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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.08.2021, RV/7102053/2021

Eine vermietete Liegenschaft kann ohne Personal, das zu autonomem Handeln befähigt, nicht als feste Niederlassung qualifiziert werden

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7102053/2021-RS1
Eine für Zwecke der Mehrwertsteuer bedeutsame feste Niederlassung bedarf jedenfalls (auch) einer entsprechenden personellen Ausstattung, die zu autonomem Handeln befähigt (). Allenfalls widersprechenden Zweckmäßigkeitsüberlegungen kommen in diesem Zusammenhang genauso wenig Relevanz zu wie etwa dem Umstand, dass die Funktionsfähigkeit der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit keine personelle Ausstattung erfordert.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter MMag. Gerald Erwin Ehgartner in der Beschwerdesache **BF**, vertreten durch Ernst & Young Steuerberatungsgesellschaft m.b.H., Wagramer Straße 19, 1220 Wien über die Berufung (nunmehr Beschwerde) vom gegen

- die gemäß 293b BAO berichtigten Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008, sowie gegen

- die Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2009 und 2010,

alle erlassen am vom Finanzamt Wien 1/23 (nunmehr zuständig Finanzamt Österreich), zu Recht:

I. Die gemäß 293b BAO berichtigten Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008 werden gemäß § 279 BAO aufgehoben. Die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008 in ihrer ursprünglichen Fassung gehören damit wieder dem Rechtsbestand an.

II. Die Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 werden gemäß § 279 BAO aufgehoben.

III. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7103840/2015, wurde die gegenständliche Beschwerde zunächst bereits stattgebend erledigt. Die (primäre) Rechtsfrage, ob die beschwerdeführende Gesellschaft, die im Inland weder Sitz noch Geschäftsleitung hatte und ein Grundstück umsatzsteuerpflichtig an zwei inländische Unternehmer vermietete, Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen gehabt hätte, oder, ob die Steuerschuld auf die inländischen Leistungsempfänger übergeht, wurde vom Bundesfinanzgericht im Sinne der Beschwerdeführerin entschieden. Mangels eingesetztem eigenen Personal, das zu autonomem Handeln befähigt, konnte die gegenständliche Liegenschaft nicht als mehrwertsteuerlich bedeutsame feste Niederlassung qualifiziert werden. Da somit weder der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Inland lag und sie die Vermietungsleistung auch nicht über eine feste Niederlassung im Inland ausführte, traf das Bundesfinanzgericht die Entscheidung, dass es gemäß § 19 Abs 1 UStG (in den für die streitgegenständlichen Jahre jeweils anzuwendenden Fassungen) zum Übergang der Steuerschuld auf die inländischen Mieter kam.

Daneben ließ das Bundesfinanzgericht auch den von der Beschwerdeführerin beantragten Vorsteuerabzug zu (für das Jahr 2009 gesamt EUR 2.635,40 und für das Jahr 2010 gesamt EUR 4.298,89) und sprach aus, dass die Bescheide entsprechend abzuändern wären. Aus diesem Grund wurde das bezeichnete Erkenntnis von der belangten Behörde mit der mit datierten außerordentlichen Revision angefochten: Nach Auffassung der belangten Behörde wären die vom Bundesfinanzgericht zugelassenen Vorsteuern nicht im Veranlagungsweg, sondern im Vorsteuererstattungsverfahren zu gewähren gewesen.

Das Bundesfinanzgericht folgte den Ausführungen in der Revision und hob das Erkenntnis vom , RV/7103840/2015, gemäß § 289 Abs 1 lit a BAO im Wege der Klaglosstellung wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts auf. Zur konkreten Begründung wird auf den Aufhebungsbeschluss verwiesen.

Gemäß § 289 Abs 3 BAO trat das Verfahren durch die Aufhebung in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Erkenntnisses befunden hat. Dementsprechend wurde das Beschwerdeverfahren am Bundesfinanzgericht nunmehr unter der Geschäftszahl RV/7102053/2021 protokolliert und mit nun vorliegendem Erkenntnis erledigt.

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Jersey, ihr Geschäftsgegenstand liegt im Bereich Realitätenwesen, Vermögensverwaltung sowie Wohnungs- und Siedlungswesen. Seit dem Jahr 1995 besitzt sie in Österreich eine Liegenschaft (Gebäude in Wien), welche sie an zwei inländische Unternehmer umsatzsteuerpflichtig vermietete. Bei den erzielten Vermietungsumsätzen handelte es sich um die einzigen inländischen Umsätze der Beschwerdeführerin. Mit den Agenden der Hausverwaltung war ein inländisches Unternehmen beauftragt. Die wesentlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Vermietungstätigkeit, wie etwa über die Begründung und Auflösung von Mietverhältnissen oder Durchführung von Investitionen und Reparaturmaßnahmen, behielt sich die Beschwerdeführerin selbst vor.

Ab dem streitgegenständlichen Jahr 2004 ging die Beschwerdeführerin vom Übergang der Umsatzsteuerschuld auf die inländischen Leistungsempfänger iSd § 19 Abs 1 UStG aus. Dementsprechend stellte sie ihre Rechnungen ab Anfang 2004 als Reverse Charge-Rechnungen mit Hinweis auf den Übergang der Steuerschuld aus und brachte das ua auch in den eingereichten Umsatzsteuererklärungen zum Ausdruck. Angeschlossen an die Umsatzsteuererklärungen übermittelte sie an die belangte Behörde auch jeweils Beilagen, in denen nochmals auf die vorgenommene Behandlung hingewiesen wurde.

Die Erstbescheide betreffend Umsatzsteuer 2004 bis 2008 ergingen erklärungsgemäß (Umsatzsteuerbescheid 2004 datiert mit ; Bescheid 2005 datiert mit ; Bescheid 2006 datiert mit ; Bescheid 2007 datiert mit ; Bescheid 2008 datiert mit ), sodass sich ein Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Leistungen von jeweils EUR 0,00 ergab.

Im Zuge einer vorgenommenen Außenprüfung (für die Jahre 2004 bis 2008) bzw Nachschau (für 2009 und 2010) wurde im Prüfungsbericht vom in beschwerdegegenständlich relevanter Hinsicht die Prüfungsfeststellung getroffen, dass die Mietumsätze der Beschwerdeführerin bis einschließlich 2003 mit 20% Umsatzsteuer erklärt, ab dem Jahr 2004 jedoch als Reverse Charge-Umsätze behandelt worden seien. In diesem Sinne erließ die belangte Behörde, datiert mit , gemäß § 293b BAO berichtigte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008 sowie (erstmalig ergehende) Umsatzsteuerbescheide für 2009 und 2010. In allen bezeichneten Bescheiden wurden die Mietumsätze - entgegen den eingereichten Erklärungen - nicht (mehr) als Reverse Charge-Umsätze behandelt, sondern die Umsatzsteuer iHv 20% entsprechend festgesetzt.

Mit Berufung (nunmehr Beschwerde) vom wurden die bezeichneten Bescheide mit dem Antrag angefochten, die Berichtigungsbescheide zur Umsatzsteuer 2004 bis 2008 wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben bzw die Umsatzsteuerbescheide 2009 und 2010 derart abzuändern, dass sie keine zu versteuernden Umsätze beinhalten. In rechtlicher Hinsicht erfolgte der Verweis auf die Reverse Charge-Neuregelung ab .

Weiter beantragte die Beschwerdeführerin, die durch die belangte Behörde vorgenommene Vorsteuerkürzung für 2009 iHv EUR 308,67 und für 2010 iHv EUR 2.196,98 rückgängig zu machen. Inhaltlich könne keine Stellungnahme dazu abgegeben werden, da auch in der Schlussbesprechung keine Gründe erwähnt worden seien.

Datiert mit erließ die belangte Behörde für 2004 bis 2008 abweisende Beschwerdevorentscheidungen. Betreffend die Jahre 2009 und 2010 wurden die Bescheide vom derart abgeändert, dass für das Jahr 2009 der Gesamtbetrag der abziehbaren Vorsteuern von EUR -2.326,73 auf EUR -2.635,40 und für das Jahr 2010 der Gesamtbetrag der abziehbaren Vorsteuern von EUR -2.101,91 auf EUR -2.662,89 erhöht wurde. Während die Festsetzung des Gesamtbetrags der abziehbaren Vorsteuern für das Jahr 2009 antragsgemäß erledigt wurde, wurde dem diesbezüglichen Beschwerdeantrag für das Jahr 2010 nur teilweise entsprochen (beantragt wurde ein Gesamtbetrag der abziehbaren Vorsteuern von EUR -4.298,89, bescheidmäßig festgesetzt wurde (nur) der Betrag von EUR -2.662,89).

Für sämtliche Jahre (2004 bis 2010) rückte die belangte Behörde nicht von ihrer Rechtsansicht ab, wonach die gegenständlichen Vermietungsumsätze nicht der Reverse Charge-Regelung zu unterwerfen seien. Begründet wurde dies im Wesentlichen mit einem vorgenommenen Verweis auf die Umsatzsteuerrichtlinien 2000 Rz 2601b für die Rechtslage ab bzw auf Rz 2601 für die Rechtslage bis einschließlich .

Betreffend die für das Jahr 2010 nicht zuerkannten Vorsteuern würden nach Beurteilung durch die belangte Behörde zwei Rechnungen (Nr 471/10 und 1036/10) Rechnungsmängel hinsichtlich Umfang der sonstigen Leistungen sowie hinsichtlich des Leistungszeitraums vorliegen, weshalb ein Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen (Vorsteuer in Summer EUR 1.636,00) nicht zustehe.

Im Vorlageantrag vom wiederholte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ihr Beschwerdevorbringen. Mit ergänzenden Schreiben zum Vorlageantrag vom bezog sie noch Stellung zu den beiden nicht anerkannten Rechnungen des Jahres 2010 und wies darauf hin, dass beide Rechnungen sowohl eine detaillierte Leistungsbeschreibung

- Nr 471/10 "Oberhalt des Geschäftsportals "Die Brille" Wasserabweiser am Mauerdeckel abmontieren um das Wasser nach hinten abzuleiten."

- Nr 1036/10: "Sämtliche Verblechungen Bereich Steildächer, wie Einlegerinne, Mauerdeckel, Aussteigfenster, Saum- und Saumrinnen, Wandanschlussverblechungen, Orteinfassungen sowie eine Pultdach-Abschlussverblechung und die hofseitigen Blechdächer inkl Hängerinnen, Ablaufrohre und Lüftungen reinigen und zweimal streichen."

als auch Leistungszeitraum

- Nr 471/10: "LZR 4/10" (entspreche dem Leistungszeitraum April im Jahr 2010)

- Nr 1036/10: "LZR 8/10" (entspreche dem Leistungszeitraum August im Jahr 2010)

aufweisen würden. Die Vorsteuern iHv gesamt EUR 1.636,00 aus diesen beiden Rechnungen seien daher anzuerkennen.

Von Seiten des Bundesfinanzgerichts wurde dem Europäischen Gerichtshof mit Beschluss vom , RE/7100002/2019, die Frage, ob dem Begriff der "festen Niederlassung" das Verständnis beizulegen sei, dass stets das Vorliegen einer personellen und technischen Ausstattung gegeben sein müsse und daher an der Niederlassung unbedingt eigenes Personal des Dienstleistungserbringers vorhanden zu sein habe oder, ob im konkreten Fall der steuerpflichtigen Vermietung einer im Inland belegenen Liegenschaft, die sich bloß als passive Duldungsleistung darstelle, diese auch ohne personelle Ausstattung als "feste Niederlassung" anzusehen sein könne, mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Mit Urteil vom , C-931/19, beantwortete der Europäische Gerichtshof die Frage dahingehend, dass eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie keine feste Niederlassung im Sinne der MwStSyst-RL bzw der Sechsten MwSt-RL darstelle, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfüge.

Über die Beschwerde wurde erwogen

1. Entscheidungsrelevanter Sachverhalt

1.1 Umsatzsteuerpflichtige Grundstücksvermietung

Die Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Jersey. Ihr Geschäftsgegenstand liegt im Bereich Realitätenwesen, Vermögensverwaltung sowie Wohnungs- und Siedlungswesen. Seit dem Jahr 1995 besitzt sie in Österreich eine Liegenschaft (Gebäude in Wien), welche sie in den gegenständlich relevanten Jahren 2004 bis 2010 an zwei inländische Unternehmer umsatzsteuerpflichtig vermietete. Bei den erzielten Vermietungsumsätzen handelte es sich um die einzigen inländischen Umsätze der Beschwerdeführerin.

An der Liegenschaft wurde kein eigenes Personal der Beschwerdeführerin eingesetzt. Mit den Agenden der Hausverwaltung wurde von der Beschwerdeführerin ein österreichisches Hausverwaltungsunternehmen beauftragt, das sich im Wesentlichen um die Vermittlung von Dienstleistern und Lieferanten im Immobilien-, Installations- und Baubereich an die Beschwerdeführerin, um die Abrechnung der Mieten und Betriebskosten, die Führung von Geschäftsaufzeichnungen, die Vorbereitung von Umsatzsteuer-Meldedaten, die Erstellung von Kosten- und Erträgnisauswertungen und ähnlichen Aufgaben kümmerte. Die Hausverwaltung nutzte für ihre Tätigkeit ihre eigenen Büroräumlichkeiten und eigene technische Strukturen, die mit der Liegenschaft der Beschwerdeführerin in keinem räumlichen und/oder funktionellen Zusammenhang standen.

Die Entscheidungsgewalt über die Begründung und Auflösung von Mietverhältnissen sowie über deren wirtschaftliche und rechtliche Konditionen, über die Durchführung von Investitionen und Reparaturmaßnahmen sowie deren Finanzierung, über die Auswahl und Beauftragung im Zusammenhang mit anderen Vorleistungen und die Auswahl, Beauftragung und Überwachung der Hausverwaltung selbst, verblieb dabei bei der Beschwerdeführerin und lag nicht bei der inländischen Hausverwaltung.

1.2 § 293b Bescheide

Von Seiten der belangten Behörde wurden an die Beschwerdeführerin für die Jahre 2004 bis 2008 Berichtigungsbescheide gemäß § 293b BAO erlassen, alle datiert mit , mit denen folgende Umsatzsteuerbescheide berichtigt wurden:

- Umsatzsteuerbescheid 2004 vom

- Umsatzsteuerbescheid 2005 vom

- Umsatzsteuerbescheid 2006 vom

- Umsatzsteuerbescheid 2007 vom

- Umsatzsteuerbescheid 2008 vom

Begründend erfolgte jeweils der bloße Verweis "Siehe BP-Bericht v. ". Es lässt sich dem Verweis entnehmen, dass die Berichtigung auf der (dem gegenständlichen Rechtsstreit zugrundeliegenden) Rechtsansicht der belangten Behörde beruht, dass es hinsichtlich der Mietumsätze nicht zum Übergang der Steuerschuld auf die inländischen Leistungsempfänger komme.

2. Beweiswürdigung

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem obig dargestellten Verfahrensgang und den dem Gericht vorliegenden Dokumenten.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1 Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung der Berichtigungsbescheide nach § 293b BAO)

Die belangte Behörde erließ für die Jahre 2004 bis 2008 die mit datierten Berichtigungsbescheide nach § 293b der Bundesabgabenordnung (BAO) und setzte damit der Beschwerdeführerin die Umsatzsteuer für die in Streit stehenden Mietumsätze bescheidmäßig fest (zumal die belangte Behörde, von der Nicht-Anwendbarkeit der Reverse Charge-Regelung für die streitgegenständlichen Mietumsätze ausging; siehe dazu unten, Punkt 3.2.1).

Gemäß § 293b BAO steht es der Abgabenbehörde ua von Amts wegen grundsätzlich zu, einen Bescheid insoweit zu berichtigen, als seine Rechtswidrigkeit auf der Übernahme offensichtlicher Rechtswidrigkeiten aus Abgabenerklärungen beruht.

Mit einer derartigen offensichtlichen Rechtswidrigkeit, die zu einer Berichtigung nach § 293b BAO ermächtigt, ist ein Bescheid (nur) dann behaftet, wenn er auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht (vgl ; , 93/14/0113). Es muss sich dabei um eine Unrichtigkeit handeln, die ohne nähere Untersuchungen im Rechtsbereich und ohne Ermittlungen im Tatsachenbereich deutlich erkennbar ist (; , 2003/15/0049). Bloße Zweifel an der Richtigkeit der Abgabenerklärung stellen hingegen noch keine offenkundige Unrichtigkeit dar (vgl ; , 2007/15/0098).

Gegenständlich lag nach Beurteilung durch das Bundesfinanzgericht keine Rechtswidrigkeit im genannten Sinne vor. Viel mehr war die diesbezügliche Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vor dem Hintergrund der bis dahin bereits ergangenen EuGH-Urteile zumindest als strittig zu beurteilen; nunmehr ergab sich darüber hinaus (siehe unten, Punkt 3.2.1), dass die von der Beschwerdeführerin zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung sogar ausdrücklich rechtskonform war.

Die betreffenden Berichtigungsbescheide waren daher vom Bundesfinanzgericht aufzuheben. Die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2004 bis 2008 gehören damit in ihrer ursprünglichen Fassung (Bescheid 2004 datiert mit ; Bescheid 2005 datiert mit ; Bescheid 2006 datiert mit ; Bescheid 2007 datiert mit ; Bescheid 2008 datiert mit ) wieder dem Rechtsbestand an (vgl ).

3.2 Zu Spruchpunkt II. (Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide)

3.2.1 Umsatzsteuerpflichtige Grundstücksvermietung

Die zu lösende Rechtsfrage bestand darin, ob die beschwerdeführende Gesellschaft, die im Inland weder Sitz noch Geschäftsleitung hatte und ein Grundstück umsatzsteuerpflichtig an zwei inländische Unternehmer vermietete, Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen gehabt hätte (so die Ansicht der belangten Behörde), oder, ob (so von der Beschwerdeführerin vertreten) die Steuerschuld auf die inländischen Leistungsempfänger übergeht.

Die relevante nationale Norm des § 19 Abs 1 des Umsatzsteuergesetzes 1994 (UStG) knüpft daran an, dass "der leistende Unternehmer im Inland weder einen Wohnsitz (Sitz) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Betriebsstätte hat" (so die gemäß § 28 Abs 22 Z 5 UStG für das Jahr 2004 anwendbare Fassung BGBl I 71/2003 und die gemäß § 28 Abs 25 Z 3 UStG für die Jahre 2005 bis 2009 anwendbare Fassung BGBl I 180/2004) bzw, dass "der leistende Unternehmer im Inland weder einen Wohnsitz (Sitz) noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder eine an der Leistungserbringung beteiligte Betriebsstätte hat" (so die gemäß § 28 Abs 33 Z 1 UStG für das Jahr 2010 anwendbare Fassung BGBl I 52/2009).

Die zugrundeliegende unionsrechtliche Norm des Art 194 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwSt-Syst-RL; bzw zuvor bis , Art 21 Abs 1 lit a Uabs 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom ; Sechste MwSt-RL) stellt auf die "Ansässigkeit" des Steuerpflichtigen ab. Die Mitgliedsstatten können demnach - so wie im gegenständlichen Fall vorgenommen - vorsehen, dass ua bei einer steuerpflichtigen Dienstleistung, die von einem Steuerpflichtigen bewirkt wurde, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, jene Person, für die die Dienstleistung bestimmt ist, die Steuer schuldet.

Es ist in gebotener richtlinienkonformer Auslegung für die Frage der Steuerschuldnerschaft somit auf die mehrwertsteuerliche Ansässigkeit abzustellen. Diese richtet sich in der Regel nach dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit sowie, in Ermangelung eines solchen, nach dem Vorliegen einer festen Niederlassung, von der aus die Umsätze bewirkt werden (vgl Stoppelkamp, C-421/10, Rn 26 ff mwN).

Als Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit gilt (gemäß der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, die in der Folge in Art 10 der DurchführungsVO (EU) 282/2011; MwSt-DVO) Eingang gefunden hat, der Ort, an dem die Handlungen zur zentralen Verwaltung des Unternehmens vorgenommen werden. Zur Bestimmung dieses Orts sind der Ort, an dem die wesentlichen Entscheidungen zur allgemeinen Leitung des Unternehmens getroffen werden, der Ort des satzungsmäßigen Sitzes und der Ort, an dem die Unternehmensleitung zusammenkommt, heranzuziehen. Im gegenständlichen Fall lag dieser Ort unstrittig nicht in Österreich.

Als feste Niederlassung gilt (ua auch für den Fall, dass eine Niederlassung Dienstleistungen erbringt) gemäß der vom Europäischen Gerichtshof getroffenen Auslegung (vgl etwa Berkholz, 168/84; , DFDS, C-260/95; , ARO Lease BV, C-190/95; , Lease Plan Luxembourg SA, C-390/96; , Planzer Luxembourg, C-73/06; , Welmory, C-605/12), die unter Anderem in (in zeitlicher Hinsicht noch nicht anwendbaren) Art 11 MwSt-DVO ihren Niederschlag gefunden hat, jede Niederlassung mit Ausnahme des Sitzes der wirtschaftlichen Tätigkeit, die einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur aufweist, die es von der personellen und technischen Ausstattung her erlaubt, Dienstleistungen zu erbringen. Dieser Interpretation ist auch der Verwaltungsgerichtshof gefolgt (vgl ; , 2008/15/0166; , 2007/15/0172).

Im gegenständlichen Fall der bloßen Grundstücksvermietung fand sich jedoch entsprechend obiger Feststellungen vor Ort kein eigenes Personal der Beschwerdeführerin eingesetzt, das zu autonomem Handeln befähigt hätte. Auch die beauftragte inländische Hausverwaltung setzte (natürlich) kein Personal der Beschwerdeführerin ein und es wurden von ihr ohnedies bloß unterstützende, verwaltungstechnische Aufgaben durchgeführt.

Trotz der zitierten EuGH-Rechtsprechung schien es für das Bundesfinanzgericht noch nicht hinreichend geklärt, ob die beiden Ausstattungsmerkmale "Personal- und Sachmittel" stets kumulativ vorliegen müssen oder, so wie etwa in den Umsatzsteuerrichtlinien (vgl Rz 2601 bzw 2601b UStR, wonach der Leistungserbringer aus Zweckmäßigkeitsgründen stets Schuldner der Umsatzsteuer auf Mieteinkünfte aus inländischen Grundstücken sei) oder teilweise in der Fachliteratur vertreten bzw von deutschen Finanzgerichten entschieden (vgl FG Köln , 2 K 920/14; FG Münster , 5 K 1768/10 U; FG Schleswig-Holstein , 4 K 47/17), im Fall einer bloß passiven Duldungsleistung, für die keine personelle Ausstattung erforderlich ist, bei Vorliegen einer sachlichen Ausstattung von erheblichem Wert und hoher Beständigkeit oder einfach aus Zweckmäßigkeitsgründen in Einzelfällen von der personellen Komponente abgesehen werden könne.

Vor dem Hintergrund dieser uneinheitlichen Begriffsauslegungen schien die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf die dargestellte Rechtsfrage nicht derart offenkundig zu sein, dass für Zweifel kein Raum geblieben wäre. Von Seiten des Bundesfinanzgerichts wurde daher gemäß Art 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dem Europäischen Gerichtshof mit Beschluss vom , RE/7100002/2019, folgende Frage mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:

"Ist dem Begriff der ,festen Niederlassung' das Verständnis beizulegen, dass stets das Vorliegen einer personellen und technischen Ausstattung gegeben sein muss und daher an der Niederlassung unbedingt eigenes Personal des Dienstleistungserbringers vorhanden zu sein hat oder kann im konkreten Fall der steuerpflichtigen Vermietung einer im Inland belegenen Liegenschaft, die sich bloß als passive Duldungsleistung darstellt, diese auch ohne personelle Ausstattung als ,feste Niederlassung' anzusehen sein?"

Mit Urteil vom , C-931/19, antwortete der Europäische Gerichtshof auf die vorgelegte Frage wie folgt:

"Eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie stellt keine feste Niederlassung im Sinne des Art. 43 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sowie der Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom geänderten Fassung dar, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt."

Auszugsweise aus dem EuGH-Urteil (Rn 42 bis 46):

"Der Begriff ,feste Niederlassung' verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs einen durch das ständige Zusammenwirken der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel gebildeten Mindestbestand. Daher setzt er einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur voraus, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht (Urteil vom , Planzer Luxembourg, C-73/06, EU:C:2007:397, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insbesondere ist bei einer Struktur, bei der es an eigenem Personal fehlt, keine Subsumtion unter den Begriff ,feste Niederlassung' möglich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , ARO Lease, C-190/95, EU:C:1997:374, Rn. 19).

Bestätigung findet diese Rechtsprechung in Art. 11 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, wonach eine feste Niederlassung u. a. eine ,von der personellen und technischen Ausstattung her' geeignete Struktur aufweist. Zwar gilt diese Durchführungsverordnung nach ihrem Art. 65 erst ab dem und ist daher zeitlich auf das Ausgangsverfahren nicht anwendbar, doch sollen mit ihr nach ihrem 14. Erwägungsgrund bestimmte Begriffe, darunter derjenige der festen Niederlassung, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs klargestellt werden.

Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens in Österreich über kein eigenes Personal verfügt und dass die mit bestimmten Verwaltungsaufgaben betrauten Personen von ihr vertraglich beauftragt wurden, wobei sie sich alle wichtigen Entscheidungen betreffend die Vermietung der in Rede stehenden Immobilie vorbehalten hat.

Eine Immobilie, bei der keinerlei personelle Ausstattung vorhanden ist, die zu autonomem Handeln befähigt, erfüllt jedoch offensichtlich nicht die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für die Einstufung als feste Niederlassung im Sinne sowohl der Richtlinie 2006/112 als auch der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie keine feste Niederlassung im Sinne des Art. 43 der Richtlinie 2006/112 sowie der Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung darstellt, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt."

Der Gerichtshof legt somit klar, dass eine für Zwecke der Mehrwertsteuer bedeutsame feste Niederlassung jedenfalls (auch) einer entsprechenden personellen Ausstattung, die zu autonomem Handeln befähigt, bedarf. Allenfalls widersprechenden Zweckmäßigkeitsüberlegungen kommen in diesem Zusammenhang genauso wenig Relevanz zu wie etwa dem Umstand, dass die Funktionsfähigkeit der jeweiligen wirtschaftlichen Tätigkeit keine personelle Ausstattung einfordert.

Mangels eingesetztem eigenen Personal, das zu autonomem Handeln befähigt, kann die gegenständliche Liegenschaft somit nicht als feste Niederlassung qualifiziert werden. Da somit weder der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Inland lag, und sie die Vermietungsleistung auch nicht über eine feste Niederlassung im Inland ausführte, kommt es gemäß § 19 Abs 1 UStG (in den streitgegenständlich jeweils anzuwendenden Fassungen) zum Übergang der Steuerschuld auf die inländischen Mieter.

3.2.2 Vorsteuern der Jahre 2009 und 2010

Von der Beschwerdeführerin wurde für die Jahre 2009 und 2010 im Veranlagungsweg der Abzug von Vorsteuern beantragt.

Gemäß § 21 Abs 9 UStG kann der Bundesminister für Finanzen für Unternehmer, die im Inland weder einen Sitz noch eine Betriebsstätte haben und die im Inland keine steuerpflichtigen Umsätze ausführen, durch Verordnung die Erstattung der Vorsteuern abweichend von § 21 Abs 1 bis 5 und abweichend von §§ 12 und 20 regeln. Auf Grund § 21 Abs 9 UStG hat der Bundesminister für Finanzen mit Verordnung BGBl 279/1995 (in der Folge Vorsteuererstattungsverordnung) die Erstattung der abziehbaren Vorsteuerbeträge an solche Unternehmer abweichend von §§ 20 und 21 Abs 1 bis 5 UStG einem eigenen Verfahren vorbehalten, wenn näher bestimmte Bedingungen erfüllt sind (§ 1 dieser Verordnung; vgl ).

Da die Beschwerdeführerin entsprechend obiger Ausführungen im Inland weder ihren Sitz noch eine Betriebsstätte (iS einer festen Niederlassung) hat und im Inland nur Umsätze erbrachte, bei denen die Steuerschuld gemäß § 19 Abs 1 UStG 1994 auf den Leistungsempfänger übergeht, hat die Erstattung der Vorsteuer nach der Vorsteuererstattungsverordnung zu erfolgen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt hat, ist mit der Vorsteuererstattungs-verordnung ein eigenes, somit ein anderes Verfahren als die in § 21 Abs 4 UStG vorgesehene Veranlagung der Jahresumsatzsteuer vorgesehen (vgl ). Da die Voraussetzungen gegenständlich vorlagen, war die Erstattungsverordnung anzuwenden. Die von der Beschwerdeführerin für die Jahre 2009 und 2010 im Veranlagungsweg beantragten Vorsteuern konnten vom Bundesfinanzgericht somit nicht zugesprochen werden.

Nachdem von der Beschwerdeführerin in den Jahren 2009 und 2010 im Inland ausschließlich Umsätze, bei denen es zum Übergang der Steuerschuld kommt, getätigt wurden und die Vorsteuern im Wege der Erstattung zu beantragen sind, waren die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2009 und 2010 vom Bundesfinanzgericht aufzuheben.

3.3 Zu Spruchpunkt III. (Unzulässigkeit der Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall wurde die Frage der Auslegung der Bestimmung des § 19 Abs 1 UStG bzw des Begriffs der festen Niederlassung durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl ; , 2008/15/0166; , 2007/15/0172) und insbesondere durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl vor allem ) hinreichend gelöst. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 19 Abs. 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Art. 194 RL 2006/112/EG, ABl. Nr. L 347 vom S. 1
Art. 43 RL 2006/112/EG, ABl. Nr. L 347 vom S. 1
RL 2008/8/EG, ABl. Nr. L 44 vom S. 11
§ 293b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102053.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at