Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 23.07.2021, RV/7100557/2019

Mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit mangels Nachweis nicht erwiesen

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7100557/2019-RS1
Welche Fassung des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) und damit welche Frist für den Einzelfall maßgeblich ist, ist eine Rechtsfrage, die von der Beihilfenbehörde zu beantworten ist. Die Sachverständigengutachten iSd § 8 Abs 5 und Abs 6 FLAG 1967 haben zum Gegenstand, ob nach medizinischem Fachwissen erwiesen werden kann, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit vor dem von der Beihilfenbehörde anhand der im konkreten Einzelfall maßgeblichen Fassung des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) zu bestimmenden Zeitpunkt verloren gegangen ist oder nicht. Es obliegt somit der Beihilfenbehörde, dem BASB den maßgeblichen Zeitpunkt anlässlich der Gutachtensanforderung mitzuteilen. Nach keiner Fassung des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 kam es auf die Vollendung des 18. Lebensjahres an.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch den Verein Chronischkrank Österreich, dieser vertreten durch Mag Günter Schmid, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg, nunmehr Finanzamt Österreich, vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs 1 lit c Familienlastenausgleichsgesetz (im Folgenden: FLAG 1967) sowie und auf Gewährung des Erhöhungsbetrages gemäß § 8 Abs 4 FLAG 1967 wegen mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit ab März 2017, Steuernummer ***1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die 1967 geborene Beschwerdeführerin (Bf) stellte am "rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung und ab sofort" einen sogenannten Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages mit dem Formular Beih1 (im Folgenden: Familienbeihilfe) und auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen Schizophrenia simplex mit dem Formular Beih3. Pflegegeld werde nicht bezogen.

Die belangte Behörde beauftragte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (im Folgenden: BASB) mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Gemäß der der belangten Behörde übermittelten BSB-Bescheinigung vom betrage der Grad der Behinderung 50% ab , dauernde Erwerbsunfähigkeit sei weder vor dem 18 noch vor dem 21. Lebensjahr eingetreten.

Auf Basis obiger Bescheinigung des BASB erging der angefochtene Bescheid vom , mit dem festgestellt wurde, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit nach dem 21. Lebensjahr eingetreten sei, sodass § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung nicht erfüllt werde. Der Bescheid wurde ohne Zustellnachweis zugestellt. Gegen diesen Bescheid richtet sich die form- und fristgereichte Bescheidbeschwerde vom , mit der die Unvollständigkeit des Gutachtens vorgetragen und die rückwirkend erstellte Bestätigung der Psychotherapeutin vom als neues Beweismittel vorgelegt werden. Aufgrund der Beschwerde beauftragte die belangte Behörde das BASB neuerlich mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens.

Gemäß der der belangten Behörde übermittelten zweiten BSB-Bescheinigung vom betrage der Grad der Behinderung 50% ab , die dauernde Erwerbsunfähigkeit sei weder vor dem 18 noch vor dem 21. Lebensjahr eingetreten. Über die Beschwerde erging die Beschwerdevorentscheidung vom , mit der die Beschwerde als unbegründet abgewiesen wurde. Die Beschwerdevorentscheidung wurde von der Bf am persönlich übernommen.

Mit Schriftsatz vom erhob die Bf im eigenen Namen Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung und bezog darin insbesondere zum Vorwurf, Unterstützungsangebote nicht ausreichend angenommen zu haben, Stellung und stellte die Vorlage weiterer Unterlagen in Aussicht. Mit Schriftsatz vom , der vom Verein Chronischkrank Österreich unter gleichzeitiger Vorlage der Vollmacht namens der Bf eingebracht wurde, wird aufgrund der Tatsache zweier einander widersprechender Gutachten der Vorwurf der Unschlüssigkeit erhoben, sodass lediglich ein weiteres Gutachten, welches durch die nächste Instanz, also vom Bundesfinanzgericht, anzuordnen sei, Klarheit verschaffen könne.

Gemäß der der belangten Behörde übermittelten dirtten BSB-Bescheinigung vom betrage der Grad der Behinderung 50% ab 1.1.208, die dauernde Erwerbsunfähigkeit sei weder vor dem 18 noch vor dem 21. Lebensjahr eingetreten.

Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Beschluss vom wurde dem Verein Chronischkrank Österreich als aktuellem Vertreter eine Ablichtung des dritten Gutachtens übermittelt. Anlässlich dessen wurde gefragt, ob ein Antrag wegen Waisenpension gestellt worden sei und wie ggf das Verfahren ausgegangen sei. Mit Schriftsatz vom gab der Verein Chronischkrank Österreich eine Stellungnahme zum dritten Gutachten ab und teilte mit, dass bisher ein Antrag auf Waisenpension nicht gestellt worden sei und nun mit der Bf geklärt werde, ob eine Waisenpension beantragt werde. Bis heute ist nicht bekannt gegeben worden, ob die Waisenpension für die Bf beantragt wurde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Aufgrund des Ergebnisses des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens ist folgender Sachverhalt festzustellen:

Die Bf wurde am ***xxx*** 1967 geboren. Mit circa neun Jahren (1976/77) erkrankte sie an einer Meningitis, die nur vom Hausarzt diagnostiziert wurde. Eine stationäre Aufnahme in ein Krankenhaus erfolgte nicht. Mit neun oder zahn Jahren wurde einmalig die psychiatrische Ambulanz im AKH besucht. Mit circa zehn Jahren (1977/78) setzten Schwierigkeiten beim Lernen, vor allem in Mathematik, ein. In der Volksschule haben auch schon Schwierigkeiten beim Lernen bestanden. Die Bf Beschreibt in der Pubertät Impulskontrollstörung mit verbal aggressivem Verhalten. Über die Meningitis liegen keine Befunde vor.

Im Alter von 15 Jahren (1982) war die Bf für drei Monate in psychotherapeutischer Betreuung bei Frau Dr M. Die Psychotherapeutin legte dar, dass die Not der Bf nach ihrer Meinung nicht nur der Entwicklungsphase der Pubertät zuzuschreiben gewesen sei, und erinnerte sich an Bindungsstörungen und vorhandenen Paarprobleme der Eltern, was durch die 1985 erfolgte Scheidung der Eltern belegt wird. Der Vater schien ihr stützend und besorgt zu sein, die Mutter eher Leistungen fordernd und die Nöte der Tochter wenig wahrnehmend. Die Psychotherapeutin hat der Bf damals eine Lehre zugetraut. In der von der Dr M ausgestellten Bestätigung vom wird nicht die Aussage getroffen, dass bereits im Jahr 1982 erkennbar war oder ernsthaft zu vermuten gewesen wäre, dass die Bf voraussichtlich außer Stande sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Sie konnte weder die Bf noch ihre Eltern von der Notwendigkeit einer Weiterführung der Therapie überzeugen. Der nächste medizinische Befund ist der Kontakt der Bf zum PSD im Jahr 2008.

Im Jahr 2008 erfolgte der erste Kontakt zum PSD, wegen Mobbings des Ehemannes am Arbeitsplatz. Die Bf hat zu Beginn nur sozialarbeiterische Unterstützung in Anspruch genommen. Derzeit kommt es immer wieder zu Konflikten in der Familie. Seit dem Tod des Vaters vor sieben Jahren sei eine Verschlechterung ihrer Situation laut PSD festzustellen. Laut Außenanamnese bestehe der Verdacht auf ein Messiesyndrom. In gewohnten Situation gehe es gut, alles Neue funktioniere laut Begleitperson vom PSD nicht.

Für die Zeit nach der dreimonatigen Therapie bei der Psychotherapeutin Dr M im Jahr 1982 und dem Beginn der Betreuung durch den PSD im Jahr 2008 liegen keine medizinischen oder psychologischen Beweismittel (Bestätigungen von diagnostischen Untersuchungen, Behandlungen oder Lebensereignissen) vor.

1982 hat die Bf drei bis vier Monate bei einer Tante in Canada gelebt. Sie hat bis 1984 immer wieder auf einem Hof in Deutschland für einige Monate als Hilfskraft gearbeitet. 1985 ließen sich die Eltern scheiden. Zumindest seit 1986 ist nachgewiesen, dass die Bf im Haushalt ihres Vaters lebte und dort "Kost und Quartier" hatte. Auch die Beiträge zur Selbstversicherung der Bf hat der Vater getragen. Im März 1991 hat sie geheiratet, 1998 wurde der Sohn geboren, seither war die Bf zu Hause. Sie ist bei ihrem Ehemann, der arbeitslos ist und Mindestsicherung beziehe, mitversichert.

Bis zum Tod des Vaters 2008 hat dieser seine Tochter in allen Lebensangelegenheiten (auch Kindererziehung, Ordnung und Hygiene) unterstützt, anschließend erfolgte die Unterstützung durch den Gatten (welcher jedoch selbst zeitweise psychisch belastet ist) und seit etwa zehn Jahren erfolgt die Unterstützung durch den PSD.

Die Bf hat 4 Jahre Volksschule, 1 Jahr Gymnasium, 4 Jahre Hauptschule besucht. Der polytechnische Lehrgang wurde wegen Mobbings abgebrochen. Die Bf hat versucht, eine Lehrstelle zu finden und auch die ***2*** Schule für wirtschaftliche Frauenberufe begonnen. Um welche Lehrstellen es sich dabei konkret gehandelt hat, geht aus dem Verwaltungsakt nicht hervor. 1988 hat sie in der Regalbetreuung bei einer Lebensmittelhandelskette gearbeitet. Sie hat versucht in Supermärkten zu arbeiten, vor allem bei der Kassa habe es nicht geklappt.

Die aktuellen Beschwerden der Bf sind eine herabgesetzte körperliche und psychische Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen und Ängste in sozialen Situationen.

Die Bf hat in der Vergangenheit keine Medikamente genommen und nimmt auch derzeit keine. Seit zirka zehn Jahren erfolgt eine sozialarbeiterische Betreuung der Familie zur Aufrechterhaltung der psychischen Stabilität sowie der Unterstützung in allen Alltagsbelangen (Ordnung, persönliche Hygiene, Amtswege etc.), seit 2017 erfolgt auch eine fachärztliche Betreuung durch den PSD-Psychiater, den die Bf alle drei Wochen aufsucht.

Ein anlässlich der zweiten Begutachtung durchgeführter Test über die intellektuellen Leistungen der Bf ergab eine durchschnittliche intellektuelle Begabung mit einem Begabungsschwerpunkt im verbalen Bereich. Im psychischen Bereich bestehe eine Persönlichkeitsstörung mit Elementen des schizoiden, des ängstlich-vermeidenden und des abhängigen Typs. Zu letzterem Ergebnis kamen alle drei Begutachtungen.

Insgesamt wird die Bf von den Gutachtern und Gutachterinnen einheitlich wie folgt beschrieben: Bewusstseinslage klar, allseits orientiert, Aufmerksamkeit, Auffassung und Konzentration reduziert, Gedankenductus: geordnet, kohärent, Antrieb reduziert; Tempo habituell, formal umständlich weitschweifig, teilweise vorbeiredend, psychotische Symptomatik wird negiert, Stimmungslage ausgeglichen, Affekte: arm, angepasst, keine produktive Symptomatik, Schlaf gut, fragliches zwanghaftes Sammeln und Horten, keine akute Suizidalität, kooperativ und freundlich, zu Beginn sehr wortkarg, im Verlauf erzählt sie auch von sich aus., kein schwerwiegendes kognitiv- mnestisches Defizit, Stimmungslage ausgeglichen, wenig affizierbar.

Ansonsten ist die Bf nach allen drei Gutachten körperlich gesund.

Das erste und das dritte Gutachten kamen zum Ergebnis, dass der Verlust der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist. Das zweite Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine behinderungsbedingte Selbsterhaltungsunfähigkeit mangels ausreichender diagnostischer Beweismittel nicht als erwiesen angenommen werden könne.

Beweismittel und Beweiswürdigung

Beschwerdevorbringen, drei Sachverständigengutachten und drei Bescheinigungen vom BASB vom , vom und vom , von der Bf vorgelegte Beweismittel, insbesondere rückwirkende Bestätigung von Frau Dr M, Herabsetzungsanträge des Vaters der Bf aus den Jahren 1986 bis 1990.

Obige Sachverhaltsfeststellung ergab sich aus den vorgelegten Beweismitteln aufgrund folgender Überlegungen.

Die Feststellung zur Anamnese und Sozialanamnese erfolgte anhand der drei Gutachten und der Herabsetzungsanträge des Vaters der Bf aus den Jahren 1986 bis 1990, die sich schlüssig daraus ergab.

Zu den "derzeitigen Beschwerden" führen die Gutachten aus:

Gutachten vom :
Als Kind war ich extrem schüchtern, jetzt ist es leichter. Teilweise bin ich auch noch schüchtern, ich brauche länger bis ich Vertrauen fasse. Ich lese gerne, wenn es leise ist. Fernsehen nur, was mich interessiert. Ich mache nicht gerne den Haushalt, aber ich muss. Ich mache es gerne zeitig in der Früh, damit ich am Nachmittag frei habe. Ich habe keine Schwierigkeiten im Alltag, ich gehe nicht gerne einkaufen, aber wenn es sein muss, gehe ich.

Gutachten vom :
Herabgesetzte körperliche und psychische Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen und Ängste in sozialen Situationen.

Gutachten vom :
Im Haushalt brauche sie Unterstützung, die sozialen Kontakte sind eingeschränkt. Tagesablauf: Sie stehe manchmal früher manchmal später auf, frühstücke, füttere die Katzen, versuche den Haushalt zu machen, gehe einkaufen, wenn es nötig sei.

Die im zweiten Gutachten enthaltene Beschreibung fasst die konkreten Beschwerden der Bf objektiv zusammen, weshalb ihr der Vorzug vor den anderen gegeben wird.

Zum Punkt "Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel" führen die drei Gutachten aus:

Gutachten vom :
keine Medikation

Gutachten vom :
Keine Medikation; seit ca. 10 Jahren sozialarbeiterische Betreuung der Familie zur Aufrechterhaltung der psychischen Stabilität sowie der Unterstützung in allen Alltagsbelangen (Ordnung, persönliche Hygiene, Amtswege etc.), seit 2017 auch fachärztl. Betreuung (PSD-Psychiater).

Gutachten vom :
keine Medikamente, alle drei Wochen gehe sie zum PSD

Die Feststellung wurde als Zusammenfassung des 2. und 3. Gutachtens getroffen, die einander ergänzen. Der bloße Hinweis des 1. Gutachtens, dass die Bf keine Medikamente nehme, erscheint angesichts des psychischen Leidens, zu dessen Behandlung auch Therapien zählen, zu kurz gegriffen und angesichts der anderen Gutachten unvollständig.

Zum "Psycho(patho)logischen Status" führen die Gutachten aus:

Gutachten vom :
Bewusstseinslage klar, allseits orientiert, Aufmerksamkeit, Auffassung und Konzentration reduziert, Ductus kohärent, Tempo habituell, formal umständlich weitschweifig, teilweise vorbeiredend, psychotische Symptomatik wird negiert, Stimmungslage ausgeglichen, Affekt arm, Antrieb reduziert, in beiden Skalenbereichen erschwert affizierbar, Schlaf gut, fragliches zwanghaftes Sammeln und Horten, keine akute Suizidalität.

Gutachten vom :
Untersuchungs-Verfahren:
Klinisch-psychologische Exploration
Standard Progressive Matrices (SPM)
Subtests aus 1ST

Untersuchungsergebnisse und Interpretation:

Im SPM werden bei etwas verzögertem Aufgabenverständnis, etwas verlangsamtem Arbeitstempo und guter Anstrengungsbereitschaft 42 Aufgaben richtig gelöst; das Ergebnis entspricht einem IQ von 84. Im Versuch mit dem IST-Subtest RA (praktisch-rechnerische Aufgaben) wird ein Standardwert von 93 (entsprechend IQ 88) erreicht. Im Versuch mit dem IST-Subtest SE (verbale Aufgaben) erfolgt Lesen korrekt mit gegebenem Sinnverständnis, es wird ein Standardwert von 99 (entsprechend IQ 97) erreicht.

Im diagnostischen Kurzinterview berichtet die begleitende Sozialarbeiterin (PSD), dass seit ca. 10 Jahren sozialarbeiterische Betreuung der Familie zur Aufrechterhaltung der psychischen Stabilität sowie der Unterstützung in allen Alltagsbelangen (Ordnung, persönliche Hygiene, Amtswege etc.) erfolgt; fachärztliche Konsultation konnte nach langjähriger Überzeugungsarbeit erst 2017 aufgenommen werden; in Sinne einer Unterstützung zur beruflichen Integration erfolgte wiederholt die Anregung einer Projektteilnahme und zu Kursbesuchen (mit Erleichterungen im Sinne reduzierter Wochenstundenanzahl), welche jedoch regelmäßig an der Kooperation der Pb. (herabgesetzte psychische Belastbarkeit) scheiterte; Behindertenpass sowie Arbeitsassistenz wurden ebenfalls vergeblich angeregt. Eine berufliche Eingliederung sowie die Bewältigung des Alltags ohne maßgebliche Unterstützung konnte nicht erreicht werden.

Gutachten vom :
Kooperativ und freundlich, zu Beginn sehr wortkarg, im Verlauf erzählt sie auch von sich aus. Bewußtseinsklar, voll orientiert, kein schwerwiegendes kognitiv- mnestisches Defizit, Gedankenductus: geordnet, kohärent, teils verlangsamt; Konzentration und Antrieb: reduziert, Stimmungslage ausgeglichen, wenig affizierbar; Affekte: arm, angepasst, keine produktive Symptomatik.

Auch in diesem Punkt besitzt das zweite Gutachten die höchste objektive Aussagekraft, zumal zur Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten der Bf das Ergebnis eines nach wissenschaftlichen Grundsätzen durchgeführten Tests zu Grunde gelegt wurde. Die beiden anderen Gutachten stehen zu dem Testergebnis nicht in Widerspruch, sondern runden das Bild mit der weiteren Beschreibung der Bf ab.

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Gutachten vom :
Aufgrund der vorliegenden relevanten Befunde kann eine rückwirkende Anerkennung ab 03/2017 gewährt werden. Zu diesem Zeitpunkt Diagnosestellung durch eine FÄ für Psychiatrie, die aber unter den aufgenommenen relevanten Befunden nicht enthalten ist.

Gutachten vom :
Eine vorgelegte (rückblickende) Bestätigung psychologischer/psychotherapeutischer Behandlungen für mehrere Einheiten innerhalb von drei Monaten im 15. Lebensjahr durch Frau Dr. M (approximativ 06/1982) ist für die Einstufung mit GdB 50% in diesem Lebensabschnitt nicht hinreichend.

Die berufliche Eingliederung sowie die Bewältigung des Alltags ohne maßgebliche Unterstützung wurde bisher nicht erreicht. Da trotz sozialarbeiterischer Unterstützung und Motivationsarbeit die zumutbaren Behandlungs-und Unterstützungsmaßnahmen (Psychotherapie, psychiatrisch-medikamentöse Behandlung der Angstzustände, Arbeits-Assistenz, Behindertenpass etc.) von der Antragstellerin abgelehnt wurden, ist vom klinisch-psychologischen Standpunkt das Vorliegen einer behinderungsbedingten Selbsterhaltungsunfähigkeit nicht erwiesen.

Gutachten vom :
Nach den Unterlagen und der Anamnese sind in die Jugend zurückreichende Verhaltensauffälligkeiten, Ängste, Überforderung zu erheben. Jedoch liegen keine Befunde vor, die eine daraus resultierende schwerwiegende Funktionseinschränkung vor dem 18./21. LJ in einem solchen Ausmaß dokumentieren, dass sich daraus eine dauernde anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit, die vor dem 18./21. LJ eingetreten ist, ableiten ließe.

Rechtsstandpunkte:

Beschwerdeführerin:

Die Beschreibung der angeführten Befunde ergab sich mit Ausnahme jenes von Frau ***DrM*** mittelbar aus den Sachverständigengutachten.

MRT Gehirn : geringe Erweiterung der inneren und äußeren Liquorräume im Sinne einer Hirnatrophie.

Klinisch-psychologischer Kurzbefund : Persönlichkeitsakzentuierung mit unsicher-vermeidenden und schizoiden Zügen. Aktuell finden sich keine Hinweise auf eine Störung aus dem schizophrenen Formenkreis.

PSD Klosterneuburg, Dr. ***D*** (im Folgenden: DrD)

"Diagnose: organisch bedingte psychische Störung: vermeidende, schizoide Persönlichkeitsstörung, depressives Syndrom bei Anpassungsstörung. [Die Bf] ist seit 2008 in sozialarbeiterischer, seit März 2017 auch in psychiatrischer Betreuung im PSD Klosterneuburg. Dabei zeigte sich, dass die Patientin seit vielen Jahren wiederholt an Anpassungsstörungen mit panikartigen Ängsten sowie depressiver Symptomatik litt, die eine adäquate Alltagsbewältigung erschweren. Die Arbeitsfähigkeit der Patientin war durchwegs weitgehend eingeschränkt aufgrund mangelnder Ausdauer, eingeschränkter psychischer Belastbarkeit und Flexibilität, sowie mangelnder Frustrationstoleranz. Aus der Zusammenschau der Befunde und Gespräche handelt es sich um das Zustandsbild einer organisch psychischen Störung, ausgelöst durch eine kindliche Meningitis, mit einer vermeidend, unsicheren und schizoiden Persönlichkeitsstörung und rezidivierender Anpassungsstörung mit depressiver und ängstlicher Symptomatik."

Psychologischer Befund Dr. ***H*** (im Folgenden: Dr H) aus 09/2017:

Persönlichkeits-Akzentuierung (im Ausmaß einer Persönlichkeitsstörung) mit vermeidenden und schizoiden Zügen. Intellektuelle Leistungsfähigkeit durchschnittlich, im verbalen Bereich gut-durchschnittlich, selektive Aufmerksamkeit beeinträchtigt; keine Hinweise auf Schizophrenie, depressive Symptomatik nur im vegetativen/somatischen Bereich.

Bescheidbeschwerde:

Laut der Erinnerung verschiedener Familienmitglieder sei die Bf bereits als Kind und Jugendliche mehrfach in medizinischer/ psychotherapeutischer/ psychologischer Behandlung gewesen. Leider seien die Unterlagen dazu aufgrund der abgelaufenen Aufbewahrungsfristen bzw. Familienintern vermutlich wegen des Tabus, das einer psychischen Erkrankung anhaftet, vernichtet worden. Eine näher genannte Psychotherapeutin, die die Bf als Jugendliche behandelt habe, konnte eruiert werden und hab eine entsprechende Bestätigung zur Verfügung gestellt. Die Bf habe schon im Pflichtschulalter trotz Unterstützung und Förderung durch ihren Vater massive soziale Probleme im Umgang mit anderen Menschen gehabt und habe aus diesem Grund keine weiterführende Schule besuchen und letztlich auch keine Lehrstelle finden können. Auch sämtliche Arbeitsversuche (etwa bei ASINOE) hätten aufgrund ihres psychischen Ausnahmezustandes immer wieder kurzfristig abgebrochen werden müssen. Die Bf sei dem Stress, in einer Gruppe mit verschiedenen, fremden Menschen (Kolleginnen, Vorgesetzten, Kundinnen) interagieren zu müssen, nicht gewachsen gewesen. Dies könnten Menschen, die die Bf als Kind und Jugendliche sowie als junge Erwachsene vor Erreichung des 25. Lebensjahres gekannt haben, bestätigen.

Bestätigung der Psychotherapeutin ***DrM*** (im Folgenden: Dr M) vom

"Hiermit bestätige ich, dass [die Bf] in ihrem 15. oder 16. Lebensjahr bei mir in psychotherapeutischer Behandlung stand […]. Die Behandlung betrug ca. drei Monate.

Ich versuche eine Zusammenfassung der damaligen Problematik aus meiner Erinnerung:

[Die Bf] kam auf Initiative ihrer Eltern zur psychotherapeutischen Behandlung. Meinen Namen hatten sie von einer befreundeten Familie erfahren, deren Tochter bei mir Autogenes Training erlernt hatte. [Die Bf] hatte Probleme in der Schule, wo sie sich isoliert fühlte, litt unter sozialen Ängsten und wollte nicht mehr in die Schule gehen. Nach dem Wunsch der Eltern sollte die Jugendliche bei mir Autogenes Training erlernen, um damit ruhiger und gelassener zu werden und auch den Schulbesuch nicht mehr in Frage zu stellen.

Die Eltern waren zu Gesprächen mit mir bereit, die meines Erachtens vorhandenen Paarprobleme waren allerdings nicht ansprechbar. Der Vater schien mir stützend und besorgt zu sein, die Mutter eher Leistungen fordernd und die Nöte der Tochter wenig wahrnehmend.

Im Laufe der Behandlung stellte sich heraus, dass [die Bf] damals unter großen sozialen Ängsten und innerer Spannung litt, sowie sich von allen Menschen unverstanden fühlte. Sie berichtete auch wiederholt von ihrem Wunsch, von zu Hause wegzulaufen. Ihre illusionäre Vorstellung war, dass dies alle ihre Probleme lösen würde. Allerdings hatte sie keinerlei Plan, wohin sie dann gehen könnte. Meine Bemerkung, dass sie ja sich selbst überallhin mitnähme, brachte sie zum Nachdenken. Sie erzählte ihrem Vater nun von diesem Wunsch und auch von meiner Bemerkung, die er wohlwollend mir gegenüber erwähnte. Der Wunsch seiner Tochter wegzulaufen, schien ihn keineswegs zu erstaunen, was wohl mit der Grund ist, dass ich mir dies über die lange Zeit hin gemerkt habe.

[Die Bf] erzählte in den psychotherapeutischen Sitzungen wenig von sich und ihrem Gefühlsleben, sie wirkte distanziert. Die innere Spannung vermittelte sie trotzdem deutlich. Sie wollte nicht mehr in die Schule gehen, sah jedoch keine Alternative. Ich weiß noch, dass ich mit ihr konkrete Möglichkeiten besprochen habe und eine Gärtnerlehre sie eventuell interessieren hätte können. Kontaktdaten von Gärtnereien, wo sie sich hätte bewerben können, nahm sie zwar von mir an, konnte jedoch den Schritt zum Kontaktieren einer Firma nicht machen. Wieder erzählte sie dem Vater davon, da er dann mir gegenüber meinte, er sei gerührt über mein Engagement. Ich weiß nicht mehr, ob die Eltern eine Lehre befürwortet haben.

Ich hatte den Eindruck, [die Bf] durchlaufe damals gerade eine für sie sehr schwierige Phase, sie wirkte auf mich orientierungslos und überfordert. Ihre Not war nach meiner Meinung nicht nur der Entwicklungsphase der Pubertät zuzuschreiben.

Als Diagnose vermutete ich eine massive Bindungsstörung mit einem Defizit, ihre Gefühle adäquat wahrzunehmen und einzuordnen: In der Behandlung konnte ich ihre Gefühle nicht wirklich wahrnehmen, von ihrer Angst in der Schule berichtete sie in einer emotional distanzierten Weise. Gefühle von Ärger und Wut schien sie zu vermeiden, evtl, konnte sie diese nicht differenziert wahrnehmen. Dies könnte auch auf depressive Tendenzen weisen, für michwar die Vermutung einer Bindungsstörung allerdings naheliegender - wohl auch wegen des Verhaltens der Eltern. Depressive Züge schienen mir eine Folge der Bindungsstörung zu sein.

Die psychotherapeutische Behandlung schien ihr zwischendurch etwas Entlastung von ihrem inneren Druck, jedoch noch keinen Reifungsschritt ermöglicht zu haben.

Ich hätte ihr die Möglichkeit gewünscht, die Behandlung fortzusetzen, doch konnte ich weder sie noch ihre Eltern von der Notwendigkeit dazu überzeugen."

Vorlageantrag:

Schriftsatz vom :

"Es liegt im Wesen psychiatrischer Erkrankungen, dass die Betroffenen diese häufig nicht als solche wahrnehmen und /oder wahrnehmen können und dass Unterstützungs- sowie Behandlungsangebote daher häufig abgelehnt werden oder nur sporadisch oder in beschränktem Ausmaß angenommen werden.

Laut Außenanamnese war [die Bf] sehr wohl ein auffälliges Kind und hatte als Jugendliche Schwierigkeiten sich in der Schule sozial anzupassen und einzuordnen. Ein sehr behütendes Familiensystem konnte oder wollte in Kindheit und Jugend [der Bf] dies offenbar nicht wahrnehmen und es ist somit unterlassen worden ausreichend professionelle Unterstützung zu organisieren. Dazu mag auch Angst vor Stigmatisierung beigetragen haben. Nachweislich ist es trotz zahlloser Versuche der Familie nie gelungen für [die Bf] einen Lehrplatz zu finden bzw. haben sämtlich Arbeitsversuche und Kursmaßnahmen immer erfolglos innerhalb weniger Stunden und Tage geendet.

Weitere Unterlagen werden nachgereicht."

1. Ergänzungsschriftsatz vom :

Da das erste Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Bf dauernd außer Stande sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wohingegen das zweite Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Bf NICHT dauernd außer Stande sein sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, werde die Bf in ihrem subjektiven Recht auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages laut Antrag verletzt. Beide Gutachten seien keineswegs nachvollziehbar und schlüssig, weshalb namens der Bf beantragt wurde, das Bundesfinanzgericht solle ein weiteres Gutachten einholen.

2. Ergänzungsschriftsatz vom

Namens der Bf wurde vorgetragen, die Bf habe noch alte, vom Vater der Bf stammende Unterlagen gefunden, die belegen würden, dass sie bereits vor Erreichen der Volljährigkeit oder unmittelbar darauf erkrankt ist. Es habe auch Unterlagen von der psychiatrischen Ambulanz im AKH gegeben, jedoch seien die Unterlagen leider bereits vernichtet worden. Vorgelegt wurden: Anträge des Vaters der Bf auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage vom und vom , Schreiben vom Vater vom und vom .

Bei dem Schriftsatz vom dürfte es sich um ein Begleitschreiben zu einer behördlichen Eingabe des Vaters handeln, worin er darlegte, dass seine Tochter seit ihrem Schulabgang noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und arbeitslos gewesen sei, was insbesondere das Jahr 1986 betreffe. Vermittlungsversuche des Arbeitsamtes für Jugendliche und jenes für Handel-Transport-Verkehr-Landwirtschaft seien gescheitert. Die Tochter habe die vorgeschlagenen Meldungen nicht sorgfältig wahrgenommen, weshalb sie aufgrund einer internen Weisung immer wieder aus der Liste der Arbeitssuchenden gestrichen worden sei.

Im Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage vom gab die Bf an, dass sie ihren Lebensunterhalt aus den Unterstützungen ihrer geschiedenen Eltern bestreite, dass sie bei ihm wohne und dort "Kost und Quartier" habe. Sie sei jahrelang erfolgslos beim Arbeitsamt gewesen. Die Selbstversicherungsbeiträge zahle ihr Vater.

Im Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage und des Begleitschreibens, beide vom , werden dieselben, unverändert gebliebenen Umstände dargelegt.

3. Ergänzungsschriftsatz vom (Stellungnahme zum dritten Gutachten)

"Erst durch den Tod des Vaters [der Bf] wurde das Ausmaß [ihrer] Beeinträchtigung vollends sichtbar. Der Vater hatte sich immer sehr intensiv um [sie] gekümmert, sie im alltäglichen Leben und bei der Erziehung des Sohnes tatkräftig unterstützt und so konnten viele [ihrer] Defizite erst nach seinem Ableben erkannt werden. Damals stand auch noch eineIntegration [ihrerseits] in den Arbeitsmarkt im Vordergrund der Betreuung. Daher wurde keine Waisenpension in Erwägung gezogen. [Die Bf] wurde von ihrem Vater zwar immer sehr unterstützt, gleichzeitig wurden seitens der Familie aber keine, mir bekannten Versuche gemacht, [ihr] auch professionelle Unterstützung zukommen zu lassen. Ihre Erkrankung wurde familiär offenbar extrem tabuisiert. Erst als [ihr] Gatte auch in die Betreuung eingebundenwerden konnte, wurden viele Zusammenhänge und Probleme offensichtlich und dann der Antrag auf die Zuerkennung der erhöhte Familienbeihilfe gestellt."

[…]

"Im Wesentlich wird von den SMS Gutachternlnnen das Nichtvorliegen des Eintrittes der Unfähigkeit (vor dem 18. bzw.21. Lebensjahr), sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, damit begründet, dass trotz sozialarbeiterischer Unterstützung und entsprechender Motivierung über viele Jahre hinweg zumutbare Behandlungs-und Unterstützungsmaßnahmen von der Antragstellerin verweigert wurden.

Dieser Feststellung möchten wir mit folgenden Argumenten entgegenwirken:

  • Es liegt im Wesen psychiatrischer Erkrankungen, dass Betroffene diese häufig nicht als solche wahrnehmen und/oder wahrnehmen können und dass Unterstützungs- sowie Behandlungsangebote daher häufig abgelehnt werden oder nur sporadisch wahrgenommen werden. Festzustellen ist von unserer Seite jedenfalls, dass es trotz zahlloser Versuche der Familie [der Bf] nie gelungen ist, für Ihre Tochter einen Lehrplatz zu finden, bzw. haben sämtliche Arbeitsversuche und Kursmaßnahmen immer erfolglos geendet.

  • [Die Bf] hatte trotz intensiver Unterstützung durch Ihren Vater, schon im Pflichtschulalter massive soziale Probleme im Umgang mit anderen Menschen. Wie bereits oben ausgeführt sind aufgrund Ihres psychischen Leidens sämtliche Arbeitsversuche gescheitert, da sie dem Stress im Umgang mit einer Gruppe mit fremden Menschen nicht gewachsen war.

  • Laut Ihren Familienmitgliedern war [die Bf] auch als Kind schon in medizinischer/psychotherapeutischer und psychologischer Behandlung, welche aufgrund der abgelaufenen Aufbewahrungsfristen bzw. Familienintern vermutlich wegen des Tabus, das einer psychischen Erkrankung anhaftet, vernichtet wurden.

  • Feststeht jedenfalls, dass Frau ***DrM***, [die Bf] als Jugendliche behandelt hat. Diese Bestätigung wurde im Verfahren bereits vorgelegt und sichert die These dass sie im fraglichen Zeitpunkt sehr wohl in psychischer Behandlung war.

  • Aus diesem Befund von Frau ***DrM*** geht eindeutig hervor, dass sie die Patientin im 15./16. Lebensjahr betreut hat und das [die Bf] bereits damals an Orientierung und Erfahrungslosigkeit litt, die zu sozialen Ängsten und inneren Anspannungen geführt haben.

  • Auch in den bereits vorgelegten Fachärztlichen Befund von Dr. ***D*** (FÄ f. Psychiatrie und Psychotherapeutischer Medizin) wird festgestellt, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine organische psychische Störung ausgelöst durch eine kindliche Meningitis handelt. Somit sei bereits in jungen Jahren die Diagnose einer vermeidend unsicheren und schizoiden Persönlichkeitsstörung und rezidivierender Anpassungsstörung mit depressiver und ängstlicher Symptomatik vorgelegen, jedenfalls bereits vor dem 18.Lebensjahr.

  • [Die Bf] konnte aufgrund Ihres psychischen Leidens auch keine Arbeitslosenversicherungszeiten sammeln, aus diesem Grunde hat Sie auch heute kein Einkommen und ist bei Ihrem Ehemann mitversichert.

Die aufgezählten Punkte widerlegen unserer Meinung die Feststellungen der SMS-Gutachterinnen und wurden durch zahlreiche Unterlagen auch belegt.

[Die Bf] war aus den angeführten Gründen daher bereits vor dem 18. Lebensjahr dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und [ist] mit einem ausreichend[en] Grad der Behinderung von zumindest 50 % rückwirkend einzustufen."

Belangte Behörde

Im dem angefochtenen Bescheid wurde festgestellt, die Unfähigkeit sei nach dem 21. Lebensjahr eingetreten, weshalb § 2 (1) lit c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung nicht erfüllt werde. Es bestehe daher kein Anspruch auf den Grundbetrag der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag. Im Vorlagebericht wurde vertreten, sämtliche drei Gutachten hätten ergeben, die Bf sei außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wobei die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit nicht vor dem 18. Lebensjahr und auch nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei. Die belangte Behörde beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

Rechtsgrundlagen

Gemäß des ersten Satzes des Artikel 7 Abs 1 B-VG sind alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich.

Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung des Bundesgesetzes vom , BGBl I 111/2010 (Budgetbegleitgesetz 2011) besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in der bis gültigen Stammfassung des Bundesgesetzes vom , BGBl 376/1967, bestand Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande waren, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

§ 5 Abs 2 FLAG 1967 lautet:

"Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, denen Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist."

§ 8 Abs 5 und 6 FLAG 1967 lauten:

"(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. […]."

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Die Bescheidbeschwerde ist form- und fristgerecht, jedoch unbegründet.

Entgegen den Ausführungen im Vorlagebericht wurde der Bf mit dem zweiten Gutachten eine mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit nicht bescheinigt, worauf in der Beschwerdevorentscheidung hingewiesen wird.

Die Bf ist verheiratet, jedoch ist laut Sachverhalt der Ehemann nicht in der Lage, der Bf den Ehegattenunterhalt zu leisten. § 5 Abs 2 FLAG 1967 wird nicht erfüllt, sodass ein Eigenanspruch auf den Familienbeihilfengrundbetrag rechtlich möglich ist.

Im angefochtenen Bescheid wurde § 2 (1) c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung herangezogen. Entgegen der belangten Behörde ist das BFG der Auffassung, dass für die im Jahr 1967 geborene Bf § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in seiner Stammfassung heranzuziehen ist. Aus dem dem Art 7 Abs 1 S 1 B-VG innewohnenden Sachlichkeitsgebot ergibt sich, dass die 1967 geborene Bf mit einer Antragstellerin gleichzustellen ist, die- nach der Stammfassung des § 8 leg.cit. - zeitgerecht den Grundbetrag wegen mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit beantragt hatte. Hätte sich diese historische Antragstellerin in einer späteren Berufsausbildung befunden, so wäre ihr die längere Frist bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zur Verfügung gestanden.

In diesem Sinn wird die Rechtslage auch dem Verwaltungsgerichtshof gesehen, wenn er ausführt: "Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. oder 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen" (zB , und Erkenntnisse , , mwN, Hervorhebung durch BFG). Die belangte Behörde hat daher nicht nur die Rechtslage verkannt, sondern auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes außer Acht gelassen.

Welche Fassung des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) und damit welche Frist für den Einzelfall maßgeblich ist, ist eine Rechtfrage, die von der Beihilfenbehörde zu beantworten ist. Die Sachverständigengutachten iSd § 8 Abs 5 und Abs 6 FLAG 1967 haben zum Gegenstand, ob nach medizinischem Fachwissen erweisen werden kann, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit vor dem von der Beihilfenbehörde anhand der im konkreten Einzelfall maßgeblichen Fassung des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) zu bestimmenden Zeitpunkt verloren gegangen ist oder nicht. Es obliegt somit den Beihilfenbehörden, dem BASB den maßgeblichen Zeitpunkt anlässlich der Gutachtensanforderung mitzuteilen. Nach keiner der oben dargestellten Fassungen des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 kam es auf die Vollendung des 18. Lebensjahres an.

Da die Bf das Polytechnikum abgebrochen hat, ist für sie die kürzere Frist maßgeblich. Da auch die Gutachten über diesen Zeitraum abgesprochen haben, können die Sachverständigengutachten herangezogen werden.

Vom BASB wurden entsprechend ihrer Vorlage sämtliche Befunde und andere als Beweismittel vorgelegten Unterlagen eingesehen. Das Gutachten vom hat sämtliche vorgelegten und nachreichten Beweismittel berücksichtigt und ist daher vollständig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis , ausgesprochen, dass es im Fall des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG weder auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu irgendeiner Behinderung führt, sondern dass der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl zB , und Erkenntnisse , , mwN).

Die Gutachten der Ärzte des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen […] dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind daher verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Bundessozialamtes zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (zB , , jeweils mwN).

Vor der vom VwGH in ständiger Rechtsprechung getroffenen Aussage, dass allein der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ergibt sich, dass das erste und das dritte Gutachten diese Frage schlüssig und beantwortet haben.

Auf die Gründe, weshalb medizinische Behandlungen nicht in Anspruch genommen oder diagnostische Unterlagen vernichtet wurden, kommt es auch dann nicht an, wenn es im Wesen psychiatrischer Erkrankungen liegen sollte, Unterstützungs- sowie Behandlungsangebote abzulehnen. Objektiv ist festzustellen, dass die in der Kindheit erfolgte Erkrankung an Meningitis durch Befunde nicht nachgewiesen wurde und dass das erste medizinische Beweismittel, das von einer Fachärztin erstellt wurde, die rückwirkende Bestätigung der Psychotherapeutin Dr M vom ist, die die Bf etwa im Jahr 1982 wegen Schulverweigerung für drei Monate behandelt hat. Die im Jahr 1982 aufgesuchte Psychotherapeutin hat der Bf eine Lehre zugetraut und eine möglicherweise drohende Selbsterhaltungsunfähigkeit aus damaliger Sicht nicht bestätigt. Über den anschließenden Zeitraum bis zum Kontakt mit dem PSD im Jahr 2008 liegen keine medizinisch-diagnostischen Unterlagen vor.

Das dritte Gutachten ist zu dem Ergebnis kommen, dass mangels Vorliegens medizinisch-diagnostischer Unterlagen der Verlust der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist. Die im Vorlageantrag erhobenen Vorwürfe erweisen sich mangels medizinisch-diagnostischer Nachweise als nicht substantiiert. Es ist nicht unschlüssig, dass das dritte Gutachten aus dem vorlegten Schriftverkehr des Vaters mit der Sozialversicherungsanstalt nicht auf eine mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres geschlossen hat. Ob ein Grad der Behinderung von 50% ab 3/2017 oder 1/2008 vorliegt, ist rechtlich unerheblich.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Aufgrund des Vorlageantrages beauftragte die belangte Behörde das BASB zum dritten Mal mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Auch das dritte Gutachten wurde der belangten Behörde entgegen der oben angeführten Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts nicht übermittelt.

Wien, am

Aufgrund des Ergebnisses des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens ist folgender Sachverhalt festzustellen:

Die Bf wurde am ***xxx*** 1967 geboren. Mit circa neun Jahren (1976/77) erkrankte sie an einer Meningitis, die nur vom Hausarzt diagnostiziert wurde. Eine stationäre Aufnahme in ein Krankenhaus erfolgte nicht. Mit neun oder zahn Jahren wurde einmalig die psychiatrische Ambulanz im AKH besucht. Mit circa zehn Jahren (1977/78) setzten Schwierigkeiten beim Lernen, vor allem in Mathematik, ein. In der Volksschule haben auch schon Schwierigkeiten beim Lernen bestanden. Die Bf Beschreibt in der Pubertät Impulskontrollstörung mit verbal aggressivem Verhalten. Über die Meningitis liegen keine Befunde vor.

Im Alter von 15 Jahren (1982) war die Bf für drei Monate in psychotherapeutischer Betreuung bei Frau Dr M. Die Psychotherapeutin legte dar, dass die Not der Bf nach ihrer Meinung nicht nur der Entwicklungsphase der Pubertät zuzuschreiben gewesen sei, und erinnerte sich an Bindungsstörungen und vorhandenen Paarprobleme der Eltern, was durch die 1985 erfolgte Scheidung der Eltern belegt wird. Der Vater schien ihr stützend und besorgt zu sein, die Mutter eher Leistungen fordernd und die Nöte der Tochter wenig wahrnehmend. Die Psychotherapeutin hat der Bf damals eine Lehre zugetraut. In der von der Dr M ausgestellten Bestätigung vom wird nicht die Aussage getroffen, dass bereits im Jahr 1982 erkennbar war oder ernsthaft zu vermuten gewesen wäre, dass die Bf voraussichtlich außer Stande sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Sie konnte weder die Bf noch ihre Eltern von der Notwendigkeit einer Weiterführung der Therapie überzeugen. Der nächste medizinische Befund ist der Kontakt der Bf zum PSD im Jahr 2008.

Im Jahr 2008 erfolgte der erste Kontakt zum PSD, wegen Mobbings des Ehemannes am Arbeitsplatz. Die Bf hat zu Beginn nur sozialarbeiterische Unterstützung in Anspruch genommen. Derzeit kommt es immer wieder zu Konflikten in der Familie. Seit dem Tod des Vaters vor sieben Jahren sei eine Verschlechterung ihrer Situation laut PSD festzustellen. Laut Außenanamnese bestehe der Verdacht auf ein Messiesyndrom. In gewohnten Situation gehe es gut, alles Neue funktioniere laut Begleitperson vom PSD nicht.

Für die Zeit nach der dreimonatigen Therapie bei der Psychotherapeutin Dr M im Jahr 1982 und dem Beginn der Betreuung durch den PSD im Jahr 2008 liegen keine medizinischen oder psychologischen Beweismittel (Bestätigungen von diagnostischen Untersuchungen, Behandlungen oder Lebensereignissen) vor.

1982 hat die Bf drei bis vier Monate bei einer Tante in Canada gelebt. Sie hat bis 1984 immer wieder auf einem Hof in Deutschland für einige Monate als Hilfskraft gearbeitet. 1985 ließen sich die Eltern scheiden. Zumindest seit 1986 ist nachgewiesen, dass die Bf im Haushalt ihres Vaters lebte und dort "Kost und Quartier" hatte. Auch die Beiträge zur Selbstversicherung der Bf hat der Vater getragen. Im März 1991 hat sie geheiratet, 1998 wurde der Sohn geboren, seither war die Bf zu Hause. Sie ist bei ihrem Ehemann, der arbeitslos ist und Mindestsicherung beziehe, mitversichert.

Bis zum Tod des Vaters 2008 hat dieser seine Tochter in allen Lebensangelegenheiten (auch Kindererziehung, Ordnung und Hygiene) unterstützt, anschließend erfolgte die Unterstützung durch den Gatten (welcher jedoch selbst zeitweise psychisch belastet ist) und seit etwa zehn Jahren erfolgt die Unterstützung durch den PSD.

Die Bf hat 4 Jahre Volksschule, 1 Jahr Gymnasium, 4 Jahre Hauptschule besucht. Der polytechnische Lehrgang wurde wegen Mobbings abgebrochen. Die Bf hat versucht, eine Lehrstelle zu finden und auch die ***2*** Schule für wirtschaftliche Frauenberufe begonnen. Um welche Lehrstellen es sich dabei konkret gehandelt hat, geht aus dem Verwaltungsakt nicht hervor. 1988 hat sie in der Regalbetreuung bei einer Lebensmittelhandelskette gearbeitet. Sie hat versucht in Supermärkten zu arbeiten, vor allem bei der Kassa habe es nicht geklappt.

Die aktuellen Beschwerden der Bf sind eine herabgesetzte körperliche und psychische Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen und Ängste in sozialen Situationen.

Die Bf hat in der Vergangenheit keine Medikamente genommen und nimmt auch derzeit keine. Seit zirka zehn Jahren erfolgt eine sozialarbeiterische Betreuung der Familie zur Aufrechterhaltung der psychischen Stabilität sowie der Unterstützung in allen Alltagsbelangen (Ordnung, persönliche Hygiene, Amtswege etc.), seit 2017 erfolgt auch eine fachärztliche Betreuung durch den PSD-Psychiater, den die Bf alle drei Wochen aufsucht.

Ein anlässlich der zweiten Begutachtung durchgeführter Test über die intellektuellen Leistungen der Bf ergab eine durchschnittliche intellektuelle Begabung mit einem Begabungsschwerpunkt im verbalen Bereich. Im psychischen Bereich bestehe eine Persönlichkeitsstörung mit Elementen des schizoiden, des ängstlich-vermeidenden und des abhängigen Typs. Zu letzterem Ergebnis kamen alle drei Begutachtungen.

Insgesamt wird die Bf von den Gutachtern und Gutachterinnen einheitlich wie folgt beschrieben: Bewusstseinslage klar, allseits orientiert, Aufmerksamkeit, Auffassung und Konzentration reduziert, Gedankenductus: geordnet, kohärent, Antrieb reduziert; Tempo habituell, formal umständlich weitschweifig, teilweise vorbeiredend, psychotische Symptomatik wird negiert, Stimmungslage ausgeglichen, Affekte: arm, angepasst, keine produktive Symptomatik, Schlaf gut, fragliches zwanghaftes Sammeln und Horten, keine akute Suizidalität, kooperativ und freundlich, zu Beginn sehr wortkarg, im Verlauf erzählt sie auch von sich aus., kein schwerwiegendes kognitiv- mnestisches Defizit, Stimmungslage ausgeglichen, wenig affizierbar.

Ansonsten ist die Bf nach allen drei Gutachten körperlich gesund.

Das erste und das dritte Gutachten kamen zum Ergebnis, dass der Verlust der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist. Das zweite Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass eine behinderungsbedingte Selbsterhaltungsunfähigkeit mangels ausreichender diagnostischer Beweismittel nicht als erwiesen angenommen werden könne.

Beweismittel und Beweiswürdigung

Beschwerdevorbringen, drei Sachverständigengutachten und drei Bescheinigungen vom BASB vom , vom und vom , von der Bf vorgelegte Beweismittel, insbesondere rückwirkende Bestätigung von Frau Dr M, Herabsetzungsanträge des Vaters der Bf aus den Jahren 1986 bis 1990.

Obige Sachverhaltsfeststellung ergab sich aus den vorgelegten Beweismitteln aufgrund folgender Überlegungen.

Die Feststellung zur Anamnese und Sozialanamnese erfolgte anhand der drei Gutachten und der Herabsetzungsanträge des Vaters der Bf aus den Jahren 1986 bis 1990, die sich schlüssig daraus ergab.

Zu den "derzeitigen Beschwerden" führen die Gutachten aus:

Gutachten vom :
Als Kind war ich extrem schüchtern, jetzt ist es leichter. Teilweise bin ich auch noch schüchtern, ich brauche länger bis ich Vertrauen fasse. Ich lese gerne, wenn es leise ist. Fernsehen nur, was mich interessiert. Ich mache nicht gerne den Haushalt, aber ich muss. Ich mache es gerne zeitig in der Früh, damit ich am Nachmittag frei habe. Ich habe keine Schwierigkeiten im Alltag, ich gehe nicht gerne einkaufen, aber wenn es sein muss, gehe ich.

Gutachten vom :
Herabgesetzte körperliche und psychische Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen und Ängste in sozialen Situationen.

Gutachten vom :
Im Haushalt brauche sie Unterstützung, die sozialen Kontakte sind eingeschränkt. Tagesablauf: Sie stehe manchmal früher manchmal später auf, frühstücke, füttere die Katzen, versuche den Haushalt zu machen, gehe einkaufen, wenn es nötig sei.

Die im zweiten Gutachten enthaltene Beschreibung fasst die konkreten Beschwerden der Bf objektiv zusammen, weshalb ihr der Vorzug vor den anderen gegeben wird.

Zum Punkt "Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel" führen die drei Gutachten aus:

Gutachten vom :
keine Medikation

Gutachten vom :
Keine Medikation; seit ca. 10 Jahren sozialarbeiterische Betreuung der Familie zur Aufrechterhaltung der psychischen Stabilität sowie der Unterstützung in allen Alltagsbelangen (Ordnung, persönliche Hygiene, Amtswege etc.), seit 2017 auch fachärztl. Betreuung (PSD-Psychiater).

Gutachten vom :
keine Medikamente, alle drei Wochen gehe sie zum PSD

Die Feststellung wurde als Zusammenfassung des 2. und 3. Gutachtens getroffen, die einander ergänzen. Der bloße Hinweis des 1. Gutachtens, dass die Bf keine Medikamente nehme, erscheint angesichts des psychischen Leidens, zu dessen Behandlung auch Therapien zählen, zu kurz gegriffen und angesichts der anderen Gutachten unvollständig.

Zum "Psycho(patho)logischen Status" führen die Gutachten aus:

Gutachten vom :
Bewusstseinslage klar, allseits orientiert, Aufmerksamkeit, Auffassung und Konzentration reduziert, Ductus kohärent, Tempo habituell, formal umständlich weitschweifig, teilweise vorbeiredend, psychotische Symptomatik wird negiert, Stimmungslage ausgeglichen, Affekt arm, Antrieb reduziert, in beiden Skalenbereichen erschwert affizierbar, Schlaf gut, fragliches zwanghaftes Sammeln und Horten, keine akute Suizidalität.

Gutachten vom :
Untersuchungs-Verfahren:
Klinisch-psychologische Exploration
Standard Progressive Matrices (SPM)
Subtests aus 1ST

Untersuchungsergebnisse und Interpretation:

Im SPM werden bei etwas verzögertem Aufgabenverständnis, etwas verlangsamtem Arbeitstempo und guter Anstrengungsbereitschaft 42 Aufgaben richtig gelöst; das Ergebnis entspricht einem IQ von 84. Im Versuch mit dem IST-Subtest RA (praktisch-rechnerische Aufgaben) wird ein Standardwert von 93 (entsprechend IQ 88) erreicht. Im Versuch mit dem IST-Subtest SE (verbale Aufgaben) erfolgt Lesen korrekt mit gegebenem Sinnverständnis, es wird ein Standardwert von 99 (entsprechend IQ 97) erreicht.

Im diagnostischen Kurzinterview berichtet die begleitende Sozialarbeiterin (PSD), dass seit ca. 10 Jahren sozialarbeiterische Betreuung der Familie zur Aufrechterhaltung der psychischen Stabilität sowie der Unterstützung in allen Alltagsbelangen (Ordnung, persönliche Hygiene, Amtswege etc.) erfolgt; fachärztliche Konsultation konnte nach langjähriger Überzeugungsarbeit erst 2017 aufgenommen werden; in Sinne einer Unterstützung zur beruflichen Integration erfolgte wiederholt die Anregung einer Projektteilnahme und zu Kursbesuchen (mit Erleichterungen im Sinne reduzierter Wochenstundenanzahl), welche jedoch regelmäßig an der Kooperation der Pb. (herabgesetzte psychische Belastbarkeit) scheiterte; Behindertenpass sowie Arbeitsassistenz wurden ebenfalls vergeblich angeregt. Eine berufliche Eingliederung sowie die Bewältigung des Alltags ohne maßgebliche Unterstützung konnte nicht erreicht werden.

Gutachten vom :
Kooperativ und freundlich, zu Beginn sehr wortkarg, im Verlauf erzählt sie auch von sich aus. Bewußtseinsklar, voll orientiert, kein schwerwiegendes kognitiv- mnestisches Defizit, Gedankenductus: geordnet, kohärent, teils verlangsamt; Konzentration und Antrieb: reduziert, Stimmungslage ausgeglichen, wenig affizierbar; Affekte: arm, angepasst, keine produktive Symptomatik.

Auch in diesem Punkt besitzt das zweite Gutachten die höchste objektive Aussagekraft, zumal zur Beurteilung der kognitiven Fähigkeiten der Bf das Ergebnis eines nach wissenschaftlichen Grundsätzen durchgeführten Tests zu Grunde gelegt wurde. Die beiden anderen Gutachten stehen zu dem Testergebnis nicht in Widerspruch, sondern runden das Bild mit der weiteren Beschreibung der Bf ab.

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Gutachten vom :
Aufgrund der vorliegenden relevanten Befunde kann eine rückwirkende Anerkennung ab 03/2017 gewährt werden. Zu diesem Zeitpunkt Diagnosestellung durch eine FÄ für Psychiatrie, die aber unter den aufgenommenen relevanten Befunden nicht enthalten ist.

Gutachten vom :
Eine vorgelegte (rückblickende) Bestätigung psychologischer/psychotherapeutischer Behandlungen für mehrere Einheiten innerhalb von drei Monaten im 15. Lebensjahr durch Frau Dr. M (approximativ 06/1982) ist für die Einstufung mit GdB 50% in diesem Lebensabschnitt nicht hinreichend.

Die berufliche Eingliederung sowie die Bewältigung des Alltags ohne maßgebliche Unterstützung wurde bisher nicht erreicht. Da trotz sozialarbeiterischer Unterstützung und Motivationsarbeit die zumutbaren Behandlungs-und Unterstützungsmaßnahmen (Psychotherapie, psychiatrisch-medikamentöse Behandlung der Angstzustände, Arbeits-Assistenz, Behindertenpass etc.) von der Antragstellerin abgelehnt wurden, ist vom klinisch-psychologischen Standpunkt das Vorliegen einer behinderungsbedingten Selbsterhaltungsunfähigkeit nicht erwiesen.

Gutachten vom :
Nach den Unterlagen und der Anamnese sind in die Jugend zurückreichende Verhaltensauffälligkeiten, Ängste, Überforderung zu erheben. Jedoch liegen keine Befunde vor, die eine daraus resultierende schwerwiegende Funktionseinschränkung vor dem 18./21. LJ in einem solchen Ausmaß dokumentieren, dass sich daraus eine dauernde anhaltende Selbsterhaltungsunfähigkeit, die vor dem 18./21. LJ eingetreten ist, ableiten ließe.

Rechtsstandpunkte:

Beschwerdeführerin:

Die Beschreibung der angeführten Befunde ergab sich mit Ausnahme jenes von Frau ***DrM*** mittelbar aus den Sachverständigengutachten.

MRT Gehirn : geringe Erweiterung der inneren und äußeren Liquorräume im Sinne einer Hirnatrophie.

Klinisch-psychologischer Kurzbefund : Persönlichkeitsakzentuierung mit unsicher-vermeidenden und schizoiden Zügen. Aktuell finden sich keine Hinweise auf eine Störung aus dem schizophrenen Formenkreis.

PSD Klosterneuburg, Dr. ***D*** (im Folgenden: DrD)

"Diagnose: organisch bedingte psychische Störung: vermeidende, schizoide Persönlichkeitsstörung, depressives Syndrom bei Anpassungsstörung. [Die Bf] ist seit 2008 in sozialarbeiterischer, seit März 2017 auch in psychiatrischer Betreuung im PSD Klosterneuburg. Dabei zeigte sich, dass die Patientin seit vielen Jahren wiederholt an Anpassungsstörungen mit panikartigen Ängsten sowie depressiver Symptomatik litt, die eine adäquate Alltagsbewältigung erschweren. Die Arbeitsfähigkeit der Patientin war durchwegs weitgehend eingeschränkt aufgrund mangelnder Ausdauer, eingeschränkter psychischer Belastbarkeit und Flexibilität, sowie mangelnder Frustrationstoleranz. Aus der Zusammenschau der Befunde und Gespräche handelt es sich um das Zustandsbild einer organisch psychischen Störung, ausgelöst durch eine kindliche Meningitis, mit einer vermeidend, unsicheren und schizoiden Persönlichkeitsstörung und rezidivierender Anpassungsstörung mit depressiver und ängstlicher Symptomatik."

Psychologischer Befund Dr. ***H*** (im Folgenden: Dr H) aus 09/2017:

Persönlichkeits-Akzentuierung (im Ausmaß einer Persönlichkeitsstörung) mit vermeidenden und schizoiden Zügen. Intellektuelle Leistungsfähigkeit durchschnittlich, im verbalen Bereich gut-durchschnittlich, selektive Aufmerksamkeit beeinträchtigt; keine Hinweise auf Schizophrenie, depressive Symptomatik nur im vegetativen/somatischen Bereich.

Bescheidbeschwerde:

Laut der Erinnerung verschiedener Familienmitglieder sei die Bf bereits als Kind und Jugendliche mehrfach in medizinischer/ psychotherapeutischer/ psychologischer Behandlung gewesen. Leider seien die Unterlagen dazu aufgrund der abgelaufenen Aufbewahrungsfristen bzw. Familienintern vermutlich wegen des Tabus, das einer psychischen Erkrankung anhaftet, vernichtet worden. Eine näher genannte Psychotherapeutin, die die Bf als Jugendliche behandelt habe, konnte eruiert werden und hab eine entsprechende Bestätigung zur Verfügung gestellt. Die Bf habe schon im Pflichtschulalter trotz Unterstützung und Förderung durch ihren Vater massive soziale Probleme im Umgang mit anderen Menschen gehabt und habe aus diesem Grund keine weiterführende Schule besuchen und letztlich auch keine Lehrstelle finden können. Auch sämtliche Arbeitsversuche (etwa bei ASINOE) hätten aufgrund ihres psychischen Ausnahmezustandes immer wieder kurzfristig abgebrochen werden müssen. Die Bf sei dem Stress, in einer Gruppe mit verschiedenen, fremden Menschen (Kolleginnen, Vorgesetzten, Kundinnen) interagieren zu müssen, nicht gewachsen gewesen. Dies könnten Menschen, die die Bf als Kind und Jugendliche sowie als junge Erwachsene vor Erreichung des 25. Lebensjahres gekannt haben, bestätigen.

Bestätigung der Psychotherapeutin ***DrM*** (im Folgenden: Dr M) vom

"Hiermit bestätige ich, dass [die Bf] in ihrem 15. oder 16. Lebensjahr bei mir in psychotherapeutischer Behandlung stand […]. Die Behandlung betrug ca. drei Monate.

Ich versuche eine Zusammenfassung der damaligen Problematik aus meiner Erinnerung:

[Die Bf] kam auf Initiative ihrer Eltern zur psychotherapeutischen Behandlung. Meinen Namen hatten sie von einer befreundeten Familie erfahren, deren Tochter bei mir Autogenes Training erlernt hatte. [Die Bf] hatte Probleme in der Schule, wo sie sich isoliert fühlte, litt unter sozialen Ängsten und wollte nicht mehr in die Schule gehen. Nach dem Wunsch der Eltern sollte die Jugendliche bei mir Autogenes Training erlernen, um damit ruhiger und gelassener zu werden und auch den Schulbesuch nicht mehr in Frage zu stellen.

Die Eltern waren zu Gesprächen mit mir bereit, die meines Erachtens vorhandenen Paarprobleme waren allerdings nicht ansprechbar. Der Vater schien mir stützend und besorgt zu sein, die Mutter eher Leistungen fordernd und die Nöte der Tochter wenig wahrnehmend.

Im Laufe der Behandlung stellte sich heraus, dass [die Bf] damals unter großen sozialen Ängsten und innerer Spannung litt, sowie sich von allen Menschen unverstanden fühlte. Sie berichtete auch wiederholt von ihrem Wunsch, von zu Hause wegzulaufen. Ihre illusionäre Vorstellung war, dass dies alle ihre Probleme lösen würde. Allerdings hatte sie keinerlei Plan, wohin sie dann gehen könnte. Meine Bemerkung, dass sie ja sich selbst überallhin mitnähme, brachte sie zum Nachdenken. Sie erzählte ihrem Vater nun von diesem Wunsch und auch von meiner Bemerkung, die er wohlwollend mir gegenüber erwähnte. Der Wunsch seiner Tochter wegzulaufen, schien ihn keineswegs zu erstaunen, was wohl mit der Grund ist, dass ich mir dies über die lange Zeit hin gemerkt habe.

[Die Bf] erzählte in den psychotherapeutischen Sitzungen wenig von sich und ihrem Gefühlsleben, sie wirkte distanziert. Die innere Spannung vermittelte sie trotzdem deutlich. Sie wollte nicht mehr in die Schule gehen, sah jedoch keine Alternative. Ich weiß noch, dass ich mit ihr konkrete Möglichkeiten besprochen habe und eine Gärtnerlehre sie eventuell interessieren hätte können. Kontaktdaten von Gärtnereien, wo sie sich hätte bewerben können, nahm sie zwar von mir an, konnte jedoch den Schritt zum Kontaktieren einer Firma nicht machen. Wieder erzählte sie dem Vater davon, da er dann mir gegenüber meinte, er sei gerührt über mein Engagement. Ich weiß nicht mehr, ob die Eltern eine Lehre befürwortet haben.

Ich hatte den Eindruck, [die Bf] durchlaufe damals gerade eine für sie sehr schwierige Phase, sie wirkte auf mich orientierungslos und überfordert. Ihre Not war nach meiner Meinung nicht nur der Entwicklungsphase der Pubertät zuzuschreiben.

Als Diagnose vermutete ich eine massive Bindungsstörung mit einem Defizit, ihre Gefühle adäquat wahrzunehmen und einzuordnen: In der Behandlung konnte ich ihre Gefühle nicht wirklich wahrnehmen, von ihrer Angst in der Schule berichtete sie in einer emotional distanzierten Weise. Gefühle von Ärger und Wut schien sie zu vermeiden, evtl, konnte sie diese nicht differenziert wahrnehmen. Dies könnte auch auf depressive Tendenzen weisen, für michwar die Vermutung einer Bindungsstörung allerdings naheliegender - wohl auch wegen des Verhaltens der Eltern. Depressive Züge schienen mir eine Folge der Bindungsstörung zu sein.

Die psychotherapeutische Behandlung schien ihr zwischendurch etwas Entlastung von ihrem inneren Druck, jedoch noch keinen Reifungsschritt ermöglicht zu haben.

Ich hätte ihr die Möglichkeit gewünscht, die Behandlung fortzusetzen, doch konnte ich weder sie noch ihre Eltern von der Notwendigkeit dazu überzeugen."

Vorlageantrag:

Schriftsatz vom :

"Es liegt im Wesen psychiatrischer Erkrankungen, dass die Betroffenen diese häufig nicht als solche wahrnehmen und /oder wahrnehmen können und dass Unterstützungs- sowie Behandlungsangebote daher häufig abgelehnt werden oder nur sporadisch oder in beschränktem Ausmaß angenommen werden.

Laut Außenanamnese war [die Bf] sehr wohl ein auffälliges Kind und hatte als Jugendliche Schwierigkeiten sich in der Schule sozial anzupassen und einzuordnen. Ein sehr behütendes Familiensystem konnte oder wollte in Kindheit und Jugend [der Bf] dies offenbar nicht wahrnehmen und es ist somit unterlassen worden ausreichend professionelle Unterstützung zu organisieren. Dazu mag auch Angst vor Stigmatisierung beigetragen haben. Nachweislich ist es trotz zahlloser Versuche der Familie nie gelungen für [die Bf] einen Lehrplatz zu finden bzw. haben sämtlich Arbeitsversuche und Kursmaßnahmen immer erfolglos innerhalb weniger Stunden und Tage geendet.

Weitere Unterlagen werden nachgereicht."

1. Ergänzungsschriftsatz vom :

Da das erste Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Bf dauernd außer Stande sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wohingegen das zweite Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Bf NICHT dauernd außer Stande sein sein werde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, werde die Bf in ihrem subjektiven Recht auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages laut Antrag verletzt. Beide Gutachten seien keineswegs nachvollziehbar und schlüssig, weshalb namens der Bf beantragt wurde, das Bundesfinanzgericht solle ein weiteres Gutachten einholen.

2. Ergänzungsschriftsatz vom

Namens der Bf wurde vorgetragen, die Bf habe noch alte, vom Vater der Bf stammende Unterlagen gefunden, die belegen würden, dass sie bereits vor Erreichen der Volljährigkeit oder unmittelbar darauf erkrankt ist. Es habe auch Unterlagen von der psychiatrischen Ambulanz im AKH gegeben, jedoch seien die Unterlagen leider bereits vernichtet worden. Vorgelegt wurden: Anträge des Vaters der Bf auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage vom und vom , Schreiben vom Vater vom und vom .

Bei dem Schriftsatz vom dürfte es sich um ein Begleitschreiben zu einer behördlichen Eingabe des Vaters handeln, worin er darlegte, dass seine Tochter seit ihrem Schulabgang noch keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und arbeitslos gewesen sei, was insbesondere das Jahr 1986 betreffe. Vermittlungsversuche des Arbeitsamtes für Jugendliche und jenes für Handel-Transport-Verkehr-Landwirtschaft seien gescheitert. Die Tochter habe die vorgeschlagenen Meldungen nicht sorgfältig wahrgenommen, weshalb sie aufgrund einer internen Weisung immer wieder aus der Liste der Arbeitssuchenden gestrichen worden sei.

Im Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage vom gab die Bf an, dass sie ihren Lebensunterhalt aus den Unterstützungen ihrer geschiedenen Eltern bestreite, dass sie bei ihm wohne und dort "Kost und Quartier" habe. Sie sei jahrelang erfolgslos beim Arbeitsamt gewesen. Die Selbstversicherungsbeiträge zahle ihr Vater.

Im Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage und des Begleitschreibens, beide vom , werden dieselben, unverändert gebliebenen Umstände dargelegt.

3. Ergänzungsschriftsatz vom (Stellungnahme zum dritten Gutachten)

"Erst durch den Tod des Vaters [der Bf] wurde das Ausmaß [ihrer] Beeinträchtigung vollends sichtbar. Der Vater hatte sich immer sehr intensiv um [sie] gekümmert, sie im alltäglichen Leben und bei der Erziehung des Sohnes tatkräftig unterstützt und so konnten viele [ihrer] Defizite erst nach seinem Ableben erkannt werden. Damals stand auch noch eineIntegration [ihrerseits] in den Arbeitsmarkt im Vordergrund der Betreuung. Daher wurde keine Waisenpension in Erwägung gezogen. [Die Bf] wurde von ihrem Vater zwar immer sehr unterstützt, gleichzeitig wurden seitens der Familie aber keine, mir bekannten Versuche gemacht, [ihr] auch professionelle Unterstützung zukommen zu lassen. Ihre Erkrankung wurde familiär offenbar extrem tabuisiert. Erst als [ihr] Gatte auch in die Betreuung eingebundenwerden konnte, wurden viele Zusammenhänge und Probleme offensichtlich und dann der Antrag auf die Zuerkennung der erhöhte Familienbeihilfe gestellt."

[…]

"Im Wesentlich wird von den SMS Gutachternlnnen das Nichtvorliegen des Eintrittes der Unfähigkeit (vor dem 18. bzw.21. Lebensjahr), sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, damit begründet, dass trotz sozialarbeiterischer Unterstützung und entsprechender Motivierung über viele Jahre hinweg zumutbare Behandlungs-und Unterstützungsmaßnahmen von der Antragstellerin verweigert wurden.

Dieser Feststellung möchten wir mit folgenden Argumenten entgegenwirken:

  • Es liegt im Wesen psychiatrischer Erkrankungen, dass Betroffene diese häufig nicht als solche wahrnehmen und/oder wahrnehmen können und dass Unterstützungs- sowie Behandlungsangebote daher häufig abgelehnt werden oder nur sporadisch wahrgenommen werden. Festzustellen ist von unserer Seite jedenfalls, dass es trotz zahlloser Versuche der Familie [der Bf] nie gelungen ist, für Ihre Tochter einen Lehrplatz zu finden, bzw. haben sämtliche Arbeitsversuche und Kursmaßnahmen immer erfolglos geendet.

  • [Die Bf] hatte trotz intensiver Unterstützung durch Ihren Vater, schon im Pflichtschulalter massive soziale Probleme im Umgang mit anderen Menschen. Wie bereits oben ausgeführt sind aufgrund Ihres psychischen Leidens sämtliche Arbeitsversuche gescheitert, da sie dem Stress im Umgang mit einer Gruppe mit fremden Menschen nicht gewachsen war.

  • Laut Ihren Familienmitgliedern war [die Bf] auch als Kind schon in medizinischer/psychotherapeutischer und psychologischer Behandlung, welche aufgrund der abgelaufenen Aufbewahrungsfristen bzw. Familienintern vermutlich wegen des Tabus, das einer psychischen Erkrankung anhaftet, vernichtet wurden.

  • Feststeht jedenfalls, dass Frau ***DrM***, [die Bf] als Jugendliche behandelt hat. Diese Bestätigung wurde im Verfahren bereits vorgelegt und sichert die These dass sie im fraglichen Zeitpunkt sehr wohl in psychischer Behandlung war.

  • Aus diesem Befund von Frau ***DrM*** geht eindeutig hervor, dass sie die Patientin im 15./16. Lebensjahr betreut hat und das [die Bf] bereits damals an Orientierung und Erfahrungslosigkeit litt, die zu sozialen Ängsten und inneren Anspannungen geführt haben.

  • Auch in den bereits vorgelegten Fachärztlichen Befund von Dr. ***D*** (FÄ f. Psychiatrie und Psychotherapeutischer Medizin) wird festgestellt, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine organische psychische Störung ausgelöst durch eine kindliche Meningitis handelt. Somit sei bereits in jungen Jahren die Diagnose einer vermeidend unsicheren und schizoiden Persönlichkeitsstörung und rezidivierender Anpassungsstörung mit depressiver und ängstlicher Symptomatik vorgelegen, jedenfalls bereits vor dem 18.Lebensjahr.

  • [Die Bf] konnte aufgrund Ihres psychischen Leidens auch keine Arbeitslosenversicherungszeiten sammeln, aus diesem Grunde hat Sie auch heute kein Einkommen und ist bei Ihrem Ehemann mitversichert.

Die aufgezählten Punkte widerlegen unserer Meinung die Feststellungen der SMS-Gutachterinnen und wurden durch zahlreiche Unterlagen auch belegt.

[Die Bf] war aus den angeführten Gründen daher bereits vor dem 18. Lebensjahr dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und [ist] mit einem ausreichend[en] Grad der Behinderung von zumindest 50 % rückwirkend einzustufen."

Belangte Behörde

Im dem angefochtenen Bescheid wurde festgestellt, die Unfähigkeit sei nach dem 21. Lebensjahr eingetreten, weshalb § 2 (1) lit c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung nicht erfüllt werde. Es bestehe daher kein Anspruch auf den Grundbetrag der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag. Im Vorlagebericht wurde vertreten, sämtliche drei Gutachten hätten ergeben, die Bf sei außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wobei die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit nicht vor dem 18. Lebensjahr und auch nicht vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei. Die belangte Behörde beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

Rechtsgrundlagen

Gemäß des ersten Satzes des Artikel 7 Abs 1 B-VG sind alle Staatsbürger vor dem Gesetz gleich.

Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung des Bundesgesetzes vom , BGBl I 111/2010 (Budgetbegleitgesetz 2011) besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in der bis gültigen Stammfassung des Bundesgesetzes vom , BGBl 376/1967, bestand Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande waren, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

§ 5 Abs 2 FLAG 1967 lautet:

"Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, denen Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist."

§ 8 Abs 5 und 6 FLAG 1967 lauten:

"(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. […]."

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Die Bescheidbeschwerde ist form- und fristgerecht, jedoch unbegründet.

Entgegen den Ausführungen im Vorlagebericht wurde der Bf mit dem zweiten Gutachten eine mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit nicht bescheinigt, worauf in der Beschwerdevorentscheidung hingewiesen wird.

Die Bf ist verheiratet, jedoch ist laut Sachverhalt der Ehemann nicht in der Lage, der Bf den Ehegattenunterhalt zu leisten. § 5 Abs 2 FLAG 1967 wird nicht erfüllt, sodass ein Eigenanspruch auf den Familienbeihilfengrundbetrag rechtlich möglich ist.

Im angefochtenen Bescheid wurde § 2 (1) c FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung herangezogen. Entgegen der belangten Behörde ist das BFG der Auffassung, dass für die im Jahr 1967 geborene Bf § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 in seiner Stammfassung heranzuziehen ist. Aus dem dem Art 7 Abs 1 S 1 B-VG innewohnenden Sachlichkeitsgebot ergibt sich, dass die 1967 geborene Bf mit einer Antragstellerin gleichzustellen ist, die- nach der Stammfassung des § 8 leg.cit. - zeitgerecht den Grundbetrag wegen mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit beantragt hatte. Hätte sich diese historische Antragstellerin in einer späteren Berufsausbildung befunden, so wäre ihr die längere Frist bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zur Verfügung gestanden.

In diesem Sinn wird die Rechtslage auch dem Verwaltungsgerichtshof gesehen, wenn er ausführt: "Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. oder 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen" (zB , und Erkenntnisse , , mwN, Hervorhebung durch BFG). Die belangte Behörde hat daher nicht nur die Rechtslage verkannt, sondern auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes außer Acht gelassen.

Welche Fassung des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) und damit welche Frist für den Einzelfall maßgeblich ist, ist eine Rechtfrage, die von der Beihilfenbehörde zu beantworten ist. Die Sachverständigengutachten iSd § 8 Abs 5 und Abs 6 FLAG 1967 haben zum Gegenstand, ob nach medizinischem Fachwissen erweisen werden kann, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit vor dem von der Beihilfenbehörde anhand der im konkreten Einzelfall maßgeblichen Fassung des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 (§ 6 Abs 2 lit d FLAG 1967) zu bestimmenden Zeitpunkt verloren gegangen ist oder nicht. Es obliegt somit den Beihilfenbehörden, dem BASB den maßgeblichen Zeitpunkt anlässlich der Gutachtensanforderung mitzuteilen. Nach keiner der oben dargestellten Fassungen des § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 kam es auf die Vollendung des 18. Lebensjahres an.

Da die Bf das Polytechnikum abgebrochen hat, ist für sie die kürzere Frist maßgeblich. Da auch die Gutachten über diesen Zeitraum abgesprochen haben, können die Sachverständigengutachten herangezogen werden.

Vom BASB wurden entsprechend ihrer Vorlage sämtliche Befunde und andere als Beweismittel vorgelegten Unterlagen eingesehen. Das Gutachten vom hat sämtliche vorgelegten und nachreichten Beweismittel berücksichtigt und ist daher vollständig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis , ausgesprochen, dass es im Fall des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG weder auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu irgendeiner Behinderung führt, sondern dass der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (vgl zB , und Erkenntnisse , , mwN).

Die Gutachten der Ärzte des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen […] dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind daher verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Bundessozialamtes zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (zB , , jeweils mwN).

Vor der vom VwGH in ständiger Rechtsprechung getroffenen Aussage, dass allein der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem diejenige Behinderung (als Folge einer allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ergibt sich, dass das erste und das dritte Gutachten diese Frage schlüssig und beantwortet haben.

Auf die Gründe, weshalb medizinische Behandlungen nicht in Anspruch genommen oder diagnostische Unterlagen vernichtet wurden, kommt es auch dann nicht an, wenn es im Wesen psychiatrischer Erkrankungen liegen sollte, Unterstützungs- sowie Behandlungsangebote abzulehnen. Objektiv ist festzustellen, dass die in der Kindheit erfolgte Erkrankung an Meningitis durch Befunde nicht nachgewiesen wurde und dass das erste medizinische Beweismittel, das von einer Fachärztin erstellt wurde, die rückwirkende Bestätigung der Psychotherapeutin Dr M vom ist, die die Bf etwa im Jahr 1982 wegen Schulverweigerung für drei Monate behandelt hat. Die im Jahr 1982 aufgesuchte Psychotherapeutin hat der Bf eine Lehre zugetraut und eine möglicherweise drohende Selbsterhaltungsunfähigkeit aus damaliger Sicht nicht bestätigt. Über den anschließenden Zeitraum bis zum Kontakt mit dem PSD im Jahr 2008 liegen keine medizinisch-diagnostischen Unterlagen vor.

Das dritte Gutachten ist zu dem Ergebnis kommen, dass mangels Vorliegens medizinisch-diagnostischer Unterlagen der Verlust der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist. Die im Vorlageantrag erhobenen Vorwürfe erweisen sich mangels medizinisch-diagnostischer Nachweise als nicht substantiiert. Es ist nicht unschlüssig, dass das dritte Gutachten aus dem vorlegten Schriftverkehr des Vaters mit der Sozialversicherungsanstalt nicht auf eine mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres geschlossen hat. Ob ein Grad der Behinderung von 50% ab 3/2017 oder 1/2008 vorliegt, ist rechtlich unerheblich.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Aufgrund des Vorlageantrages beauftragte die belangte Behörde das BASB zum dritten Mal mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens. Auch das dritte Gutachten wurde der belangten Behörde entgegen der oben angeführten Erkenntnisse des Bundesfinanzgerichts nicht übermittelt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100557.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at