Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.07.2021, RV/7100064/2021

§ 299 BAO bietet keine verfahrensrechtliche Grundlage für eine Aufhebung wegen Unzuständigkeit der Bescheidbehörde infolge Nichtvorliegens eines Anbringens

Beachte

Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2021/13/0136.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Judith Leodolter in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch STP Seilern & Theiss Puchinger Steuerberatungs GmbH, Brucknerstraße 8 Tür 9, 1040 Wien, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom betreffend Aufhebung gem. § 299 BAO der Bescheide hinsichtlich Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2008-2011, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden - ersatzlos - aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (Bf.) wurde für die Jahre 2008-2011 erklärungsgemäß zur Einkommensteuerveranlagung veranlagt.

Mit Schreiben vom wurde eine Offenlegung ausländischer Kapitaleinkünfte und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Pension) beim Finanzamt eingebracht.

Der Bf. gab bekannt, dass er im Jahr 1997 ca. 2,100.000 DEM auf ein Depot bei der ***Bank1*** in der Schweiz übertragen und dort veranlagt habe. Am habe er Wertpapiere von dem Depot bei der ***Bank1*** auf sein Depot bei der österreichischen Bank ***Bank2*** übertragen. Am habe er den Großteil seines Depots zur ***Bank3*** in Kroatien transferiert. Bereits am habe er Aktien im Wert von 181.352,45 € auf sein Depot bei der Bank ***Bank2*** transferiert. Dieser Betrag sei entsprechend § 8 Kapitalabfluss-Meldegesetz im Wege der Einmalzahlung in Höhe von 68.913,93 € abgegolten worden.

Ebenfalls im Jahr 2012, am , habe der Bf. bei der ***Bank4*** in ***R*** ein Konto eröffnet, auf welches er am 70.024,87 € übertragen habe. Davon seien jeweils 30.001,00 € in Termingeldanlagen veranlagt worden. Am habe er 60.000 € in bar abgehoben und zu persönlichen Zwecken verbraucht. Das Konto sei nicht zinstragend und bestehe nach wie vor (Stand 5.321,69 €). Die erzielten Kapitaleinkünfte habe er in Österreich bislang nicht erklärt.

Weiters gab der Bf. bekannt, dass er aus seiner Tätigkeit bei der ***AG*** einen Pensionsanspruch aus der Deutschen Rentenversicherung habe und dass er der Meinung gewesen sei, die Pensionseinkünfte wären in Deutschland zu versteuern und dies von der ***AG*** vorgenommen würde.

In dem Schreiben vom wurden die Bemessungsgrundlagen der Einkünfte aus ausländischem Kapitalvermögen und ausländische Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Pensionen) für die Jahre 2007 bis 2016 offengelegt. Es wurde im Sinne der Rechtsprechung des BFG (, RV/1101066/2015) eine Anrechnung der bereits auf Basis des gem. § 8 KapMeldeG entrichteten Einmalzahlung angeregt.

Mit Bescheiden vom wurde die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2008 bis 2015 verfügt und es wurden neue Einkommensteuerbescheide unter Ansatz der offengelegten ausländischen Kapitaleinkünfte und ausländischen Pensionen erlassen. Eine Anrechnung der Einmalzahlung gem. § 8 Kapitalabfluss-Meldegesetz erfolgte nicht.

Mit Bescheiden vom wurden auf Grund eines per E-Mail am eingebrachten Antrages des Bf. betreffend Berücksichtigung der entrichteten Einmalzahlung gem. § 8 Kapitalabfluss-Meldegesetz die Verfahren betreffend Einkommensteuer 2008 bis 2011 wiederaufgenommen. In dem Antrag wurde der Betrag iHv 181.352,45 € von der steuerlich maßgeblichen Bemessungsgrundlage ausgeschieden und aliquot jeweils auf die Jahre 2008 bis 2011 sowie zwischen tarifsteuerpflichtigen und sondersteuersatzsteuerpflichtigen Einkünften aufgeteilt. Es ergab sich nach dieser Berechnung aus dem Verhältnis der Summe der Bemessungsgrundlagen des gesamten Zeitraums iHv 419.278,85 € zur Bemessungsgrundlage für die Abgeltungszahlung iHv 181.352,45 € ein Prozentsatz der abgegoltenen Bemessungsgrundlagen iHv 43%. Die dieser Berechnung entsprechenden Bemessungsgrundlagen wurden den im Rahmen der Wiederaufnahme des Verfahrens erlassenen neuen Einkommensteuerbescheiden 2008 bis 2011 zugrunde gelegt.

Mit Bescheiden vom wurden die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2008 bis 2011 vom gemäß § 299 Abs. 1 BAO ersatzlos aufgehoben. In der Begründung wurde ausgeführt, dass aufgrund des E-Mails vom dem Finanzamt keine Tatsachen neu bekannt geworden wären. Auch stelle das fälschlich als Antrag gewertete E-Mail vom kein Anbringen im Sinne der BAO dar, weshalb kein nach Erlassung der Einkommensteuerbescheide 2008 bis 2011 vom eingebrachter Antrag auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahrens 2008 bis 2011 vorgelegen sei.

Gegen die Bescheide betreffend Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich Einkommensteuer 2008 bis 2011 gem. § 299 BAO wurde mit Schreiben vom (innerhalb der bis verlängerten Frist) Beschwerde eingebracht. Begründend wurde nach Darlegung des Sachverhaltes - zusammengefasst - vorgebracht, dass dem Finanzamt im Zeitpunkt der Wiederaufnahme die Tatsache, dass die in der Selbstanzeige vom offengelegten Kapitaleinkünfte gemeinsam mit der entrichteten Abgeltungszahlung eine faktische Doppelbesteuerung bewirkten, nicht bekannt gewesen sei. Nicht die Angaben in der Selbstanzeige, sondern erst die Korrespondenz mit ADir ***W*** und schließlich das E-Mail mit der Berechnung der aliquoten Abgeltung und die Darstellung der Tatsache, dass eine Doppelbesteuerung bestehe, würden die für eine Wiederaufnahme erforderlichen neuen Tatsachen darstellen.

In der rechtlichen Würdigung wurde im Wesentlichen ausgeführt:

Eintritt der absoluten Verjährung hinsichtlich der Einkommensteuer 2008

Die Einkommensteuer 2008 sei mit Ablauf des absolut verjährt. Da die Verjährung der Abgabenfestsetzung entgegenstehe, sei die Aufhebung der Wiederaufnahme hinsichtlich Einkommensteuer 2008 nicht zulässig.

Wiederaufnahme § 303 Abs 1 BAO - Neue Tatsachen

Dem Finanzamt sei im Zeitpunkt der Wiederaufnahme die Tatsache, dass die in der Selbstanzeige vom offengelegten Kapitaleinkünfte gemeinsam mit der entrichteten Abgeltungszahlung eine faktische Doppelbesteuerung bewirkten, nicht bekannt gewesen. Dies ergebe sich einerseits aus der Einbeziehung bereits besteuerter Abgabenansprüche bei den Veranlagungen ohne Begründung und andererseits aus der späteren Korrespondenz mit ADir ***W***. Das Vorliegen einer Doppelbesteuerung sei keine Rechts- sondern eine Sachverhaltsfrage.

Sollte eine Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren mangels neuer Beweismitteln oder Tatsachen nicht zulässig gewesen sein, wäre eine Berichtigung nach § 293b BAO vorzunehmen

Überschreitung des Ermessens bei der Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides

In den Einkommensteuerbescheiden 2008-2011 vom seien durch vollständige Gutschrift der Einmalzahlung auf dem Abgabenkonto der Bank ***Bank2*** bereits abgegoltene Abgabenansprüche besteuert worden, wodurch eine Doppelbesteuerung bewirkt worden sei. Aufgrund der Doppelbesteuerung wäre eine amtswegige Aufhebung im Sinne des Prinzips der Rechtsrichtigkeit geboten gewesen.

Zusätzlich sei der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten. Der Bf. habe im Zeitpunkt des Ablaufs der Beschwerdefrist auf die Richtigkeit der Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 2008 bis 2011 durch die Wiederaufnahme der Verfahren und die damit zusammenhängenden neu erlassenen Einkommensteuerbescheide 2008 bis 2011 vom vertrauen können. Dies insbesondere deswegen, weil die Abgabenbehörde sämtliche für die Festsetzung der Abgaben erforderlichen Informationen zur Verfügung gehabt hätte und so eine fundierte Entscheidung habe treffen können. Bei der Ermessensübung im Rahmen der Aufhebung hätte der Grundsatz von Treu und Glauben berücksichtigt werden müssen. Aufgrund des grundsätzlichen Vorranges des Legalitätsprinzips (Art. 18 B-VG) gelte dies vor allem dann, wenn ein Entscheidungsspielraum besteht; somit bei Ermessensentscheidungen wie zB Aufhebungen gemäß § 299 BAO

Schließlich wurde für den Fall, dass der gg. Beschwerde nicht Folge gegeben werde, ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO gestellt.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde abgewiesen:

1. Eintritt der absoluten Verjährung vor Bescheiderlassung hinsichtlich Einkommensteuer 2008

Da es sich bei einer (ersatzlosen) Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO nicht um die Festsetzung einer Abgabe handle, seien die Bestimmungen betreffend die Festsetzungsverjährung (und somit auch die absolute Verjährung) auf eine Maßnahme gem. § 299 BAO nicht anwendbar.

2. Aufhebung gem. § 299 BAO

Ein nach Erlassung der Einkommensteuerbescheide 2008 bis 2011 vom eingebrachter Antrag auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2008 bis 2011 liege nicht vor. Das E-Mail vom stelle kein Anbringen im Sinne der BAO dar.

In der Begründung der Wiederaufnahmebescheide seien keine neu hervorgekommenen Tatsachen genannt und würden solche auch nicht existieren.

Der maßgebliche Sachverhalt sei bereits in der Offenlegung vom dargestellt worden. Es sei daher dem Finanzamt bereits bei Erlassung der Einkommensteuerbescheide 2008-2011 vom bekannt gewesen, dass am eine Übertragung jener Wertpapiere auf ein Depot bei der Bank ***Bank2*** erfolgt sei, für die die Bank zur Einbehaltung einer entsprechenden Einmalzahlung gern. § 8 Kapitalabfluss-MeldeG beauftragt gewesen sei. Dies werde auch in der Beschwerde gegen die Aufhebungsbescheide betreffend Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2008-2011 ausgeführt.

Für die Beurteilung der Höhe der Bemessungsgrundlagen (Einkünfte aus Kapitalvermögen und Spekulationseinkünfte) sei der Sachverhalt bei Bescheiderlassung am ausreichend bekannt gewesen. Selbst wenn erst aufgrund der Bescheiderlassung der Umstand einer Doppelbesteuerung bekannt geworden wäre, handle es ich dabei nicht um einen Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 303 BAO.

3. Ermessensüberschreitung

Nicht geschützt sei das Vertrauen des Abgabepflichtigen, dass zu Unrecht erlassene Wiederaufnahmebescheide nicht nach § 299 BAO aufgehoben werden dürfen.

Das Begehren, die Abgeltungswirkung der Einmalzahlung im Wege der Reduktion der Bemessungsgrundlagen im Verhältnis der Bemessungsgrundlage für die Abgeltungszahlung zu der Bemessungsgrundlage der in der Selbstanzeige für die Jahre 2008 bis 2011 erklärten zu besteuernden Einkünfte zu berücksichtigen, sei eine Rechtsfrage. Eine geänderte rechtliche Beurteilung berechtige nicht zur Wiederaufnahme eines Verfahrens.

Die faktische Doppelbesteuerung sei in Relation zum Ausmaß der durch die zu Unrecht erfolgte Verfahrenswiederaufnahme erlangten Gutschriften von untergeordneter Bedeutung.

Mit Schreiben vom (Postaufgabe ) wurde (innerhalb der mit Schreiben vom beantragten Fristverlängerung bis ) ein Vorlageantrag eingebracht, der im Wesentlichen die Beschwerdeausführungen wiederholt.

Nach einer erneuten Sachverhaltsdarstellung sowie Ausführungen zur Abgeltungswirkung der Einmalzahlung und deren Auswirkung auf die Bemessungsgrundlage wurde eingewendet, dass die Abgabenbescheide vom inhaltlich korrekt seien. Die Ansicht der Finanzverwaltung führe zu einem unsachlichen und gleichheitswidrigen Ergebnis, weshalb die Aufhebung der Abgabenbescheide vom zurecht erfolgt sei.

Dem Einwand der Abgabenbehörde, dass die Bestimmungen betreffend die Festsetzungsverjährung auf eine Maßnahme gem. § 299 BAO nicht anwendbar seien, wurde entgegengehalten, dass alle Bescheide, die ein Leistungsgebot in Bezug auf die Erbringung einer abgabenrechtlichen Geldleistung enthalten, als Abgabenfestsetzung gelten, also auch neue Sachbescheide gem. § 299 Abs 2 BAO. Dementsprechend sei die Aufhebung der Wiederaufnahme hinsichtlich 2008 nicht zulässig gewesen. Würde man § 299 BAO anders interpretieren, würde das Institut der absoluten Verjährung sinnentleert. Dies könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.

Eine Aufhebung nach § 299 BAO habe nur dann zu erfolgen, wenn sich der Spruch des Bescheides nicht als richtig erweise. Bei Vorliegen einer verfehlten Begründung, aber richtigem Spruch, sei die Abgabenbehörde nicht befugt, den Bescheid nach § 299 Abs 1 BAO aufzuheben.

Die Abgabenbehörde dürfe einen Bescheid nur dann nach § 299 BAO aufheben, wenn sie Gewissheit über dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit erlangt habe; die bloße Möglichkeit reiche nicht. Das Finanzamt habe den Sachverhalt nicht mit der für einen Aufhebungsbescheid notwendigen Gewissheit ermittelt. Das Finanzamt behaupte zwar, dass die Tatsache der Abgeltung im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits bekannt gewesen sei, habe aber nicht ermittelt, ob dies dem konkreten Finanzbeamten bzw. der Veranlagungsabteilung bekannt gewesen sei. Tatsächlich hätten sich weder die Selbstanzeige noch der Abgeltungsnachweis im Veranlagungsakt des für die Bescheiderlassung zuständigen Finanzbeamten befunden. Die Wiederaufnahmebescheide hätten daher mangels Gewissheit der Rechtswidrigkeit nicht aufgehoben werden dürfen.

Dem Einwand der Abgabenbehörde, dass das Vorliegen einer Doppelbesteuerung keine für die Bescheiderlassung relevante neue Tatsache sei, wurde entgegengehalten, dass die Bemessungsgrundlage Teil des Spruches sei, weshalb die Tatsache einer teilweisen Abgeltung der Bemessungsgrundlage jedenfalls geeignet sei, bei entsprechender Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis zu führen.

Der Finanzbeamte hätte daher eine Wiederaufnahme von Amts wegen prüfen und nach Ermessensübung entsprechend verfügen müssen. Die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides sei somit nicht zulässig.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Am erstattete der Bf. eine Selbstanzeige und gab u.a. bekannt, dass er am Vermögenswerte im Gesamtwert von 181.352,45 € von einem Schweizer Depot auf ein Depot bei der Bank ***Bank2*** transferiert habe (500 Stk ISIN ***1*** Aktien A.; 2.057 Stk ISIN ***2*** Aktien B sowie 1.200 Stk ISIN ***3*** Aktien C). Für diesen Kapitalzufluss wurde am eine Einmalzahlung in Höhe von 68.913,93 € geleistet.

Mit Bescheiden vom wurden die Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2008 bis 2015 wiederaufgenommen und die Einkommensteuer mit Bescheiden vom selben Tag unter Ansatz der in der Offenlegung gem. § 29 FinStrG vom bekannt gegebenen ausländischen Kapitaleinkünfte neu festgesetzt. Eine Anrechnung der Einmalzahlung gem. § 8 Kapitalabfluss-Meldegesetz - wie vom Bf. beantragt - erfolgte nicht.

Aufgrund eines per E-Mail vom eingebrachten Antrages, in dem um Berücksichtigung der entrichteten Einmalzahlung gem. § 8 Kapitalabfluss-Meldegesetz ersucht wurde, erfolgte mit Bescheiden vom die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer der Jahre 2008 bis 2011 (Bescheide vom ). Die Bescheide über die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2008 bis 2011 enthalten folgende Begründung:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte auf Grund Ihres Antrags"

In den im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen neuen Sachbescheiden wurde die Einkommensteuer entsprechend der in dem genannten Antrag dargestellten Bemessungsgrundlagen festgesetzt. Dadurch ergab sich eine Reduktion der festgesetzten Einkommensteuer für 2008 iHv 16.500,90 €, für 2009 iHv 10.946,89 €, für 2010 iHv 5.975,00 € und für 2011 iHv 12.476 €.

Mit Bescheiden vom wurden die Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2008 bis 2011 vom gemäß § 299 Abs. 1 BAO ersatzlos aufgehoben. Die Aufhebung wurde damit begründet, dass das als Antrag gewertete E-Mail vom kein Anbringen im Sinne der BAO darstelle und dass nach der Erlassung der Einkommensteuerbescheide 2008 bis 2011 vom keine neuen Tatsachen hervorgekommen seien.

Gegen die Aufhebungsbescheide gem. § 299 BAO vom richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt und ist unstrittig.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Strittig ist, ob die Aufhebung der Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2008 bis 2011 gem. § 299 BAO zu Recht erfolgte.

Gem. § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;

b) die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt.

Gem. Abs. 2 ist mit dem aufhebenden Bescheid der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.

Gem. Abs. 3 tritt durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat.

Die genannte Norm gestattet Aufhebungen ausschließlich für den Fall, dass sich der aufzuhebende Bescheid inhaltlich als unrichtig erweist. Der Inhalt eines Bescheides ist dann unrichtig, wenn der Bescheidspruch nicht dem Gesetz entspricht. Aus welchem Grund der Bescheid rechtswidrig ist (etwa wegen einer unrichtigen Gesetzesinterpretation, oder wegen mangelnder Kenntnis des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes, oder wegen Übersehens von Grundlagenbescheiden, etc.), erweist sich für die Anwendbarkeit des § 299 (1) BAO als irrelevant.

Wohl aber setzt die Aufhebung nach § 299 BAO die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus; die bloße Möglichkeit eines rechtwidrigen Bescheides reicht indes nicht hin (vgl. Ritz, BAO, Kommentar6, §299 Tz 13; ).

Es war daher im vorliegenden Fall zu prüfen, ob den Bescheiden betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer der Jahre 2008 bis 2011 vom der Mangel einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit anhaftet.

Gemäß § 303 Abs 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen unter anderem in jenen Fällen, in denen Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte, wiederaufgenommen werden.

In der Begründung der gem. § 299 BAO aufgehobenen Bescheide über die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2008 bis 2011 wird ausgeführt:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte auf Grund Ihres Antrags"

Die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2008 bis 2011 erfolgte demnach nicht von Amts wegen, sondern auf Antrag. Bei diesem Antrag handelt es sich um die per E-Mail vom eingebrachte, an ***W*** gerichtete, Eingabe der steuerlichen Vertretung des Bf., mit welcher unter Hinweis auf ein am geführtes Telefonat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung um Berücksichtigung der entrichteten Abgeltungszahlung in den Veranlagungen der Jahre 2008 bis 2011 ersucht wurde. Dass die Wiederaufnahme der genannten Verfahren auf Grund dieser E-Mail verfügt wurde, wird auch von der Abgabenbehörde in den Aufhebungsbescheiden vom ausgeführt.

Gemäß § 85 Abs. 1 BAO sind Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 3 schriftlich einzureichen (Eingaben).

Gemäß § 86a Abs. 1, 1. und 2. Satz BAO können Anbringen, für die Abgabenvorschriften Schriftlichkeit vorsehen oder gestatten, auch telegraphisch, fernschriftlich oder, soweit es durch Verordnung des Bundesministers für Finanzen zugelassen wird, im Wege automatisationsunterstützter Datenübertragung oder in jeder anderen technisch möglichen Weise eingereicht werden. Durch Verordnung des Bundesministers für Finanzen kann zugelassen werden, dass sich der Einschreiter einer bestimmten geeigneten öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Übermittlungsstelle bedienen darf.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss vom , Ra 2015/15/0007, ausgeführt, dass einem E-Mail im Anwendungsbereich der BAO nicht die Eigenschaft einer Eingabe zukommt, wobei es sich nicht einmal um eine einem Formgebrechen unterliegende, der Mängelbehebung gemäß § 85 BAO zugängliche Eingabe handelt. Ein mit E-Mail eingebrachtes Anbringen löst weder eine Entscheidungspflicht der Behörde aus, noch berechtigt es die Behörde, eine bescheidmäßige Entscheidung zu fällen, die von einem Anbringen abhängig ist, etwa eine Entscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zu fällen, die von einem Rechtsmittel abhängig ist. Die Abgabenbehörde ist nicht einmal befugt, das "Anbringen" als unzulässig zurückzuweisen, weil es sich bei einem solchen E-Mail eben nicht um eine Eingabe an die Behörde handelt.

Gegenständlich hat die Abgabenbehörde die "Eingabe" vom per E-Mail akzeptiert und die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2008 bis 2011 verfügt.

Da § 85 und § 86a BAO und die auf Grund des § 86a BAO ergangenen Verordnungen die Einbringung von Vorbringen mittels E-Mail nicht vorsehen, kommt einem E-Mail die Eigenschaft einer Eingabe auch dann nicht zu, wenn das Finanzamt derartige Vorbringen in Bearbeitung nimmt (vgl. dazu auch ).

In Anbetracht vorstehender Ausführungen handelt es sich bei dem per E- Mail eingebrachten Antrag um Berücksichtigung der entrichteten Abgeltungszahlung vom um keine Eingabe iSd § 85 Abs.1 BAO und war dieser daher von der Abgabenbehörde auch nicht in Behandlung zu nehmen.

Der Antrag gilt vielmehr als nicht eingebracht. Indem aber das Finanzamt auf Grund eines unbeachtlichen Anbringens die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2008 bis 2011 verfügt hat, hat es die Bescheide vom mit einer Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit belastet (vgl. dazu ; -F/06, , ).

Das bedeutet, dass die Bescheide zwar rechtswidrig sind, allerdings gestattet § 299 BAO Aufhebungen nur dann, wenn der Bescheid sich als nicht richtig erweist. Eine Aufhebung lediglich wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften oder wegen Unzuständigkeit der Bescheidbehörde ist seit nicht mehr zulässig (Ritz, BAO-Kommentar6, Rz 9 zu § 299).

Für eine Aufhebung wegen Unzuständigkeit der Abgabenbehörde infolge Nichtvorliegens eines Anbringens bietet daher § 299 BAO keine verfahrensrechtliche Grundlage.

Das Finanzamt hat die ersatzlose Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide gem. § 299 BAO nicht nur mit dem Nichtvorliegen eines Antrags, sondern auch damit begründet, dass sich der Spruch der die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2008 bis 2011 verfügenden Bescheide vom deshalb als nicht richtig erweise, weil keine neuen Tatsachen hervorgekommen seien.

Jene Gründe, aus denen das Finanzamt die Wiederaufnahme eines Verfahrens verfügt, sind in der Begründung eines Wiederaufnahmebescheides anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des VwGH (, 90/14/0262; , 90/14/0044; , 91/14/0165; ,93/14/0187, 0188) sich die Rechtsmittelbehörde bei der Erledigung des gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen kann. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen (Ritz, BAO6, Rz 3 zu § 307).

Das Finanzamt verweist im Begründungsteil der gegenständlichen Wiederaufnahmebescheide lediglich auf einen als nicht eingebracht geltenden Antrag. Darüber hinaus enthalten die Wiederaufnahmebescheide keinerlei Nennung der Gründe, aus denen das Finanzamt die Wiederaufnahme der Verfahren vorgenommen hat.

Damit fehlt den Bescheiden über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2008 bis 2011 die Begründung. Das Fehlen einer Begründung stellt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dar (Ritz, BAO6, Rz 27 zu § 93). Das Finanzamt hat die diesbezüglichen Bescheide dadurch zwar mit Rechtswidrigkeit belastet, worauf in der Beschwerdevorentscheidung auch zutreffend hingewiesen wird, jedoch bietet § 299 BAO für eine Aufhebung wegen Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften ebenso wenig eine verfahrensrechtliche Handhabe wie für eine Aufhebung wegen Unzuständigkeit der Abgabenbehörde.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der gegenständlichen Rechtsfrage ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und stellt daher keine Rechtsfrage dar, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 85 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 86a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
Ritz, BAO-Kommentar6, Rz9 zu § 299
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100064.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at