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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.09.2021, RV/3100509/2019

Nachsicht

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den RichterR in der Beschwerdesache X-GmbH, Adr vertreten durch StB1 und StB2, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich (vormals: Finanzamt Innsbruck) vom betreffend Abweisung eines Ansuchens um Nachsicht gemäß § 236 BAO nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Bescheid des Finanzamtes Österreich (vormals: Finanzamt Innsbruck) vom betreffend Abweisung eines Ansuchens um Nachsicht einer Abgabenschuld in Höhe von € 322.215,48 wird, soweit dieses Ansuchen sich auf einen € 319.982,40 übersteigenden Betrag bezieht, in diesem Umfang gemäß § 279 BAO ersatzlos aufgehoben.

II. Die Beschwerde gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich (vormals: Finanzamt Innsbruck) vom wird betreffend Abweisung eines Ansuchens um Nachsicht hinsichtlich Umsatzsteuer 2002 in Höhe von € 68.638,51, Umsatzsteuer 2003 in Höhe von € 118.708,50, Umsatzsteuer 2004 in Höhe von € 59.544,59, Umsatzsteuer 2005 in Höhe von € 70.279,54 und Umsatzsteuer 2006 in Höhe von € 2.811,26, insgesamt somit € 319.982,40, gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Im dem gegenständlichen Ansuchen auf Nachsicht zugrundeliegenden Festsetzungsverfahren erfolgte bei der Beschwerdeführerin eine Außenprüfung zu AB-X (Bericht vom ). Daraufhin verfügte das Finanzamt mit Bescheiden vom die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2002 bis 2004 und erließ Umsatzsteuerbescheide für diese Jahre. Mit gleichem Datum erließ das Finanzamt Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006.

Die Beschwerdeführerin erhob am Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheíde betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2004 bis 2004 und gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2006. Der Unabhängige Finanzsenat gab der Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2002 bis 2004 mit Bescheid vom zu GZ RV/0726-I/07 Folge, hob diese auf und wies die Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2004 als unzulässig geworden zurück. Der Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2005 und 2006 gab der Unabhängige Finanzsenat Folge und hob diese auf. Mit Berichtigungsbescheid gemäß § 293 BAO vom , GZ. RG/0039-I/08, zur Berufungsentscheidung vom hat der Unabhängige Finanzsenat die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer 2005 berichtigt.

Aufgrund einer Amtsbeschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid des Unabhän-gigen Finanzsenates in der Fassung des Berichtigungsbescheides mit Erkenntnis , wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschríften auf.

Im fortgesetzten Verfahren wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , GZ. RV/3100670/2012, die Berufung (nunmehr: Beschwerde) der Beschwerdeführerin gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2002 bis 2004 und gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2006 ab. Die Revision der X-GmbH gegen dieses Erkenntnis wies der Verwaltungsgerichtshof mit , zurück.

Mit Anbringen vom beantragte die Beschwerdeführerin, vertreten durch WP Stb, (unter anderem) die hier gegenständliche "Abgabennachsicht hinsichtlich einer Abgabenschuld von € 322.215,48, datiert mit ".

Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin würde den genannten Abgabenbetrag auf Grund von wirtschaftlich-rechtlichen Gegebenheiten schulden, die ihrer Meinung zufolge auf unrechtmäßiges Verhalten mehrerer Personen, insbesondere auch ihrer ehemaligen a- Geschäftspartner zurückzuführen seien. Seitens ihrer amtsrechtlichen Vertretung würden daher derzeit gerichtliche Schritte vorbereitet, um entsprechende Schadensersatzaussprüche feststellen zu lassen. Die diesbezüglichen Gerichtseingaben würden nach deren Fertigstellung bzw. Einbringung unverzüglich der Abgabenbehörde zur Kenntnis gebracht werden, um die Berechtigung der eingangs gestellten Anträge nachzuweisen. In der Zwischenzeit würde sie sich nicht in der Lage sehen, ihren Abgabenrückstand auch nur teilweise zu tilgen, da sie auf Grund ihrer Vermögensverhältnisse sowie stets drohender Vollstreckungsmaßnahmen der Abgabenbehörde ihren bisherigen wirtschaftlichen Aktivitäten nicht weiter nachgehen könne. Dies sei deshalb der Fall, weil die Vorsteuergutschriften auf Grund der von ihr bewirkten Exportlieferungen sofort zur Abdeckung des bestehenden Abgabenrückstandes herangezogen worden seien und damit das alleine maßgebliche Ertragselement dieser Geschäftstätigkeit nicht zum Tragen kommen könne, was für sie diese Lieferungen unfinanzierbar machen würde. Diese Umstände würden verdeutlichen, dass sich der weitere Bestand der eingangserwähnten Abgabenforderung bzw. deren stets drohende exekutive Hereinbringung für die Beschwerdeführerin eine ruinöse Wirkung entfalten würde. Dies würde unter den gegebenen Umständen, die nicht auf Grund eines schuldhaften Verhaltens ihrerseits eingetreten seien und zu ihrer ungünstigen finanziellen Lage geführt hätten, eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO bzw. einen Grund für eine Stundung des bestehenden Abgabenrückstandes darstellen.

Mit Bescheid vom hat das Finanzamt Innsbruck diesen Antrag abgewiesen. Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin nicht rechtswirksam zugestellt.

Daraufhin erging der gleichlautende, hier gegenständliche Bescheid vom , dem Zustellbevollmächtigen zugestellt am , mit welchem der Antrag der Beschwerdeführerin vom betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO abgewiesen wurde.

Begründend wurde nach allgemeinen Darstellungen zu sachlicher und persönlicher Unbilligkeit und dem anzuwendenden Ermessen ausgeführt, bei Gesamtschuldverhältnissen müssten die Voraussetzungen für die Nachsicht bei allen Gesamtschuldnern vorliegen (zB ). Da im vorliegenden Fall die Geschäftsführerin der Antragstellerin zur Haftung jener ausstehenden Abgabenverbindlichkeiten, welche während ihres Vertreterzeitraumes fällig geworden seien, herangezogen worden sei (siehe Haftungsbescheid vom und diesbezügliches Erkenntnis des ), müssten die Voraussetzungen der Nachsicht gemäß § 236 BAO auch bei dieser - als Gesamtschuldnerin - vorliegen. Das Bestehen der (u.a. auch bei der Gesamtschuldnerin haftungsgegenständlichen) Abgabenforderungen sei durch Erkenntnis des zu GZ RV/3100670/2012 abschließend bestätigt worden. Die dagegen erhobene (außerordentliche) Revision habe der zurückgewiesen. Eine sachliche Unbilligkeit würde bereits aus diesem Grunde ausscheiden. Das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit könne aus dem hier zugrundeliegenden Antrag nicht erblickt werden. Dies würde sich zum einen daraus ergeben, dass eine konkrete Darlegung einer Sanierung der Antragstellerin in Hinblick auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht erbracht worden sei, zum anderen sei diesbezüglich kein Vorbringen hinsichtlich der Nachsichtsvoraussetzungen der Haftungspflichtigen als Gesamtschuldnerin erstattet worden. Weder für die Antragstellerin selbst noch für die Gesamtschuldnerin würde eine Unbilligkeit in sachlicher oder persönlicher Hinsicht vorliegen. Eine Ermessensentscheidung seitens der Abgabenbehörde könne daher nicht in Betracht kommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom . Die Beschwerdeführerin beantragte
1. das Unterbleiben einer Berufungsvorentscheidung und Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht (§ 262 Abs. 2 lit a BAO),
2. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht (§ 274 Abs. 1 Z 1 lit a BAO) und
3. das Bundesfinanzgericht möge dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Nachsicht gemäß § 236 BAO im Rahmen seiner Ermessensmöglichkeit entsprechen.

Begründend wurde dazu wie folgt ausgeführt:

"Gemäß § 236 BAO obliegt es dem Ermessen des Finanzamtes, fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachzusehen, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Nach § 1 der vom Bundesminister für Finanzen zu § 236 BAO erlassenen Verordnung (BGBl II 2005/435 idF BGBl II 2013/449) kann die Unbilligkeit persönlicher oder sachlicher Natur sein. Im gegenständlichen Fall ist die sachliche Unbilligkeit bei der Beschwerdeführerin und bei der für die Abgaben zur Haftung herangezogenen Geschäftsführerin der X-GmbH, Frau Gf., wohnhaft in Anschrift, gegeben.

Eine sachliche Unbilligkeit liegt nach § 3 Z 2 lit b der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung (BGBl II 2005/435) insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die vom BMF im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichungen in den Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhalts bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.

Bezüglich der strittigen Abhollieferungen an die in A-Land ansässige A-Ges und ebenso hinsichtlich der Ausfuhrlieferungen an die in B-Land niedergelassene B-Ges (bei der die Ausfuhr aus dem EU-Zollgebiet über die a-b Zollgrenze erfolgte) entsprach es der damaligen Verwaltungspraxis in Umsetzung der geltenden Rechtslage, die Steuerfreiheit bei Vorliegen einer mit der zollamtlichen Ausgangsbestätigung versehenen Ausfuhrbescheinigung (Ausfuhrnachweis) sowie des Nachweises eines ausländischen Abnehmers (Passkopie) zu gewähren (UStR 2000, Tz 1059, 1060 und 1099 in der damals geltenden Fassung, vgl dazu auch Melhardt, Umsatzsteuerhandbuch 2003, S. 298 und 302). Auch Ruppe hält in UStG² (1999) und UStG³ (2005) bezüglich der damals gültigen Rechtslage zum Abnehmernachweis fest: "Anders als beim Ausfuhrnachweis kennt das UStG keine Formvorschriften für die Erbringung eines Abnehmernachweises. [...] Wird der Gegenstand vom Abnehmer selbst abgeholt, muss sich der Unternehmer in geeigneter Weise von der Ausländereigenschaft des Abnehmers vergewissern, um gegenüber der Behörde den Abnehmernachweis führen zu können. Da nicht automatisch erwartet werden kann, dass die Eigenschaft als qualifizierter Abnehmer durch die zollamtliche Ausgangsbestätigung dokumentiert wird (vor allem, wenn die Ausfuhr über einen anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft erfolgt), ist die Anfertigung einer Kopie des Personalausweises (aus der der ausI Wohnsitz bzw gewöhnliche Aufenthalt hervorgeht) zweckmäßig" (vgl § 7 Tz 59). Auch der UFS bzw das BFG sehen den Abnehmernachweis sowohl bei Austritten über eine österreichische als auch bei Austritten über andere EU-Zollstellen durch die Angabe der Abnehmerdaten auf der Rechnung bzw auf dem Rückerstattungsformular in Kombination mit der Bestätigung der (inländischen oder ausländischen) Zollstelle als erbracht an (vgl zB RV/2330-W/12; RV/7100851/2015).

Im gegenständlichen Fall wurde diesen Anforderungen von der Beschwerdeführerin bzw ihrer Geschäftsführerin entsprochen. Die besagten Abhollieferungen an die in A-Land ansässige A-Ges wurden in diesem Sinne nachweislich mit ausländischen Abnehmern abgeschlossen. Dies ergibt sich sowohl aus den schriftlichen Bestellungen (ON 1), den Rechnungsanschriften (ON 2) sowie aus den anlässlich der Aufnahme der Geschäfts-beziehungen angefertigten Passkopien (ON 3) der Abnehmer bzw. Abholenden bei der jeweils ersten Lieferung. Bei allen betroffenen Personen liegt ein Wohnsitz im Inland nicht vor. Der Umstand, dass sich im Zuge weiterer durch die Betriebsprüfung ausgelöster Recherchen seitens der Beschwerdeführerin Person1 und nicht die abholende Person Person2 als Inhaber der A-Ges herausstellte, vermag am Vorliegen einer Ausfuhrlieferung und der Gutgläubigkeit der Beschwerdeführerin nichts zu ändern. In dieser Hinsicht kommt es nicht darauf an, wer der tatsächliche ausländische Abnehmer war, sondern wen die Beschwerde-führerin bei Einhaltung aller kaufmännischen Sorgfaltspflichten dafür halten musste. Sie ändert auch nichts am Umstand, dass es sich in materieller Hinsicht um einen ausländischen Abnehmer handelte. Die im Zuge der Betriebsprüfung angezweifelte tatsächliche Ausfuhr nach A-Land wurde zudem vom Zeugen Person2 notariell bestätigt (ON 4) und im Urteil des LG (ON 5) anlässlich eines Schadenersatzprozesses gegen Person2 und Person1 festgestellt.

Auch die mit dem österreichischen Zollstempel versehenen Ausfuhrpapiere (ON 6) bezüglich der Lieferungen an die A-Ges wurden der Beschwerdeführerin ausgehändigt und liegen vor. Ebenso existieren von der a- Zollverwaltung abgestempelte Ausfuhrpapiere (ON 7) in Bezug auf die Lieferung an die B-Ges. Mithin lagen sämtliche vom Gesetz geforderten Voraussetzungen und die in den UStR dafür geforderten Belege vor, um von einer steuerfreien Ausfuhrlieferung iSd § 7 Abs 1 Z 2 UStG iVm § 6 Abs 1 Z 1 UStG ausgehen zu dürfen.

Wie auch aktenkundig ist, haben die Beschwerdeführerin bzw deren Geschäftsführerin bereits vorab bei Geschäftspartnern in der Branche nachgefragt, ob diesen die ausländischen Abnehmer bekannt gewesen seien und ob bzw welcher Art die mit den Leistungsempfängern gemachten geschäftlichen Erfahrungen gewesen seien, um ihren abgabenrechtlichen Sorgfaltspflichten zu entsprechen. Aus den Antworten ergaben sich keine Anhaltspunkte, welche Zweifel an der Existenz der Abnehmer hervorrufen hätten müssen.

Vielmehr war auch den befragten Geschäftspartnern die A-Ges als Abnehmer bekannt und in deren Geschäftsbeziehungen zu dieser Firma waren keinerlei Probleme aufgetreten. Zudem wurde von der Beschwerdeführerin - wie ebenso aktenkundig ist - in Bezug auf die A-Ges eine Anfrage bei der a- Handelskammer gestellt, welche aber mangels Registrierungspflicht für Einzelunternehmer in A-Land negativ verlief.

Um negative Auswirkungen auf das österreichische Umsatzsteueraufkommen ausschließen zu können, hat die Beschwerdeführerin bei den ersten Lieferungen zunächst jeweils die darauf entfallende Umsatzsteuer einbehalten und erst nach Aushändigung der mit den österreichischen bzw a- Zollstempeln versehenen Ausfuhrpapiere retourniert (ON 8). Aufgrund der Abstempelung dieser Ausfuhrpapiere durch das österreichische bzw a- Zollamt, somit also durch staatliche Behörden, gab es keinen Anlass an der tatsächlich erfolgten Ausfuhr oder an der Existenz der Abnehmer zu zweifeln. In Bezug auf die Lieferung an die A-Ges lässt sich jedenfalls zweifelsfrei feststellen, dass die Waren nach A-Land ausgeführt wurden. Dies ergibt sich zum einen aus der notariell beglaubigten Aussage von Person2 (ON 4), der die Waren in der Betriebsstätte der Revisionswerberin abholte, sowie dessen Aussagen vor dem LG im Rahmen des Schadenersatzprozesses gegen die betreffenden Abnehmer (ON 5). Insoweit kam auch das BFG im Erkenntnis vom , GZ RV/3100670/212 [richtig: RV/3100670/2012], auf Seite 8 zum Ergebnis, dass die Ausfuhrdeklaration teilweise durch Person2 und teilweise durch Person1, dem Inhaber der A-Ges, vorgenommen wurde. Auch die Echtheit der Zollstempel des österreichischen Zollamtes ist insoweit unstrittig, zumal auch vom BMF keinerlei Hinweise auf deren Fälschung gefunden werden konnten (ON 9). Mithin liegen die von § 7 Abs 6 Z 1 UStG geforderten Ausfuhrnachweise vor.

Der Umstand, dass es sich bei den Lieferungen an die in B-Land ansässige B-Ges bei den an einigen Ausfuhrbescheinigungen von A-Land nach B-Land angebrachten a- Zollstempeln möglicherweise um Fälschungen handeln könnte, ließ sich weder für die Beschwerdeführerin noch für die österreichischen Verwaltungsbehörden (Finanzamt und Zollamt Innsbruck) erkennen. Hinweise darauf ergaben sich erst nachträglich im Zuge der vom Zollamt Innsbruck eingeleiteten Strafermittlungen durch eine Überprüfung der Ausfuhrpapiere durch die a- Zollbehörden (ON 10). Auch der UFS gelangte in Kenntnisnahme des Antwortschreibens der a- Zollbehörden in seiner ersten Entscheidung vom , GZ RV/0726-I/07, zu der Feststellung, dass eine Aussage darüber, dass es sich bei den auf den Ausfuhrbescheinigungen angebrachten Zollstempeln bzw Evidenzierungsnummern um Fälschungen handeln würde, nicht mit Sicherheit getroffen werden könnte.

Die Strafermittlungen des Zollamts Innsbruck wurden erst auf Ersuchen der a- Zollbehörden eingeleitet, nachdem diese Unregelmäßigkeiten bei den Leistungsempfängern der Revisionswerberin im Zuge der Ausfuhr von Waren nach B-Land festgestellt hatten. Wie des Weiteren aus einem dem Akt beiliegenden Schreiben hervorgeht, wäre eine Anfrage bezüglich einer Überprüfung der Zollstempel durch die a- Behörden seitens der Beschwerdeführerin vorab gar nicht möglich gewesen, da eine solche nur im Rahmen eines Strafverfahrens erfolgt. Für die Beschwerdeführerin gab es in Bezug auf die Ausführung der Stempelanbringungen keinen Anhaltspunkt dafür, woran sie die mangelnde Echtheit der Zollstempel hätte erkennen können, weshalb sie auf die Richtigkeit des Zollstempels als Ausdruck staatlichen hoheitlichen Handelns vertrauen durfte. Auch der VwGH bemerkt in dieser Hinsicht: "Die zollamtlich bestätigte Ausfuhrbescheinigung stellt eine öffentliche Urkunde dar" (vgl zB 96/13/0032).

Hinzu kommt, dass es auch keine Überprüfungsmöglichkeit für Zollstempel durch die österreichischen Behörden gab (ON 11) und folglich nur plumpe Fälschungen für betroffene Unternehmer erkennbar gewesen wären, nicht jedoch die Verwendung gestohlener oder exakt nachgebildeter Zollstempel. Offensichtliche Auffälligkeiten, die auf eine möglich Fälschung des Zollstempels hinweisen hätten können, waren im gegenständlichen Fall für die Beschwerdeführerin selbst bei sorgfältigster Beurteilung nicht ersichtlich gewesen. Eine Veranlassung zur Stempelüberprüfung kann nur dann bestehen, wenn berechtigte Zweifel an der Echtheit der Stempel bestehen. Vom Steuerpflichtigen zu verlangen, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr sämtliche Zollstempelungen auf ihre Echtheit hin überprüfen zu lassen, ginge jedoch weit über das zur Vermeidung einer Steuerhinterziehung durch Dritte Erforderliche hinaus und zwar auch dann, wenn eine Überprüfung der Zollstempel im Grundsätzlichen möglich gewesen wäre.

Mithin gab es für die Beschwerdeführerin bzw deren Geschäftsführerin keine Hinweise darauf, dass sie nicht im Vertrauen auf die von den erlassmäßig vorgesehenen Anforderungen (Ausfuhrbescheinigung als Ausfuhrnachweis und Passkopie der ausländischen Abnehmer) von einer Steuerfreiheit der betroffenen Ausfuhrlieferungen ausgehen durften.

Unabhängig von § 3 Z 2 lit b der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung (BGBl II 2005/435) gilt aber nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Mehrwertsteuer der Grundsatz der Rechtssicherheit in besonderem Maße, "wenn es sich um eine Regelung handelt, die sich finanziell belastend auswirken kann, denn die Betroffenen müssen in der Lage sein, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen" ( C-409/04, Teleos, Rn 48; zuvor schon C-326/85, Kommission/Niederlande, Rn 24; C-255/02, Halifax ua, Rn 72). Vom Steuerpflichtigen darf daher nichts verlangt werden, was für ihn im Zeitpunkt der Vornahme der Lieferungen nicht erkennbar war oder über das hinausgeht. Auch der EuGH lehnte eine solche Vorgehensweise im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen ab: "Es verstieße somit gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn ein Mitgliedstaat, der die Voraussetzungen für die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung festgelegt hat, indem er u.a. eine Liste von Unterlagen aufgestellt hat, die den zuständigen Behörden vorzulegen sind, und der die vom Lieferanten als Nachweise für das Recht auf Befreiung vorgelegten Unterlagen zunächst akzeptiert hat, den Lieferanten später Zahlung der auf diese Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer verpflichten könnte, wenn sich herausstellt, dass die betreffenden Gegenstände wegen eines vom Erwerber begangenen Betrugs, von dem der Lieferant weder Kenntnis hatte noch haben konnte, den Liefermitgliedstaat in Wirklichkeit nicht verlassen haben. Verpflichtet man den Steuerpflichtigen, einen schlüssigen Nachweis dafür zu erbringen, dass die Gegenstände den Liefermitgliedstaat physisch verlassen haben, so gewährleistet dies nicht eine korrekte und einfache Anwendung der Befreiungen. Vielmehr lässt diese Pflicht ihn im Ungewissen darüber, ob die Befreiung auf seine Lieferung anwendbar ist oder ob er die Mehrwertsteuer in den Verkaufspreis mit einbeziehen muss" ( C-409/04, Teleos, Rn 50 und 51). Nichts anderes kann auch für Ausfuhrlieferungen in Drittländer gelten, zumal sich hier der leistende Unternehmer in einer vergleichbaren Lage befindet, wenn die für die Befreiung erforderliche Mitwirkung des Abnehmers (Beleg der Zollstelle) manipuliert ist (vgl dazu BFH , V R 8/09; ebenso C-271/06, Netto Supermarkt GmbH & Co KG zur Anwendung seiner zur innergemeinschaftlichen Lieferung entwickelten Rechtsprechung auf Ausfuhrlieferungen in Drittstaaten).

Darüber hinaus ist nach Auffassung des BFH sowie der hM im Schrifttum bei übereinstimmender umsatzsteuerlicher Rechtslage in Deutschland dem betroffenen Unternehmer ein Vertrauensschutz zuzugestehen, anderes verstieße gegen den verfassungsrechtlich und unionsrechtlich fundierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, "[...] der es letztlich gebietet, Vertrauensschutz zu gewähren, wenn der lediglich als Gehilfe des Staates fungierende Unternehmer die Richtigkeit der vorgelegten Belege nicht überprüfen kann und keinen Anlass zu Zweifeln hat. Das Risiko der zutreffenden Besteuerung hat dann der Staat zu tragen, nicht etwa fällt es unter das allgemeine Unternehmerrisiko. Demzufolge haben der EuGH und nunmehr auch der BFH entschieden, dass die Steuerbefreiung nicht versagt werden darf, wenn der Lieferer die Fälschung des Ausfuhrnachweises nicht hat erkennen können" (Stadie, UStG-Kommentar³ (2015), § 6 Tz 32 unter Verweis auf BFH , V R 7/03; BFH , V R 8/09).

Dem Steuerpflichtigen die gesamte Beweislast und die Verantwortung für die Zahlung der Umsatzsteuer aufzuerlegen, wenn sich nach der Lieferung herausstellt, dass der Erwerber einen Betrug begangen hat, ist daher auch mit Blick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit nicht mit dem Unionsrecht (MwStSystRL) vereinbar. Der Steuerpflichtige muss darauf vertrauen können, welchen Anforderungen er im Zeitpunkt der Lieferung zu entsprechen hat. Von ihm zu verlangen, für Risiken einzustehen, die nicht in seiner Beherrschbarkeit und Überprüfbarkeit stehen, weil sie sich seinen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten entziehen, ist mit dem Grundsatz "Ultra posse nemo tenetur" und mit dem Sachlichkeitsgebot des Art 7 B-VG nicht vereinbar.

Für die Berufungswerberin bzw deren Geschäftsführerin gab es zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Hinweise darauf, dass sie nicht im Vertrauen auf das Vorliegen der auch von den UStR geforderten Ausfuhrnachweisen (Ausfuhrbescheinigungen mit amtlichen Zollstempel und Passkopien der Abnehmer) von der Steuerfreiheit der betroffenen Ausfuhrlieferungen ausgehen durfte. Mithin liegt eine sachliche Unbilligkeit sowohl mit Blick auf § 3 Z 2 lit b der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung als auch mit Blick auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit vor."

Angeschlossen waren der Beschwerdeschrift folgende Beilagen (Bezeichnungen durch die Beschwerdeführerin):
ON 1 - schriftliche Bestellungen
ON 2 - Rechnungen an die A-Ges und an die B-Ges
ON 3 - Passkopien der Abnehmer/Abholer: Person2, Person1, Person3, Person4
ON 5 - Urteil Landesgericht Gz.
ON 6 - Ausfuhrnachweise Lieferungen A-Ges
ON 7 - Ausfuhrnachweise Lieferungen B-Ges
ON 8 - Quittung über Zurückbehaltung der USt
ON 9 - Auskunft BMF an das Zollamt Innsbruck (Person5)
ON 10 - Anfragebeantwortung der a.-. Zollverwaltung in Bezug auf die Echtheit der Zollstempel in Bezug auf die Lieferungen an die B-Ges
ON 11 - Schreiben an Person6 () sowie Korrespondenz mit BMF

Das Finanzamt Innsbruck hat die gegenständliche Beschwerde dem Bundesfinanzgericht am , somit innerhalt der Frist des § 262 Abs. 2 lit. b BAO, zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Vorhalt vom ersuchte das Bundesfinanzgericht die Beschwerdeführerin um Erläuterung, auf welche konkrete Abgabenschuld sich der Antrag auf Nachsicht bezieht und wie sich der geltend gemachte Betrag von € 322.215,48 zusammensetzt. Weiters wurde unter Hinweis auf den Antrag vom ersucht, allenfalls noch einzubringende Eingaben binnen zwei Wochen dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.

Mit E-Mail vom wurden seitens der Beschwerdeführerin dem Bundesfinanzgericht ein Betriebsprüfungsbericht zu AB-Nr.X sowie "USt-Aufstellungen" übermittelt.

Mit E-Mail vom übermittelte die Beschwerdeführerin dem Bundesfinanzgericht die Abschrift eines Sicherstellungsauftrages des Finanzamtes Innsbruck vom , womit die Sicherstellung hinsichtlich folgender Abgabenansprüche angeordnet wurde:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Umsatzsteuer 2002
68.638,50
Umsatzsteuer 2003
118.708,50
Umsatzsteuer 2004
59.544,50
Umsatzsteuer 2005
82.512,81
Umsatzsteuer 2006
2.811,17
Summe
332.215,48

Am übermittelte die Beschwerdeführerin dem Bundesfinanzgericht ein Schreiben folgenden Inhalts:

"Im letzten Telefongespräch war die Rechtsfrage noch nicht geklärt, ob es im Falle der Nachsicht eine Bindungswirkung an den rechtskräftigen Abgabebescheid gibt oder nicht. Nach Aussage von Person7 besteht diese Bindungswirkung analog zum Haftungsbescheid nicht.

Das bedeutet, dass gemäß Paragraph 115 Absatz 1 BAO die Abgabenbehörden die abgabenpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amtswegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln hat. Vor allem haben sich die Behörde und die nachgelagerten Gerichte mit den vorgebrachten Beschwerdepunkten auseinanderzusetzen und die materielle Wahrheit zu erforschen (Untersuchungsgrundsatz).

Das rechtsstaatliche Prinzip fordert u. a. ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz von Rechtsschutzeinrichtungen. Grundvoraussetzung dafür sind die Akzeptanz und die Umsetzung von Entscheidungen der im Rahmen eines demokratischen Rechtssystems eingerichteten Gerichtsbarkeit. Die Respektierung der Erkenntnisse des EuGH, des Verfassung-, Verwaltungs- und Obersten Gerichtshofes muss in einem insgesamt funktionierendem rechtsstaatlich demokratischen System ebenso selbstverständlich sein, wie die Geltung eines Grundrechtes auf freie kritische Meinungsäußerung (dies wird im gegenständlichen Rechtsfall von Beginn an vermisst). Verfolgt man die Entscheidungen der Behörde und der Gerichte in den letzten zwölf bis 14 Jahren, so kann man sich des Eindrucks nicht verwehren, dass es sich hierbei um eine Rechtsfindung handelt, die einer vorgefassten Meinung unter Ausnutzung aller erdenklichen Kunstgriffe handelt (bestätigt sich durch die Aussage der Behörde bei Übernahme der steuerlichen Vertretung im damaligen anhängigen Rechtsmittel "diesen Fall wirst du nie gewinnen"). Es ist Aufgabe des Bundesfinanzgerichtes in der nunmehr stattfindenden mündlichen Verhandlung gemäß Paragraph 376 BAO auf alle Berufungspunkte einzugehen und eine sachlich richtige Entscheidung zu treffen.

Lieferungen an die Firma A-Ges

Das Finanzamt und der VwGH verneinten das Vorliegen einer steuerfreien Ausfuhrlieferung mit dem Hinweis, dass ein Abnehmer im Ausland nicht existiere und der Unternehmer nicht identifizierbar sei. Diese Feststellung der Behörde ist insoweit unrichtig, dass sich sowohl die Behörde als auch das liefernde Unternehmen über die Identität des Abholenden vergewissert hat. (Pass und Wohnsitznachweis sind in den Akten der Behörde vorhanden und zudem finden sich Schreiben in den Arbeitsunterlagen, in denen a- Firmen bestätigen, dass sie mit der A-Ges in Geschäftsverbindung gestanden seien.) Weiters wurde die Identität des ausländischen Abnehmers durch die Vernehmung im Klagewege vor dem Landesgericht und durch Bestätigung beim a- Notar in Budapest bestätigt, dass Herr Person2 der besagte Unternehmer sei. Wenn die Behörde davon ausgeht, dass die Lieferungen an Person2 2004 nach dem Beitritt A-Land zur EU beendet wurde, und nur mehr Lieferungen an die B-Ges. stattgefunden haben, entspricht das auch nicht den tatsächlichen Verhältnissen, denn Person2 hat nach dem Beitritt A-Land zur Europäischen Gemeinschaft eine UID-Nummer beantragt und bis Ende 2006 X-Artikel von der Nachfolgefirma C-Ges weiterhin bezogen (siehe Anhang, Rechnungen und Abfrage UID-Nummer).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die erforderlichen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit i. S. d. Paragraph 7 Absatz 6 Ziffer 2 UStG (Abholfall) vorliegen, es gibt einen ausländischen Abnehmer, es liegen Ausfuhrnachweise mit gültigen Zollstempeln vor und auch der buchmäßige Nachweis ist erfüllt. Laut EuGH und VwGH ist es aber für die Gewährung der Steuerfreiheit unerheblich, ob bei einer Lieferung in einen Drittstaat der Abnehmer identifiziert ist bzw. die Lieferadresse richtig ist. Ausschlaggebend für die Steuerfreiheit der Ausfuhrlieferung ist einzig und allein der Nachweis, dass die Ware körperlich und physisch das Gemeinschaftsgebiet verlassen hat. Sollte die Behörde amtliche Dokumente (Ausfuhrbescheinigung) als Beweismittel für die Ausfuhr nicht anerkennen, so wäre diese Vorgangsweise äußerst bedenklich.

Lieferungen an die B-Ges. in B-Land

Die Versagung der Steuerfreiheit der Lieferungen an die B-Ges. in B-Land wird damit begründet, dass die vorliegenden Ausfuhrnachweise gefälscht sind. Im Erstverfahren vor dem UFS wird die Gültigkeit der Ausfuhrnachweise und Stempel bestätigt. Dann wird wieder davon gesprochen, dass die Stempel teilweise gültig sind, teilweise gefälscht, die Fälschungen aber insoweit konkretisiert wurden, dass die angebrachten Evidenznummern nicht existent seien. Da es über 60 Lieferungen nach B-Land gegeben hat, die nie beanstandet wurden und auch ein Steuerbetrug niemals behauptet oder bewiesen wurde, gilt der Glaubensschutz auch bei Ausfuhrlieferungen in das Drittland. Sollte die Steuerfreiheit für Ausfuhrlieferungen durch falsche Angaben des Leistungsempfängers erlangt worden sein, kann diese dem liefernden Unternehmer nur angelastet werden, wenn er davon "wusste oder wissen hätte müssen". Nachdem auch der KSV die Existenz der B-Ges. in A-Ort der Finanzbehörde bestätigt hat, galt auch diese Firma als identifiziert. Der Hinweis des VwGH's, dass die Sorgfaltspflicht deshalb verletzt wurde, da man keine Stempelprüfung vorgenommen habe, sei das EuGH Erkenntnis zum "Netto Supermarkt" nicht anwendbar. Diese Rechtsauffassung ist abzulehnen, da es nach Aussage des österreichischen Finanzministeriums gar keine Überprüfungsmöglich-keit von Stempeln gab. Zudem hat der UFS im damaligen Rechtsmittelverfahren unseres Erachtens zurecht erkannt, dass es keine Unterschiede zwischen dem an den Ausfuhrpapieren angebrachten Stempeln und den von der zuständigen Zollstelle verwendeten Stempeln gab. Der UFS kam damals zur Überzeugung, dass alle Merkmale übereinstimmen, auch die Nummern des Zollbeamten und auch die Computer-Kontrollnummer sind vorhanden und richtig aufgebaut. Es stellt sich auch hierbei die Frage, wo hier eine Pflichtverletzung zu erblicken ist, somit ist der vom EuGH geforderte Gutglaubensschutz zu gewähren."

Die Eingabe wurde am dem Finanzamt Österreich zur Kenntnisnahme übermittelt.

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am übermittelt die Beschwerdeführerin wie in der Verhandlung angekündigt am dem Bundesfinanzgericht per E-Mail folgenden Schriftsatz:

"(…) wie anlässig der mündlichen Verhandlung versprochen, übermittle ich Ihnen die aktuelle Judikatur zum Rechtsfall. Ich möchte aber auch noch erwähnen, sofern ich das nicht schon im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegeben habe, dass im Rahmen der Umsatzsteuer auch der EU-rechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss. Ich glaube, dass im gegenständlichen Rechtsfall die geforderte Verhältnismäßigkeit nicht gegeben ist, da die X-GmbH mit einem Großhandelsaufschlag von 5-7% kalkuliert und dann noch 20% Mehrwertsteuer bezahlen soll. Das kann wohl nicht sein.

Zudem möchte ich noch auf eine aktuelle Aussage des VwGH hinweisen ( Ro 2017/15/0035). In diesem Erkenntnis ist vor allem die Aussage für unseren Rechtsfall relevant. Die Aussage lautet: "Der EuGH betont ausdrücklich, dass die unionsrechte Auslegung Grenzen hat. "Allerdings bestehen für den Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechtes bestimmte Grenzen. So ist die Verpflichtung des nationalen Richters, bei Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechtes heranzuziehen, durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze - zu denen auch der Grundsatz der Rechtssicherheit gehört - begrenzt und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen."

Um Kenntnisnahme und entsprechende Würdigung im Rahmen der Urteilsfindung wird gebeten."

Angeschlossen waren im Anhang ein Artikel RdW 2/2020, 136f; Urteil des Gerichtshofs , Unitel; BFH , V R 20/19; .

Die Eingabe samt Anhang wurde dem Finanzamt Österreich am 24. zur Kenntnisnahme übermittelt. Im teilte das Finanzamt Österreich dem Bundesfinanzgericht wie folgt mit:

"Auf eine eingehende Stellungnahme zu den übermittelten Unterlagen wird verzichtet, zumal sich (wie u.a. mehrfach in der mündlichen Verhandlung vom ausgeführt) - nach Ansicht der Abgabenbehörde - die bisherigen Vorbringen im gegenständlichen Nachsichtsverfahren lediglich auf die behauptete Unrechtmäßigkeit der (bereits rechtskräftigen) Abgabenfestsetzung bezieht."

Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Gemäß § 236 Abs. 2 BAO findet Abs. 1 auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

a) Zu Spruchpunkt I:

Aus dem Veranlagungsakt der Beschwerdeführerin sowie aus deren Abgabenkonto zu StNr. 123 ergibt sich, dass die Umsatzsteuer für 2005 im Abgabenverfahren letztlich in geringerer Höhe festgesetzt wurde als im Sicherstellungsauftrag vom ausgewiesen. Insgesamt ergibt sich im Abgabenverfahren festgesetzte und fällige Umsatzsteuer 2002 in Höhe von € 68.638,51, Umsatzsteuer 2003 in Höhe von € 118.708,50, Umsatzsteuer 2004 in Höhe von € 59.544,59, Umsatzsteuer 2005 in Höhe von € 70.279,54 und Umsatzsteuer 2006 in Höhe von € 2.811,26, in Summe somit € 319.982,40.

Wie sich aus der Beantwortung von Vorhalten des Bundesfinanzgerichtes durch die Beschwerdeführerin ergibt, ermittelte diese den diesem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Nachsichtsbetrag der Höhe nach auf Basis der im Sicherstellungsauftrag vom angeführten Beträge. Die Abweichung von € 10.000,00 zwischen den Umsatzsteuerbeträgen laut Sicherstellungsauftrag vom (€ 332.215,48) und dem Antrag vom (€ 322.215,48) beruht offenkundig auf einem Übertragungsfehler.

Das Finanzamt Innsbruck (nunmehr: Finanzamt Österreich) hat den Antrag mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen und damit über Abgabennachsicht in Höhe von € 322.215,48 abgesprochen.

Aus § 236 Abs. 1 BAO ergibt sich, dass Gegenstand eines Nachsichtsverfahrens nur fällige Abgabenschuldigkeiten sein können. Die auf Basis des Sicherstellungsauftrages den Gesamtbetrag von € 319.982,40 übersteigenden Umsatzsteuerbeträge, welche ebenfalls Gegenstand des Nachsichtsansuchens und des angefochtenen Bescheides waren, wurden nie festgesetzt und konnten demzufolge auch nie fällig werden.

Das Nachsichtsansuchen wäre demnach hinsichtlich des den Gesamtbetrag von € 319.982,40 übersteigenden Nachsichtsbetrages vom Finanzamt zurückzuweisen gewesen. Das Finanzamt hat im angefochtenen Bescheid den auf Abgabennachsicht von € 322.215,48 gerichteten Antrag der Beschwerdeführerin (zur Gänze) abgewiesen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter der Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht jene Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruchs des Bescheids der Abgabenbehörde erster Instanz bildet (z.B. ; , mwN). Da dem angefochtenen Bescheid hinsichtlich des den Gesamtbetrag von € 319.982,40 übersteigenden Nachsichtsbetrages keine (fällige) Abgabenschuldigkeit im Sinne des § 236 BAO gegenüberstand, war der angefochtene Bescheid in diesem Umfang gemäß § 279 Abs. 1 2. Satz 2. Alternative BAO ersatzlos aufzuheben.

b) Zu Spruchpunkt II:

Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein (§ 1 der zu § 236 BAO ergangenen Verordnung BGBl. II Nr. 435/2005).

Gemäß § 3 der VO BGBl. II Nr. 435/2005 idgF liegt eine sachliche Unbilligkeit bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches
1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;
2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die
a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder
b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht
wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.

Eine sachliche Unbilligkeit ist - unbeschadet der in § 3 der genannten VO beispielsweise aufgezählten Fälle - nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Der im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (, mit Hinweis auf ).

Eine Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO setzt die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung voraus; eine solche kann grundsätzlich nicht damit begründet werden, dass die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist. Vielmehr muss die behauptete Unbilligkeit in Umständen liegen, die die Entrichtung der Abgabe selbst betreffen. Im Nachsichtsverfahren können daher nicht Einwände nachgeholt werden, die im Festsetzungsverfahren geltend zu machen gewesen wären (, mit Hinweis auf Stoll, BAO, 2436).

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH trifft den Antragsteller im Falle einer Antrag-stellung nach § 236 BAO eine erhöhte Mitwirkungspflicht und er hat einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun hat, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (siehe zuletzt etwa ).

Zur persönlichen Unbilligkeit wurde vorgebracht, die Beschwerdeführerin könne aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse und stets drohender Vollstreckungsmaßnahmen der Abgabenbehörde ihren bisherigen wirtschaftlichen Aktivitäten nicht weiter nachgehen und der Bestand der Abgabenforderung bzw. deren stets drohende exekutiven Hereinbringung würde für sie eine ruinöse Wirkung entfalten.

Eine persönliche Unbilligkeit ergibt sich aus der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers. Sie besteht in einem Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgaben und den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen.

Eine Darstellung der näheren wirtschaftlichen Umstände der Beschwerdeführerin, insbesondere eine betragsmäßige Darstellung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und Angaben zu einem allfälligen Sanierungseffekt einer Nachsicht - die Beschwerdeführerin hat laut den ergangenen Umsatzsteuerbescheiden (abgesehen von einem geringen Betrag 2010) seit 2009 keine Umsätze mehr erzielt- erfolgte nicht, weshalb schon mangels Konkretisierung eine persönliche Unbilligkeit bei der Beschwerdeführerin nicht festzustellen ist. Zudem ist auf die Heranziehung der Geschäftsführerin der Beschwerdeführerin, Gf., zur Haftung betreffend hier gegenständlicher Abgabenschuldigkeiten zu verweisen. Es liegt damit ein Gesamtschuldverhältnis vor (§ 7 BAO). Bei Gesamtschuldverhältnissen umfasst die Behauptungspflicht die Unbilligkeit der Einhebung bei allen Gesamtschuldnern. Ein Vorbringen, dass Nachsichtsvoraussetzungen (auch) bei allen Gesamtschuldnern gegeben sei, wurde nicht erstattet (vgl. ).

Das Nachsichtsansuchen stützt weiters darauf, dass sachliche Unbilligkeit vorliegen würde. Im Beschwerdevorbringen und in der mündlichen Verhandlung wurde die Richtigkeit von im Abgabenverfahren getroffenen Feststellungen bestritten und vorgebracht, es sei gar kein Abgabenanspruch entstanden. Weiters wurde vorgebracht, dass im Abgabenverfahren insbesondere im Hinblick auf eine geänderte EuGH-Judikatur die Rechtslage verkannt worden sei.

Den hier gegenständlichen Festsetzungen an Umsatzsteuer liegt ein umfangreiches abgabenrechtliches Verfahren zugrunde, welches letztlich durch eine höchstgerichtliche Entscheidung im zweiten Rechtsgang abgeschlossen wurde:

Nach Durchführung einer Außenprüfung zu AB-Nr.X bei der Beschwerdeführerin verfügte das Finanzamt mit Bescheiden vom die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für 2002 bis 2004 und erließ Umsatzsteuerbescheide für diese Jahre. Mit gleichem Datum erließ das Finanzamt Umsatzsteuerbescheide für 2005 und 2006. Die festgesetzten Nachforderungen an Umsatzsteuer betragen insgesamt € 319.982,40.

Der Berufung gegen Wiederaufnahmebescheide betreffend Umsatzsteuer für 2002 bis 2004 und gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2006 hat der Unabhängige Finanzsenat mit Berufungsentscheidung vom28.8.2008, GZ. RV/0726-I/07, berichtigt durch Berichtigungsbescheid vom , RG/0039-I/08, Folge gegeben, diese aufgehoben und die Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2002 bis 2004 als unzulässig geworden zurückgewiesen. Der Berufung gegen die Umsatzsteuerbescheide für 2005 und 01/2006 gab der Unabhängige Finanzsenat Folge.

Aufgrund einer Beschwerde des Finanzamtes hob der Verwaltungsgerichtshof diese Berufungsentscheidung in Fassung des Berichtigungsbescheides mit Erkenntnis , wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Im fortgesetzten Verfahren wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , RV/3100670/2012, die Berufung der X-GmbH gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer für die Jahre 2002 bis 2004 und gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2002 bis 2006 ab. Die Revision der X-GmbH gegen dieses Erkenntnis wies der Verwaltungsgerichtshof mit zurück.

Im Ergebnis wurde damit festgestellt, dass es sich bei geltend gemachten Lieferungen der Beschwerdeführerin an eine A-Ges in A-Land und eine B-Ges in B-Land nicht um steuerfreie Ausfuhrlieferungen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z. 1 iVm § 7 UStG 1994 handelte.

Im Haftungsverfahren betreffend die Geschäftsführerin der Beschwerdeführerin, Gf., hinsichtlich hier gegenständlicher Abgaben erging im zweiten Rechtsgang (vgl. dazu ) das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/3100284/2021, mit welchem die gegen den Haftungsbescheid erhobene Beschwerde dem Grunde nach abgewiesen wurde. Gf. hat gegen die Bescheide über den Abgabenanspruch keine Bescheidbeschwerde im Sinne des § 248 BAO eingebracht.

Dem diesem Nachsichtansuchen zugrundeliegenden Abgabenanspruch liegen demnach rechtskräftige Bescheide zugrunde, welche (in zwei Rechtsgängen) höchstgerichtlicher Prüfung unterzogen wurden.

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO ist im Fall eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht. Wird diese Frage verneint Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, demnach ist der Antrag abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden (z.B. ; ).

Sachlich bedingte Unbilligkeit liegt nur dann vor, wenn sie in den Besonderheiten des Einzelfalles begründet ist. Eine derartige Unbilligkeit des Einzelfalles ist aber nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt. Nur wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, ist die Einziehung "nach der Lage des Falles unbillig" ().

Sachliche Unbilligkeit einer Abgabeneinhebung ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn das außergewöhnliche Entstehen einer Abgabenschuld zu einem unproportionalen Vermögenseingriff beim Steuerpflichtigen führt. Der in der anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. etwa ).

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist es nicht Zweck eines Nachsichtsverfahrens gemäß § 236 BAO, Abgabenbescheide nachträglich auf deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Eine Nachsicht dient nämlich nicht dazu, Unrichtigkeiten der Abgabenfestsetzung zu beseitigen und unterlassene Rechtsbehelfe nachzuholen oder "Versäumnisse" im Abgabenfestsetzungsverfahren zu sanieren (z.B. ; ; siehe auch Ritz, BAO6, § 236 Tz. 14, mwN).

Unter diesem Aspekt geht das Beschwerdevorbringen hinsichtlich angeblich unrichtiger Sachverhaltsfeststellungen bei Ermittlung der Grundlagen für die Abgabenfestsetzung ins Leere. Es ist demnach auch die Frage, ob die Beschwerdeführerin mit der "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" gehandelt hat oder dies nicht getan hat, im Nachsichtsverfahren keiner (neuerlichen) Überprüfung zu unterziehen.

Wenn insbesondere in der mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde, dass aufgrund einer geänderten EuGH-Rechtsprechung der Abgabenanspruch "nicht entstanden" sei und dass diese geänderte EuGH-Rechtsprechung dem gegenständlichen Haftungsverfahren zugrunde zu legen sei, so ist auf das im korrelierenden Haftungsverfahren betreffend die Geschäftsführerin der Beschwerdeführerin, Gf., ergangene höchstgerichtliche Erkenntnis zu verweisen: darin führt der VwGH zu dort erstattetem inhaltlichem Vorbringen, insbesondere mit Argumenten zur Unionswidrigkeit im Ergebnis gegen die Beurteilung des Bundesfinanzgerichts zur mangelnden Sorgfalt der Beschwerdeführerin, aus, dass Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren und nicht im Haftungsverfahren geltend zu machen sind (vgl. , Rz. 11). Dasselbe hat auch für das gegenständliche Nachsichtsverfahren zu gelten, weil auch in diesem Verfahren wie im Haftungsverfahren nicht Gegenstand des Verfahrens ist, ob die Abgabenfestsetzung zu Unrecht erfolgt ist.

In der mündlichen Verhandlung regte der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin, Stb, an, ein Vorabentscheidungsersuchen einzuleiten (sinngemäß) zur Frage, ob Nachsicht zu gewähren wäre, wenn erkennbar sei, dass eine Umsatzsteuer nach jetziger Rechtslage bzw. Rechtsauslegung durch den EuGH nie entstanden wäre.

Gemäß Art. 267 AEUV entscheidet der Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung der Verträge,
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union.

Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.

Für das Bundesfinanzgericht besteht lediglich eine Berechtigung, aber keine Verpflichtung für eine Vorlage im Sinne des Art. 267 Abs. 2 AEUV, weil seine Entscheidungen durch Rechtsmittel an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bekämpft werden können.

Wie der EuGH in ständiger Rechtsprechung judiziert, wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art 234 EG (Art. 267 AEUV) vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (z.B. , Meilicke u.a., Rz. 34, mit weiteren Nachweisen).

Wie bereits oben dargestellt, ist das Bundesfinanzgericht im Beschwerdeverfahren betreffend einen Bescheid, in welchem über einen Antrag auf Abgabennachsicht abgesprochen wurde, nicht für die Prüfung des diesem Bescheid zugrundeliegenden Abgabenanspruchs zuständig. Somit ist das Bundesfinanzgericht im gegenständlichen Verfahren auch für die Anwendung der innerstaatlichen bzw. unionsrechtlichen Vorschriften betreffend Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen nicht zuständig. Eine Rückwirkung einer allfälligen geänderten Auslegung des EuGH ist im gegenständlichen Fall daher nicht gegeben.

Da die von der Beschwerdeführerin gestellte Frage bereits durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt ist, ergibt sich für das Bundesfinanzgericht kein Grund, der Anregung der Beschwerdeführerin zu entsprechen.

Eine sachliche Unbilligkeit liegt nicht vor, wenn sie ganz allgemein die Auswirkung genereller Normen ist (; ). Die Festsetzung der gegenständlichen Umsatzsteuer erfolgte auf Grundlage der entsprechenden abgabenrechtlichen Vorschriften (insbes. §§ 6 Abs. 1 Z. 1, 7 UStG 1994) betreffend die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit von Ausfuhrlieferungen. Dass hier - verglichen mit ähnlichen Fällen - eine anormale Belastungswirkung bzw. ein atypische Vermögenseingriff eingetreten wäre, ist nicht ersichtlich.

Es liegt demnach kein Sachverhalt vor, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" (§ 236 Abs. 1 BAO) entspricht. Da die Frage nach dem Vorliegen persönlicher und sachlicher Unbilligkeit zu verneinen ist, bleibt für eine Ermessensentscheidung über ganze oder teilweise Nachsicht der Abgabenschuldigkeiten kein Raum (vgl. , mwN).

Die belangte Behörde hat, soweit das Nachsichtsansuchen sich auf den oben dargestellten Betrag von € 319.982,40 bezieht, zu Recht das Vorliegen einer Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint, weshalb die Beschwerde in dem in Spruchpunkt II. dargestellten Umfang gemäß § 279 Abs. 1 2. Satz 3. Alternative BAO als unbegründet abzuweisen war.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

c) Zu Spruchpunkt III. (Revision):

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage, der grundsätzliche Bedeutung zukommt (Art. 133 Abs. 4 B-VG), zu beurteilen war. Bei den Fragen nach den Voraussetzungen für eine Nachsichtsgewährung und ob bzw. inwieweit der zugrundeliegende Abgabenanspruch im Abgabenverfahren einer Überprüfung zu unterziehen ist, folgt das Bundesfinanzgericht der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Auf die zitierten Erkenntnisse des VwGH wird verwiesen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 7 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 236 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 7 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Art. 267 Abs. 2 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Art. 267 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Schlagworte
Nachsicht
Verfahrensgegenstand
Bindungswirkung
Prüfungsumfang
Verweise



BFH , V R 20/19













UStR 2000, Umsatzsteuerrichtlinien 2000



BFH , V R 7/03
BFH , V R 8/09





Stoll, BAO, 2436

Ritz, BAO, 6. Aufl., § 236 Tz. 14






-I/07
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.3100509.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at