertragen. Der Tagesumsatz sei dabei erst am Ende des Tages durch Kassasturz ermittelt worden. Die Nichtführung von Einzelaufzeichnungen sei daher gegeben.
Die Schätzungsbefugnis sei nicht vorgelegen, da die Bf. sich kooperativ verhalten und jede Frage nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet habe. Die Auskünfte seien allerdings nicht entsprechend gewürdigt worden. Die AP habe es bei Durchführung der Schätzung nicht als nötig angesehen auf die Werte eines Vergleichsbetriebes zurückzugreifen, da sie auf die konkreten Umstände Rücksicht genommen habe. Die Abgabenbehörde habe keine weiteren Anhaltspunkte aufgezeigt, die Beweis erbracht hätten, dass das geschätzte Ergebnis ein richtigeres, den tatsächlichen Umständen gerechter werdendes Ergebnis liefere, als das in den Abgabenerklärungen enthaltene. Die Bescheidbegründung ließe auch jegliche Grundlage für den angewendeten Sicherheitszuschlag von 15% missen.

Die Vorlage der Beschwerden an das BFG erfolgte am bzw. für die Umsatzsteuer 2013 am .
Im Vorlagebericht hielt die Behörde u.a. zu den geführten Aufzeichnungen bzw. den mit der Registrierkasse erstellten Kassenbons nochmals fest, dass diese nicht vorgelegt worden seien, dass nach den Angaben der Bf. nicht alle Geschäftsfälle in der Registrierkasse erfasst worden seien und dass der steuerliche Vertreter gegenüber der Prüferin vorgebracht habe, dass diese Aufzeichnungen von der Bf. vernichtet worden seien. Zudem wurde der Prüferin mitgeteilt, dass die Losungen mittels Kassasturz ermittelt worden seien. Wie die AP festgestellt habe sei die Berechnung nicht dokumentiert; es habe weder Münzzähllisten noch Belege gegeben woraus die Ermittlung der Tageslosung hervorgegangen wäre.
Die Behörde hielt fest, dass es richtig sei, dass kein bestimmtes Aufzeichnungssystem vorgeschrieben sei. Gem. § 126 BAO seien die Einnahmen in geeigneter Weise zu ermitteln, wobei sich die Bf. selbst für ein Aufzeichnungssystem entscheide. Die daraus entstehenden Aufzeichnungen hätten den Ordnungsmäßigkeitskriterien (§§ 131 und 132 BAO) zu entsprechen und damit auch der Kassasturz nachvollziehbar zu sein. Die geführten Aufzeichnungen seien aufzubewahren und über Verlangen der Behörde vorzulegen. Die Bf. habe z.B. die elektronischen Kassenbons nicht aufbewahrt und seien die summierten Tageslosungen ohne Grundaufzeichnungen nicht nachvollziehbar gewesen. Die Schätzungsbefugnis sei aufgrund der Vernichtung der Grundaufzeichnungen und der in Zweifel zu ziehenden Richtigkeit der Bücher jedenfalls gegeben gewesen. Zur Schätzungsmethode werde auf die Ausführungen im Bericht der AP verwiesen. Hinsichtlich der im Vorlageantrag relevierten Höhe des Sicherheitszuschlages werde auf die fehlende Nennung von Gründen für dessen Rechtswidrigkeit hingewiesen.

Die Behörde beantragte die Abweisung der Beschwerden.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Bei der Beschwerdeführerin (Bf.), die ein kleines Cafe auf einem Wiener Markt betrieben hat, fand betreffend die Zeiträume 2013 sowie 1/2014 bis 6/2015 eine Außenprüfung (AP) hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer statt.
Infolge der festgestellten Buchführungsmängel wurden die Besteuerungsgrundlagen durch die AP geschätzt. Die AP ermittelte die Bemessungsgrundlagen aufgrund einer Kalkulation und unter Anwendung eines Sicherheitszuschlages.
Strittig war nunmehr die Schätzungsberechtigung dem Grunde nach sowie die Höhe der Schätzung.

Gemäß § 163 BAO haben Bücher und Aufzeichnungen, die den Bestimmungen des § 131 und 131b BAO entsprechen, die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit für sich. Insbesondere ist dabei auf die in § 131 BAO normierte Aufzeichnungspflicht der Barbewegungen zu verweisen. Die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit gilt nicht bei begründeten Anlässen, bei denen die sachliche Richtigkeit in Zweifel zu ziehen ist (vgl. § 184 BAO), insbesondere dann, wenn die Bemessungsgrundlagen infolge Mangelhaftigkeit der Aufschreibungen nicht ermittelt oder berechnet werden können.

Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

Nach § 184 Abs. 2 BAO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen wesentlich sind.

Gemäß § 184 Abs. 3 BAO ist ferner zu schätzen, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formellen Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.

Der hier zu beurteilende Sachverhalt resultierte aus den im Bericht der AP vom enthaltenen Feststellungen (siehe dazu in den Entscheidungsgründen), den Ausführungen in den Schriftsätzen und den Bescheidbeschwerden der Bf. sowie der Niederschrift der Finanzpolizei, den Akten und Unterlagen der Abgabenbehörde.

Wie sich aus den Unterlagen und den Angaben der Bf. ergab, hielt die Bf. die täglichen Losungen des betriebenen Cafes in einer Tagessumme in monatlichen Losungslisten fest. Sie gab aber auch an händische Bons zu erstellen und eine Erfassung mit einer Registrierkasse durchzuführen; ebenfalls gab sie an einen täglichen Kassasturz durchzuführen.

Bis auf diese monatlichen Listen lagen dazu weder der AP noch im späteren Rechtsmittelverfahren weitere Unterlagen vor. Den Listen zugrundeliegende Aufzeichnungen oder Berechnungsgrundlagen zur Ermittlung der Tagesbeträge, lagen nicht vor. Ein Wareneingangsbuch wurde nicht vorgelegt und wie aus der Auskunft des steuerlichen Vertreters im Verfahren zu schließen war, auch nicht geführt. Es wurde angegeben, dass die Wareneinkäufe in der erstellten Buchhaltung enthalten waren und so die Führung eines Wareneingangsbuches nicht notwendig gewesen sei. Es wurde zudem vorgebracht, dass die Trennung der Entgelte in 10%ige bzw. 20%ige Umsätze nachträglich auf Basis der Buchhaltungsdaten erfolgte.

Trotz mehrmaliger Aufforderung während der AP wurden die Unterlagen, die Kassenbons, die jedenfalls als Grundaufzeichnungen zu beurteilen waren, nicht beigebracht. Schließlich teilte der steuerliche Vertreter mit, dass diese Grundaufzeichnungen nicht mehr vorlagen, da diese von der Bf. vernichtet worden seien.
Unterlagen zum durch die Bf. gegenüber der Finanzpolizei, im Prüfungsverfahren und auch in der Beschwerde behaupteten täglichen Kassasturz zur Ermittlung der Tageslosungen wurden nicht beigebracht. Eine rechnerische Ermittlung der Tageslosung auf Basis "Kassaendbestand - Anfangsbestand + Bareinkäufe - Bareinlagen" wurde somit nicht nachgewiesen. Münzzähllisten oder Belege lagen dazu nicht vor.

Folgte man den Angaben der Bf. so hätte es zur Losungsermittlung drei Methoden gegeben. Es gab eine händische Bonierung, eine Bonierung mit der Registrierkasse und einen täglichen Kassasturz.
Zu den angegebenen Arten der Losungsermittlung stellte das Gericht fest, dass die entsprechenden Aufzeichnungen darüber entweder gänzlich fehlten oder die beigebrachten Unterlagen mit schweren Mängeln behaftet waren. Zur händischen Bonierung wurden keine näheren Angaben gemacht. Es konnten keine mit der Registrierkasse erstellten Losungsbons vorgelegt werden, da diese vernichtet worden waren. Unterlagen den Kassasturz betreffend gab es ebenfalls nicht.
Mit den beigebrachten monatlichen Tageslosungslisten lag mangels zugehöriger Grundaufzeichnungen keine nachvollziehbare Darstellung der Bargeschäfte iSd § 131 BAO vor. Der in der Beschwerde enthaltene Hinweis auf die mittels Registrierkasse täglich erfassten Einzelerlöse (Losungsbons, Paragonstreifen) und deren Eintragung in die Losungsliste als Tagessumme stellte sich als nicht nachvollziehbar und nicht überprüfbar dar. Doch selbst bei Vorlage etwaiger Belege, wäre damit kein Nachweis für die Vollständigkeit derartiger Aufzeichnungen erbracht worden, da die Bf. selbst angegeben hatte, nicht alle Vorgänge mit der Registrierkasse erfasst zu haben.

Das Gericht stellte fest, dass somit zu keiner der angegebenen Losungsermittlungsmethoden ordnungsgemäße Unterlagen vorlagen bzw. beigebracht worden waren um die verbuchten Losungen nachvollziehen und überprüfen zu können.

Auch das Argument des steuerlichen Vertreters zu den durch die AP festgestellten Differenzen zwischen Losungslisten und erfassten Erlösen in der Buchhaltung, war nicht geeignet den Nachweis für den Wahrheitsgehalt der verbuchten Losungen zu führen. So wurde vorgebracht, dass die Differenzen im Jahr 2013 auf einem Irrtum bezüglich der erfassten Losungslisten beruhten. Die Bf. hätte neue Losungslisten erstellt und diese wurden in der Buchhaltung erfasst. Da dazu jedoch irrtümlich die alten Losungslisten für den gleichen Zeitraum abgelegt wurden, haben sich die Differenz ergeben.
Mit diesem Argument war für die Bf. nichts zu gewinnen, vielmehr wurde damit bestätigt, dass Losungslisten mehrfach, auch nachträglich erstellt worden sein mussten, somit weitere Ungereimtheiten in den Aufzeichnungen vorlagen.

Sowohl im Prüfungsverfahren als auch im Beschwerdeverfahren berief sich die steuerliche Vertretung der Bf. auf eine berechtigte Inanspruchnahme der vereinfachten Losungsermittlung iSd Barbewegungs-VO, BGBl II 2006/441.

Diese lautet auszugsweise:
"§ 1. (1) Die vereinfachte Losungsermittlung kann unter folgenden Voraussetzungen ab Beginn eines Wirtschaftsjahres für einen Betrieb oder wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb in Anspruch genommen werden:
1. Die Umsätze für den einzelnen Betrieb oder einzelnen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb haben in den beiden unmittelbar vorangegangenen Wirtschaftsjahren den Betrag von 150.000 Euro nicht überschritten. Als Umsätze gelten solche im Sinne des § 125 Abs. 1 Unterabs.2 BAO.
2. Für die Dauer der Inanspruchnahme der Barbewegungs-VO werden über die Bareingänge keine Einzelaufzeichnungen geführt, die eine Losungsermittlung ermöglichen.
….
§ 3. Bei Vorliegen der Berechtigung zur vereinfachten Losungsermittlung können die gesamten Bareingänge eines Tages durch Rückrechnung aus dem ausgezählten End- und Anfangsbestand ermittelt werden. Die Ermittlung der Tageslosung durch Rückrechnung muss nachvollziehbar sein (Kassabericht) und hat spätestens zu Beginn des nächstfolgenden Arbeitstages zu erfolgen. Die Rückrechnung hat für jede Kassa gesondert zu erfolgen
.
"

Dazu war festzuhalten, dass die Bf. zwar die jährliche Umsatzgrenze von 150.000 Euro als Voraussetzung für die Anwendung der erleichterten Losungsermittlung nicht überschritten hatte, dass jedoch nach den Angaben der Bf. Einzelaufzeichnungen (händische Bonierung, Registrierkassenbons) geführt wurden, auch wenn diese nicht aufbewahrt wurden. Da derartige Aufzeichnungen, auch bei freiwilliger Führung, zu den Grundaufzeichnungen zählen, wurde durch deren Vernichtung die Aufbewahrungspflicht verletzt.
Wenn im Verfahren vorgebracht wurde, dass die Losungsermittlung durch Kassasturz erfolgte, so lagen, wie oben angeführt, dazu keinerlei Unterlagen vor und war damit die erforderliche Nachvollziehbarkeit einer derartigen Rückrechnung der Tageslosungen weder gegeben noch möglich.
Allein dadurch wäre auch die etwaig mögliche vereinfachte Losungsermittlung als mangelhaft zu beurteilen gewesen.

Die Ermittlung der Erlöse war aber auch insofern mangelhaft, als die Bf. sowohl Umsätze nach dem Normalsteuersatz von 20%, als auch Umsätze nach dem ermäßigten Steuersatz von 10% erzielte. Die Trennung der Entgelte war umsatzsteuerrechtlich somit erforderlich. Wie im Verfahren vorgebracht wurde, war die Trennung der Umsätze nachträglich, aufgrund der in der Buchhaltung erfassten Wareneingänge, erfolgt.
Dadurch wurde jedoch den gem. § 18 UStG bestehenden Aufzeichnungspflichten nicht Rechnung getragen.
Eine nachträgliche Trennung der Entgelte auf Basis des Wareneinganges, wie sie gem. § 18 Abs. 7 UStG auf Antrag zulässig wäre, kam im Fall der Bf. nicht in Frage, da die dazu erforderliche Bewilligung der Abgabenbehörde nicht vorlag.

Aufgrund des gegebenen Sachverhalts stellte das Gericht fest, dass die vorgelegten Unterlagen mit schwerwiegenden Mängeln behaftet waren und somit nicht geeignet waren die sachliche und inhaltliche Richtigkeit der Aufzeichnungen nachzuweisen.
Die Unterlagen entsprachen auch nicht den Bestimmungen für die vereinfachte Losungsermittlung, waren doch die Tageslosungen nur jeweils in einem Betrag in einer monatlichen Losungsliste eingetragen worden ohne dass dazu entsprechende Grundaufzeichnungen vorlagen um diesen überprüfen zu können.

Da die Bemessungsgrundlagen der Abgaben infolge der oben dargestellten Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen nicht ermittelt werden konnten, war die Schätzungsberechtigung gem. § 184 BAO gegeben.

Ist eine Schätzung grundsätzlich zulässig, so steht die Wahl der anzuwendenden Schätzungsmethode der Abgabenbehörde frei. Das gewählte Verfahren muss stets auf das Ziel gerichtet sein, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Jede Schätzung beinhaltet eine gewisse Ungenauigkeit. Diese mit der Schätzung verbundene Ungewissheit ist jedoch von demjenigen, der zur Schätzung Anlass gibt hinzunehmen.

Die AP hatte die jährliche Schätzung auf Basis der in der Buchhaltung erfassten Wareneinkäufe sowie der vorliegenden Preislisten der Bf. durchgeführt.
In einem ersten Schritt erfolgte so die Kalkulation der 20%-igen Umsätze.
Die Ermittlung der zugerechneten 10%-igen Umsätze beruhte auf dem in den Erklärungen (Umsatzsteuervoranmeldungen) der Bf. festzustellenden Verhältnis dieser Umsätze zu den mit 20% zu versteuernden Umsätzen.
Sowohl die geringe Größe des Lokals, der Kundenstamm, das Fehlen von Laufkundschaft, das hauptsächlich Getränke in Flaschen umfassende Warenangebot und die als "flexibel" angegebenen Öffnungszeiten ließen auf einen planbaren und überschaubaren Wareneinkauf schließen. Infolgedessen wurde der in der Kalkulation der AP berücksichtigte Schwund von 5% über die gesamten Umsätze durch das Gericht, in freier Beweiswürdigung, als der Realität entsprechend beurteilt.

Hinsichtlich des zusätzlich zur Kalkulation seitens der AP angewandten Sicherheitszuschlages von 15% kam das Gericht jedoch zu folgendem Schluss.
Auch wenn nach ständiger Rechtsprechung des VwGH eine Schätzung mit Hilfe eines Sicherheitszuschlages eine Methode ist, die der korrigierenden Ergänzung der Besteuerungsgrundlagen, von denen anzunehmen ist, dass sie zu niedrig ausgewiesen wurden, dient, ist eine Zuschätzung mittels Sicherheitszuschlägen zu begründen.
Die Anwendung eines Sicherheitszuschlages geht davon aus, dass bei mangelhaften Aufzeichnungen nicht nur die nachgewiesenermaßen nicht verbuchten Vorgänge, sondern auch noch weitere Vorgänge nicht aufgezeichnet wurden.
Aufgabe eines Sicherheitszuschlages ist es also, das Risiko möglicher weiterer Unvollständigkeiten von Aufzeichnungen auszugleichen; dabei sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu beachten ist auch, dass der Sicherheitszuschlag, ebenso wie andere Schätzungskomponenten, nicht Strafcharakter hat, d.h. kein "Straf-Zuschlag" sein kann. Seine Höhe hat sich daher nach den Besonderheiten des Schätzungsfalles und nach den festgestellten Fehlern, Mängeln und vermuteten Verminderungen des Ergebnisausweises, also nach den Gegebenheiten im Bereich des Tatsächlichen, zu richten.

Im Bericht der AP fanden sich weder Hinweise noch Nachweise auf etwaige Mängel, z.B. dass die zur Kalkulation herangezogenen Wareneinkäufe unvollständig erfasst worden wären und so der Ansatz eines Sicherheitszuschlages dem Grunde nach gerechtfertigt gewesen wäre. Zudem lagen keine Anhaltspunkte für die Höhe von 15% des griffweise angewandten Sicherheitszuschlages vor. Eine Begründung inwieweit dieser Zuschlag, in dieser Höhe, zum Ausgleich des Risikos von Unvollständigkeiten angesetzt worden war, fand sich weder im Bericht der AP noch in den Ausführungen der Behörde und nicht in den in der Folge ergangenen, nunmehr angefochtenen, Bescheiden.

Was zudem durch die Behörde gänzlich unbeachtet geblieben war, war der Umstand, dass der Ansatz eines Sicherheitszuschlages insoweit nicht in Betracht kommt, als bereits kalkulatorisch geschätzt wurde. So darf nach der Rechtsprechung des VwGH kein zusätzlicher Sicherheitszuschlag verhängt werden, wenn die Einnahmen global - etwa kalkulatorisch - geschätzt werden.
Dies war hier der Fall. Die AP hatte eine globale Schätzung, mittels Kalkulation über sämtliche Sparten, durchgeführt. Demzufolge verblieb für die weitere Anwendung eines globalen Sicherheitszuschlages kein Raum.

Das Gericht kam daher zu Schluss, dass die aufgrund der gegebenen Schätzungsberechtigung durchgeführte Kalkulation zur Ermittlung der Bemessungsgrundlagen berechtigt und begründet war. Da die Grundlage dafür, die in der Buchhaltung erfassten Daten sowie die Verkaufspreise der Bf. bildeten, war davon auszugehen, dass die kalkulatorisch ermittelten Umsätze, die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich hatten. Da die Bf. zur Schätzung Anlass gegeben hatte, war die einer Schätzung immanente Unsicherheit durch die Bf. zu tragen.
Von der Anwendung eines zusätzlichen, global gewählten, Sicherheitszuschlages war jedoch abzusehen und war aus diesem Titel keine weitere Erhöhung den Umsätzen zuzurechnen.

Die Ermittlung der Bemessungsgrundlagen und die Festsetzung der Abgaben, d.h. der Umsatzsteuer 2013 bis 2015 sowie der Einkommensteuer 2014 erfolgte grundsätzlich auf Basis der Kalkulationen der AP (siehe dazu auch Bericht der AP) ohne jedoch einen Sicherheitszuschlag anzuwenden.

Die Details der Berechnung der Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgaben, sind dem beiliegenden Berechnungsblatt, das einen Spruchbestandteil bildet, zu entnehmen.

Der Beschwerde war daher teilweise stattzugeben. Die Bescheide waren abzuändern.
Die Entscheidung war wie im Spruch angeführt, zu treffen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die gegenständliche Entscheidung hängt nicht von einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ab und steht nicht im Gegensatz zur ständigen Rechtsprechung des VwGH.
Eine Revision ist daher nicht zulässig.

Beilage: 1 Berechnungsblatt

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 184 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 184 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101657.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at