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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.03.2021, RV/7100140/2021

Antrags- und Beschwerdelegitimation des Magistrats der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe auch bei rückwirkender Antragstellung betr. Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Magistrat der Stadt Wien Wiener Kinder-und Jugendhilfe, Karl-Borromäus-Platz 3, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe für den Zeitraum Jänner 2017 bis Juni 2019 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Am stellte der Verein PS für die Beschwerdeführerin (Bf.), geb. am xx, den Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe ab . Der Verein führte in einem ergänzenden Schreiben aus, dass die Bf. "im Rahmen der Kinder-und Jugendhilfe Wien (volle Erziehung) seit in der sozialpädagogischen Einrichtung PS in einer vom Verein gestellten Trainingswohnung untergebracht sei und über kein Einkommen verfüge".

Weiters wurde ein Schreiben der MA 11 vorgelegt, wonach der Verein u.a. zu Vertretungshandlungen gegenüber Ämtern und Behörden berechtigt sei.

Der Antrag wurde mit Bescheid vom mit der Begründung abgewiesen, dass die Bf. über kein eigenes Einkommen verfüge.

Der Bescheid erging an die MA 11.

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom , eingebracht durch den Magistrat der Stadt Wien, MA 11. Vorgebracht wurde, dass der Vater der Bf. seit einen Kostenersatz i.H. von € 323.- leiste.

Am erging ein Mängelbehebungsauftrag, wonach die Beschwerde an einem Formmangel leide und wurde die Bf. aufgefordert, bis zum einen Nachweis zu erbringen, dass der Kinder-und Jugendhilfe Wien die Obsorge auch im Bereich der Vermögensverwaltung übertragen worden sei. Bei Versäumung dieser Frist gelte die Beschwerde als zurückgenommen.

Mit Schreiben vom übermittelte die MA 11 eine Zustimmungserklärung gem. § 208 Abs. 3 ABGB der Mutter der Bf., bezüglich Beantragung und Verwaltung des Eigenanspruches betreffend Familienbeihilfe durch die "Wiener Kinder-und Jugendhilfe, Rechtsvertretung, Bezirke 3,11".

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als zurückgenommen erklärt.

In der Begründung führte die belangte Behörde u.a. folgendes aus:

"In Beantwortung dieses Mängelbehebungsauftrages erfolgte am (eingelangt am

) die Vorlage einer Zustimmungserklärung gemäß § 208/3 ABGB für die Beantragung und Verwaltung des Eigenanspruches der Familienbeihilfe."

Aufgrund der OGH-Entscheidung v , 80b 99/12k besteht die Rechtsansicht, dass für

die Geltendmachung von Familienbeihilfebeträge für vergangene Zeiträume die Obsorge im

Bereich der Pflege und Erziehung nicht ausreichend ist, da sich diese nicht auf aktuelle

Lebensbedürfnisse bezieht. Vielmehr würde dies der Geltendmachung von

Vermögensbestandteilen bedeuten, die durch die einmalige rückwirkende Auszahlung zu einem Ertrag und Bildung von Stammvermögen des Kindes führen.

Die Zustimmung der Eltern entspricht nicht einem gerichtlichen Beschluss in dem die Obsorge in der Vermögenverwaltung übertragen wird. Eine Zustimmungserklärung, besonders dann, kann diesen Gerichtsbeschluss nicht ersetzen.

Da die MA 11 somit der Aufforderung gemäß § 85 BAO nicht nachgekommen ist, war die

Beschwerde als für zurückgenommen zu erklären."

Im Vorlageantrag vom verwies die Bf. auf die Entscheidungen des wonach für den rückwirkend beantragten Teil der Familienbeihilfe die Übertragung der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung genüge.

Im Vorlagebericht vom führte die belangte Behörde folgendes aus:

"Bezug der Familienbeihilfe für das Kind P durch die Kindesmutter bis inkl. Jänner 2017.

Antragstellung (Eigenantrag) im Juni 2019 für den Zeitraum ab Jänner 2017 durch den Kinder- und Jugendhilfeträger, da das Kind im Rahmen der Pflege und Erziehung in einer Einrichtung der Stadt Wien untergebracht ist. Die Abweisung erfolgte da kein eigenes Einkommen des Kindes vorlag.

Mit der Beschwerde wurde ein Kontoauszug betreffend Kostenersatztragung durch den Kindesvater vorgelegt und so ein Einkommen des Kindes nachgewiesen.

Im Zuge des Beschwerdeverfahrens erging ein Mängelbehebungsauftrag, da hinsichtlich der rückwirkenden Beantragung der Familienbeihilfe die Übertragung der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung an den Kinder- und Jungendhilfeträge fehlte.

In Beantwortung dieses Mängelbehebungsauftrages erfolgte die Vorlage einer "Zustimmungserklärung gemäß §

208/3 ABGB" für die Beantragung und Verwaltung des Eigenanspruches der Familienbeihilfe.

Die Beschwerde wurde in der Beschwerdevorentscheidung für zurückgenommen erklärt.

Der Vorlageantrag wurde vom Kinder- und Jugendhilfeträger eingebracht und auch von dem mittlerer Weile volljährigen Kind P unterfertigt.

Die Beihilfe wurde für den Zeitraum Juni 2019 bis April 2020 (Volljährigkeit des Kindes) gewährt."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe ab Jänner 2017 wurde durch den Verein

PS eingebracht.

Die Kinder-und Jugendhilfe Wien war mit der vollen Erziehung und Pflege betraut und hat den Verein zur Vornahme u.a auch von Vertretungshandlungen gegenüber Ämtern und Behörden ermächtigt.

Die Bf. war im Rahmen der vollen Erziehung und Pflege durch die Kinder-und Jugendhilfe Wien in einer "Trainingswohnung", betrieben durch diesen Verein, untergebracht.

Der Vater der Bf. leistete einen Kostenersatz.

Der Antrag wurde vom Verein PS , (dieser vertretungsbefugt für die MA 11), die Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid und der Vorlageantrag wurden von der MA 11 eingebracht.

Die Mutter der Bf. bezog bis inklusive Jänner 2017 Familienbeihilfe.

Der Bf. wurde Familienbeihilfe ab Juni 2019 gewährt.

Beweiswürdigung

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Von der belangten Behörde wird nunmehr lt. Vorlagebericht die Antrags-und Beschwerdelegititmation des Magistrats der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe, MA 11 bestritten.

Die Antragslegitimation wurde jedoch ursprünglich nicht in Zweifel gezogen, da über den Antrag inhaltlich, nämlich mit Abweisung entschieden worden war.

Dazu ist, wie bereits mehrfach vom Bundesfinanzgericht judiziert, folgendes auszuführen:

Laut , hat der OGH bereits klargestellt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierungjener Obsorgemaßnahmen dienen, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Dementsprechend betrifft die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachensteht damit grundsätzlich demjenigen zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde. Zweck der Familienbeihilfe ist, die Pflege und Erziehung des Kindes(als Zuschuss) zu erleichtern und die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen - zumindest zum Teil - auszugleichen. Gerade diesem Zweck dient aber auch der Unterhaltsbeitrag, den der geldunterhaltspflichtige Elternteil gemäß § 231 ABGB zu leisten hat, womit nicht ersichtlich ist, weshalb zwar Geltendmachung und Empfangnahme von Kindesunterhalt zum Obsorgeteilbereich Pflege und Erziehung gehören sollen, nicht aber Geltendmachung und Empfangnahme von dem Kind zustehenden Familienbeihilfenleistungen.

In der Entscheidung des 6 Ob50/20a, ist der OGH der Rechtsauffassung des dortigen Revisionsrekurswerbers, für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbemessungsantrages sei die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung nicht ausreichend, sondern sei dafür die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung erforderlich, entgegen getreten und hat ausdrücklich ausgesprochen, dass auch für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbegehrens die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung die entsprechende Grundlage bietet (vgl. , vom , RV/7100157/2021, vom , RV/7100184/2021, vom 2.3.20221, RV/7100302/2021).

Da dem Magistrat der Stadt Wien daher sowohl hinsichtlich der rückwirkenden Antragstellung betreffend Gewährung der Familienbeihilfe (die zunächst von der belangten Behörde offensichtlich nicht in Frage gestellt wurde, da über den Antrag inhaltlich mit Abweisung entschieden wurde, erst im Vorlagebericht wird auch die Antragstellung als durch einen nicht Vertretungsbefugten moniert) als auch im anhängigen Beschwerdeverfahren Vertretungsbefugnis zukommt, war über die Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom inhaltlich wie folgt zu entscheiden:

Unstrittig zwischen den Parteien ist, dass dem Magistrat der Stadt Wien Kinder-und Jugendhilfe (MA 11) die Obsorge für die Bf. im Bereich Pflege und Erziehung übertragen wurde und die Bf. seit in einer Einrichtung der MA 11 (die auch mit deren Vertretung betraut war) untergebracht war.

Unstrittig ist weiters, dass der Vater der Bf. Kostenersatz leistete.

Nach § 6 Abs 1 FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 lautet:

"Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs 1 bis 3).

Die belangte Behörde befürwortet inhaltlich (siehe Vorlagebericht) die Antragstellung durch die Bf. und hat auch bereits Familienbeihilfe für den Zeitraum Juni 2019 bis April 2020 gewährt.

Es steht daher auch zwischen den Parteien offensichtlich außer Streit, dass die Eltern der Bf. nicht überwiegen Unterhalt leisteten und der Unterhalt der Bf. nicht zur Gänze aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen wird.

Dazu ist aus dem Akt ersichtlich, dass der Vater der Bf. einen Kostenersatz von € 323.- monatlich leistete.

Der Bf. steht daher Familienbeihilfe für den vom bekämpften Bescheid umfassten Zeitraum Jänner 2017 bis Juni 2019 zu.

Zu beachten ist jedoch, dass im Jänner 2017 die Familienbeihilfe noch an die Mutter der Bf. ausbezahlt wurde und Familienbeihilfe für Juni 2019 ebenfalls bereits ausbezahlt wurde.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden, auf Grund der zitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen zu beurteilenden Fall, nicht vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100140.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at