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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.07.2021, RV/3100284/2021

Geschäftsführerhaftung (§ 9 BAO) - Ermessensübung

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2021/13/0132. Mit Erk. v. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zahl RV/3100408/2022 erledigt.


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RV/3100284/2021-RS1
Geschäftsführerhaftung nach § 9 BAO: Bei der Ermessensübung iZm einer langen Zeitspanne zwischen Entstehen der Abgabenschuld oder Feststehen der Uneinbringlichkeit der Abgaben ist auf den späteren der beiden Zeitpunkte abzustellen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf1******Bf1-Adr***RA über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid der belangten Behörde Finanzamt vom zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird dahin abgeändert, dass die Beschwerdeführerin für folgende Abgaben gemäß §§ 9 iVm 80 BAO als Haftungspflichtige in Anspruch genommen wird:


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Umsatzsteuer
2003
56.410,88
Umsatzsteuer
2004
59.544,59
Umsatzsteuer
2005
70.279,54
Umsatzsteuer
2006
2.811,26
Summe
189.046,27

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Festsetzungsverfahren betreffend die Primärschuldnerin

Im Gefolge einer mit Bericht vom zu ABNr. abgeschlossenen Außenprüfung im Betrieb der P GmbH verfügte das Finanzamt mit Bescheiden vom die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2002 bis 2004 und erließ Umsatzsteuerbescheide für diese Jahre. Mit gleichem Datum erließ das Finanzamt Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006. Die festgesetzten Nachforderungen an Umsatzsteuer belaufen sich auf insgesamt EUR 319.982,40 (2002: 68.638,51; 2003: EUR 119.708,50; 2004: EUR 59.544,59; 2005: EUR 70.279,54; 2006: EUR 2.811,26).

Die P GmbH erhob am Berufung gegen Wiederaufnahmebescheide betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2004 bis 2004 und gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2006. Der Unabhängige Finanzsenat gab der Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2002 bis 2004 mit Bescheid vom zu GZ RV/0726-I/07 Folge, hob diese auf und wies die Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2004 als unzulässig geworden zurück. Der Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 gab der Unabhängige Finanzsenat Folge und hob diese auf.

Aufgrund einer Beschwerde des Finanzamtes hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates mit Erkenntnis vom zu Geschäftszahl 2008/15/0285 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Im fortgesetzten Verfahren wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom zu GZ RV/3100670/2012 die Berufung der P GmbH gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2002 bis 2004 und gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2006 ab. Die Revision der P GmbH gegen dieses Erkenntnis wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom zu Geschäftszahl Ra 2016/15/0038 zurück.

Damit steht folgender im Festsetzungsverfahren entscheidungswesentliche Sachverhalt fest: Hinsichtlich der behaupteten Ausfuhrlieferungen an eine ungarische Firma konnte deren Existenz nicht festgestellt werden. Hinsichtlich der behaupteten Ausfuhrlieferungen an eine serbische Firma lagen gefälschte Ausfuhrstempel vor und bestanden keine Geschäftsbeziehungen. Der tatsächliche Verbleib der fakturierten Waren konnte nicht geklärt werden. Die P GmbH handelte nicht mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes". In rechtlicher Hinsicht wurde hinsichtlich der Ausfuhrlieferungen die Steuerfreiheit versagt und die nunmehr haftungsgegenständliche Umsatzsteuer vorgeschrieben.

Haftungsverfahren betreffend die Beschwerdeführerin

Die Beschwerdeführerin ist ausweislich des Firmenbuchs seit alleinige Geschäftsführerin und alleinige Vertretungsbefugte der im Firmenbuch zu FN eingetragenen P GmbH.

Das Finanzamt nahm die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der P GmbH nach einem Vorhalteverfahren mit Bescheid vom als Haftungspflichtige für Abgaben in Höhe von insgesamt EUR 212.866,57 in Anspruch, nämlich für die Umsatzsteuer 2003 (EUR 80.230,18), die Umsatzsteuer 2004 (EUR 59.544,59), die Umsatzsteuer 2005 (EUR 70.279,54), die Umsatzsteuer 2006 (EUR 2.811,26) und die Körperschaftsteuer 2014 (EUR 1,00). Begründend führte das Finanzamt aus, dass es diese Abgaben bei der P GmbH als uneinbringlich ansehe, da die P GmbH seit Jahre keine Umsätze erwirtschafte und im Übrigen weder über Einkommen noch Vermögen verfüge. In der Bilanz 2013 sei keinerlei Vermögen mit Ausnahme einer sonstigen Forderung gegen das Finanzamt ausgewiesen. Diese sonstige Forderung bestehe jedoch nicht zu Recht.

In ihrer Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid brachte die Beschwerdeführerin zusammengefasst vor, es seien zum Fälligkeitstermin der haftungsgegenständlichen Abgaben keine Geldmittel vorhanden gewesen. Es könnten keine Belege zur Darstellung der Gleichbehandlung aller Gläubiger vorgelegt werden, da die siebenjährige Aufbewahrungsfrist hinsichtlich der Jahre 2003 bis 2006 längst abgelaufen sei und die Belege zur Darstellung der Liquiditätssituation nicht zwingend Belege mit Bedeutung für ein anhängiges Verfahren darstellten. Das Finanzamt sei spätestens am davon ausgegangen, dass die P GmbH über keine ausreichenden Vermögenswerte verfügte. Das Finanzamt habe aus dem Jahresabschluss zum ersehen können, das ein negatives Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ausgewiesen worden sei. Das Finanzamt habe sein Ermessen bei der Haftungsinanspruchnahme unrichtig geübt und die lange, zwischen Erlassung der haftungsgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide am und der Erlassung des Haftungsbescheides am verstrichene Zeit nicht berücksichtigt. Es sei auch auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin Bedacht zu nehmen. Die Haftungssumme decke sich nicht mit den Spruchbeträgen der dem Haftungsbescheid beigefügten Umsatzsteuerbescheide. Weiteres Vorbringen richtet sich gegen die haftungsgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2006.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom gab das Finanzamt der Beschwerde teilweise, und zwar hinsichtlich der Körperschaftsteuer 2014, statt und wies die Beschwerde im Übrigen ab. Die Begründung dazu lautet auszugsweise: "… Die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme am steht - wie bereits im Vorhalt vom 4.11.205 ausgeführt - für die Abgabenbehörde betreffend die haftungsgegenständlichen Abgaben fest. Eine Unbilligkeit wegen lange vergangener Zeit kann hier nicht erblickt werden, da eine Haftungsinanspruchnahme im gegenständlichen Verfahren vor Ergehen der Entscheidung des BFG im August 2015 nicht möglich war. Es darf auch darauf hingewiesen werden, dass im ursprünglichen Berufungsverfahren die Aussetzung der Einhebung der strittigen Abgaben verfügt worden war und die Erlassung eines Haftungsbescheides damals aus diesem Grund nicht möglich war…".

Am beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

In ihrer Äußerung vom brachte die Beschwerdeführerin zusammengefasst vor, der Haftungsbescheid sei rechtswidrig und das vorangegangene Verfahren sei mangelhaft, da Beweise nicht gewürdigt bzw. unterdrückt worden seien. Es sei der Nachweis erbracht worden, dass die "gegenständliche Ware physisch in das Ausland verbracht" worden sei. Auch seien aktenkundige Beweise nicht gewürdigt worden, indem im Haftungsbescheid auf die Feststellungen des Bundesfinanzgerichts im Erkenntnis vom Bezug genommen worden sei. Das Bundesfinanzgericht habe im Erkenntnis vom festgestellt, dass die P GmbH die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes hinsichtlich der ungarischen und der serbischen Firma vermissen habe lassen. Die Beschwerdeführerin habe sich auf die vertretbare Rechtsauffassung ihres steuerlichen Vertreters in Bezug auf die Berechtigung zum Vorsteuerabzug verlassen, weshalb ihr keinerlei Verschulden anzulasten sei. Es werde die Vernehmung des Steuerberaters X dazu beantragt. Ein Verschulden sei der Beschwerdeführerin auch deshalb nicht anzulasten, da es keinerlei Grund gegeben habe, an der Gültigkeit der Ausfuhrbescheinigungen zur Erlangung der Steuerfreiheit der gegenständlichen Lieferungen zu zweifeln. Die Identifikation des Adressaten einer Lieferung sei nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich, für die Steuerfreiheit genüge die Bestätigung der Ausfuhr der Waren und der Nachweis, dass die Ware ins Drittland gelangt sei.

Mit der Äußerung wurde die Kopie einer gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts Innsbruck im Verfahren der P GmbH gegen Y vorgelegt. Mit diesem Urteil wurde das Klagebegehren abgewiesen, da "die klagende Partei … kein rechtswidriges, schuldhaftes und kausales Verhalten des Beklagten Y nachweisen" konnte.

Ebenfalls vorgelegt wurde ein Konvolut an Kopien von diversen Bestätigungen über die Ausfuhr von Parfümeriewaren nach Ungarn sowie ein Schreiben des Fachbereichs Zoll und Verbrauchssteuern über das Nichtvorliegen von Hinweisen auf die Fälschung von Zollstempeln sowie ein Schreiben des steuerlichen Vertreters der P GmbH an den Verwaltungsgerichtshof im Verfahren zu GZ Ra 2016/15/0038 samt Anlagen.

In der mündlichen Verhandlung am präzisierte die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen dahin, dass das Verschulden im Sinn der subjektiven Vorwerfbarkeit bestritten werde. Sie habe zu keinem Zeitpunkt Gläubiger bevorzugt und auch zu keinem Zeitpunkt über ausreichende liquide Mittel zur Bezahlung der haftungsgegenständlichen Umsatzsteuer verfügt.

Mit Eingabe vom ergänzte die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen. Sie habe alles in ihrer Möglichkeit Stehende unternommen, um die Steuerfreiheit darzulegen. "Die Prüfung der Geschäftsanbahnung und der Geschäftsabwicklung durch die Beschwerdeführerin ist in den verfahrengegenständlich[en] Geschäftsfällen in der Weise erfolgt, wie dies bei Umsätzen der gegebenen Größenordnung und Handelsstufe unter Kaufleuten üblich und zu erwarten ist." Die Mitwirkungspflicht der Abgabenbehörde entbinde diese nicht von jedweder Ermittlungspflicht. Dies gelte für "verrechenbare Guthaben bei der Abgabenbehörde".

Bezogen auf ein ebenfalls vorgelegtes Konvolut von Unterlagen erläuterte die Beschwerdeführerin unter anderem, dass dieses zunächst eine Darstellung der "Liquiditätssituation zum Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeitstermine" enthalte. "Zusammengefasst ist festzuhalten, dass zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen hinreichende Guthaben zur Verrechnung der ex post festgestellten Umsatzsteuerschuld vorhanden waren…". Beantragt werde dazu die ergänzende Vernehmung der Beschwerdeführerin "insbesondere zu dem nunmehrigen weiteren Vorbringen - keine Gläubigerbevorzugung".

Im vorgelegten Konvolut an Unterlagen finden sich zunächst zwei Berechnungsbeisspiele zum Stichtag und , in denen aus einer Gegenüberstellung der Bank- und Finanzamtsguthaben mit den Lieferverbindlichkeiten eine "Quote FA in Relation zu Verbindlichkeiten" von 77 % dargestellt wird. Auf dieser Darstellung findet sich der Vermerk: "Sonstige Verbindlichkeiten (z.B. Lohnverbindlichkeiten, SVA, Speditionen, Miete…) immer pünktlich zum Fälligkeitszeitpunkt bezahlt, daher nicht in der Darstellung".

Weiter findet sich eine Darstellung jeweils zum 15. des Monats über den Zeitraum bis , in der einerseits Lieferverbindlichkeiten und Zahlungen an Lieferanten und andererseits "rückwirkend fällig gewordene USt aus Kunde_A und Kunde_B" und "Finanzamt Guthaben" gegenübergestellt werden. Auch auf dieser Darstellung findet sich der Vermerk: "Sonstige Verbindlichkeiten (z.B. Lohnverbindlichkeiten, SVA, Speditionen, Miete…) immer pünktlich zum Fälligkeitszeitpunkt bezahlt, daher nicht in der Darstellung".

Im Konvolut enthalten sind auch Kopien von Buchhaltungsdaten und Abgabenerklärungen, Auszüge aus den Buchhaltungskonten 4100 "Wareneinkauf Ö", 4110 "Wareneinkauf EU" und 4120 "Wareneinkauf Drittländer"; Aufstellungen über Zahlungen an Lieferanten; Auszüge der Buchhaltungskonten 211 "Bank_C" und 2110 "Bank_D" samt Belegkopien und schließlich eine Aufstellung über Lieferungen an "Kunde_A" und "Kunde_B".

Das Bundesfinanzgericht gab der Beschwerde mit Erkenntnis vom zu GZ RV/3100487/2016 teilweise, nämlich im Umfang der Beschwerdevorentscheidung, Folge. Aufgrund der Revision der Beschwerdeführerin hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom zu Zahl Ra 2019/13/0046 das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf und sprach aus: "…Im Recht ist die Revision allerdings mit dem Vorbringen, dass das Bundesfinanzgericht bei der Frage, inwieweit bei der Ermessensübung der Zeitraum zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin und der bescheidmäßigen Haftungsinanspruchnahme zu berücksichtigen sei, von einer falschen Rechtsansicht ausgegangen ist.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verstreichen einer langen Zeit - sei es seit der Entstehung der Abgabenschuld oder seit dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit beim Primärschuldner - ein Umstand, der bei der Heranziehung zur Haftung im Rahmen der Ermessensübung nicht außer Betracht gelassen werden darf (vgl. VwGH [VS] , 91/13/0037, 0038, VwSlg. 7038/F; ). Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab (). Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch läge dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt würde (vgl. ).

Das Bundesfinanzgericht hat sich zwar mit dieser Frage im Rahmen der Ermessensentscheidung auseinandergesetzt, ist aber unrichtigerweise davon ausgegangen, dass es für die Beurteilung der Dauer des verstrichenen Zeitraumes auf die Rechtskraft des Abgabenbescheides bei der P GmbH ankommt. Das Bundesfinanzgericht hat in Verkennung der Rechtslage weder Feststellungen dazu getroffen, seit wann von der Uneinbringlichkeit der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin auszugehen war, noch berücksichtigt, dass im vorliegenden Fall ein besonders langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld (geltend gemacht wird die Haftung für Umsatzsteuer der Jahre 2003 bis 2006) und der Inanspruchnahme zur Haftung besteht. Dies belastet das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. …".

In der mündlichen Verhandlung am legte die Beschwerdeführerin ihre Einkommensteuerbescheide der Jahre 2018, 2019 und 2020 vor und brachte vor, dass ihre finanzielle Situation bei der Ermessensübung zu berücksichtigen sei.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin ist ausweislich des Firmenbuchs seit alleinige Geschäftsführerin der P GmbH und seit diesem Zeitpunkt auch alleinige Vertretungsbefugte.

Die P GmbH hat in ihrer Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2007 (unter anderem) Vorräte von EUR 243.579,53, Forderungen aus Lieferungen und Leistungen von EUR 635.276,89 und einen Bilanzgewinn von EUR 25.030,84 ausgewiesen. In der Körperschaftsteuererklärung für 2008 sind (unter anderem) Forderungen aus Lieferungen und Leistungen von EUR 356.534,21 und ein Bilanzverlust ausgewiesen.

In der elektronisch eingereichten Bilanz der P GmbH zum Geschäftsjahr bis sind unter anderem sonstige Forderungen von EUR 119.382,50 ausgewiesen. In der elektronisch eingereichten Bilanz zum Geschäftsjahr bis sind unter anderem sonstige Forderungen von EUR 119.361,46 ausgewiesen. Bei diesen sonstigen Forderungen handelt es sich um solche gegen die Republik, die aus vom Finanzamt einbehaltenen Vorsteuerguthaben resultieren (vgl. die Angaben der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am ). Aus dem Abgabeninformationssystem des Bundes ist ersichtlich, dass das Finanzamt nach Festsetzung der Umsatzsteuer(-nachforderungen) für die Jahre 2002 bis 2006 auf dem Abgabenkonto der P GmbH verbuchte Guthaben von insgesamt EUR 119.361,46 aufgrund eines Sicherstellungsauftrages gepfändet und mit den zum aushaftenden Abgabenschuldigkeiten von EUR 332.228,03 (darin enthalten die Umsatzsteuernachforderungen aus den Jahren 2002 bis 2006 von EUR 319.982,40) verrechnet hat.

Zum Fälligkeitstermin der Körperschaftsteuer 2014, dem , hat die P GmbH über keine liquiden Mittel (mehr) verfügt. Das ist angesichts des dahin übereinstimmenden Vorbringens der Parteien unstrittig.

Die bei der P GmbH aushaftenden Abgabenschuldigkeiten belaufen sich laut deren Abgabenkonto zum Stichtag auf EUR 56.510,88 an Umsatzsteuer 2003, EUR 59.544,59 an Umsatzsteuer 2004, EUR 70.279,54 an Umsatzsteuer 2005 und EUR 2.811,26 an Umsatzsteuer 2006.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (teilweise Stattgabe)

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Voraussetzung für die Vertreterhaftung nach § 9 Abs. 1 BAO sind eine fällige Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit.

Die Beschwerdeführerin war im haftungsrelevanten Zeitraum alleinige Geschäftsführerin und alleinige Vertretungsbefugte der P GmbH. Die Vertreterhaftung nach § 9 BAO erstreckt sich vor allem auf Abgaben, deren Zahlungstermin in die Zeit der Vertretungstätigkeit fällt (Ritz, BAO, 6.A., Rz 26 zu § 9). Die haftungsgegenständlichen Abgaben waren zum (Umsatzsteuer 2003), (Umsatzsteuer 2004), (Umsatzsteuer 2005) und (Umsatzsteuer 2006) fällig. Die Abgaben sind bei der P GmbH als uneinbringlich anzusehen. Die Beschwerdeführerin ist den diesbezüglichen Feststellungen des Finanzamtes nicht entgegengetreten.

Den Vertreter einer Gesellschaft trifft die Obliegenheit darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls anzunehmen ist, dass die Pflichtverletzung schuldhaft erfolgt ist (Ritz, BAO, 6.A., Tz 22 zu § 9 mit Judikaturhinweisen). Liegt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters vor, dann werden die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und der Rechtswidrigkeitszusammenhang vermutet ().

Das Bestehen der haftungsgegenständlichen Abgabenforderungen und deren Fälligkeit ist durch das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom zu GZ RV/3100670/2012 abschließend bestätigt. Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom zurückgewiesen. Hinsichtlich der Höhe der Abgabenfestsetzung besteht insofern eine Bindungswirkung im Haftungsverfahren ().

Die Beschwerdeführerin hat keine weitere Beschwerde gegen die Abgabenfestsetzungsbescheide erhoben, wozu sie gemäß § 248 BAO berechtigt gewesen wäre (vgl ). Die im Verfahren über die Haftungsinanspruchnahme erhobenen Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung sind nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit der Haftungsinanspruchnahme aufzuzeigen. Dies gilt insbesondere für das Vorbringen, der Beschwerdeführerin sei kein schuldhaftes Verhalten in Bezug auf die Ausfuhrlieferungen der P GmbH anzulasten. Bei der nach § 9 BAO erforderlichen Verschuldensprüfung ist von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen (vgl ).

Ebenso gilt dies für die vorgebrachten Argumente zur Unionsrechtswidrigkeit der Abgabenfestsetzung. Zwar könnten ein Rechtsirrtum bzw. das Handeln aufgrund einer vertretbaren Rechtsansicht die Annahme eines Verschuldens ausschließen. Gesetzesunkenntnis oder objektiv fehlerhafte Rechtsauffassungen sind aber nur dann entschuldbar und nicht als Fahrlässigkeit vorwerfbar, wenn die objektiv gebotene, der Sache nach pflichtgemäße, nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen wurde. Ein nicht vorwerfbarer Rechtsirrtum wird durch den bloßen Hinweis auf eine andere Rechtsmeinung im Übrigen noch nicht dargetan (vgl. mwN). Das Vorbringen, die Beschwerdeführerin habe sich auch auf die vertretbare Rechtsauffassung ihres steuerlichen Vertreters hinsichtlich der Berechtigung zum Vorsteuerabzug verlassen, entschuldigt die Beschwerdeführerin nicht. Sie hat nämlich die nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes bei der abgabenrechtlichen Beurteilung der Ausfuhrlieferungen nach Ungarn und Serbien gerade nicht walten lassen. Eine auf durch sorgfaltswidriges Verhalten getroffenen Annahmen aufbauende Rechtsansicht ist keinesfalls geeignet, das Verschulden der Beschwerdeführerin auszuschließen. Die Relevanz der behaupteten Rechtsansicht des steuerlichen Vertreters in Bezug auf eine nicht weiter erläuterte Berechtigung zum Vorsteuerabzug ist im Zusammenhang mit den hier zugrunde liegenden Ausfuhrlieferungen im Übrigen nicht erkennbar.

Das Bundesfinanzgericht geht in freier Beweiswürdigung davon aus, dass das mit der Äußerung vom vorgelegte Konvolut an Unterlagen bereits im Festsetzungsverfahren vorgelegt worden war und dass dessen Inhalt bei der Feststellung des dort entscheidungswesentlichen Sachverhaltes gewürdigt wurde. Über Frage in der mündlichen Verhandlung am konnte die Beschwerdeführerin keine Dokumente nennen, die nicht bereits im Festsetzungsverfahren vorgelegt und gewürdigt worden wären. Daher ist nicht erkennbar, zu welchen anderen Sachverhaltsfeststellungen das Bundesfinanzgericht im Haftungsverfahren gelangen hätte sollen als zu jenen, die bereits im Festsetzungsverfahren getroffen wurden. Die Beschwerdeführerin konnte auch nicht angeben, welche bereits aktenkundigen Beweismittel im Haftungsverfahren vorgelegt, aber nicht gewürdigt worden wären (so jedoch das Vorbringen in der Äußerung vom ). Aus diesem Konvolut an Unterlagen lassen sich auch keine Erkenntnisse gewinnen, die auf mangelndes Verschulden der Beschwerdeführerin an der dargestellten Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten hindeuten würden.

Bei der haftungsgegenständlichen Umsatzsteuer handelt es sich um eine Selbstbemessungsabgabe, bei der es für die Frage der ordnungsgemäßen Entrichtung maßgeblich ist, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wäre (Ritz, BAO, 6.A., Rz 10 zu § 9 mit Judikaturhinweisen). Die Beschwerdeführerin hat kein Vorbringen erstattet, das ihr Verschulden an der Nichtentrichtung zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten der Umsatzsteuerbeträge in Frage stellen würde. Daher ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der P GmbH die Erfüllung der Pflicht zur Entrichtung der fälligen Umsatzsteuern vernachlässigt hat.

Dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht oder nicht zur Gänze entrichten kann, ist schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, jene Informationen zu sichern, die ihm im Fall der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung dieser Darlegungspflicht ermöglichen. Es trifft ihn eine Beweisvorsorgepflicht hinsichtlich der Haftungsvoraussetzungen (). Das Beschwerdevorbringen, es könnten angesichts der verstrichenen Aufbewahrungsfrist keine Belege zur Darstellung der Liquiditätssituation und der Gleichbehandlung aller Gläubiger vorgelegt werden, dokumentiert daher ein Versäumnis der Beschwerdeführerin. Mit der schließlich doch (mit Eingabe vom ) vorgelegten, umfangreichen Beleg- und Dokumentesammlung aus dem Rechenwerk der P GmbH widerspricht sich die Beschwerdeführerin selbst.

Das Vorbringen, es seien zu den Fälligkeitsterminen der haftungsgegenständlichen Abgaben keine Geldmittel vorhanden gewesen, erweist sich angesichts diverser Einzahlungen auf das Abgabenkonto der P GmbH im Zeitraum 2003 bis nach dem Fälligkeitstag der Umsatzsteuer 2006 () als unrichtig. Das Vorbringen, das Finanzamt sei spätestens am davon ausgegangen, dass die P GmbH über keine ausreichenden Vermögenswerte verfügte, und das Finanzamt habe aus dem Jahresabschluss zum das negative Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ersehen können, bezieht sich jeweils auf Zeitpunkte nach den Fälligkeitsterminen der haftungsgegenständlichen Abgaben. Es ist im Übrigen nicht geeignet, Aufschluss über den Liquiditätsstatus der P GmbH oder die Gleichbehandlung aller Gläubiger im haftungsgegenständlichen Zeitraum zu geben.

Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschuldigkeiten des Vertretenen in voller Höhe, sondern nur in dem Umfang, in dem ein Veranlassungszusammenhang zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters und dem Entgang von Abgaben besteht. Reichten somit die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und somit dien Abgabengläubiger benachteiligt hat, so erstreckt sich die Haftung des Vertreters nur auf jenen Betrag, um den bei gleichmäßiger Behandlung sämtlicher Gläubiger die Abgabenbehörde mehr erlangt hätte, als sie infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich bekommen hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt dem Vertreter. Vermag er nachzuweisen, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, so haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung. In dieser Berechnung sind die gesamte Einnahmensituation () und sämtliche Ausgaben (auch jene zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes: ) einzubeziehen. Wird dieser Nachweis nicht angetreten, kann dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden ().

Die Beschwerdeführerin hat den Nachweis der Gleichbehandlung aller Gläubiger nicht erbracht. Die Darstellungen im Vorbringen vom enthalten nur Lieferantenverbindlichkeiten, Finanzamtsverbindlichkeiten bzw. Guthaben beim Finanzamt und Bankguthaben. Sonstige Verbindlichkeiten ("Lohnverbindlichkeiten, Verbindlichkeiten bei der SVA, Speditionen, Miete…") werden in den Darstellungen ausdrücklich ausgeklammert. Daher vermittelt das Vorbringen zur Gläubigergleichbehandlung weder ein vollständiges Bild der gesamten Einnahmensituation noch ein vollständiges Bild sämtlicher Ausgaben und ermöglicht keine Beurteilung, ob alle Gläubiger der P GmbH gleich behandelt wurden.

Da die P GmbH zum Fälligkeitstag der Körperschaftsteuer 2014 über keine Mittel zur Abgabenentrichtung mehr verfügt hat, erfolgte die Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin diesbezüglich zu Unrecht und war die Körperschaftsteuer 2014 aus der Haftungssumme auszuscheiden.

Da sich die Höhe der bei der P GmbH aushaftenden Umsatzsteuer auf EUR 56.410,88 verringert hat, war die Haftungssumme entsprechend zu reduzieren.

§ 20 BAO lautet: "Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen."

Bei der Ermessensübung im Haftungsverfahren ist die Angemessenheit der Haftungsinanspruchnahme in Bezug auf berechtigte Interessen der Parteien und die verwaltungsökonomische Durchsetzung von Abgabenansprüchen zu würdigen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme eines Haftungspflichtigen andererseits ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme des Haftungspflichtigen berücksichtigen muss. Daraus kann abgeleitet werden, dass - angesichts der Formulierung "zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben" der jeweils spätere Zeitpunkt maßgeblich ist (so auch ). Ein solcher Umstand kann auch nur einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen der Ermessensübung zu berücksichtigen sind.

Entstehen der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin

Die Abgabenschuld (der Abgabenzahlungsanspruch, vgl. Ritz, BAO, 6.A., Rz 3 zu § 4) ergibt sich aus der bescheidmäßigen Festsetzung oder - bei Selbstbemessungsabgaben - aufgrund des Abgabengesetzes selbst bzw. aus der Selbstbemessung durch den Abgabepflichtigen. Der Abgabenanspruch hinsichtlich der Umsatzsteuer entsteht für Lieferungen und Leistungen mit Ablauf jenes Kalendermonates, in dem die Lieferungen oder sonstigen Leistungen ausgeführt worden sind (§ 19 Abs. 2 Z 1 lit a UStG 1994).

Die Abgabenschuld (der Abgabenzahlungsanspruch) wird für eine bescheidmäßig festgesetzte Umsatzsteuer mit deren Fälligkeit begründet. Die Fälligkeit der Umsatzsteuer richtet sich nach § 21 Abs. 1 UStG 1994 und tritt am 15. Tag des auf den Kalendermonat, in welchem die Steuerschuld entstanden ist, zweitfolgenden Kalendermonates ein. Die mit Bescheiden vom festgesetzten Abgaben waren demnach am (Umsatzsteuer 2003), am (Umsatzsteuer 2004), am (Umsatzsteuer 2005) und am (Umsatzsteuer 2006) fällig. Da die Festsetzungsbescheide zunächst aufgrund der Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates aus dem Rechtsbestand schieden, bestand ab diesem Zeitpunkt bis zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom keine Abgabenschuld. Einhebungs- und Einbringungsmaßnahmen hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Abgaben kamen daher nicht in Betracht.

Durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom lebte die Abgabenschuld der festgesetzten Umsatzsteuer für die Jahre 2003 bis 2006 wieder auf. Damit steht ein in Frage kommender Anfangszeitpunkt für die zu beurteilende Zeitspanne mit fest.

Feststehen der Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben

Das Finanzamt brachte dazu vor, dass die Primärschuldnerin seit Jahren keine Umsätze erklärt, aber in der elektronischen Bilanz 2013 sonstige Forderungen in Höhe von EUR 119.382,50 ausgewiesen habe (Haftungsvorhalt vom , Beschwerdevorentscheidung). Es habe sich bei diesen Forderungen um solche gegen das Finanzamt gehandelt, die "aufgrund des mittlerweile rechtskräftigen Abschlusses des Rechtsmittelverfahrens aber keinen Bestand haben". Die Beschwerdeführerin ist diesem Vorbringen nicht entgegengetreten.

Die Körperschaftsteuererklärung 2013 samt Bilanz über das Wirtschaftsjahr bis wurde am elektronisch beim Finanzamt eingereicht. Mit der Körperschaftsteuererklärung 2014 hat die P GmbH keine Bilanz eingereicht.

Die Ähnlichkeit der als sonstige Forderungen ausgewiesenen Beträge in den vorliegenden Bilanzen für 2012 (EUR 119.366,54), 2013 (EUR 119.382,50) und 2015 (EUR 119.361,46) zu dem vom Finanzamt gepfändeten und mit den zum aushaftenden Abgabenschuldigkeiten verrechneten Guthaben (EUR 119.361,46) lässt keinen Zweifel darüber offen, dass die sonstigen Forderungen sich auf eben dieses Guthaben beziehen. Dies hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung am bestätigt.

Das Finanzamt hat augenscheinlich im Zuge der abschließenden, am erfolgten Verbuchung der haftungsgegenständlichen Abgaben auf dem Abgabenkonto der P GmbH nach Zustellung des Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichts vom davon Kenntnis erlangt, dass die in der zuletzt eingereichten Bilanz (jener für die Besteuerungsperiode 2013) ausgewiesene sonstige Forderung nicht werthaltig und die P GmbH somit vermögenslos war. Somit ist die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben am festgestanden.

Zeitspanne zwischen Entstehen der Abgabenschuld oder Feststehen der Uneinbringlichkeit und Heranziehung zur Haftung

Die Zeitspanne zwischen dem Feststehen der Uneinbringlichkeit und der Geltendmachung des Haftungsanspruches (erstmals durch den Haftungsvorhalt vom ) beträgt demnach weniger als zwei Monate und ist für sich betrachtet nicht unbillig lange.

Weitere Ermessenskriterien

Im Erkenntnis des war entscheidungswesentlich auf Sachverhaltsebene, dass die haftungsgegenständlichen Abgaben am fällig waren. Deren Uneinbringlichkeit stand mit der Aufhebung des Konkurses im Jahr 2009 fest, der Haftungsbescheid erging am . Finanzielle Mittel zur Abgabenentrichtung waren zum Fälligkeitszeitpunkt vorhanden. Der Verwaltungsgerichtshof ließ die Würdigung des Bundesfinanzgerichts unbeanstandet, das eine Unbilligkeit wegen langer verstrichener Zeit verneinte, zumal der Haftungspflichtige noch immer über "entsprechende Unterlagen" verfügte.

Auch im hier zu beurteilenden Fall waren finanzielle Mittel zu den Fälligkeitszeitpunkten der haftungsgegenständlichen Abgaben zweifelsfrei vorhanden. Bis einschließlich zum Jahr 2007 erwirtschaftete die P GmbH Umsätze in Millionenhöhe. Die Beschwerdeführerin verfügt auch noch über bezughabende Geschäftsunterlagen der P GmbH, so dass sie umfangreiche Urkundenvorlagen (etwa die mit Äußerung vom und mit Schriftsatz vom vorgelegten Konvolute) im Verfahren zu GZ RV/3100487/2016 tätigen konnte.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass auch unter der Annahme, die zu beurteilende Zeitspanne sei im konkreten Fall jene zwischen Entstehen der Abgabenschuld mit Erkenntnis des und Erlassung des Haftungsbescheides am , während dieser Zeitspanne Einbringungshandlungen bei der P GmbH nicht zweckmäßig gewesen wären. Aufgrund des Erkenntnisses des war die Berufung der P GmbH gegen die Festsetzungsbescheide vom wiederum unerledigt. Die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers zur Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO wird schon im Hinblick auf die Subsidiarität einer solchen Haftung oft nicht in Betracht kommen, wenn die Einhebung der Abgabe gegenüber der Gesellschaft gemäß § 212a BAO ausgesetzt wurde () . Mit der Berufung hatte die P GmbH die Aussetzung der Einhebung beantragt und konnte diesen Antrag bis zur (neuerlichen) Entscheidung über die Berufung jederzeit erneuern und dadurch die Hemmung (§ 230 Abs. 6 BAO) jeglicher Einhebungs- und Einbringungsmaßnahmen herbeiführen. Auch hätte die Beschwerdeführerin als alleinige Geschäftsführerin der P GmbH Einfluss auf die Dauer des (fortgesetzten) Berufungsverfahrens - etwa durch die Einbringung einer Säumnisbeschwerde nach Art. 132 B-VG iZm § 27 Abs. 1 VwGG bzw. ab durch das Stellen eines Fristsetzungsantrages nach § 38 Abs. 1 VwGG - nehmen können (vgl ).

Im Erkenntnis des hat der VwGH die Ermessensübung des Bundesfinanzgerichts bei der Reduktion der Haftungssumme um 50 % angesichts der Heranziehung zur Haftung mehr als fünf Jahre nach Feststehen der Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben gebilligt, zumal dem Haftenden "nur ein sehr eingeschränktes Verschulden" vorzuwerfen war.

Das Bundesfinanzgericht hat im Erkenntnis vom im Festsetzungsverfahren festgestellt, dass die P GmbH nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes gehandelt hat. Diese Feststellung wurde vom Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom nicht beanstandet. Die Beschwerdeführerin ist seit 2002 alleinige Geschäftsführerin und alleinige Vertretungsbefugte der P GmbH, daher gehen die in deren Sphäre festgestellten Handlungen und Unterlassungen zu ihren Lasten. Die Nichtbeobachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes übersteigt jedenfalls die Schwelle eines minderen Grades des Versehens (vgl. ; ) und begründet daher ein im Haftungsverfahren zu berücksichtigendes grobes Verschulden der Beschwerdeführerin.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu einer Sachverhaltskonstellation, in der einerseits der Beschwerdeführer Maßnahmen zur Schadensminderung gesetzt hat und andererseits eine "achtjährige Untätigkeit der Berufungsbehörden" vorgelegen hat, ausgesprochen, dass diese Umstände bei der Ermessensübung zu berücksichtigen sind (). Im Fall der Beschwerdeführerin ist weder eine mehrjährige Untätigkeit von Berufungsbehörden (oder des Finanzamtes) aktenkundig noch wurde sie behauptet. Dem gegenüber hat die P GmbH ihre Geschäftstätigkeit offensichtlich seit Jahren eingestellt, zumal seit dem Jahr 2009 praktisch keine Umsätze mehr erklärt wurden. Seit dem Jahr 2009 werden die fälligen Körperschaftsteuervorauszahlungen nicht entrichtet. Die Beschwerdeführerin als alleinige Geschäftsführerin und alleinige Vertretungsbefugte hat seit über zehn Jahren nichts unternommen, um das Entstehen weiterer Abgabenschuldigkeiten hintanzuhalten.

Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin dahin, dass "selbst bei einer Kenntnis oder Beteiligung an einer Steuerhinterziehung zu Lasten eines Drittstaats … die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung weiter bestehen bleibt und folglich die dem Haftungsbescheid zugrundeliegende Steuerschuld für die Lieferungen nach Ungarn eigentlich zu Unrecht besteht…", hat bereits der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom ausgesprochen, dass dieses als Einwendung gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung im Haftungsverfahren nicht zu berücksichtigen ist. Ein derartiges Vorbringen kann auch im Rahmen der Ermessensübung nicht berücksichtigt werden.

Die Beschwerdeführerin brachte in der mündlichen Verhandlung am erstmalig vor, ihre finanzielle Situation sei bei der Ermessensübung zu berücksichtigen. Dazu legte sie ihre Einkommensteuerbescheide der Jahre 2018, 2019 und 2020 vor. Laut diesen hat sie im Jahr 2018 EUR 41.535,63, im Jahr 2019 EUR 44.910,07 und im Jahr 2020 EUR 41.231,11 an Einkommen erzielt. Eine persönliche Unbilligkeit der Haftungsinanspruchnahme ist jedoch im Rahmen der Ermessensübung zur Geltendmachung der Haftung nicht zu berücksichtigen (vgl. ). Selbst eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen stehen der Geltendmachung der Haftung nicht entgegen ().

In Abwägung der dargestellten Aspekte erweist sich die Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin als Haftungspflichtige ohne Einschränkung der Haftungssumme im Rahmen der Ermessensübung als geboten. Selbst unter der Annahme, der Zeitpunkt des Entstehens der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin (der ) wäre der Beginn der zu beurteilenden Zeitspanne bis zur Haftungsinanspruchnahme, ist die Haftungsinanspruchnahme im konkreten Fall als ermessenskonform zu beurteilen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Das Bundesfinanzgericht konnte sich bei der im fortgesetzten Verfahren zu begründenden Ermessensübung an der zitierten bzw. im Erkenntnis des zusammengefassten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes orientieren.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.3100284.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at