Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***R*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom , mit dem der Antrag auf Gewährung einer Abgabennachsicht vom abgewiesen wurde, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin die Nachsicht betreffend Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe für ihren Sohn ***K1*** in Höhe von 2.241,20 €. Mit Bescheid vom sei für den Zeitraum Jänner 2018 bis Jänner 2019 zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag in Höhe von 2.24120 € gem. § 26 Abs. 1 FLAG iVm § 33 Abs. 3 EStG zurückgefordert worden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe für subsidiär Schutzberechtigte würde nur bestehen, wenn sie erwerbstätig seien und keine Leistungen aus der Grundversorgung beziehen würden.
Die Beschwerdeführerin und ihr Sohns seien nigerianische Staatsangehörige und seit in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Sie würden in einer organisierten Unterkunft für Asylwerber und subsidiär Schutzberechtigte leben. Da die Beschwerdeführerin nicht ausreichend Deutsch spreche, um einer Arbeit nachzugehen, sei sie weiterhin auf die Leistungen der NÖ Grundversorgung angewiesen.
Nach der Geburt ihres Sohnes habe die Beschwerdeführerin ein Informationsschreiben des Finanzamtes betreffend Familienbeihilfe erhalten. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache habe sie im Juni Familienbeihilfe beantragt. Nach Erhalt der Rückforderung habe sie Kontakt mit der Sozialberaterin aufgenommen, die ihr erklärt habe, dass sie aufgrund des Bezuges von Grundversorgungsleistungen keinen Anspruch auf Familienbeihilfe gehabt hätte. Bei Antragstellung habe sie alle Angaben wahrheitsgetreu gemacht und den Bezug der Grundversorgungsleistungen nie (bewusst) verschwiegen.
Gegenständlich liege persönliche und sachliche Unbilligkeit vor. Die Einhebung der Abgabenschuld wäre mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden. Die Beschwerdeführerin lebe in einem Grundversorgungsquartier, für sie und ihren Sohn stehe ihr Verpflegungsgeld von monatlich 360,00 € zu. Das reiche gerade aus, um die täglichen Ausgaben zu decken. Sie verfüge über keine Ersparnisse und habe in Österreich keine Verwandten. Der Vater des Sohnes zahle keinen Unterhalt.
Aufgrund der finanziellen Lage sei es der Beschwerdeführerin unmöglich die Abgabenschuld zu begleichen. Der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , E 3297/2016, festgehalten, dass der Ausschluss von subsidiär Schutzberechtigten aus der NÖ Mindestsicherung und ein Verweis dieser Personen auf die Grundversorgung aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich sei. Es liege keine Verletzung des Rechtes auf Art. 3 EMRK vor, da die Leistungen des § 5 NÖ GVG "jedenfalls die zu einem menschenwürdigen Leben erforderlichen Grundbedürfnisse" abdecken würden. Es bestehe aber daran kein Zweifel, dass im Falle eines entsprechenden Bedarfs die benötigten Leistungen nach dem Gesetz nicht schlechthin verweigert werden dürften, sondern entweder in natura oder in Geld zu gewähren seien, "je nachdem welche Maßnahme erforderlich sei, um für die Betroffenen eine nach art. 3 EMRK verpönte Situation nicht eintreten zu lassen." Dem Gesetzgeber komme bei den Anforderungen an das Niveau der Versorgung zur Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, weshalb er die "für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichen Leistungen nur im zwingend erforderlichen Umfang" gewähren kann.
Mit diesen Ausführungen stelle der Verfassungsgerichtshof klar, dass die Höhe der vollen Grundversorgung die Untergrenze für ein menschenwürdiges Leben darstelle. Eine Verpflichtung zur Rückzahlung würde gegenständlich einen so massiven Einschnitt für die Beschwerdeführerin bedeuten, dass eine aktuelle Gefahr der Verletzung des verfassungsgesetzlich verankerten Rechtes gem. Art. 3 EMRK zu befürchten wäre.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei persönliche Unbilligkeit ua dann nicht gegeben, wenn die finanzielle Situation des Abgabenschuldners so schlecht sei, dass auch die Gewährung der beantragten Nachsicht nicht den geringsten Sanierungseffekt hätte und an der Existenzgefährdung nichts ändern würde. Andererseits liege auch dann, wenn der Abgabenpflichtige in der Lage sei, den Lebensunterhalt seiner Angehörigen ausreichend zu sichern, eine Unbilligkeit nach den persönlichen Verhältnissen nicht vor.
Diese Entscheidungen seien mit der vorliegenden Situation nicht vergleichbar, weil die Beschwerdeführerin aktuell auf Leistungen der Grundversorgung angewiesen sei und eine Rückzahlung sie - wie angeführt - in eine die Menschenwürde verletzende Situation bringen würde.
In Zusammenhang mit der behaupteten sachlichen Unbilligkeit wurde vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin immer alle für die Überprüfung des Anspruches relevanten Angaben gemacht hätte und die Behörde über jede Änderung in Kenntnis gesetzt hätte. Bei Stellung des Antrages habe sie bekannt gegeben, dass ihr Sohn subsidiär Schutzberechtigter sei und habe zum Nachweis darüber seine Karte für subsidiär Schutzberechtigte gem. § 52 AsylG vorgelegt. Weiters habe sie angegeben, dass sie in einem Grundversorgungsquartier lebe.
Obwohl alles Fakten ordnungsgemäß bekanntgegeben worden seien, habe das Finanzamt der Beschwerdeführerin Familienbeihilfegewährt. Erst bei einer nachträglichen amtswegigen Überprüfung habe sich herausgestellt, dass diese zu Unrecht bezogen sei. Die Beschwerdeführerin habe alles getan, um eine Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu ermöglichen. Daher sei ihrer Ansicht nach der Grundsatz von Treu und Glauben dadurch verletzt, dass sie aufgrund eines (unrichtigen) Verhaltens der Behörde, auf das sie vertraut habe, das eindeutig und zweifellos für sie zum Ausdruck gekommen sei, den Antrag auf Familienbeihilfe eingebracht und nur als Folge davon einen Nachteil erlitten habe.
Mit Bescheid vom wurde der Antrag vom auf Bewilligung einer Nachsicht in Höhe von 2.241,20 € abgewiesen. Nach Darlegung der gesetzlichen Grundlagen wurde begründend ausgeführt, dass es sich bei der Rückforderung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages gem. § 26 Abs. 1 FLAG lediglich um die Auswirkung der allgemeinen Rechtslage handeln würde, die alle Abgabenpflichtigen in gleicher Weise treffe und es dadurch aufgrund Vermögenslosigkeit weder zu einer anormalen Belastungswirkung noch zu einem atypischen Vermögenseingriff komme. In der Entrichtung des Betrages von 2.241,20 € in Form einer Zahlungserleichterung mit niedrigen monatlichen Raten könne keine Unbilligkeit iSd § 236 BAO erblickt werden. Es liege daher weder eine persönliche noch eine sachliche Unbilligkeit iSd § 236 BAO vor. Da es somit schon an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen fehle, bleibe für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr und der Antrag sei abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom wurde gegen den Bescheid vom das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht. Ergänzend zum Antrag vom wurde vorgebracht, dass auch im Fall einer Zahlungserleichterung die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Beschwerdeführerin gefährdet wäre, da das gewährte Verpflegungsgeld gerade ausreiche, um für sich und das Kind genug Essen und die notwendige Kleidung zu kaufen. Außerdem müsse sie immer wieder Medikamente für ihren Sohn bezahlen, die teuer seien.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde vom als unbegründet ab. Ergänzend zum Bescheid vom wurde darauf hingewiesen, dass in dem Schreiben (Antraglose Familienbeihilfe ALF3) vom , welches der Beschwerdeführerin ohne ihr Zutun vom Finanzamt nach der Geburt ihres Kindes zugestellt worden sei, angeführt werde: "Die Familienbeihilfe ist eine familienbezogene Leistung, die Österreich frischgebackenen Müttern und Vätern zur Verfügung stellt, sofern alle dafür notwendigen Anspruchskriterien erfüllt werden." Es wäre der Beschwerdeführerin zumutbar gewesen, nach Erhalt dieses Schreibens Kontaktmit ihrer Sozialberaterin aufzunehmen. Dadurch wäre sichergestellt, dass die Beschwerdeführerin den Inhalt des Schreibens verstehen und nicht unbewusst den Bezug von Grundleistungen verschweigen würde.
Es sei nicht nachvollziehbar, welcher Nachteil der Beschwerdeführerin durch das Verhalten des Finanzamtes entstanden sei. Ganz im Gegenteil, es sei ein Vorteil iHv 2.241,20 € entstanden. Da die Beschwerdeführerin laut ihren Ausführungen über keine Ersparnisse verfüge, müsse sie die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag zur Gänze ausgegeben haben. Die Beschwerdeführerin erhalte 360,00 € Verpflegungsgeld, sodass der Abgabenbetrag auch mittels Pfändung nicht möglich sein würde. Die wirtschaftliche Existenz der Beschwerdeführerin durch die Einbringung der gegenständlichen Abgaben sei daher wegen der Uneinbringlichkeit der Abgaben in keiner Art und Weise berührt oder gefährdet.
Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht, wobei begründend im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt wurde.
Mit Schreiben vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte deren Abweisung.
Mit Schreiben vom wurde die Beschwerdeführerin von der zuständigen Richterin des Bundesfinanzgerichtes aufgefordert ihre derzeitigen Vermögens- und Einkommensverhältnisse (monatliches Einkommen, Miete, Betriebskosten, etc., Schulden Rückzahlungs-, Unterhaltsverpflichtungen) darzulegen.
Mit Schreiben vom gab die Beschwerdeführerin bekannt, dass sie derzeit noch auf die Mindestsicherung und Grundversorgung in Höhe von insgesamt 972,00 € angewiesen sei. Beide Kinder würden Alimente von ihrem Vater in Höhe von je 250,00 € erhalten. Die Beschwerdeführerin zahle monatlich 400,00 € Miete und 80,00 € für den Kindergartenplatz ihres Sohnes. Sie habe keine Schulden. Es werde ersucht, die schwierige Lebenssituation zu berücksichtigen und dem Ersuchen um Nachsicht stattzugeben.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Nach der Geburt ihres Sohnes ***K1*** wurde der Beschwerdeführerin vom Finanzamt ein Informationsschreiben betreffend Familienbeihilfe übermittelt. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache beim Finanzamt beantragte sie die Familienbeihilfe für Ihren Sohn. In der Folge wurde ihr für den Zeitraum Jänner 2018 bis Jänner 2019 Familienbeihilfe in Höhe von 1.482,00 € und Kindergeld in Höhe von 759,20 € (insgesamt 2.241,20 €) ausbezahlt.
Mit Bescheid vom wurden Familienbeihilfe und Kindergeld in Höhe von 2.241,20 € zurückgefordert und begründend ausgeführt: "Personen, denen der Status von subsidiär Schutzberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 zuerkannt wurde, wird nur dann Familienbeihilfe gewährt, wenn sie oder ein anderes Familienmitglied keinen Anspruch auf eine Leistung aus der Grundversorgung haben und unselbständig oder selbständig erwerbstätig sind. Anspruch auf Familienbeihilfe besteht auch für jene Kinder, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach dem Asylgesetz 2005 zuerkannt wurde."
Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin gemäß § 236 BAO die Nachsicht des Betrages von 2.241,20 €.
Der Betrag von 2.241,20 € haftet am Abgabenkonto der Beschwerdeführerin zur Gänze unberichtigt aus.
Die Beschwerdeführerin bezieht derzeit (seit ) Mindestsicherung iHv 757,16 € und Grundversorgung iHv 215,00 € monatlich. Für ihre Kinder ***K1*** (geb. ) und ***K2*** (geb. ) erhält die Beschwerdeführerin vom Kindesvater Alimente in Höhe von derzeit insgesamt 490,00 €, für ***K1*** 250,00 € seit , für ***K2*** 240,00 € seit . Die Wohnung kostet monatlich 400,00 € und der Kindergartenplatz für den Sohn 80,00 €.
Beweiswürdigung
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus den Parteienvorbringen, den vom Finanzamt und der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen, insbesondere aus dem Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom und der Einsichtnahme in das elektronische Abgabeninformationssystem.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 2 lit. a Z 1 BAO gelten die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, soweit sie hierauf nicht unmittelbar anwendbar sind und nicht anderes bestimmt ist, sinngemäß in Angelegenheiten der von den Abgabenbehörden des Bundes zuzuerkennenden oder rückzufordernden bundesrechtlich geregelten Beihilfen aller Art. Die Familienbeihilfe stellt eine derartige Beihilfe dar ().
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in dieser Bestimmung vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen steht, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein.
Nach § 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl II Nr. 435/2005, kann die Unbilligkeit persönlicher oder sachlicher Natur sein.
Eine persönliche Unbilligkeit liegt nach § 2 der zitierten Verordnung insbesondere vor, wenn die Einhebung
1. die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde;
2. mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.
Gemäß § 3 der Verordnung liegt eine sachliche Unbilligkeit bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches
1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;
2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die
a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder
b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;
3. zu einer internationalen Doppelbesteuerung führt, deren Beseitigung ungeachtet einer Einigung in einem Verständigungsverfahren die Verjährung oder das Fehlen eines Verfahrenstitels entgegensteht.
Die Abschreibung von Abgabenschuldigkeiten durch Nachsicht setzt einen hierauf gerichteten Antrag voraus, wobei den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht trifft. Er hat einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann ().
Die Verpflichtung zur Rückzahlung von zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe gemäß § 26 FLAG stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () ausschließlich auf objektive Momente ab. Entscheidend ist somit lediglich, dass die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Familienbeihilfe nicht gegeben waren. Damit hat der Gesetzgeberdargelegt, dass er die Gründe, die zur Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe geführt haben, ebenso wie deren gutgläubigen Verbrauch im Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 FLAG grundsätzlich als unmaßgeblich erachtet hat. Die Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe stellt somit ein vom Gesetzgeber durchaus beabsichtigtes Ergebnis dar, welches nicht eine Unbilligkeit nach der Lage des Falles zu begründen vermag, selbst wenn der unrechtmäßige Bezug der Familienbeihilfe ausschließlich durch ein Versehen eines Bediensteten des Finanzamtes verursacht worden wäre.
Im Erkenntnis vom 28.11.2002, 2002/13/0079, hat der Verwaltungsgerichtshof Folgendes festgehalten: "Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist von subjektiven Momenten unabhängig und allein an die Voraussetzung des Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen für den Leistungsbezug geknüpft."
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass jene Ausführungen, wonach die Beschwerdeführerin alle relevanten Fakten in Zusammenhang mit dem Anspruch auf Familienbeihilfe dem Finanzamt gegenüber wahrheitsgemäß offengelegt hätte, der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen können. Unbestrittene Tatsache ist, dass die Beschwerdeführerin von Jänner 2018 bis Jänner 2019 Familienbeihilfe und Kindergeld für ihren Sohn ***K1*** im Ausmaß von insgesamt 2.241,20 € bezogen hat, obwohl die Anspruchsvoraussetzungen dafür nicht bestanden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein Nachsichtsverfahren nicht dazu dient, im Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendungen nachzuholen ().
Sofern die Beschwerdeführerin mit dem Vorbringen, dass sie stets alles getan habe, um eine Überprüfung der Anspruchsberechtigung durch die Behörde zu ermöglichen, eine Verletzung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glaube behauptet, ist dazu zu bemerken, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () das im Art. 18 Abs. 1 B-VG normierte Legalitätsgebot grundsätzlich stärker ist als der Grundsatz von Treu und Glauben; der Grundsatz von Treu und Glauben kann sich aber etwa in jenem Bereich auswirken, in welchem es auf Fragen der Billigkeit ankommt. Treu und Glauben ist demnach eine allgemeine, ungeschriebene Rechtsmaxime, die auch im öffentlichen Recht, somit auch im Steuerrecht - nach Maßgabe des eben Gesagten - zu beachten ist. Gemeint ist damit, dass jeder, der am Rechtsleben teilnimmt, zu seinem Wort und zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben (vgl. ). Auch unrichtige Auskünfte im Einzelfall können einen gewissen Vertrauens- und Dispositionsschutz auslösen sowie bei der dessen ungeachtet gebotenen Anwendung des Gesetzes eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO nach der Lage des Falles und damit die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten zur Folge haben.
Mit dem Vorbringen das Finanzamt ausreichend informiert zu haben, wird aber keineswegs das Vorliegen einer verbindlichen Auskunft für den Einzelfall dargetan, sondern lediglich der Umstand, dass der Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag eine gewisse Zeit lang unbeanstandet geblieben ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () kann eine allfällige Unterlassung von Handlungen jedoch keine Grundlage für Treu und Glauben bilden. Ein Vertrauen auf eine rechtsunrichtige Beurteilung der Behörde ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () im Allgemeinen nicht geschützt. Eine unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes für Treu und Glauben relevante Enttäuschung im Vertrauen auf eine von der Abgabenbehörde erteilte Rechtsauskunft könnte u.a. nur dann vorliegen, wenn diese Auskunft Grundlage für eine die Steuerfolgen auslösende Disposition des Steuerpflichtigen gewesen ist. Eine solche Disposition in Bezug auf den die Steuerpflicht auslösenden Sachverhalt auf Grund einer erteilten Rechtsauskunft der Abgabenbehörde wird von der Beschwerdeführerin nicht einmal behauptet.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass der Gesetzgeber mit § 26 Abs. 1 FLAG eine verschuldensunabhängige Rückzahlungsverpflichtung vorgesehen hat, die Rückforderung zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage darstellt und daher keine sachlich bedingte Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 BAO begründet.
Im gegenständlichen Fall gelang es der Beschwerdeführerin auch nicht zweifelsfrei darzulegen, dass in der Einhebung des Betrages von 2.241,20 € eine persönlich bedingte Unbilligkeit vorliege.
Die deutlichste Form der persönlichen Unbilligkeit liegt in der Existenzgefährdung. Diese müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein (siehe und die dort zitierte Vorjudikatur).
Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. ) sind für die Entscheidung über ein Nachsichtsansuchen die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung maßgebend.
Die finanziellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin haben sich im Vergleich zur Antragstellung am positiv verändert. Damals gab sie an, in einem Grundversorgungsquartier zu leben und für sich und ihren Sohn Verpflegungsgeld in Höhe von 360,00 € zu erhalten. Aus den am vorgelegten Unterlagen (insbesondere aus dem Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom ) ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin seit Mindestsicherung und Grundversorgung in Höhe von insgesamt 972,16 € bezieht. Für ***K1*** erhält sie seit Alimente in Höhe von 250,00 €, für ***K2*** seit 240,00 €. Die Kosten für die Wohnung werden mit 400,00 € bekannt gegeben, jene für den Kindergartenplatz mit 80,00 € monatlich.
Vor allem in Hinblick auf die Unterhaltspflichten für die beiden Kinder liegt das Einkommen der Beschwerdeführerin jedoch immer noch unter dem pfändbaren Existenzminimum, sodass von einer nicht gegebenen Einbringlichkeit des Abgabenrückstandes auszugehen ist. Dies führt aber dazu, dass eine persönlich bedingte Unbilligkeit (Existenzgefährdung durch eine drohende Abgabeneinhebung) im Sinn des § 236 nicht vorliegt (; ). Somit besteht auch keine akute Gefahr einer Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtes gemäß Art. 3 EMRK.
Für den Fall der dauernden Uneinbringlichkeit fälliger Abgabenschuldigkeiten ist nach den Bestimmungen der Bundesabgabenordnung nicht das Rechtsinstitut der Abgabennachsicht gemäß § 236 BAO, sondern jenes der Löschung durch Abschreibung gemäß § 235 BAO vorgesehen. Auf eine Löschung von Abgabenschuldigkeiten nach § 235 BAO besteht allerdings kein Rechtsanspruch ().
Insgesamt kann daher das Bundesfinanzgericht aufgrund der dargestellten wirtschaftlichen Situation keine persönlich bedingte Unbilligkeit erblicken, da die Einhebung der rückgeforderten Familienbeihilfe sowie des Kinderabsetzbetrages die Existenz der Beschwerdeführerin nicht gefährden kann. Der diesbezüglichen Argumentation des Finanzamtes im Vorlageantrag wurde seitens der Beschwerdeführerin nicht entgegengetreten.
Die Beurteilung, ob eine Unbilligkeit vorliegt, ist keine Ermessensfrage ( ), sondern die Auslegung eines unbestimmten Gesetzesbegriffes ( ; , 94/13/0047 , 0049, 0050). (Ritz, BAO 6 , § 236 Tz 15)
Da mangels persönlich oder sachlich bedingter Unbilligkeit der Abgabeneinhebung bereits die Nachsichtvoraussetzungen dem Grunde nach nicht gegeben sind, können Überlegungen zum Ermessen für die Bewilligung oder Nichtbewilligung der Nachsicht unterbleiben.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Dieses Erkenntnis folgt der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, sodass eine ordentliche Revision nicht zulässig ist.
Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.
Linz, am
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.5100522.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at