Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung nach § 206 Abs 1 lit c BAO
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RV/7104233/2019-RS1 | Das Ermessen ist bei der Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung nach § 206 Abs 1 lit c BAO vor allem im Sinne der Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, im Besonderen auch in Anbetracht der Intention des Gesetzgebers hinsichtlich § 41 Abs 1 Z 4 EStG 1988, zu üben. |
RV/7104233/2019-RS2 | Maßnahmen gemäß § 206 Abs 1 lit c BAO liegen im Ermessen der Abgabenbehörde und können gemäß § 269 BAO auch vom Bundesfinanzgericht getroffen werden. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter GK in der Beschwerdesache Bf, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt FA vom , betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2016 und 2017 zu Recht:
I.
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Von der Festsetzung der Einkommensteuer wird gemäß § 206 Abs 1 lit c BAO zur Gänze Abstand genommen.
II.
Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG in Verbindung mit § 25a VwGG ist zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Das Verfahren stellt sich wie folgt dar:
Der Beschwerdeführer (Bf) machte in den Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung 2016 und 2017 vom unter anderem den Alleinverdienerabsetzbetrag sowie den erhöhten Pensionistenabsetzbetrag geltend.
Das Finanzamt erließ am jeweils einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 und 2017, wobei die Behörde feststellte, dass hinsichtlich der Voraussetzungen des Alleinverdienerabsetzbetrages keine Kinder vorhanden sind und hinsichtlich des erhöhten Pensionistenabsetzbetrages der Bf nicht mehr als sechs Monate verheiratet bzw. eingetragener Partner war. Die Einkommensteuer wurde für 2016 mit 10,00 € und für 2017 mit 18,00 € festgesetzt. Laut Lohnzettel der bezugsauszahlenden Stelle wurde bei der Lohnverrechnung ein Freibetrag von 669,96 € in 2016 und 690,00 € in 2017 berücksichtigt. In den Veranlagungen der beiden Jahre wurden bei der Einkommensermittlung jeweils 700,00 € als Sonderausgaben abgezogen.
Dagegen richtete sich die Beschwerde vom mit dem Einwand, dass sich der Bf die Nachforderungen in beiden Jahren nicht erklären könne, da aufgrund der Berücksichtigung von Abzugsposten laut Mitteilung für Arbeitgeber höchstens geringfügige Rundungsfehler im Jahresausgleich auftreten können bzw. bei Unterschreiten eines bestimmten Betrages der Jahresausgleich nicht durchgeführt werden würde.
Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde führte aus:
"Bei der laufenden Lohnverrechnung durch die pensionsauszahlende Stelle wurde ein Freibetrag aufgrund eines Freibetragsbescheides berücksichtigt. Dadurch wurde bereits laufend die Lohnsteuerbemessungsgrundlage verringert und eine geringere Steuer für Sie einbehalten. Durch das nun durchgeführte Einkommensteuerveranlagungsverfahren hat sich herausgestellt, dass dieser Lohnsteuerfreibetrag überhöht war. Ihre Veranlagung wird dadurch zur Pflichtveranlagung. Der Einkommensteuerbescheid kann nicht aufgehoben werden. Die Beschwerde ist daher abzuweisen."
Im Vorlageantrag vom beantragte der Beschwerdeführer die Einkommensteuerbescheide 2016 und 2017 aufzuheben und dem Finanzamt der ersten Instanz eine Neuberechnung aufzutragen. Ein zu gering abgeführter Lohnsteuerbetrag müsse die wahre Ursache sein, dazu mangelt es jedoch an jeglicher Ermittlung und sei deshalb das Verfahren zu ergänzen.
Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde von der belangten Behörde dem Bundesfinanzgericht vorgelegt. Das Finanzamt führte aus:
"Von der bezugsauszahlenden Stelle wurde im Kalenderjahr 2016 ein Freibetrag in Höhe von EUR 669,96 und im Kalenderjahr 2017 ein Freibetrag in Höhe von EUR 690 bei der laufenden Lohnsteuerberechnung berücksichtigt.
Sonderausgaben wurden in den Steuerbescheiden in Höhe von EUR 700 anerkannt. Der Freibetrag ist daher nicht als überhöht anzusehen. Der Einkommensteuerbescheid ist daher aufzuheben, da ein Pflichtveranlagungsgrund nicht vorhanden ist."
Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:
Strittig ist, ob in 2016 und 2017 eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen ist bzw. die Einkommensteuer mit 10,00 € für 2016 und 18,00 € für 2017 festzusetzen ist.
1. Sachverhalt
Die aufgrund der Erklärungen des Bf ergangenen Bescheide stellten die Einkommensteuer für 2016 mit 10,00 € und für 2017 mit 18,00 € fest. Laut Lohnzettel der bezugsauszahlenden Stelle wurde bei der Lohnverrechnung ein Freibetrag von 669,96 € in 2016 und 690,00 € in 2017 berücksichtigt. In den Veranlagungen der beiden Jahre wurden bei der Einkommensermittlung jeweils 700,00 € als Sonderausgaben abgezogen.
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus dem Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung (siehe I.)
§ 41 Abs 1 EStG 1988 lautet auszugsweise:
"Sind im Einkommen lohnsteuerpflichtige Einkünfte enthalten, so ist der Steuerpflichtige zu veranlagen, wenn
[…]
4. ein Freibetragsbescheid für das Kalenderjahr gemäß § 63 Abs. 1 […] berücksichtigt wurde,
[…]"
§ 206 BAO lautet auszugsweise:
"(1) Die Abgabenbehörde kann von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen,
[…]
c) wenn in einer Mehrheit von gleichgelagerten Fällen der behördliche Verwaltungsaufwand außer Verhältnis zur Höhe der festzusetzenden Abgabe steht.
(2) […]"
Wurde ein Freibetragsbescheid gemäß § 63 EStG 1988 erlassen und ist aufgrund einer Mitteilung zur Vorlage beim Arbeitgeber ein Freibetrag im Rahmen der laufenden Lohnverrechnung berücksichtigt worden, ist, wenn im Einkommen lohnsteuerpflichtige Einkünfte enthalten sind, der Steuerpflichtige gemäß § 41 Abs 1 Z 4 EStG 1988 zu veranlagen. Dies entspricht dem eindeutigen Wortlaut dieser Gesetzesbestimmung und der Absicht des Gesetzgebers ("dass ein Pflichtveranlagungstatbestand stets vorliegt, wenn ein Freibetragsbescheid bei der Lohnverrechnung berücksichtigt worden ist" vgl ErläutRV 1960 BlgNR 24. GP 22 zur Änderung des § 41 Abs 1 Z 4 EStG 1988).
Der Ansicht der belangten Behörde im Vorlagebericht, dass die Einkommensteuerbescheide aufzuheben sind, da die Freibeträge laut Freibetragsbescheid im Vergleich zu den in der Veranlagung abzuziehenden Sonderausgaben nicht als überhöht anzusehen sind, ist nicht zu folgen. Diese Ansicht entspricht der bis gültigen Fassung des § 41 Abs 1 Z 4 EStG 1988 idF BGBl I Nr 22/2012, ist aber nicht mehr anzuwenden.
Eine Veranlagung hat daher in 2016 wie auch in 2017 verpflichtend zu erfolgen.
Gemäß § 206 Abs 1 lit c BAO kann die Abgabenbehörde von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen, wenn in einer Mehrheit von gleichgelagerten Fällen der behördliche Verwaltungsaufwand außer Verhältnis zur Höhe der festzusetzenden Abgabe steht.
In der Fassung von BGBl Nr 412/1988 war noch eine betragliche Einschränkung von 100,00 ATS vorgesehen, die jedoch durch das Abgabenänderungsgesetz 1989 (BGBl Nr 660/1989) zu Gunsten einer flexibleren Handhabung aufgegeben wurde (GP XVII IA 313/A).
Diese Bestimmung dient dem Grundsatz der Sparsamkeit der Verwaltung und somit der Verwirklichung des zB im Art 126b Abs 5 B-VG geforderten Grundsatzes des Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung (Ritz, BAO6 § 206 Rz 8).
Maßnahmen gemäß § 206 BAO liegen im Ermessen der Abgabenbehörde (Ritz, BAO6 § 206 Rz 1 mwN) und können gemäß § 269 BAO auch vom Bundesfinanzgericht getroffen werden.
Die Erklärung des Bf, es habe eine Neuberechnung stattzufinden, der Jahresausgleich sei bei Unterschreiten eines bestimmten Betrages nicht durchzuführen verbunden mit der Erklärung, die Einkommensteuerbescheide seien aufzuheben, ist nach dem objektiven Erklärungswert als Begehren nach § 206 BAO zu werten und ist daher darüber in diesem Erkenntnis abzusprechen (vgl Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 206 Anm 1).
Zur Neufassung des § 41 Abs 1 Z 4 EStG 1988 mit BGBl I Nr 112/2012 und der damit vorgesehenen Pflichtveranlagung, wenn ein Freibetragsbescheid bei der Lohnverrechnung berücksichtigt wurde, stellen die Beilagen (1960 BlgNR 24. GP 22) die Beweggründe dar:
"Schon bisher liegt ein Pflichtveranlagungstatbestand vor, wenn die im Freibetragsbescheid berücksichtigten besonderen Verhältnisse nicht in der ausgewiesenen Höhe zustehen. In Fällen begünstigter Auslandstätigkeit können in einem Freibetragsbescheid enthaltene Werbungskosten für Reisen, Familienheimfahrten und doppelte Haushaltsführung im Rahmen des Lohnsteuerabzuges zu Unrecht berücksichtigt worden sein. Da eine Richtigstellung in diesen Fällen auf Grund des bestehenden Gesetzeswortlautes nicht erfolgen kann, soll die Bestimmung dahingehend geändert werden, dass ein Pflichtveranlagungstatbestand stets vorliegt, wenn ein Freibetragsbescheid bei der Lohnverrechnung berücksichtigt worden ist."
Wenn die in der Veranlagung zustehenden Sonderausgaben jenen Betrag übersteigen, der laut Freibetragsbescheid im Rahmen der Lohnverrechnung Berücksichtigung fand, so war nach der bis geltenden Fassung des § 41 Abs 1 Z 4 EStG 1988 (BGBl I Nr 22/2012) kein Pflichtveranlagungstatbestand gegeben. Aus dem im vorigen Absatz angeführten Erläuterungstext ist jedoch der eindeutige Wille des Gesetzgebers zu erkennen, dass jedenfalls bei Berücksichtigung eines Freibetragsbescheides eine Veranlagung verpflichtend durchzuführen ist. Daher ist auch keine den eindeutigen Wortlaut einschränkende Auslegung möglich.
Dass in der vorliegenden Rechtssache im Vergleich zu in der Veranlagung abzuziehenden Sonderausgaben ein geringerer Freibetrag in der Lohnverrechnung berücksichtigt wurde und die in den Erläuterungen angesprochene Auslandstätigkeit nicht gegeben ist, ist jedoch nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts im Rahmen der Ermessensübung zu § 206 Abs 1 lit c BAO einzubeziehen.
Im Beschwerdeverfahren hat das Bundesfinanzgericht gemäß § 279 Abs 1 BAO immer in der Sache selbst zu entscheiden und ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen. Dies betrifft auch die Ermessensübung, die von der belangten Behörde gänzlich fehlt.
Ermessensentscheidungen sind gemäß § 20 BAO innerhalb der von den Gesetzen gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.
Zweckmäßigkeit bezieht die Intention des Gesetzgebers bei der Neufassung des hier einschlägigen Pflichtveranlagungstatbestandes und die Verfahrensökonomie ein und meint die Orientierung an den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit vor allem auch in Hinsicht auf die Höhe der festzusetzenden Abgabe.
Eine Veranlagung ist nach § 41 Abs 1 Z 4 EStG 1988 verpflichtend durchzuführen. Da jedoch nach der gesetzgeberischen Absicht die in der Lohnverrechnung berücksichtigten Freibeträge jedenfalls in dieser Höhe zustehen, keine Risikosachverhalte vorliegen, die festzusetzende Abgabe in beiden Jahren als geringfügig anzusehen ist, steht der behördliche Verwaltungsaufwand außer Verhältnis zur Höhe der festzusetzenden Abgabe.
Es stehen im Sinne der Billigkeit keine berechtigten Interessen des Bf der Maßnahme nach § 206 Abs 1 lit c BAO entgegen und ist daher von der Festsetzung der Einkommensteuer von 10,00 € in 2016 und 18,00 € in 2017 zur Gänze abzusehen.
4. Zulässigkeit der Revision (siehe II.)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Ermessensübung betreffend § 206 Abs 1 lit c BAO in Bezug auf § 41 Abs 1 Z 4 EStG 1988 und der Festsetzung von Kleinbeträgen fehlt, liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor.
Hinweis zum 2. COVID-19-Gesetz
Abweichend von der folgenden Rechtsbelehrung beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung - sofern diese vor dem zugestellt wurde - mit zu laufen (§ 6 Abs 2 iVm § 1 Abs 1 des Art 16 2. COVID-19-Gesetz BGBl I Nr 16/2020).
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 41 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 206 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 206 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 25a VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 § 279 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7104233.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at