Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 08.04.2021, RV/7100826/2019

Einstellung des Beschwerdeverfahrens bei gegebener Überschuldung des Nachlasses

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Anna Mechtler-Höger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, betreffend die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom betreffend Festsetzung der Kapitalertragsteuer für die Jahre 2009 bis 2012, Steuernummer ***BF1StNr1***, beschlossen:

Das Beschwerdeverfahren wird eingestellt.

Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Der am xx.xx.2017 verstorbene AB war in den Streitjahren 2009 bis 2012 Geschäftsführer der GmbH und zu 49% an dieser Gesellschaft beteiligt.

Im Zuge einer die Streitjahre umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung wurden verdeckte Ausschüttungen festgestellt und unter anderem AB zugerechnet. Die Kapitalertragsteuer wurde mit Bescheiden vom direkt dem Gesellschafter-Geschäftsführer vorgeschrieben.

Mit Schriftsatz vom wurde gegen diese Bescheide Beschwerde erhoben, welche mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen und an die Verlassenschaft nach AB adressiert wurde.

Im Vorlageantrag führte der steuerliche Vertreter aus, die Vorschreibung der Kapitalertragsteuer hätte richtigerweise an die GmbH erfolgen müssen, weil nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Empfänger der Kapitalerträge nur ausnahmsweise in Anspruch genommen werde. Ein solcher Ausnahmefall sei nicht behauptet und auch nicht schlüssig dargetan worden. Weder der Bp-Bericht noch die Beschwerdevorentscheidung würden Aussagen zu den subjektiven Voraussetzungen enthalten, weshalb sich die KESt-Vorschreibung als rechtswidrig erweise.

Dem von der belangten Behörde vorgelegten Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom ist zu entnehmen, dass die Verlassenschaft mit einem Betrag von 76.239,27 € überschuldet war. Die Aktiva in Höhe von 3.113,50 € wurden CD gegen Bezahlung der Todfallskosten in Höhe von 4.897,16 € überlassen. In der Begründung dieses Beschlusses wird ausgeführt, die Voraussetzungen gemäß §§ 154 und 155 AußStrG für eine Überlassung an Zahlungs statt seien gegeben, weil

  • die Verlassenschaft überschuldet sei,

  • ein Antrag auf Überlassung an Zahlungs statt gestellt worden sei,

  • keine unbedingte Erbantrittserklärung und kein Antrag auf Überlassung der Verlassenschaft als erblos vorliege und

  • kein Verlassenschaftskonkurs eröffnet worden sei.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt:

AB war in den Streitjahren 2009 bis 2012 Geschäftsführer der GmbH und zu 49% an dieser Gesellschaft beteiligt.

Im Zuge einer bei der GmbH durchgeführten Betriebsprüfung wurde für die Streitjahre 2009 bis 2012 der Zufluss von verdeckten Ausschüttungen an AB in folgender Höhe festgestellt:


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2009
2010
2011
2012
5.880 €
9,187,50 €
30.865,10 €
12.279,40 €

Die darauf entfallende Kapitalertragsteuer wurde AB direkt vorgeschrieben und von diesem entrichtet.

AB verstarb am xx.xx.2017. Die Verlassenschaft war mit einem Betrag von 76.239,27 € überschuldet, die Aktiva in Höhe von 3.113,50 € wurden CD gegen Bezahlung der Todfallskosten von 4.897,16 € gemäß § 154 AußStrG an Zahlungs statt überlassen.

Beweiswürdigung:

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus den aktenkundigen Unterlagen und dem Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom und sind unstrittig.

Rechtliche Würdigung:

§ 79 BAO lautet:

"Für die Rechts- und Handlungsfähigkeit gelten die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes.§ 2 Zivilprozeßordnung ist sinngemäß anzuwenden."

§ 80 BAO lautet:

"(1) Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

(2) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die im Abs. 1 bezeichneten Pflichten und Befugnisse.

(3) Vertreter (Abs. 1) der aufgelösten Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Beendigung der Liquidation ist, wer nach § 93 Abs. 3 GmbHG zur Aufbewahrung der Bücher und Schriften der aufgelösten Gesellschaft verpflichtet ist oder zuletzt verpflichtet war."

§ 82 BAO lautet:

"(1) Soll gegen eine nicht voll handlungsfähige Person, die eines gesetzlichen Vertreters entbehrt, oder gegen eine Person, deren Aufenthalt unbekannt ist, eine Amtshandlung vorgenommen werden, so kann die Abgabenbehörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, auf Kosten des zu Vertretenden die Betrauung eines gesetzlichen Vertreters (§ 1034 ABGB) beim zuständigen Gericht (§ 109 Jurisdiktionsnorm) beantragen.

(2) Ist zweifelhaft, wer zur Vertretung einer Verlassenschaft befugt ist, oder wer beim Wegfall einer juristischen Person oder eines dieser ähnlichen Gebildes oder eines sonst verbleibenden Vermögens vertretungsbefugt ist, gilt Abs. 1 sinngemäß."

§ 154 AußStrG idF BGBl I 58/2010 lautet:

"(1) Das Gericht hat die Aktiven einer überschuldeten Verlassenschaft auf Antrag den Gläubigern zu überlassen, wenn nicht schon eine unbedingte Erbantrittserklärung oder ein Antrag auf Überlassung als erblos vorliegt und kein Verlassenschaftsinsolvenzverfahren eröffnet wurde.

(2) Das Vermögen ist zu verteilen:

1. zunächst in sinngemäßer Anwendung der §§ 46 und 47 IO;

2. sodann an den Sachwalter des Verstorbenen, soweit ihm für das letzte Jahr Beträge zuerkannt wurden;

3. schließlich an alle übrigen Gläubiger, jeweils im Verhältnis der Höhe ihrer unbestrittenen oder durch unbedenkliche Urkunden bescheinigten Forderungen."

Gemäß § 79 BAO gelten für die Rechts- und Handlungsfähigkeit (hier betreffend den Nachlass und nach Einantwortung betreffend die Erben) die Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes; § 2 Zivilprozessordnung ist sinngemäß anzuwenden. Die Rechtsfähigkeit von natürlichen Personen endet mit dem Tod (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 79 Anm 7).

Für den Zeitraum zwischen dem Tod des Verstorbenen und der Einantwortung kennt das bürgerliche Recht die Rechtsfigur des ruhenden Nachlasses (§ 531 ABGB - hereditas iacens). Da gemäß § 79 BAO im Abgaben(verfahrens-)recht für die Rechts- und Handlungsfähigkeit die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts gelten, ist der ruhende Nachlass beispielsweise auch Adressat von Bescheiden (vgl. etwa ; ; ).

Somit ist ein Bescheid nach dem Tod des Erblassers über eine in dessen Person entstandene Abgabenschuld vor der Einantwortung an die Verlassenschaft (vertreten durch den Verlassenschaftskurator, Erbenmachthaber oder den bzw. die erbserklärten Erben) und nach der Einantwortung an die Erben als Rechtsnachfolger zu richten (; Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 19 Anm 8).

Als Verlassenschaftsverfahren bezeichnet das Gesetz alle Verfahren, die sich mit der rechtlichen Abwicklung des Nachlasses befassen. Dazu zählen neben der Verlassenschaftsabhandlung auch alle Verfahren, in denen es nicht zu einer Einantwortung kommt (kein ausreichendes Vermögen, überschuldetes Vermögen, Fehlen der inländischen Abhandlungsgerichtsbarkeit oder erblose Verlassenschaft - vgl Bittner, Außerstreitgesetz2 (2012) Vor § 143 Rz 1). Die Bestimmungen über die eigentliche Verlassenschaftsabhandlung beginnen mit der Vertretungsvorsorge, die in § 156 AußStrG geregelt ist. Davor finden sich die Bestimmungen über das Vorverfahren. Zu diesem Vorverfahren gehört auch die Überlassung an Zahlungs statt (§ 154 und § 155 AußStrG).

Vor der Annahme durch den Erben wird die Verlassenschaft so betrachtet, als wenn sie noch vom Verstorbenen besessen würde. Die überwiegende Lehre definiert den Nachlass als juristische Person (Koziol/Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I14 Tz 246; Sprohar/Heimlich in Fenyves/Kerschner/Vonkilch ABGB3 [Klang] § 547 aF Rz 3 mwN; vgl auch Grabner/Wiesner in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 1 Anm 2). Der ruhende Nachlass soll als Rechtssubjekt die Zeitspanne zwischen dem Erbfall und der Einantwortung überbrücken (Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 Rz 7).

Der ruhende Nachlass verliert seine Rechtspersönlichkeit erst mit der Einantwortung. Konsequenterweise besteht er dann weiter, wenn eine Einantwortung nicht stattgefunden hat (Obermaier, Zum Unterbleiben der Verlassenschaftsabhandlung, ÖJZ 2008/15).

Als juristische Person bedarf es eines Vertreters, der für diese juristische Person (Verlassenschaft) handelt. Solche Vertreter können ein Verlassenschaftskurator, Erbenmachthaber oder der bzw. die erbserklärten Erben sein. Mit der Bestellung des Verlassenschaftskurators enden die Rechte der präsumtiven oder erbantrittserklärten Erben nach § 810 ABGB (Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 810 Rz 11). Die "Antretung der Erbschaft", die Erbantrittserklärung, ist gegenüber dem Gerichtskommissär abzugeben (§ 157 Abs. 1 AußStrG - Bittner, Außerstreitgesetz2 (2012) § 171 Rz 8).

Aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes Wien Innere Stadt ist nicht ersichtlich, dass eine Person eine Erbserklärung (Erklärung einer erbberechtigten Person, eine Erbschaft anzunehmen, wobei zwischen bedingter und unbedingter Erbserklärung unterschieden wird) abgegeben hätte. Vielmehr lässt sich aus dem Beschluss, mit dem die Aktiva an Zahlungs statt überlassen wurden, ableiten, dass gerade keine Erbserklärung abgegeben wurde und das Verlassenschaftsverfahren mit der Überlassung an Zahlungs statt beendet wurde. Hat kein Erbe eine Erbserklärung abgegeben, kann die in § 810 ABGB vorgesehene Vertretungsfunktion nicht ausgeübt werden.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein Verlassenschaftskurator oder Erbenmachthaber (eine Person, die von einem Erben mit der Vertretung im Rahmen der Verlassenschaftsabhandlung betraut ist) bestellt worden wäre.

Der Beschluss über die Überlassung an Zahlungs statt stellt einen materiell-rechtlichen Erwerbstitel dar. Er stellt aber keinen Erwerbstitel für die Erbschaft selbst, sondern nur für die im Beschluss bezeichneten einzelnen Bestandteile dar und führt zur Einzelrechtsnachfolge; der Zustand des ruhenden Nachlasses bleibt im Übrigen erhalten (Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 (2012), §§ 798-798a Rz 5; Spruzina in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 798 Rz 2). Allerdings wirkt die Überlassung an Zahlungs statt verfahrensbeendend (Obermaier, Zum Unterbleiben der Verlassenschaftsabhandlung, ÖJZ 2008/15).

In Anwendung der oben zitierten gesetzlichen Bestimmungen auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt sich, dass mangels Einantwortung keine Gesamtrechtsnachfolge vorliegt, sodass keine Rechte oder Pflichten übergegangen sind.

Gibt es jedoch keinen Vertreter der juristischen Person "ruhender Nachlass", der für diese Person rechtsgeschäftliche Handlungen vornehmen kann, kann es auch niemanden geben, der für die juristische Person einen Bescheid oder eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichts entgegennehmen kann. Ohne einen Vertreter für die Verlassenschaft erscheint auch eine gewillkürte Vertretung durch einen Wirtschaftstreuhänder nicht denkbar, weil die Bevollmächtigung durch den Vertreter der Verlassenschaft erfolgen müsste. Wegen der fehlenden Möglichkeit, eine Rechtsmittelentscheidung einer vertretungslosen Verlassenschaft zuzustellen, kann eine solche durch das Gericht auch nicht wirksam erlassen werden. Ein noch anhängiges Beschwerdeverfahren kann nur eingestellt werden. Dies hat zur Konsequenz, dass eine Erledigung des Bundesfinanzgerichts nur an die Abgabenbehörde zugestellt werden kann. Auch eine mündliche Verhandlung kann nicht stattfinden, weil die Verlassenschaft - mangels Vertreter - nicht geladen werden kann und es niemanden gibt, der für die Verlassenschaft Erklärungen abgeben kann.

Gemäß § 82 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde, wenn die Wichtigkeit der Sache es erfordert, auf Kosten des zu Vertretenden (die Verlassenschaft) die Betrauung eines gesetzlichen Vertreters (§ 1034 ABGB) beim zuständigen Gericht (§ 109 Jurisdiktionsnorm) beantragen. Dasselbe gilt sinngemäß, wenn zweifelhaft ist, wer zur Vertretung einer Verlassenschaft befugt ist (§ 82 Abs. 2 BAO). Gemäß § 269 BAO haben im Beschwerdeverfahren die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind.

Da die Bestellung eines Verlassenschaftskurators mit Kosten verbunden ist, wäre dies nur dann erforderlich und sinnvoll, wenn die Beschwerde Aussicht auf Erfolg hätte, wobei sodann - eine ebenfalls mit Kosten verbundene - Nachtragsabhandlung durchgeführt werden müsste.

Im Erkenntnis vom , RV/7101297/2018, wurden 50% der in den Jahren 2010 bis 2012 als Fremdleistungsaufwand geltend gemachten Beträge als Betriebsausgaben anerkannt. Ein Nachweis, dass die restlichen 50% im Betriebsvermögen verblieben sind, wurde nicht erbracht.

Da somit eine materielle Entscheidung über die Beschwerde für die Jahre 2010 bis 2012 mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu einer Abweisung geführt hätte, aber selbst bei einer vollen Stattgabe der Beschwerde die laut Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien festgestellte Verlassenschaftsüberschuldung von € 76.239,27 lediglich verringert, aber nicht beseitigt würde, würde die Bestellung eines Verlassenschaftskurators vermeidbare Kosten und hohen Verwaltungsaufwand verursachen, weshalb in Ausübung des eingeräumten Ermessens von einem Antrag auf Bestellung mangels Billigkeit und Zweckmäßigkeit Abstand genommen wird.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da der Umstand, dass das Gericht die Bestellung eines Verlassenschaftskurators weder als billig noch als zweckmäßig erachtete, nicht als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung anzusehen ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 154 AußStrG, Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003
§ 155 AußStrG, Außerstreitgesetz, BGBl. I Nr. 111/2003
§ 79 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 82 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 82 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise


ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100826.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at