Keine Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer, wenn der Anmelder im Zusammenhang mit dem Verfahren 42 seine Sorgfaltspflicht verletzt hat
VfGH-Beschwerde zur Zahl E 3689/2021 anhängig. Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom abgelehnt.; Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2023/16/0068. Mit Erk. v. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.
Entscheidungstext
Im Namen der republik
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Johann Kraler in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Feldkirch Wolfurt (nunmehr Zollamt Österreich) vom , Zahl ***1***, betreffend Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 239 Abs. 1 ZK iVm § 83 ZollR-DG, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit dem als "Mitteilung gem. Art. 221 (1) ZK" bezeichneten Bescheid vom , Zahl ***9***, teilte das Zollamt der Beschwerdeführerin die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt € 198.758,76 und die Festsetzung einer Abgabenerhöhung in Höhe von € 7.756,73 mit, weil die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 in näher bezeichneten 13 Einfuhrfällen nicht vorliegen würden.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5200073/2011, rechtskräftig abgewiesen. Die gleichzeitig festgesetzte Abgabenerhöhung wurde mit Bescheid (Berufungsentscheidung) vom , GZ. ZRV/0096-Z2L/2012, aufgehoben.
Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin die Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 239 des Zollkodex in Verbindung mit § 83 ZollR-DG und begründete dies damit, dass die Antragstellerin nur mit der Verzollung, nicht aber auch mit dem Transport der Waren beauftragt gewesen sei. Für die Durchführung der Zollabfertigungen sei auch eine entsprechende Vollmacht erteilt und im Abgabenverfahren vorgelegt worden. Die Beschwerdeführerin habe eine qualifizierte Bestätigung durchgeführt, die die Richtigkeit und den aufrechten Bestand der UID-Nummer ergeben habe. Die Waren seien aus Österreich wieder ausgeführt worden und laut den im Abgabenverfahren ebenfalls vorgelegten CMR-Frachtbriefen bzw. der Empfangsbestätigungen jeweils am Bestimmungsort angekommen. Der Beschwerdeführerin seien im Zusammenhang mit den Verzollungen auch Rechnungen übermittelt worden, welche den Zollanmeldungen zugrunde gelegt worden sind. Die Beschwerdeführerin habe daher alle Pflichten eingehalten, die ihr für die Durchführung der Zollanmeldung gesetzlich oblegen gewesen seien.
Einen Hinweis darauf, dass es sich beim Empfänger um ein Scheinunternehmen gehandelt habe und "betrügerisch" sei, sei der Beschwerdeführerin nicht bekannt gewesen. Dagegen spreche auch, dass die durchgeführten Level-2-Abfragen den aufrechten Bestand der UID-Nummer und die Übereinstimmung mit dem Empfänger ergeben haben.
All dies zeige, dass die Mitarbeiter der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht in betrügerischer Absicht und auch nicht offensichtlich grob fahrlässig gehandelt hätten. Selbst wenn ein Umsatzsteuerkarussell vorgelegen haben sollte, sei die Beschwerdeführerin und auch keiner ihrer Mitarbeiter daran beteiligt gewesen.
In der Vorschreibung von Abgaben in Höhe von insgesamt weit über einer Million Euro nach über vier Jahren wegen eines angeblichen Umsatzsteuerkarussells, an dem die Beschwerdeführerin und ihre Mitarbeiter nicht beteiligt gewesen seien und ihnen auch nicht auffallen habe können, liege jedenfalls eine unbillige Härte, die eine Erstattung begründe. Dies insbesondere auch im Hinblick auf die Glaubensregelung nach Art. 7 Abs. 4 UStG 1994, wonach eine Lieferung als steuerfrei zu behandeln sei, obwohl die Voraussetzungen nach Art. 7 Abs. 1 UStG nicht vorliegen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben beruhe und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes nicht erkennen habe können.
Darüber hinaus berufe sich das Zollamt unrichtigerweise auf § 71a ZollR-DG. Im vorliegenden Fall sei jedoch keine Eingangsabgabenschuld nach Art. 204 ZK entstanden.
Das Zollamt könne sich auch nicht auf die EuGH-Urteile C-439/04 und C-440/04 berufen, weil es im vorliegenden Fall nicht um die Frage des Vorsteuerabzugs, sondern um die nachträgliche Vorschreibung der Einfuhrumsatzsteuer gehe.
Ein besonderer Fall liege im Übrigen auch deshalb vor, weil von den Abgabenbehörden und vom Bundesministerium für Finanzen die Auskunft erteilt worden sei, dass ein Zollspediteur, der auf die Sonder-UID eine Versendung zur innergemeinschaftlichen Weiterbeförderung anmelde und die vorstehend angeführten Unterlagen sowie die Abfrage der UID-Nummer-Überprüfung auf Level-2 durchgeführt habe, nicht zur Haftung für die Einfuhrumsatzsteuer herangezogen werden könne. Ausschließlich im Hinblick auf diese Auskunft, die durch die Interessenvertretungen weiterverbreitet worden sei, seien die Zollspediteure bereit gewesen entsprechende Verzollungen überhaupt durchzuführen, weil sie im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Auskunft davon ausgegangen sind, dass eben bei entsprechend sorgfältigen eigenem Verhalten kein Haftungsrisiko für die hohen Beträge an Einfuhrumsatzsteuer bestünde. Es sei anerkannt, dass die Schaffung eines Vertrauenstatbestandes durch die Abgabenbehörden jedenfalls einen besonderen Grund im Sinn des Art. 239 ZK (§ 83 ZollR-DG) darstelle.
Festzuhalten sei auch, dass für die Erstattung wegen Billigkeit nach § 83 ZollR-DG ein solcher besonderer Grund nach Art. 239 ZK gar nicht erforderlich sei und angesichts des Umstandes, dass die Waren nachweislich nicht in Österreich in den freien Verkehr gebracht worden seien, die sachliche Rechtfertigung für eine Vorschreibung der österreichischen Einfuhrumsatzsteuer fehle, die beantragte Erstattung daher jedenfalls zu gewähren sei.
Das Zollamt Feldkirch Wolfurt wies den Antrag mit Bescheid vom , Zahl ***1***, ab.
In seiner Begründung führte das Zollamt aus, dass anders als die Antragstellerin offenbar vermeine, Voraussetzung eines Erlasses nach Lage der Sache gemäß Art. 239 ZK iVm § 83 ZollR-DG das Fehlen offensichtlicher Fahrlässigkeit sei. Der Umstand, dass die Antragstellerin ihrer Aufzeichnungspflicht nach § 6 Z 2 der Verordnung BGBl. Nr. 401/1996 nicht nachgekommen sei, bedeute, dass der Buchnachweis unvollständig sei, was grobe Fahrlässigkeit darstelle. Existenzgefährdung, bei dessen Vorliegen betrügerische Absicht oder grobe Fahrlässigkeit keinen Ausschließungsgrund darstellen würde, sei nicht geltend gemacht worden.
Dagegen wurde mit Schriftsatz vom der Rechtsbehelf der Berufung eingebracht.
Ergänzend zu den bisherigen Ausführungen wurde vorgebracht, dass die Behauptung, sie habe ihre Aufzeichnungspflichten verletzt, unrichtig sei. Dies werde nicht näher begründet und auch in der Verordnung Nr. BGBl. 401/1996 werde zu den Anforderungen eines CMR-Frachtbriefes keine näheren Ausführungen gemacht. Die erforderlichen Daten ergäben sich aus den Unterlagen.
Außerdem gehe aus den Jahresabschlüssen 2005 bis 2010 hervor, dass die Beschwerdeführerin in diesen Jahren gerade einmal zwei Angestellte beschäftigt habe, ihr Anlagevermögen zu keinem Zeitpunkt € 8.000,00 überschritten habe und zuletzt rund € 3.165,00 betragen habe. Im Jahr 2010 habe der Bilanzgewinn insgesamt € 73.963,00, darin sei aber ein Gewinnvortrag aller Vorjahre von rund € 58.000,00 enthalten, sodass der Jahresgewinn insgesamt rund € 15.000,00 betragen habe. Angesichts dieser Bilanzzahlen sei wohl auch für das Zollamt evident, dass die Bezahlung der vorgeschriebenen Einfuhrumsatzsteuer, die nicht als Vorsteuer abgesetzt werden könne, eine ernsthafte Gefährdung der Existenz der Gesellschaft bedeute. Allein aus diesem Grund sei die beantragte Erstattung zu gewähren.
Das Zollamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom , Zahl ***2***, als unbegründet ab und begründete dies damit, dass den Namen und die Anschrift des Beauftragten aufzuzeichnen in Abholfällen Teil des Buchnachweises sei. Die Vorschrift sei klar und unmissverständlich. Abgesehen davon, dass allgemeinen Auskünften unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht dieselbe Wirkung beigemessen werden könne, wie einer verbindlichen Zusage oder Auskunft im Einzelfall, sei die Beschwerdeführerin ihrer gesetzlichen Nachweispflicht nicht nachgekommen.
Da die Beschwerdeführerin zu 100 % Dienstleistungen für die Muttergesellschaft erbringe und die Anmeldungen auch von letzterer abgegeben worden seien, würden weder der versteuerte, noch der tatsächliche Gewinn der Beschwerdeführerin die Gefährdung der Existenz beweisen. Diese hänge vielmehr davon ab, inwieweit die Muttergesellschaft in der Lage und willens sei, für die Abgabenforderung gegenüber der Tochtergesellschaft einzustehen.
Dagegen richtet sich die Beschwerde (nunmehr Vorlageantrag) vom , mit den im Wesentlichen bisherigen Vorbringen.
Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am wies das Bundesfinanzericht die nunmehr als Berufung geltende Beschwerde mit Erkenntnis vom , GZ. RV/5200106/2013, ab. Der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2017/16/0037, stattgegeben und das Erkenntnis des BFG aufgehoben, weil in diesem keine ausreichenden Feststellungen über das Vorliegen offensichtlicher Fahrlässigkeit getroffen worden seien.
Das Bundesfinanzgericht hat im fortgesetzten Verfahren nunmehr neuerlich über die als Beschwerde geltende Berufung zu entscheiden.
Mit Eingabe vom brachte die Beschwerdeführerin nach Darstellung des Ablaufes der Verzollungen und Ausführungen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen zusammengefasst ergänzend vor, dass die Abgabenvorschreibung (samt Bestätigung durch das BFG und VwGH) klar und evident gegen die EuGH-Rechtsprechung und das EU-Recht verstoße, was bereits einen besonderen Grund für eine Erstattung nach Art. 239 ZK bzw. § 83 ZollR-DG darstelle, die Beschwerdeführerin auf die Rechtsansicht des BMF, der USt-RL und der ZK 4200 bezüglich des Schutzes vor nachträglicher Änderung der Rechtsansicht vertraut habe und keine offensichtliche Fahrlässigkeit vorliege.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin, ein Speditionsunternehmen, beantragte mit 13 Zollanmeldungen im Zeitraum zwischen dem bis zum als Anmelderin die Überführung verschiedener Parfumeriewaren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr unter Inanspruchnahme der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 durch Angabe des Codes 4200 im Feld 37 (Verfahren) der Zollanmeldungen. Sie trat dabei als indirekte Vertreterin des im Feld 8 der Anmeldungen von ihr angeführten Empfängers, der ***3*** in der Slowakei, auf. Als Versender war jeweils die ***4*** in der Schweiz angegeben.
Die Beschwerdeführerin hat weder die Transporte organisiert, noch diese selber durchgeführt.
Nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens liegt im Beschwerdefall laut rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/5200073/2011, jedoch ein als innergemeinschaftliche Lieferung geltendes Verbringen der Gegenstände im Sinn des Art .7 Abs. 2 iVm Art. 3 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, sohin eine von der ***3*** vorgenommene Verbringung der Gegenstände dieses Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat nicht vor, weil die in Rede stehenden Waren nicht zur Verfügung (Art. 3 Abs. 1 Z 1 UStG 1994) und nicht für Unternehmenszwecke des von der Beschwerdeführerin indirekt vertretenen, in Feld 8 der jeweiligen Zollanmeldung genannten Empfängers verbracht worden sind. Die Lieferungen sind jener Person, die unter Verschleierung ihrer Identität als Geschäftsführer des angeführten Unternehmens nach außen aufgetreten ist, zuzurechnen.
Gemäß Art. 6 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994) ist die Einfuhr der Gegenstände, die vom Anmelder im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen verwendet werden, steuerfrei. Die Befreiung ist nur anzuwenden, wenn derjenige, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung tätigt.
Es kann sowohl der Anmelder selbst, aber auch der vom Anmelder indirekt Vertretene den Tatbestand des Art. 6 Abs. 3 UStG 1994 erfüllen und die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung ausführen (vgl. ).
Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gemäß Art. 7 Abs. 2 UStG 1994 auch das einer Lie-ferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes, nämlich das Verbringen eines Gegen-standes des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer in Art. 3 Abs. 1 UStG 1994 näher beschriebenen vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat.
Gemäß Art. 204 Abs. 1 der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom (Zollkodex - ZK) entsteht die Einfuhrzollschuld, wenn in anderen als den in Art. 203 leg. cit. genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehenden Verwahrung oder aus der Inan-spruchnahme des Zollverfahrens, in das die Ware übergeführt worden ist, ergeben, oder eine der Voraussetzungen für die Überführung der Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder Einfuhrabgabenfreiheit auf Grund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird, es sei denn, dass sich die Verfehlung nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder das betreffende Zollverfahren nicht wirklich ausgewirkt haben.
Zollschuldner ist gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraus-setzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.
Der Zollkodex gilt gemäß § 2 Abs. 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) in der im Be-schwerdefall noch anwendbaren Fassung der ersten ZollR-DG-Novelle, BGBl. Nr. 516/1996, und gemäß § 26 Abs. 1 UStG in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 756/1996, sinngemäß auch für die Einfuhrumsatzsteuer.
Gemäß § 71a ZollR-DG in der im Beschwerdefall noch anwendbaren Fassung der dritten ZollR-DG-Novelle, BGBl. I Nr. 13/1998, schuldet in den Fällen einer Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Art. 6 Abs. 3 UStG eine nach Art. 204 Abs. 21 ZK entstehende Einfuhrumsatzsteuerschuld auch der Anmelder, wenn er nicht bereits nach Art. 204 Abs. 3 ZK als Zollschuldner in Betracht kommt.
Art. 239 Abs. 1 ZK lautet:
"Artikel 239
(1) Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle
- werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;
- ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden."
§ 83 ZollR-DG in der hier noch maßgeblichen Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2005 (AbgÄG 2005, BGBl. I Nr. 161), und des (den materiellen Gehahlt des § 83 ZollR-DG unberührt lassenden) Abgabenänderungsgesetz 2010 (AbgÄG 2010, BGBl. I Nr. 34), lautet:
"§ 83. Im Falle einer Erstattung oder eines Erlasses der sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben nach den Bestimmungen des Artikels 239 ZK in Verbindung mit Artikel 899 Abs. 2 ZK-DVO liegt ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet ist. Letzterenfalls stellt die betrügerische Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten keinen Ausschließungsgrund für die Gewährung einer Erstattung oder eines Erlasses dar, sofern alle sonstigen Voraussetzungen vorliegen und eine Gesamtbetrachtung für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers spricht. Eine Vorlage an die Europäische Kommission hat zu unterbleiben."
Die Einfuhrumsatzsteuer, deren Erstattung nach Art. 239 ZK iVm § 83 ZollR-DG beantragt wird, ist gemäß Art. 204 Abs. 3 ZK in Verbindung mit § 2 Abs. 1 ZollR-DG und § 26 Abs. 1 ZollR-DG für die slowakischen Gesellschaft "***3***" entstanden.
Die Beschwerdeführerin wurde hierfür mit Bescheid des Zollamtes vom , Zahl ***9***, bestätigt durch das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , GZ. RV/5200073/2011 gemäß § 71a ZollR-DG als Gesamtschuldnerin herangezogen. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom , zurückgewiesen.
Abgesehen davon, dass Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung im Festsetzungsverfahren und nicht im Erstattungsverfahren zu klären sind, vermag die Behauptung, dass die Vorschreibung der Einfuhrumsatzteuer evident unionsrechtswidrig sei, nicht zu überzeugen. Keinem der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Urteile des EuGH, insbesondere auch nicht den EuGH-Urteilen vom , Rs. C-108/17 "Enteco Baltic"; vom , Rs. C-528/17 "Milan Božičevič Ježovnik" und auch nicht dem Urteil vom , Rs. C-531/17, "Vetsch Int. Transporte GmbH", ist zu entnehmen, dass der Gerichtshof die Versagung der Befreiung von der Umsatzsteuer für innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. einem gleichgestellten innergemeinschaftlichen Verbringen als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer als rechtswidrig festgestellt hat, wenn der Importeur bzw. Verbringer von der Einbeziehung in eine Steuerhinterziehung wusste oder wissen hätte müssen bzw. die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die eine Einbeziehung in eine Steuerhinterziehung verhindern hätte können. Ein tauglicher Erstattungsgrund wird mit dem diesbezüglichen Vorbringen somit nicht aufgezeigt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass die Inanspruchnahme eines Anmelders nach § 71a ZollR-DG keine de facto unbedingte Haftung darstelle. Der eingewandte Vertrauensschutz oder die Gutgläubigkeit ist in Verbringungsfällen, in denen Art. 7 Abs. 4 UStG 1994 nicht zur Anwendung gelangen kann, daher im Erlass- oder Erstattungsverfahren nach § 83 ZollR-DG zu prüfen (, mwN).
Im Beschwerdefall ist somit die Rechtsprechung des EuGH, wonach von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert werden kann, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt, die Richtschnur bei der Anwendung des § 83 ZollR-DG, ob die Abgabenbelastung sich als unbillig nach Lage der Sache erweist und ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt (VwGH, aaO, mwN).
Es ist zutreffend, dass der Beschwerdeführerin als Anmelderin nicht die Durchführung komplexer und umfassender Überprüfungen seiner Vertragspartner auferlegt und ihm faktisch die der Behörde obliegende Kontrolle übertragen werden kann. Zu prüfen ist allerdings, ob die Be-schwerdeführerin aufgrund der in ihre Sphäre gelangten Informationen bzw. ihr zur Verfügung gestandenen Unterlagen Maßnahmen unterlassen hat, die zur Vermeidung der im Beschwer-defall begangenen Steuerhinterziehung geführt hätte bzw. ob ihr offensichtliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, weil sie die erforderliche und ihr zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat.
Aus den Bestimmungen des Art 7 Abs 3 UStG 1994 sowie aus der Verordnung des Bundesmini-sters für Finanzen über den Nachweis der Beförderung oder Versendung und den Buchnach-weis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, BGBl Nr. 401/1996, ergibt sich, dass der Unter-nehmer nachweisen muss, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet. Bei Verwendung der Sonder-UID trifft diese Nachweispflicht den Anmelder und somit die Beschwerdeführerin.
Die Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung ist ua. dann zu versagen, wenn die Nichtbeachtung formeller Erfordernisse den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen erfüllt worden sind (vgl. C-.21/16, EU:C:2017:106, "Euro Tyre", Rn 39f mit weiteren Hinweisen zur Rechtsprechung; , EU:C:2018:473, "Enteco Baltic, Rn 59.
Nach der Verwaltungspraxis ersetzt bei Verwendung der Sonder-UID ein nach den Richtlinien zum Umsatzsteuergesetz entsprechende Geschäftsabwicklung zwar den Buchnachweis, nicht jedoch den nach der zitierten Verordnung zu erbrinenden Belegnachweis über die innergemeinschaftliche Warenbewegung.
Ein CMR-Frachtbrief ist grundsätzlich ein Frachtbrief im Sinne des § 3 Abs. 2 der Verordnung BGBl Nr. 401/1996. Danach ist gemäß § 3 Abs. 1 der Nachweis durch eine Durchschrift oder Abschrift der Rechnung und durch einen Versendungsbeleg im Sinne des § 7 Abs. 5 UStG 1994, insbesondere durch Frachtbriefe, Postaufgabebescheinigungen, Konnossemente und dergleichen oder deren Doppelstücke zu führen.
Die im Beschwerdefall in Form von Kopien vorgelegten CMR-Frachtbriefe genügen den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Belegnachweis zum sicheren Nachweis des Erfüllens der materiellen Anforderungen für die Steuerbefreiung nicht.
Die in kopierter Form vorgelegten Frachtbriefe enthalten weder Angaben (Name und Anschrift) des Frachtführers noch ist daraus zu erkennen, wer diese unterschrieben hat. In den Frachtbriefen zu den Zollanmeldungen CRN ***10*** vom , CRN ***11*** vom und CRN ***12*** vom fehlt die Unterschrift des Frachtführers gänzlich. Dem Belegnachweisen ist daher nicht zu entnehmen wer die Waren in diesen Fällen tatsächlich transportiert hat und wer sie erhalten hat. Im Hinblick auf die gegebenen Umstände (Verschleierung der Identität des Geschäftsführers durch Vorlage gefälschter Dokumente) vermag die Beschwerdeführerin auch keine sonstigen Nachweise über das tatsächliche Befördern der Waren zum angegebenen Unternehmen in der Slowakei beizubringen.
Zwar enthalten die Frachtbriefkopien eine Empfangsbestätigung (ebenfalls in Kopie). Diese können aber nicht als sicherer Nachweis anerkannt werden, weil diese unter Berücksichtigung der genannten Umstände der Lieferung (auch nachträglich) an jedem beliebigen Ort erstellt werden konnten. Im Übrigen ist nicht erkennbar, welche Person die angebliche Empfangsbestätigung unterzeichnet hat. Ort und Datum fehlen ebenso.
Dass die Frachtbriefe nicht den Erfordernissen entsprechen, hätte die Beschwerdeführerin bereits im Zeitpunkt der Abfertigung feststellen können und auch müssen. Sie hätte die fehlenden Angaben aufgrund dessen, dass der Frachtführer nachträglich nicht mehr identifizierbar ist, zum Anlass für weitere Erkundigungen betreffend die von ihr vertretenen Warenempfängerin und dem tatsächlichen Zielort der Waren nehmen müssen. Gerade in den Fällen des Verbringens (Personenidentität zwischen Verbringer und Erwerber) kommt der Person des Frachtführers eine wichtige Funktion zu, das tatsächliche Befördern zum angegebenen Erwerber zu gewährleisten und nicht in eine Steuerhinterziehung einbezogen zu werden.
Die fehlende Prüfung, ob ordnungsgemäße Belegnachweise vorliegen, betrifft die Sphäre der Beschwerdeführerin und hing nicht von einem von ihr nicht zu beeinflussenden späteren Verhalten eines Dritten ab. Ihr ist insofern offensichtliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen, weil sie nicht alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, die unter den genannten Umständen vernünftigerweise von ihr verlangt werden konnten. Der Verbleib der Waren ist nicht nachgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer nach Art .239 ZK ivm § 83 ZollR-DG wegen Unbilligkeit nach Lage der Sache liegen daher nicht vor.
Soweit sich die Beschwerdeführerin unter anderem auf ein Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass gerade der ins Treffen geführte Punkt "Ein-holung eines entsprechenden Versendungsbeleges" nicht erfüllt worden ist.
Es liegt bei der Beschwerdeführerin auch keine Existenzgefährdung durch die Abgabenbelas-tung vor, die im § 83 ZollR-DG als weiterer Fall für einen Erlass/Erstattung vorgesehen ist, vor
Die Beschwerdeführerin, eine 100%-Tochter der schweizerischen ***7***, erbringt aus-schließlich Leistungen für die AG. Sie ist als in Form einer Gesellschaft geführte Zweignieder-lassung der AG zu betrachten. Dies zeigt sich nicht zuletzt durch die enge personelle Verschrän-kung der Gesellschaften beim Geschäftsführer und bei den Mitarbeitern. So wurden die Zollan-meldungen zumindest teilweise von Angestellten der AG erstellt und der Geschäftsführer hat nach eigenen Angaben für seine (zusätzliche) Tätigkeit bei der Beschwerdeführerin keine eigene Entlohnung erhalten.
Eine ernsthafte Existenzgefährdung durch die Abgabenbelastung wurde im gegenständlichen Beschwerdefall unter Berücksichtigung der Angaben des Geschäftsführers ***5*** im Rah-men der mündlichen Verhandlung und der vorliegenden Unterlagen nicht nachgewiesen. Die Nachforderung der Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von insgesamt 788.903,72 bzw. von insgesamt ca. zwei Millionen Euro, wenn man die Nachforderungen aus Parallelverfahren hinzuzählt, mag bei einem ausgewiesenen Eigenkapital von rund € 153.000,00 (Jahresabschluss 2014) und einem durchschnittlichen Jahresgewinn von rund € 15.000,00 in den letzten fünf Jahren zwar als Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechts zu beurteilen sein. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist aufgrund der gesellschaftlichen Verflechtung neben der Einbeziehung der Vermögenslage der ***7*** auch zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin in den Konzern ***6*** eingebunden und konzernintern versichert bzw. rückversichert ist. Die Einfuhrumsatzsteuerschuld wurde aus diesem Titel zwischenzeitlich auch von der ***8*** entrichtet.
Die in der mündlichen Verhandlung für die Existenzgefährdung ins Treffen geführte Rückzah-lungsforderung der Konzernmutter, die die Beschwerdeführerin nicht erfüllen könne, was zur Entscheidung führen könnte, die Gesellschaft zu liquidieren bzw. Insolvenz anzumelden, vermag eine Existenzgefährdung, welche unmittelbar "durch die Abgabenbelastung" verursacht würde, nicht aufzuzeigen. Eine allfällige Liquidation oder Insolvenz der Gesellschaft, die im Übrigen keine eigenen Mitarbeiter mehr hat und deren Sitz sich in Untermiete in einem Container am Amtsplatz des Zollamtes befindet, ist unter diesen Umständen nur als interne wirtschaftliche Entscheidung zu betrachten. Daran vermag auch das weitere Vorbringen nichts zu ändern, dass die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre Möglichkeit, in der Union als Zoll-anmelderin aufzutreten, ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal für die in der Schweiz ansässige ***7*** darstellt und ihre Auflösung auch Auswirkungen auf die Bestandskraft der AG haben könnte. Hinsichtlich des Hinweises des Beschwerdevertreters in der mündlichen Verhandlung auf zukünftig höhere Versicherungsprämien aufgrund des Versicherungsfalles gilt das Gleiche.
Die im ergänzenden Schreiben vom zum Beweis des gesamten Vorbringens angebotene Einvernahme des Geschäftsführers ***5*** konnte unterblieben, weil dieser bereits in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit hatte zur Sache bzw. finanziellen Lage Stellung zu nehmen. Ein konkretes für die Entscheidung wesentliches (weiteres) Beweisthema wurde nicht genannt.
Zur Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die für die Lösung der sich im Beschwerdefall stellenden Rechtsfragen sind, soweit sich deren Lösung nicht ohnedies bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt oder Tatsachenfragen dar-stellen, in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichts-hofes ausreichend beantwortet. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die über den Einzelfall hinaus Relevanz zukommt, war im Beschwerdefall nicht zu beantworten. Das Bundes-finanzgericht ist von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere auch vom Erkenntnis vom , Ra 2017/16/0037, nicht abgewichen. Die ordentliche Revision war daher als unzulässig zu erklären.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Zoll |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 83 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 Art. 6 Abs. 3 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 Art. 239 Abs. 1 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.5200036.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at