zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.10.2019, RV/7101890/2019

Erhöhte Familienbeihilfe - Bindung an rückwirkende Beurteilung durch schlüssige ärztliche SV-Gutachten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pavlik über die Beschwerde der MMag. Bf., Adresse, vertreten durch A. & A. Wirtschaftstreuhandgesellschaft m.b.H., Adresse, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 vom , betreffend Abweisung des Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe von November 2011 bis Februar 2015, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf) stellte am , eingelangt beim Finanzamt (FA) am , für das Kind B., geb. 2008, einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe.

Als erhebliche Behinderung bzw. Erkrankung wurde "Asperger Syndrom" angegeben.

Die erhöhte Familienbeihilfe wurde ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt, im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung beantragt.

Beigelegt wurde ein klinisch psychologisches Gutachten von Mag. C., Klinische Psychologin iA, und Mag. D., Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin, Zentrum für Autismus und spezielle Entwicklungsstörungen, Adresse. In dem Gutachten vom Oktober 2016 wurde bei dem Sohn der Bf ein Asperger Syndrom diagnostiziert.

B. wurde am in der Landesstelle des Sozialministeriumservice von Dr. E., Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, untersucht und am folgendes Gutachten erstellt:

"Anamnese:

Anamnestisch war B. bereits im Kindergartenalter auffällig. 11/2013 erste psychologische Begutachtung bei Dr. F., mit durchschnittlichem Leistungsprofil und Altersangabe emotionaler und sozialer Entwicklung, wobei eine Forschungsgruppe im Schuljahr 2014/2015 empfohlen wurde, um mehr Zeit für die Entwicklung von Gruppenkompetenzen zu haben. 5/2015 weitere Diagnostik (H.) mit Diagnose einer Verhaltens- und emotionalen Störung, sowie 10/2016 mit Bestätigung der Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung (Asperger Typ). B. besucht die zweite Klasse einer Volksschule, mit regulärem Lehrplan.

Derzeitige Beschwerden:
Störung des Sozialverhaltens
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Therapie
Sozialanamnese:
Lebt bei den Eltern, keine Geschwister

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Dr. F.:
Vorstellungsgrund: Abklärung der kognitiven und psychosozialen Entwicklung, leichte Ablenkbarkeit in einer größeren Gruppe. Im Verhalten lässt er sich von Außenreizen leicht ablenken, zeigt reziproken Blickkontakt, die Stimmung ist tendenziell heiter. Durchschnittliches kognitives Leistungsprofil. Insgesamt altersadäquate emotionale und soziale Entwicklung, enge Bindung an beide Elternteile.

Gute Integration in die Gruppe der gleichaltrigen. Besuch der Vorschule Gruppe 2014/15 um noch Zeit für die Entwicklung gewisser Gruppenkompetenzen zu haben.

Mag. G. (H.): Testung 3/2015 bis 4/2015,

Diagnose:
Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in der Kindheit. Besuchte drei Jahre lang den Kindergarten. Bei Wechsel der Pädagoginnen tat er sich schwerer.

Übergang in die Vorschule war problemlos. In der ersten Klasse Volksschule Auffälligkeit im sozialen Miteinander. Im schulischen Kontext wurde es immer schwerer die Konzentration aufrecht zu erhalten, B. verlor die Freude zum lernen und für die Schule. Hinsichtlich seiner Aufmerksamkeitsleistung Schwierigkeiten Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum gerichtet zu halten. Emotionale Instabilität. Psychotherapie empfehlenswert.

ABCD, Mag. I.: F 84.5 Asperger Syndrom, kaum sozial gerichteter Blickkontakt, es fällt ihm schwer ein wechselseitiges Gespräch führen. Auffälligkeiten im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation, fehlendes Einfühlungsvermögen. Gute Sprachentwicklung, gute kognitive Entwicklung.

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: Gut
Ernährungszustand: Gut
Größe: 145,00 cm Gewicht: 40,00 kg Blutdruck:

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
8 3/12 Jahre alter Knabe, intern-pädiatrisch unauffällig

Gesamtmobilität - Gangbild: Unauffällig

Psycho(patho)logischer Status:
Aktuell zweite Klasse Volksschule, regulärer Lehrplan, sehr viel Unterstützung und Verständnis durch die Pädagogen. Beginn der Probleme im Kindergartenalter, mit mangelnder Integration in die Gruppe, verminderte Aufmerksamkeit, auffällige soziale Interaktion und Kommunikation. Deutliche Zunahme mit Beginn der ersten Klasse Volksschule. In den ADL nicht altersentsprechend selbstständig.

Lfd. Nr. 1 Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Asperger Autismus
Unterer Rahmensatz, da regulärer Lehrplan möglich
PosNr. 50 GdB% 50

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Rückwirkende Anerkennung eines GdB von 50 % ab 3/2015, Diagnose einer Verhaltens und emotionalen Störung bei Mag. G. (H.).

Stellungnahme zu Vorgutachten: Erstgutachten

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 03/2015
...

Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Verbesserung der sozialen Teilhabe unter adäquater Therapie und Förderung möglich."

Die erhöhte FB wurde unter Zugrundelegung des Gutachtens ab März 2015 gewährt.

Am wurde B. von Univ. Prof. Dr. J., Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, untersucht und im Gutachten des Sozialministeriumservice vom ein Behinderungsgrad von 50 % ab bescheinigt.

Gutachten vom :

Anamnese:
Letzte Begutachtung 2017-01-25: 50% bei Asperger Autismus. Die Eltern haben bzgl. einer rückwirkenden Geltendmachung ab max. 5 Jahre vor der Diagnosestellung angesucht. Die Eltern fahren 2x im Jahr in eine Therapiewoche (1x in Ö, 1x in Polen).

Derzeitige Beschwerden:
siehe oben

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Risperidon abgesetzt (wegen Gewichtszunahme), soziale Gruppe, Sommercamps

Sozialanamnese:
besucht die 3.Klasse Volksschule, gut integriert

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Dr. F.: Vorstellungsgrund: Abklärung der kognitiven und psychosozialen Entwicklung, leichte Ablenkbarkeit in einer größeren Gruppe. Im Verhalten lässt er sich von Außenreizen leicht ablenken, zeigt reziproken Blickkontakt, die Stimmung ist tendenziell heiter. Durchschnittliches kognitives Leistungsprofil. Insgesamt altersadäquate emotionale und soziale Entwicklung, enge Bindung an beide Elternteile.

Gute Integration in die Gruppe der Gleichaltrigen. Besuch der Vorschule Gruppe 2014/15 um noch Zeit für die Entwicklung gewisser Gruppenkompetenzen zu haben.

Mag. G. (H.):
Testung 3/2015 bis 4/2015, Diagnose:
Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in der Kindheit. Besuchte drei Jahre lang den Kindergarten. Bei Wechsel der Pädagoginnen tat er sich schwerer. Übergang in die Vorschule war problemlos. In der ersten Klasse Volksschule Auffälligkeit im sozialen Miteinander. Im schulischen Kontext wurde es immer schwerer die Konzentration aufrecht zu erhalten, B. verlor die Freude zum Lernen und für die Schule. Hinsichtlich seiner Aufmerksamkeitsleistung Schwierigkeiten Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum gerichtet zu halten. Emotionale Instabilität. Psychotherapie empfehlenswert.

ABCD, Mag. I.:
F 84.5 Asperger Syndrom, kaum sozial gerichteter Blickkontakt, es fällt ihm schwer ein wechselseitiges Gespräch führen. Auffälligkeiten im Bereich der sozialen Interaktion und Kommunikation, fehlendes Einfühlungsvermögen.

Gute Sprachentwicklung, gute kognitive Entwicklung.

2017-06-06: Multifunktionelle Förderung und Fördertherapie nach Muchitsch:
1 Woche Therapie, Elterntraining Therapiepauschale

2017-02-19: Dr. K./Prof. L. (Neurologe und Psychiater):
Asperger Syndrom, ADHD

2016-07-23: Rehab Zentrum M.:
Asperger Syndrom F84

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: guter AZ
Ernährungszustand: guter EZ
Größe: 147,00 cm Gewicht: 42,00 kg Blutdruck:
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
9 4/12 Jahre alter Knabe, Pulmo frei, leicht adipös, Cor rein, Abdomen über Niveau
Gesamtmobilität - Gangbild: unauffällig
Psycho(patho)logischer Status: gut affizierbar, adäquates Kommunikationsverhalten

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr. 1 Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Asperger Autismus
Unterer Rahmensatz, da regulärer Lehrplan möglich

PosNr. 50 GdB% 50

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Stellungnahme zu Vorgutachten:
im Vergleich zur Vorbegutachtung 2017-01-25 zeigt sich keine maßgebliche Befundänderung; bzgl. des Ansuchens einer weiter rückliegenden Geltendmachung des Krankheitsbeginnes kann auf die psychologische Befundung von 2013-11-22 zurückgegriffen werden, in welcher die Auffälligkeiten (Ablenkbarkeit bei altersadäquater emotionalen und sozialen Entwicklung) keine relevanten Veränderungen eines Asperger Syndromes erfüllten; daher keine rückwirkende Geltendmachung über das bisher geförderte Ausmaß.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 03/2015

Nachuntersuchung: in 3 Jahren
Anmerkung hins. Nachuntersuchung:
Nachuntersuchung in 3 Jahren zur Re-Evaluierung der Sozialisation und des Beschulungsstatus"

Das FA legte die im Gutachten vom (Untersuchung vom ) getroffenen Feststellungen seiner Entscheidung zu Grunde und wies den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe vom mit Bescheid vom für den Zeitraum November 2011 bis Februar 2015 unter Verweis auf die Bestimmungen des § 8 Abs 5 ff Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) ab. Nach den zit. Bestimmungen gelte ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung bestehe. Als nicht nur vorübergehend gelte ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung müsse mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handle, das voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung seien § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung sei spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit sei durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Eine rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe sei gemäß § 10 FLAG 1967 für max. fünf Jahre ab der Antragstellung möglich bzw. ab dem Monat, ab dem das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung festgestellt habe.

Gegen den Abweisungsbescheid wurde von der steuerlichen vertretenen Bf mit Schreiben vom Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides erhoben, da die belangte Behörde die rückwirkende Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum November 2011 bis Februar 2015 abgewiesen habe.

Es wurde der Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe rückwirkend ab November 2011 gestellt und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 274 Abs 1 Z 1 BAO beantragt.

Die Beschwerde enthielt folgende weitere Ausführungen:

"Beim Sohn unserer Klientin, B. A. (…) wurde das Asperger Syndrom diagnostiziert. Darüber gibt es auch schriftliche Befunde, welche der belangten Behörde vorliegen. Beim Asperger Syndrom handelt es sich nach herrschender Lehre um eine angeborene Krankheit aus dem Spektrum der Autismusstörungen, welche sich jedoch mitunter erst im Kindergartenalter bemerkbar macht. Den Betroffenen ist es aufgrund der Erkrankung nicht möglich, nonverbale Signale, etwa Mimik oder Körpersprache entsprechend wahrzunehmen. Aus diesem Grund treten die Probleme erst im Rahmen der sozialen Interaktion innerhalb einer Gruppe (wie Kindergarten) in Erscheinung. Dies war auch beim Sohn unserer Klientin der Fall, weshalb es ihr teilweise nicht möglich war, B. über einen längeren Zeitraum als 2 bis maximal 3 Stunden betreuen zu lassen.

Bereits im November 2013 wurde von unserer Klientin daher ein Kinderpsychologe konsultiert. Die Diagnose von Asperger ist jedoch schwierig, besonders, da psychologische Untersuchungen meist in direkten Dialog, und nicht in der Gruppe durchgeführt werden.

Nach erheblichen Problemen im Kindergarten sowie in der Vorschulklasse fand im Mai 2015 eine weitere Untersuchung statt, bei der eine Verhaltens- und emotionale Störung diagnostiziert wurde. In der ersten Volksschulklasse gab es wiederum erhebliche Probleme, die letzten Endes zu einem Klassenwechsel führten. Im Oktober 2016 fand eine weitere Untersuchung statt, bei der schließlich das Asperger Syndrom diagnostiziert wurde. Danach wurde B. medikamentös behandelt und besucht seither wöchentlich eine soziale Kompetenzgruppe, so dass die Medikamente schließlich wieder abgesetzt werden konnten.

Durch die nach der endgültigen Diagnose begonnene zielgerichtete Behandlung konnte schließlich erreicht werden, dass B. den regulären Lehrplan beibehalten konnte. Im November 2016 hat die Steuerpflichtige den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe gestellt, wobei eine rückwirkende Gewährung für 5 Jahre vor Antragstellung beantragt wurde (siehe § 10 Abs. 3 FLAG). Danach erfolgte eine Untersuchung durch einen ärztlichen Sachverständigen des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen.

Im März 2017 erhielt unsere Klientin eine Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe, in welcher ihr mitgeteilt wurde, dass die erhöhte Familienbeihilfe lediglich rückwirkend ab März 2015 (also weniger als 2 Jahre vor Antragstellung) gewährt wurde.

Am haben wir im Namen unserer Klientin einen Antrag auf bescheidmäßige Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe gestellt, und um Zusendung der Bescheinigung über das Ausmaß der Behinderung durch das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, auf welche in der Mitteilung vom Bezug genommen wird ersucht. Der Antrag erfolgte über Finanzonline.

Am wurde eine weitere amtsärztliche Untersuchung von B. durchgeführt (Sachverständigengutachten liegt in Kopie bei). Am erging dann der Abweisungsbescheid, mit dem die rückwirkende Geltendmachung der erhöhten Familienbeihilfe mit Verweis auf das amtsärztliche Gutachten abgelehnt wurde."

Nach Zitierung der Bestimmungen der §§ 8 Abs 4 und 10 Abs 3 FLAG 1967 wurde weiters Folgendes wörtlich ausgeführt:

"Im Zuge der ersten amtsärztlichen Untersuchung wurde unsere Klientin informiert, dass diese in Bezug auf die Frage der Rückwirkung klären solle, ab wann die gegenständliche Behinderung eine finanzielle Belastung für die Familie darstellte. Dazu ist zunächst zu sagen, dass dem Gesetzeswortlaut in keiner Weise entnommen werden kann, dass eine finanzielle Belastung Voraussetzung für die (allenfalls rückwirkende) Zuerkennung von erhöhter Familienbeihilfe sei. Abgesehen davon erschließt sich uns nicht, inwiefern ein Amtsarzt im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung überhaupt Feststellungen über finanzielle Belastungen in Jahre zurückliegenden Zeiträumen der Familie des Patienten diagnostizieren sollte.

Der Aussage des Gutachtens, dass laut erstem psychologischen Befund vom "die Auffälligkeiten keine relevanten Veränderungen eines Asperger Syndroms erfüllten" ist zu entgegnen, dass Eltern ihre Kinder wohl kaum "um Vergnügen" zur Untersuchung zum Kinderpsychologen bringen würden, sondern vielmehr nur dann, wenn es im Entwicklungsstadium des Kindes offenbar zu Problemen kommt. Wenn das Gutachten nun offenbar unterstellt, dass das bestehende Asperger Syndrom zum damaligen Zeitpunkt NICHT die Ursache für die Entwicklungsstörungen gewesen sei, lässt es jedoch die Frage, WELCHE Störungen damals bestanden hätten, völlig offen. Abgesehen davon wird dabei ganz offenkundig übersehen, dass es sich beim Asperger Syndrom, wie schon mehrfach angesprochen, um eine angeborene Krankheit handelt!

Es ist offenkundig, welchen Anwendungsbereich der Gesetzgeber mit der Möglichkeit einer rückwirkenden Geltendmachung der erhöhten Familienbeihilfe im Auge hatte, und der gegenständliche Fall, in dem eine angeborene, jedoch seltene Krankheit erst nach langer Zeit richtig diagnostiziert wurde, könnte geradezu als Paradefall dafür dienen.

Aus allen genannten Gründen stellen wir daher den Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die erhöhte Familienbeihilfe wie ursprünglich beantragt rückwirkend ab November 2011 (5 Jahre vor Antragstellung gem. § 10 Abs. 3 FLAG) zu gewähren."

Auf Grund der Beschwerde wurde der Sohn der Bf am neuerlich untersucht und von Dr.in N., Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde, im Gutachten vom erneut ein Grad der Behinderung von 50 % rückwirkend ab bescheinigt.

Gutachten vom :

"Im Beschwerdeverfahren 0272018 hinsichtlich längerer Rückwirkung Bestätigung des Erstgutachtens aus 2017 (Rückwirkung ab 03/2015), insbesondere, "da ein psychologischer Befund aus 11/2013 ausser "leichter Ablenkbarkeit bei altersadäquater emotionaler und sozialer Entwicklung" keine Symptome des Asperger Syndroms bestanden". Es wird neuerlich Beschwerde gegen das Datum der rückwirkenden Zuerkennung eingebracht: In einem Schreiben der Rechtsanwaltskanzlei A. & A. wird geltend gemacht, dass es sich bei Asperger Syndrom um eine angeborene Krankheit handle, dass sich die Probleme der sozialen Interaktion meist erst im Kindergarten zeigen.

Detaillierte entwicklungsneurologische Befunde über den beantragten Zeitraum sollten nachgereicht werden. Zwischenanamnese seit 02/2018: Die Therapie mittels Risperidol wurde abgesetzt, da Nebenwirkungen auftraten.

Derzeitige Beschwerden:
Störung des Sozialkontakts zu Gleichaltrigen

Asperger Syndrom

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Soziale Lerngruppe bei ABCD

Intensivtherapie 2 Wochen in Asperger-Camp bisher 2mal

Sozialanamnese:
Volksschule

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
keine neuen Befunde, bis keine weiteren Befunde nachgereicht

Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand: eutroph
Größe: cm Gewicht: 43,00 kg Blutdruck:
Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
interner Status unauffällig
Gesamtmobilität - Gangbild: altersgemäss

Psycho(patho)logischer Status:
in Untersuchungssituation ruhig und kooperativ, wenig Blickkontakt. Weiterhin typische Störung des Sozialverhaltens bei Aspergersyndrom Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr. 1 Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Asperger Syndrom
Unterer Rahmensatz, da Regelschullehrplan bewältigt wird

PosNr. 50 GdB% 50

Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Stellungnahme zu Vorgutachten:
Unverändert zum Vorgutachten hinsichtlich GdB und Datum der rückwirkenden Zuerkennung, da keine neuen Befunde vorliegen, die das Ausmass einer Behinderung von zumindestens 50% ab einem früheren Datum belegen.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern: ja

GdB liegt vor seit: 03/2015..."

Das FA wies in der Folge die Beschwerde unter Zugrundelegung des vorstehend angeführten Gutachtens mit Beschwerdevorentscheidung vom unter Zitierung der Bestimmungen des §§ 8 Abs 5 und 10 Abs 3 FLAG 1967 mit der Begründung ab, dass anhand des neuerlichen fachärztlichen Gutachtens des Sozialministeriumservice vom der Grad der Behinderung 50%, (unverändert) rückwirkend ab dem betrage. Es hätten sich daher keine Änderungen zum Vorgutachten vom ergeben.

Die Bf stellte am einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und führte begründend aus, dass dem bereits in der Beschwerde dargelegten Sachverhalt hinzuzufügen sei, dass auf Betreiben der beklagten Partei mittlerweile ein drittes (!!!) fachärztliches Gutachten des Sozialministeriumservice eingeholt worden sei, welches unverändert den Grad der Behinderung mit 50% festgestellt habe. An den gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe sollte daher mittlerweile kein Zweifel mehr bestehen, womit es letzten Endes nur mehr um den Zeitraum der rückwirkenden Zuerkennung gehe.

Hierzu sei zu sagen, dass sich aus dem Gesetzeswortlaut der betreffenden §§ 8 Abs 4 und 10 Abs 3 FLAG 1967 nicht ableiten lasse, dass auch der Umfang der Rückwirkung durch ein ärztliches Sachverständigengutachten nachzuweisen wäre. Genau dies habe die belangte Behörde jedoch praktiziert und bei jedem Antrag auf die volle, gesetzlich mögliche Rückwirkung ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben.

Es erschließe sich der Bf auch nicht, wie selbst der beste medizinische Fachmann aufgrund einer klinischen Untersuchung feststellen sollte, seit wann eine angeborene psychische Erkrankung bereits bestehen solle. Wenn überhaupt der gesetzlich vorgesehene, 5jährige Rückwirkungszeitraum eingeschränkt werden sollte, was bei einer angeborenen Krankheit schon schwer zu rechtfertigen sein werde, dann sollte es in solch einem Fall vielmehr darauf ankommen, ab welchem Zeitpunkt die Erkrankung für die betroffenen Eltern eine zusätzliche (auch finanzielle) Belastung dargestellt habe.

Schließlich ziele die erhöhte Familienbeihilfe genau darauf ab, derartige Belastungen abzufedern.

Im gegenständlichen Fall sei jedoch dargelegt worden, dass bereits seit Besuch des Kindergartens (2011) erhebliche Probleme bestanden hätten. Spätestens mit der im Jahr 2013 durchgeführten psychologischen Untersuchung seien diese Probleme unzweifelhaft nach außen erkennbar aufgetreten, wenngleich damals noch nicht die richtige Diagnose gestellt worden sei.

Mit all diesen genannten Sachverhalten zum Nachweis, dass eine erhebliche Beeinträchtigung schon seit dem Kindergartenalter vorgelegen sei, habe sich die belangte Behörde jedoch nicht auseinandergesetzt.

Im Übrigen werde hinsichtlich der Beschwerdegründe auf die Ausführungen in der Beschwerde verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem BFG am verwies der steuerliche Vertreter der Bf i.w. auf die bisherigen Ausführungen und brachte ergänzend vor, das FA habe nicht begründet, wieso die Rückwirkung nicht über März 2015 hinaus gewährt worden sei. Schon im November 2013 sei ein Kinderpsychologe konsultiert worden. Es sei für einen ärztlichen Sachverständigen unmöglich zu beurteilen, seit wann eine angeborene Krankheit rückwirkend bestehe.

Aus dem Gesetz könne kein zwingender Grund abgelesen werden, dass ein Gutachten eine Rückwirkung feststellen soll und verwiesen werde nochmals auf die bereits seit dem Kindergartenalters B.s getragenen nachweisbaren Mehrkosten. In § 8 Abs 6 FLAG 1967 werde die Frage der Rückwirkung überhaupt nicht angesprochen.

Das Gutachten enthalte keine Begründung dafür, dass die Behinderung gerade im März 2015 eingetreten sein soll. Es sei nachgewiesen worden, dass bereits seit März 2013 ärztliche Hilfe in Anspruch genommen worden sei. März 2015 sei ein völlig willkürlich festgelegtes Datum. Diese Willkür müsste auch vom FA aufgegriffen werden; dieses müsste die von Seiten der Bf dargelegten Beweise berücksichtigen.

Die Bf brachte vor, es habe von Anfang an Probleme mit B. gegeben. Im Alter von drei Jahre, als B. den Kindergarten besuchte, hätte sie das erstmals so richtig bemerkt. Die Bf habe eine zusätzliche Betreuung in Anspruch nehmen müssen, da B. nicht länger als einen Tag im Kindergarten bleiben konnte. Als ihr Sohn dann in die Volksschule gekommen sei, habe die Bf ihre Erwerbstätigkeit zwei Jahre lang unterbrechen müssen, um ihren Sohn schulisch betreuen zu können.

Der Vertreter des FA verwies i.w. auf die Beweisregel des § 8 Abs 6 FLAG 1967 und die dazu ergangene Judikatur, wonach das einzuholende Gutachten nicht nur den Grad der Behinderung, sondern auch die Rückwirkung umfasse. Alle drei Gutachten hätten übereinstimmend März 2015 als den Zeitpunkt benannt, in dem die erhebliche Behinderung eingetreten sei.

Der steuerliche Vertreter beantragte in seinem Schlusswort, die Rückwirkung zumindest ab November 2013 zu gewähren, denn zu diesem Zeitpunkt sei das erste kinderpsychologische Gutachten erstellt worden. Darin sei zwar festgestellt worden, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei, aber die richtige Diagnose Asperger Syndrom sei damals eben noch nicht gestellt worden.

Über die Beschwerde wurde erwogen

Der Bf ist zu folgen und es steht fest, dass - dies wurde in den Sachverständigengutachten des SMS übereinstimmend und schlüssig festgestellt - ein nicht nur vorübergehender Grad der Behinderung von 50% iSd § 8 FLAG 1967 ab März 2015 besteht und somit (ausschließlich) die Frage streitgegenständlich ist, ob dieser Grad der Behinderung bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten ist.

Folgender Sachverhalt steht fest:

Der Sohn der Bf, B., ist am 2008 geboren.

B. wurde im Zuge des Beihilfenverfahrens drei Mal vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen untersucht.

Im Gutachten vom (Untersuchung am ) wurde bei B. das Asperger Syndrom diagnostiziert und der Gesamtgrad der nicht nur vorübergehenden Behinderung mit 50 v.H. rückwirkend ab März 2015 festgestellt.

Im Gutachten vom (Untersuchung am ) wurde der Gesamtgrad der nicht nur vorübergehenden Behinderung - wie schon im Vorgutachten - mit 50 v.H. rückwirkend ab März 2015 festgestellt.

Im Gutachten vom (Untersuchung am ) wurden dieselben Feststellungen getroffen.

Das BFG folgt den übereinstimmenden Gutachten. Der Grad der nicht nur vorübergehenden Behinderung von 50% besteht seit März 2015.

Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt beruht auf den drei im Wege des Sozialministeriumservice (SMS) erstellten Gutachten.
Diese stimmen überein, sind schlüssig und widerspruchsfrei. Alle drei Gutachten kommen zum Schluss, dass der Grad der Behinderung von 50% im März 2015 eingetreten ist.
Die von der Bf beigebrachten Vorgutachten werden von den Gutachtern einbezogen und schlüssig gewürdigt. Auf die begehrte (längere) Rückwirkung wird im zweiten und dritten Gutachten explizit eingegangen und diese begründet verneint.
Schon im ersten Sachverständigengutachten vom wurde die erste psychologische Begutachtung im November 2013 bei Dr. F., (durchschnittliches Leistungsprofil und insgesamt altersadäquate emotionale und soziale Entwicklung) beschrieben und in die Beurteilung einbezogen; ebenso die im Mai 2015 bei Mag. G. erfolgte weitere Diagnostik, in der auf Grund der im März und April 2015 durchgeführten Tests die Diagnose einer Verhaltens- und emotionalen Störung mit emotionaler Instabilität gestellt und Psychotherapie empfohlen wurde; sowie das im Oktober 2016 erstellte klinisch-psychologische Gutachten von Mag. I. und Mag. D., bei der die Diagnose Asperger Syndrom gestellt wurde.
Der Gutachter kam auf Grund seiner Untersuchung unter Berücksichtigung der Vorbefunde zum Schluss, dass der Grad der Behinderung auf Grund Asperger Autismus seit März 2015 bestehe. Er begründete die Rückwirkung mit der Diagnose einer "Verhaltens- und emotionalen Störung" bei Mag. G. (Testung im März und April 2015).
Auch wurde festgehalten, dass bei dem im Oktober 2008 geborenen B. die Probleme im Kindergartenalter mit mangelnder Integration in die Gruppe, verminderter Aufmerksamkeit und auffälliger sozialer Interaktion und Kommunikation begannen und mit Beginn der ersten Klasse Volksschule deutlich zunahmen.

Das zweite Sachverständigengutachten des SMS vom kam in Übereinstimmung mit dem ersten Gutachten ebenfalls zum Ergebnis, dass auf Grund der Diagnose Asperger Syndrom ein Grad der Behinderung von 50% ab März 2015 vorliege. Es zeige sich im Vergleich zur Vorbegutachtung keine maßgebliche Befundänderung. Explizit wird auf die begehrte, über März 2015 hinaus gehende Rückwirkung eingegangen und ausgeführt, die psychologische Befundung vom November 2013 habe "keine relevanten Veränderungen eines Asperger Syndromes" ergeben. Daher wurde keine weitergehende als die bisher festgestellte Rückwirkung diagnostiziert.

Schließlich gelangte auch das dritte Sachverständigengutachten des SMS vom zu demselben Ergebnis. In diesem Gutachten wird auf den Einwand der Bf eingegangen, dass es sich bei Asperger Syndrom um eine angeborene Krankheit handle, wobei sich die Probleme der sozialen Interaktion meist erst im Kindergarten zeigten. Es sei avisiert worden, detaillierte entwicklungsneurologische Befunde über den beantragten Zeitraum nachzureichen. Da jedoch bis keine weiteren Befunde nachgereicht wurden, die das Ausmaß einer Behinderung von zumindestens 50% ab einem früheren Datum belegen, blieb das Gutachten hinsichtlich Grad der Behinderung und Datum der rückwirkenden Zuerkennung unverändert zum Vorgutachten.

Dem Einwand der Bf im Verfahren vor dem BFG, der von den drei Gutachten übereinstimmend festgestellte Beginn des Grads der Behinderung von 50% im März 2015 sei völlig willkürlich, kann nicht gefolgt werden.
So wurde, worauf die ersten beiden Gutachten verweisen, erstmals im Mai 2015 auf Grund der im März 2015 begonnenen Untersuchung die Diagnose einer Verhaltens- und emotionaler Störung mit emotionaler Instabilität gestellt. Im Oktober 2016 wurde dann erstmals die Diagnose Asperger Syndrom gestellt. Die Gutachter folgerten daraus schlüssig, dass es sich bei der im Mai 2015 (erstmals) festgestellten Störung bereits um das später diagnostizierte Asperger Syndrom handelte. Weil die Untersuchung, die zur erwähnten Diagnose führte, im März 2015 begann, wurde die Rückwirkung nachvollziehbar mit diesem Zeitpunkt festgesetzt.

Wenn die Bf im Verfahren vor dem BFG meint, die Rückwirkung solle zumindest ab November 2013 gewährt werden, so kann dem nicht gefolgt werden.
Im November 2013 wurde die erste psychologische Begutachtung durchgeführt. In dieser Begutachtung wurde jedoch festgestellt, dass die Auffälligkeiten (Ablenkbarkeit bei altersadäquater emotionaler und sozialer Entwicklung) keine relevanten Veränderungen eines Asperger Syndromes erfüllten. Dass diese Feststellung getroffen wurde, ist unbestritten.
Auch die Bf bringt im Vorlageantrag vor, spätestens mit der im Jahr 2013 durchgeführten psychologischen Untersuchung seien diese Probleme unzweifelhaft nach außen aufgetreten, "wenngleich damals noch nicht die richtige Diagnose gestellt wurde."
Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem BFG wird dieses Vorbringen wiederholt.
Bereits das erste Sachverständigengutachten des SMS vom geht auf diese Untersuchung ein; da jedoch bei dieser insgesamt eine altersadäquate Entwicklung und eben ausdrücklich kein Asperger Syndrom diagnostiziert wurde und eine Verhaltens- und emotionale Störung erstmals bei der Untersuchung 2015 festgestellt wurde, wurde die Rückwirkung des Grades der Behinderung von 50% nicht bereits ab 2013 angenommen.
Das zweite Gutachten des SMS geht explizit auf die beantragte weitere Rückwirkung ein und stützt sich ebenfalls und nachdrücklich auf die Befundung vom und führt nach Zusammenfassung dieser Begutachtung (keine relevanten Veränderungen eines Asperger Syndromes) aus: "daher keine rückwirkende Geltendmachung über das bisher geförderte Ausmaß".
Das dritte Gutachten des SMS geht in der Anamnese auf die Vorgutachten ein und legt dar, dass bezüglich der beantragten längeren Rückwirkung weitere Befunde nachgereicht werden sollten, was jedoch nicht passierte. Daher wurde unter Bezugnahme auf die Vorgutachten keine frühere Rückwirkung festgestellt.

Dass die Rückwirkung des 50%igen Grads der nicht nur vorübergehenden Behinderung von den drei Gutachten übereinstimmend nicht bereits ab November 2013 (oder noch früher) festgesetzt wurde, ist schlüssig, nachvollziehbar, widerspruchsfrei und ausreichend begründet.

Hingegen ist nicht nachvollziehbar, warum die Rückwirkung mit November 2013 - psychologische Untersuchung, bei der ausdrücklich diagnostiziert wurde, dass kein Asperger Syndrom besteht - festgesetzt werden sollte. Auch für eine noch länger zurückreichende Rückwirkung ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt. Dass sich die SMS Gutachten bei der Frage der Rückwirkung auf Vorbefunde stützen, ist denklogisch und nachvollziehbar.

Zum Einwand der Bf, es handle sich um eine angeborene Erkrankung, welche eine längere Rückwirkung des Grades der Behinderung von 50% rechtfertige, wird auf die Entscheidung des , in einem vergleichbaren Fall (Asperger Syndrom) verwiesen:

"Es ist zwar zutreffend, dass die bei der Tochter der Bw. vorliegende Krankheit bereits seit Geburt besteht. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Tochter der Bw. im Juni 2006 geboren ist, der Behinderungsgrad aber selbst bei gleichbleibendem Krankheitsbild auch vom Alter des Kindes abhängt. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes etwa stellt sich je nach Alter des Kindes unterschiedlich dar, da die Fertigkeiten, die ein Kind im Kindergartenalter beherrschen sollte, sich wesentlich von jenen, die von einem Schulkind erwartet werden, unterscheiden. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes ist daher immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen. So kann schon im Kindergartenalter ein gewisser Entwicklungsrückstand vorliegen, der sich aber bis zum Schulalter weiter vergrößern und einen höheren Behinderungsgrad herbeiführen kann (sh. Lenneis in Csaszar /Lenneis / Wanke, FLAG, § 8 Rz 11 unter Hinweis auf ).

Hingewiesen sei darauf, dass die Sachverständigen zugunsten der Bw. den Zeitpunkt des Eintritts der erheblichen Behinderung nicht erst mit der Diagnosestellung durch das Kompetenzzentrum Autistenhilfe am ... angenommen haben, sondern ab Datum der ersten dokumentierten, schweren Auffälligkeit."

Gegen die Entscheidung des UFS wurde eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) eingebracht.

Der VwGH wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom , 2013/16/0170, mit folgender Begründung ab:

"§ 8 Abs. 5 FLAG stellt darauf ab, dass ein Kind einen Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. aufweist, sofern es nicht voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Eine Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG mit einen Grad von mindestens 50 v.H. kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. erreicht (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/16/0010)."

Auch im ggstdl Fall ist schlüssig und nachvollziehbar, dass die - angeborene - Krankheit sich zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert und in diesem Zeitpunkt zu einem Grad der Behinderung von 50% führt.

Aus den beim SMS eingeholten drei übereinstimmenden ärztlichen Sachverständigengutachten, die alle Einwendungen der Bf schlüssig und nachvollziehbar entkräften konnten, geht somit für das Bundesfinanzgericht klar und eindeutig hervor, dass ein Grad der Behinderung von 50% bei dem Sohn der Bf nicht vor März 2015 beweisbar eingetreten ist.

Es wird daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung angenommen, dass die Feststellung des (Gesamt-)Grades der Behinderung mit 50 % erst ab diesem Zeitpunkt aufgrund dieser schlüssigen Gutachten mit größter Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind. Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.

Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Gemäß § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Gemäß § 10 Abs 1 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe nur auf Antrag gewährt und ist die Erhöhung der Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4 leg. cit.) besonders zu beantragen.

Gemäß § 10 Abs 3 FLAG 1967 werden die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4 FLAG) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.

Der als erwiesen angenommener Sachverhalt beruht auf den drei im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten.

Ein Gutachten ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhaltes durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen, verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen, stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen.

Im vorliegenden Beschwerdefall wurde der Sohn der Bf von drei verschiedenen Fachärzten für Kinder- und Jugendheilkunde untersucht.

Wie bereits ausgeführt, stellten sämtliche sachverständigen Fachärzte bei B. nach dessen Untersuchung und unter Zugrundelegung der von der Bf vorgelegten Befunde schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei einen Behinderungsgrad von 50 % rückwirkend ab März 2015 fest.

Der Gesetzgeber hat die Frage des Grades der Behinderung der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution (nämlich das Sozialministeriumservice, früher: Bundessozialamt) eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt (Erkenntnis des ).

Die Gutachten der Ärzte des Sozialministeriumservice haben den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Sie dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen (, unter Verweis auf ). Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind daher verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Sozialministeriumservice zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (, unter Verweis auf , mwN).

Sowohl eine Gutachtensergänzung als auch ein neues Gutachten stellen lediglich Beweismittel dar, deren Richtigkeit und Schlüssigkeit von der antragstellenden Partei bekämpft werden kann ().

Das Bundesfinanzgericht ist an die in den Gutachten getroffenen Feststellungen gebunden (vgl zB ; ; ), kann aber nach dem Erkenntnis des von solchen Gutachten nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" auch abgehen (vgl. auch die Erkenntnisse , sowie ).

Im vorliegenden Fall unterzog das Gericht im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung die der Bescheinigung zu Grunde liegenden Gutachten einer kritischen Würdigung und konnte eine Unschlüssigkeit nicht erkannt werden.

Dem Einwand der Bf, aus dem Gesetz könne nicht abgeleitet werden, dass auch der Umfang der Rückwirkung durch ein ärztliches Sachverständigengutachten nachzuweisen wäre, ist zu entgegnen, dass ohne diese Sichtweise die gesetzlich vorgesehene (maximal 5 Jahre) rückwirkende Beantragung der (erhöhten) Familienbeihilfe sinnwidrig wäre. Wenn der Grad der Behinderung durch ein ärztliches Sachverständigengutachten festzustellen ist, der Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ein Monat ist, diese 5 Jahre rückwirkend beantragt werden kann und die Beurteilung des Grades der Behinderung den Familienbeihilfenbehörden entzogen ist, folgt daraus zwingend, dass auch der Zeitpunkt des Beginns der erheblichen Behinderung - allenfalls rückwirkend - von den ärztlichen Sachverständigen zu beurteilen ist. Wie vom Finanzamtsvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem BFG zu Recht ausgeführt wird, ist diesbezüglich auf die einhellige Judikatur des VwGH zu verweisen. So hatte der VwGH zB im oben zit Erkenntnis vom , 2013/16/0170, die - auch hier streitgegenständliche Frage - zu beurteilen, ab welchem Zeitpunkt rückwirkend die erhebliche Behinderung eingetreten ist. Dass die in den Sachverständigengutachten, dem die belangte Behörde folgte, festgesetzte Rückwirkung nicht möglich oder nicht vom gesetzlichen Auftrag umfasst wäre, ist dem Erkenntnis nicht zu entnehmen, sondern die Vorgangsweise der belangten Behörde wurde für richtig erachtet.
Im Erkenntnis des , hatte das BFG den Zeitpunkt des Eintritts der dauernden Erwerbsunfähigkeit des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 auf Grund der ärztlichen Sachverständigengutachten aus 2012 und 2013 rückwirkend mit dem Jahr 2010 festgelegt, wobei anzumerken ist, dass bei der Beurteilung, ob die dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist, nach den Ausführungen des , die Ärzte in diesen Verfahren oft medizinische Feststellungen über Zeiträume zu treffen haben, "die oft dreißig Jahre und mehr zurückliegen."
Die Beurteilung des BFG wurde vom VwGH für richtig erachtet und die Revision abgewiesen.
Da sowohl die Beurteilung des Grads der Behinderung als auch die Beurteilung der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, dem Regime des § 8 Abs 6 FLAG 1967 unterliegen und somit nach den gleichen Regeln vorzugehen ist, ist den Ausführungen der Amtspartei in der mündlichen Verhandlung vor dem BFG zu folgen, dass die Judikatur des VwGH zum Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit auch auf die Feststellung des Grades der Behinderung umlegbar und anwendbar ist.

Verwiesen wird auch auf , worin (zur Begründung der Zurückweisung der ao Revision) u.a. ausgeführt wird:

"Das Bundesfinanzgericht hatte damals ausgeführt, dass die Sachverständigen im Bundessozialamt bei ihrer Diagnoseerstellung und bei der Feststellung des Zeitpunktes des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit neben den Untersuchungsergebnissen und ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heranzögen. Hilfreich seien dabei vor allem "alte" Befunde, Arztbriefe usw., die darauf schließen ließen, dass die Behinderung zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgetreten sei. Damit könne aber die vom Gesetzgeber geforderte Feststellung des tatsächlichen Eintritts der Erwerbsunfähigkeit eines Antragstellers immer nur mit hoher Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entsprechen. In jenem Revisionsfallhat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, diesen Zeitpunkt habe das Bundesfinanzgericht auf Grund der ihm vorliegenden Gutachten festgelegt, und darauf abgestellt, ob der (damalige) Revisionswerber eine Unschlüssigkeit der Gutachten aufzuzeigen vermochte.

Dem hg. Erkenntnis vom , 2010/16/0261, dem erwähnten Erkenntnis vom , 2009/16/0307, und den hg. Erkenntnissen vom , 2011/16/0059, vom , 2010/16/0220, und vom , 2009/16/0169, lagen Sachverhalte zu Grunde, bei denen die Gutachten davon sprachen, dass "die rückwirkende Anerkennung des aktuellen Grades der Behinderung" oder "die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung" ab einem näher genannten Zeitpunkt "möglich" sei."

Nach dem Sinn des § 8 Abs 6 FLAG 1967 und der dazu ergangenen ständigen Judikatur des VwGH steht fest, dass nicht nur die Feststellung des Grades der Behinderung, sondern auch seit wann diese (allenfalls) rückwirkend besteht, vom nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 einzuholenden ärztlichen Sachverständigengutachten umfasst ist

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor. Sowohl VfGH als auch VwGH bejahen eine Bindung an die im Wege des Sozialministeriumservice (früher Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) erstellten Gutachten. Die vom Bundesfinanzgericht durchzuführende Schlüssigkeitsprüfung betrifft keine Rechtsfrage, sondern ist Ausfluss der dem BFG obliegenden freien Beweiswürdigung (vgl. ).


Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at