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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 26.07.2021, RV/7101520/2020

dauernde Erwerbsunfähigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinIBV in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Margot Artner, Luftbadgasse 4/3/-, 1060 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf (nunmehr Finanzamtes Österreich ) vom betreffend Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab Jänner 2018 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (kurz: Bf) beantragte durch seine Erwachsenenvertreterin mit Schriftsatz vom , beim Finanzamt eingelangt am , die Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für sich selbst. Diesem Schriftsatz wurde das Formular Beih 1-PDF und das Formular Beih 3 - PDF beigelegt.

Mit Vorhalt vom forderte das Finanzamt den Bf auf, den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe (Beih 3) vollständig ausgefüllt - mit Diagnose - vorzulegen,

Dieser Aufforderung kam der Bf durch seine Erwachsenenvertreterin am nach.

Das Finanzamt wies mit Bescheid vom den Antrag vom ab Jänner 2018 unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 ab.

Mit Schriftsatz vom brachte der Bf durch seine Erwachsenenvertreterin mit nachstehender Begründung Beschwerde ein:
Laut psychiatrischem Sachverständigengutachten vom würden bei dem Bf eine Anpassungsstörung und leichtgradige intellektuelle Defizite bestehen. Das Verhaltensmuster dürfte schon in der Kindheit aufgetreten sein und sich in der Adoleszenz manifestiert haben und sei mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden. Von kognitiven Einschränkungen, insbesondere Kritikfähigkeit, Urteilsvermögen und Überblicksgewinnung betreffend, sei auszugehen. Der Bf sei aufgrund der psychischen und körperlichen Einschränkungen dauernd arbeitsunfähig. Der genannte Befund korrespondiere auch mit den bisherigen Entscheidungen des Finanzamtes über die erhöhte Familienbeihilfe. Die Beihilfe sei dem Bf zuletzt für den Zeitraum Februar 2003 bis Dezember 2017 gewährt worden. Der gesundheitliche Zustand des Bf habe sich gegenüber den vorhergehenden Gewährungszeiträumen nicht verbessert. Im Gutachten des Sozialministeriumsservice vom sei die psychische Beeinträchtigung des Bf nicht berücksichtigt worden. Aufgrund der Anpassungsstörung und intellektuellen Defizite sei der Antragsteller nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Es werde angeregt, ein Ergänzungsgutachten einzuholen. Auch die Magistratsabteilung 40 sei im Rahmen der Gewährung der Mindestsicherung zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Bf eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit vorliege.
Abschließend wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab und begründete dies unter Hinweis auf § 8 Abs. 5 FLAG 1967 und § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 wie folgt:
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit sei durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Laut neuerlichem Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom sei der Grad der Behinderung von 70% und eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ab festgestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der Bf bereits im 33. Lebensjahr befunden.

Mit Schriftsatz vom stellte der Bf durch seine Erwachsenenvertreterin einen Vorlageantrag und führte ergänzend aus:
Die Feststellung der dauernden Erwerbsunfähigkeit ab sei unrichtig. Das Finanzamt habe dem Bf laut Mitteilung vom im Verfahren unter der fiktiven Versicherungsnummer 123 die erhöhte Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag ab Februar 2003 bis Jänner 2018 zuerkannt. Der Bf beziehe von der MA 40 eine Dauerleistung. Der Bf sei laut amtsärztlichen Gutachten dauernd invalid. Aufgrund der Behinderung habe der Bf im Zeitraum 1987 bis 1995 die Schwerhörigenschule in xyz, besucht. Der Bf sei vom 07.2000 bis 2005 in einer Behindertenwerkstatt beim OO tätig gewesen. Die Tagesstruktur habe der Fonds Soziales Wien im Rahmen der Behindertenhilfe gefördert. Gemäß § 9 Chancengleichheitsgesetz Wien (CGW) umfasse Tagesstruktur Leistungen für Menschen mit Behinderung, die dauerhaft nicht in den Arbeitsprozess integriert würden. Diese Voraussetzungen (dauernde Erwerbsunfähigkeit) habe der Bf erfüllt. Er wäre sonst nicht in die geförderte Tagesstruktur aufgenommen worden. Er habe dort leichte Holzarbeiten verrichtet. Die Arbeiten hätten ihn überfordert. Es sei zu Fehltagen gekommen. Dies habe dazu geführt, dass er von der Tagesstruktur abgemeldet worden sei. Der Bf habe am Arbeitsmarkt nie Fuß gefasst. In der Anlage werde der Sozialversicherungsdatenauszug übersendet. Aus diesem sei keine Erwerbstätigkeit ersichtlich. Er sei immer auf Grund der Behinderung außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Dies korrespondiere auch mit der Gewährung der Dauerleistung durch die MA 40. Auch die MA 40 habe eine dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt. Diese Umstände seien im amtsärztlichen Gutachten nicht berücksichtigt worden. Bei richtiger Würdigung dieser Umstände sei der Beginn der dauernden Erwerbsunfähigkeit früher anzusetzen. Es sei davon auszugehen, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. während der nicht vollendeten Berufsausbildung eingetreten sei und ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe bestehe.

Mit Bericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und führte zur Mitteilung über den Bezug von Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag unter der fiktiven Sozialversicherungsnummer 123 aus, dass die Gewährung irrtümlich erfolgt sei und die Beträge zurückzufordern wären. Gemäß § 26 Abs. 4 FLAG 1967 sei davon Abstand genommen worden.

Das Bundesfinanzgericht richtete am einen Vorhalt an das Finanzamt:
Dem Bf sei laut Mitteilung vom , fiktive Versicherungsnummer 123, die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung in der Zeit von Februar 2003 bis Jänner 2018 gewährt worden. Dazu lasse sich zunächst in der Familienbeihilfendatenbank eine aufgrund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens vom ergangene Bescheinigung des Bundessamtes für Soziales und Behindertenwesen vom finden, in der ein Grad der Behinderung von 60% ab bestätigt und die dauernde Erwerbsunfähigkeit verneint werde. Laut einem an ***1*** gerichteten eMail vom habe das Finanzamt daraufhin einen am eingebrachten Antrag gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 abgewiesen. Dies habe zu einer Beschwerde geführt, in welcher ein neuerliches Gutachten angefordert worden sei. Laut "Dokumentenbeschreibung" zu 123 sei dem Finanzamt in der Folge eine ärztliche Bescheinigung vom zur Verfügung gestanden und es sei ein Grad der Behinderung von 60% sowie die voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit vermerkt worden. Letztlich sei es zu einer stattgebenden Beschwerdevorentscheidung gekommen und die Familienbeihilfe sowie der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung sei ab Februar 2003 ausgezahlt worden.
Das Bundesfinanzgericht benötige im Zusammenhang mit diesem festgestellten Sachverhalt:
- den Antrag auf Familienbeihilfe vom ,
- den Abweisungsbescheid,
- die Beschwerde,
- die stattgebende Beschwerdevorentscheidung und vor allem auch
- die ärztliche Bescheinigung vom , die nötigenfalls vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen anzufordern sei.
Insgesamt mögen die näheren Umstände, die zu einer Stattgabe geführt hätten, soweit wie möglich - uU. auch unter Rückfrage beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - aufgeklärt werden.

In der Vorhaltsbeantwortung vom führte das Finanzamt Folgendes aus:
- Antrag auf Familienbeihilfe vom : die Ablage sei leider schon skartiert und habe nicht ausgehoben werden können.
- Abweisungsbescheid: sei leider ebenso skartiert - anbei ein Bildschirmausdruck betreffend die Erledigung aus dem Beihilfenakt.
- Beschwerde/stattgegebene Beschwerdevorentscheidung/ärztliche Bescheinigung vom .
Anmerkungen zu den BSB-Bescheinigungen/SMS-Gutachten:
1. Bescheinigung vom : Da diese Bescheinigung zwar 60% GdB ab 02/2003 aufweise, aber keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 18. bzw. 21. Lebensjahr festgestellt worden sei, sei der Antrag abgewiesen worden.
2. Am sei in der BSB-Bescheinigung (sinngemäß) festgehalten worden, dass der Bf zur Untersuchung entschuldigt nicht erschienen sei und laut Chefarzt eine Änderung auf Dauerzustand, ab Geburt, dauernd außerstande sich den Unterhalt zu verschaffen, zu erfolgen habe. Eine richtige Bescheinigung/Gutachten dazu liege nicht vor.
3. Gutachten vom : 60% GdB seit 02/2003, nicht dauerhaft außerstande sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
4. Gutachten vom : Änderung auf 70% GdB ab 10/2014, 60% ab 02/2003, der Bf sei zwar voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, diese Unfähigkeit sei aber nicht vor vollendetem 18. Bzw. 21. Lebensjahr eingetreten.
Sowohl die ursprüngliche Bescheinigung vom als auch die beiden Gutachten von Juli 2018 bzw. Dezember 2018 würden von einer erheblichen Behinderung (über 50% GdB) ab 02/2003 ausgehen. Sowohl die ursprüngliche Bescheinigung als auch das Gutachten vom Juli 2018 würden davon ausgehen, dass der Bf nicht dauerhaft außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Das Gutachten vom Dezember 2018 weiche davon (schlüssig) durch die Vorlage eines Sachwalterschaftsbeschlusses ab und spreche nun von einer Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen - diese sei jedoch erst nach vollendetem 18. bzw 21. Lebensjahr eingetreten. Wie es zu der Bescheinigung im Februar 2004 gekommen sei, könne leider heute, auch trotz Nachfrage beim Sozialministeriumservice, nicht mehr gesagt werden. Aus heutiger Sicht erscheine die damalige Bescheinigung und damit auch die Gewährung der Familienbeihilfe mit dem Erhöhungsbetrag unrichtig. Daher hätte (soweit es nach den Verfahrensvorschriften möglich sei) die Familienbeihilfe rückgefordert werden müssen. Es sei Kontakt mit der Oberbehörde gesucht worden, die angewiesen habe, von einer Rückforderung Abstand zu nehmen. In der Entscheidung betreffend den Zeitraum ab Jänner 2018 seien nun nur die aktuellen Gutachten berücksichtigt, wonach der Bf keinen Anspruch auf Familienbeihilfe und Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung habe.

Mit Vorhalt vom brachte das Bundesfinanzgericht das bisher vom Bundesfinanzgericht durchgeführte Vorhalteverfahren dem Bf zur Kenntnis und hielt darin nach Rechtsausführungen fest, dass laut Sozialministeriumservice ein ärztliches Sachverständigengutachten vom , zugestimmt am , ein ärztliches Sachverständigengutachten vom und ein weiteres, bisher letztes Sachverständigengutachten vom , zugestimmt am , vorlägen.
Die BSB-Bescheinigung vom entspreche den an ein ärztliches Zeugnis gestellten Anforderungen nicht. Der in dieser Bescheinigung getroffenen Aussage, der Bf sei ab Geburt, dauernd außerstande sich den Unterhalt selbst zu verschaffen, liege offensichtlich kein ärztliches Sachverständigengutachten zu Grunde und finde sich darin keine Befassung mit der Frage statt, wie sich die festgestellte Behinderung des Bf auf seine Fähigkeit auswirke, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Die Tätigkeit des Bundesfinanzgerichts habe sich daher zunächst im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die im Wege des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice) erstellten ärztlichen Gutachten vom /, vom und vom / als schlüssig, vollständig und nicht einander widersprechend anzusehen seien.
Aus diesem Grund werde dem Bf Gelegenheit zur Stellungnahme hinsichtlich Schlüssigkeit, Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit der genannten ärztlichen Sachverständigengutachten gegeben.
Ergänzend werde noch Folgendes festgehalten:
Für die Erstellung der ärztlichen Sachverständigengutachten vom und vom seien dem begutachtenden Arzt bzw. der begutachtenden Ärztin keine relevanten (aktuellen) Befunde zur Verfügung gestanden. Im Sachverständigengutachten vom habe auf das (dem Bundesfinanzgericht vorgelegte) psychiatrische und neurologische Sachverständigengutachten von Frau Dr. C vom als relevanten Befund zurückgegriffen werden können und hätten dieses auch Berücksichtigung gefunden.
Es werde dem Bf die Möglichkeit eingeräumt, alle aus früheren Zeiträumen (insbesondere auch vor und rund um das Jahr 2000) vorliegenden ärztlichen Befunde und sonstige geeignete Unterlagen vorzulegen.
Im Vorlageantrag werde ausgeführt, der Bf sei vom 07.2000 bis 2005 in einer Behindertenwerkstatt beim OO tätig gewesen und die Tagesstruktur sei vom Fonds Soziales Wien im Rahmen der Behindertenhilfe gefördert worden. Der Antrag auf Gewährung der Förderung sowie die schriftliche Erledigung dieses Antrags und die ärztlichen Befunde, die Grundlage für die Gewährung der Förderung gewesen seien, und der weitere dazu ergangene Schriftverkehr seien vorzulegen.
Angesprochen werde des Weiteren im Beschwerdeverfahren die Gewährung einer Dauerleistung (Mindestsicherung) durch die Magistratsabteilung 40, welche die dauernde Erwerbsunfähigkeit festgestellt habe. Unterlagen und ärztliche Befunde zu diesen Ausführungen seien ebenfalls nachzureichen.
Der Familienbeihilfendatenbank könne das Bundesfinanzgericht entnehmen, dass der Bf zur Ableistung des Wehrdienstes untauglich gewesen sei. Ein ärztlicher Befund, der dieser Entscheidung zugrunde gelegen sei, wäre ebenfalls hilfreich.

Mit der Vorhaltsbeantwortung vom wurden die aus früheren Zeiträumen vorliegenden ärztlichen Befunde und sonstige Unterlagen vorgelegt (auf die angeführten Unterlagen darf verwiesen werden).
Aus den vorgelegten Unterlagen gehe nach Ansicht des Bf bzw. der Erwachsenenvertreterin hervor, dass der Bf seit frühester Jugend an einer Behinderung (Intellegenzminderung, hochgradige Hörbehinderung) leide. Auf Grund der Behinderung sei der Bf unfähig gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Insbesondere werde auf das amtsärztliche Gutachten vom verwiesen. Nach diesem Gutachten liege eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit von einem Jahr vor. Eine Vermittlung auf dem freien Arbeitsmarkt sei in Zukunft nicht zu erwarten. In der Folge hätten die amtsärztlichen Gutachten durchgehend eine Arbeitsunfähigkeit des Bf bis heute festgestellt.
Aus den vorgelegten amtsärztlichen Gutachten sei ableitbar, dass der Zeitpunkt der eingetretenen Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr liege. Die Gutachten stünden im Widerspruch zu der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, welche die eingetretene Erwerbsunfähigkeit mit 02/2003 ansetze.
Es werde weiters auf das Gesetz zur Förderung von Menschen mit Behinderung in Wien (Chancengleichheitsgesetz Wien-CGW) verwiesen. Nach § 9 CGW hätten Menschen mit Behinderung, die aktuell oder dauerhaft nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten, Anspruch auf Förderung auf eine Tagesstruktur. In der Beilage würden die Bewilligungen der Förderung in Kopie übermittelt werden. So habe die Magistratsabteilung 12- Behindertenhilfe am dem Bf eine Beschäftigungstherapie (Tagesstruktur) gewährt. Nach den Förderrichtlinien sei für eine Teilnahme bzw Förderung der Tagesstruktur eine aktuelle oder dauernde Arbeitsunfähigkeit Voraussetzung.
Weiters gehe aus den übermittelten Unterlagen der Stellungskommission hervor, dass der Bf untauglich für den Wehrdienst sei. Auch sei er auf Grund seiner Behinderung weder in der Lage gewesen, seinen Beruf zu erlernen, noch eine Tätigkeit am ersten Arbeitsmarkt auszuüben.
Nochmals werde der Sozialversicherungsdatenauszug übermittelt; darin scheine keine Erwerbstätigkeit auf.
Aufgrund der vorgelegten Befunde und Unterlagen sei davon auszugehen, dass beim Bf der Eintritt der Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor dem 21. Lebensjahr liege.

Mit Schriftsatz vom wurde der Versicherungsdatenauszug nachgereicht.

Das Bundesfinanzgericht leitete am den Vorhalt vom , die Vorhaltsbeantwortung vom samt Beilagen und den ergänzenden Schriftsatz vom samt Beilage an das Finanzamt weiter und ersuchte um Vorlage an das Bundessozialministeriumservice.
Das Sozialministeriumservice möge unter Beifügung der Vorhaltsbeantwortungen vom und samt sämtlicher Beilagen um ein weiteres Gutachten ersucht werden, in welchem anhand der neuen Beweismittel und unter Eingehen auf die Ausführungen der Erwachsenenvertreterin festzustellen sei, ob die Unfähigkeit des Bf sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten sei. Hinzuweisen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass der am 81 geborene Bf laut Versicherungsdatenauszug der Österreichischen Sozialversicherung offensichtlich niemals am sog. ersten Arbeitsmarkt bzw am freien, regulären Arbeitsmarkt Fuss gefasst habe. Es falle des Weiteren auf, dass dem Bf, der am 02 das 21. Lebensjahr vollendet habe, seit 1998 mehrfach nach dem Wiener Behindertengesetz Beschäftigungtherapien bewilligt worden seien. Selbsterhaltungsfähigkeit sei gegeben, wenn das Kind sämtliche Unterhaltsbedürfnisse im Rahmen der bestimmten konkreten Lebensverhältnisse aus eigenen Kräften zu finanzieren imstande sei, und zwar auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Selbsterhaltungsfähig sei ein Kind nur dann, wenn es auf sich alleine gestellt mit seinen Einkünften alle Lebensbedürfnisse, also auch den (allenfalls fiktiven) Geldaufwand zur Erlangung notwendiger Pflege- und Erziehungsleistungen, decken könnte (vgl ). "Sich selbst den Unterhalt zu verschaffen" bedeute, dass das Kind grundsätzlich auf dem "ersten Arbeitsmarkt", also dem regulären Arbeitsmarkt vermittelbar sei und so imstande sei, sich selbst ohne Zuwendungen anderer und ohne staatliche Zuschüsse zu erhalten (vgl , ).
Das Finanzamt werde schon jetzt eingeladen, nach Ergehen des weiteren Sachverständigengutachtens dazu eine Stellungnahme abzugeben.

Am langte das weitere Sachverständigengutachten beim Bundesfinanzgericht ein und das Finanzamt gab dazu folgende Stellungnahme ab:
Dieses Gutachten (erstellt am ) weise wieder einen Grad der Behinderung von 70% aus - seit 07/2020, der Grad der Behinderung von 60% ab 02/2003 werde abermals bestätigt. Wie im Vorgutachten () werde bestätigt, dass der Bf voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Im Gegensatz zum Vorgutachten ( da habe die "dauernde Erwerbsunfähigkeit" nicht zweifelsfrei vor dem 21. Lebensjahr festgemacht werden können) werde nun bescheinigt, dass dieser seit 07/2020 vorliege. Aufgrund der neuen Unterlagen erscheine das schlüssig und nicht widersprüchlich. Diesen beiden Gutachten sowie dem älteren Gutachten vom Juli 2018 sei eindeutig zu entnehmen, dass der Bf nicht nachweislich vor dem 21. Lebensjahr voraussichtlich dauernd außerstande gewesen sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es komme weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußere, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führe. Maßgeblich sei der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit eintrete, welche einen Grad von mindestens 50 vH erreiche bzw die voraussichtliche dauernde Erwerbsunfähigkeit nach sich ziehe (vgl ).

In einem weiteren Schritt wendete sich das Bundesfinanzgericht betreffend das Sachverständigengutachten vom / am per eMail an das Sozialministeriumservice:
Es falle auf, dass der Gesamtgrad der Behinderung mit 70vH rückwirkend ab 07/2020 bescheinigt werde, wobei die dazu erfolgte Begründung keine plausible Erklärung für das Datum 07/2020 bieten könne. Gleichzeitig sei als Ergebnis der Begutachtung festgehalten worden, dass der Bf voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Diese Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bestehe seit 07/2020. Eine dazu erfolgte Begründung sei ebenfalls nicht aufschlussreich. In der Begründung des rückwirkenden Grades der Behinderung werde eine Bestätigung der O GmbH vom angesprochen, aus welcher ua hervorgehe, dass der Bf von 07.2000 bis 2005 in einer Werkstätte (gem § 9 des Chancengleichheitsgesetzes Wien) in der Tagesstruktur betreut worden sei. Es stelle sich daher die Frage, ob ein Schreibfehler unterlaufen sei und mit 07/2020 in Wirklichkeit jeweils 07/2000 gemeint sei.

In einer Stellungnahme vom zum Sachverständigengutachten wurde nach Durchsicht der Aktenlage bestätigt, dass ein Schreibfehler unterlaufen sei. Es sei eine Bestätigung des OO vom vorgelegt worden, in welcher dargelegt werde, dass der Bf vom 07.2000 bis 2005 und vom 05.2008 bis 2008 in der Werkstätte gemäß § 9 des Chancen-Gleichheitsgesetzes Wien in der Tagesstruktur betreut worden sei. Somit sei anzunehmen, dass die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, dauerhaft ab 07/2000 vorliege. Aufgrund der Kombination Schwerhörigkeit, Dyslalie und mentaler Beeinträchtigung sei die uneingeschränkte Selbsterhaltungsfähigkeit nicht mehr möglich. Ebenso sei das Datum des Gesamt-GdB ab 07/2000 rückdatierbar. Die Unterzeichnung dieser Stellungnahme erfolgt durch Frau Dr A am und Frau Dr. B am .

Nachdem das Bundesfinanzgericht das Finanzamt von der Stellungnahme des Sozialministeriumservice vom / informiert hatte, hielt das Finanzamt am fest, dass die Begründung des berichtigten Gutachtens vom / iVm der Berichtigung vom / schlüssig erscheine, das Finanzamt somit an das Gutachten gebunden sei und bei Kenntnis der Sachlage auch schon im Verfahren beim Finanzamt eine Stattgabe erfolgen hätte müssen.

Am erfolgte die Zurückziehung des Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Dazu wird erwogen

1 gesetzliche Grundlagen

Volljährige Vollwaisen haben gemäß § 6 Abs. 2 lit d FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z. 3 und Z. 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

Nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfs getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Die Familienbeihilfe erhöht sich nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Nach § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfe zu ersetzen.

2 Sachverhalt

Der Bf kam am 81 zur Welt, vollendete am 99 das 18. Lebensjahr, am 02 das 21. Lebensjahr und am 06 das 25. Lebensjahr.

Im Schuljahr 1997/98 besuchte er laut Bestätigung der Schuldirektion vom die öffentliche Sonderschule für schwerhörige Kinder. Mit Abschluss des Schuljahres 1997/98 erfüllte der Bf die allgemeine Schulpflicht (vgl. §§ 2 u 3 Schulpflichtgesetz 1985).

Am erfolgte eine Untersuchung des Bf und wurde eine ärztliche Begutachtung nach dem Pflegegeldgesetz durchgeführt. Zur Vorgeschichte wurde Folgendes festgehalten:

"Bf kommt in Begleitung seiner Mutter in die ***2***. Er wohnt mit seinen Eltern und Geschwistern in einer Wohnung im 2. Stock ohne Lift, welche mit Ölofen geheizt wird. Bf ist taub, es besteht bei ihm daher eine erhebliche Sprachstörung, weshalb die Anamnese vorwiegend mit der Mutter erfolgt. Er kam als 6monatskind mit 950 Gramm und 36 cm Körperlänge auf die Welt. Die Taubheit besteht von Geburt an. Er scheint als Kleinkind Krampfanfälle gehabt zu haben (die Mutter spricht nur mangelhaft Deutsch). Bf besucht derzeit die Schule für Hörbehinderte. Während der Anamnese liest er mir von den Lippen ab, scheint jedoch nicht alles zu verstehen, seine Sprechversuche sind unartikuliert und rudimentär. Nach Angaben der Mutter kann Bf alle Dinge des täglichen Lebens selbst verrichten. Er bedarf nur der Begleitung in unvertrauter Umgebung."

Laut Bescheinigung der Stellungskommission vom war der Bf zur Ableistung des Wehrdienstes untauglich.

In den Verfügungen des Magistrates der Stadt Wien vom und vom wurde dem Bf gemäß § 22 Wiener Behindertengesetz jeweils eine Beschäftigungstherapie ab Aufnahme in einer von der Magistratsabteilung 12 (Behindertenhilfe bzw Sozialamt) anerkannten Einrichtung im Rahmen der von der Magistratsabteilung 12 genehmigten Anzahl von Betreuungsplätzen gewährt.

In einer Bewilligung vom wurde eine weitere Förderung für Beschäftigungstherapie gewährt.

Der Bf wurde laut Schriftsatz vom der OO Arbeiten GmbH vom 07.2000 bis 2005 und in der Zeit vom 05.2008 bis 2008 in einer Behindertenwerkstatt beim OOO (OO) in der Tagesstruktur betreut. Die Werkstätten sind anerkannte Einrichtungen des Fonds Soziales Wien für die Leistung Tagesstruktur.

Im amtsärztlichen Gutachten vom wird ausdrücklich festgestellt, dass eine Beschäftigungstherapie in der Behindertenwerkstätte weiterhin sinnvoll ist. Im Hinblick darauf, dass eine Besserung der Taubstummheit nicht und eine Vermittlung auf dem freien Arbeitsmarkt in Zukunft kaum zu erwarten ist, wird die Frage in den Raum gestellt ob eventuell eine Dauerleistung sinnvoll sei. Es wird eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit bescheinigt mit dem Hinweis, dass eine Nachprüfung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit nach einem Jahr zu erfolgen hat. Im amtsärztlichen Gutachten vom wird in der Folge anlässlich der Begutachtung der Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG wieder eine nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit mit einer Nachprüfung der Arbeitsunfähigkeit nach einem Jahr festgestellt und die Notwendigkeit einer orthopädischen Begutachtung und hausärztlichen Stellungnahme angesprochen. Am erfolgte das nächste amtsärztliche Gutachten zur Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 255 Abs. 3 ASVG, in dem die nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit festgehalten wird und eine Nachprüfung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit erst nach zwei Jahren vorgesehen wird. Am erfolgte die nächste amtsärztliche Begutachtung, und es wurde wiederum eine nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Im Anschluss daran wird im amtsärztlichen Gutachten vom die nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit abermals bestätigt und eine Nachprüfung des Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit nach zwei Jahren vorgesehen. Im amtsärztlichen Gutachten vom zur Arbeitsfähigkeit im Sinne des § 255 Abs 3 ASVG wurde sodann die dauernde Invalidität bescheinigt.

Am wurde ein Teamgutachten erstellt, wonach beim Bf folgende Leiden und Gebrechen vorliegen: 1) Intell. Behinderung leichten Grades, 2) hochgradige Hörbehinderung, 3) keine.

Laut Versicherungsdatenauszug bezog der Bf vom bis Arbeitslosengeld. Darüber hinaus enthält dieser Auszug keine weiteren Daten.

Am regte das Amt für Jugend und Familie die Sachwalterschaft für den Bf an. Mit Beschluss vom wurde daraufhin S zum Verfahrenssachwalter sowie einstweiligen Sachwalter für folgende Angelegenheiten bestellt: Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten und Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen.

Die Voraussetzungen für eine Sachwalterschaft gemäß § 268 ABGB wurden in einem psychiatrischen und neurologischen Sachverständigengutachten von Dr. C vom bestätigt.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom wurde die derzeitige Erwachsenenvertreterin bestellt.

Einer Mitteilung vom ist zu entnehmen, dass er in der Zeit von Februar 2003 bis Jänner 2018 erhöhte Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag bezog.

Laut Sozialministeriumservice gibt es zum Bf ein ärztliches Sachverständigengutachten vom , zugestimmt am , ein ärztliches Sachverständigengutachten vom und ein weiteres Sachverständigengutachten vom , zugestimmt am . Ein letztes Sachverständigengutachten wurde über Ersuchen des Bundesfinanzgerichtes am / erstellt.

Laut der auf das ärztliche Sachverständigengutachten vom / gestützten Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom betrug der Grad der Behinderung ab 60% und lag eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht vor; diesem Gutachten lagen keine relevanten vorgelegten Befunde zugrunde. Der Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe wurde daher abgewiesen, da diese Bescheinigung keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr auswies. Der Bf erschien im Zuge des daraufhin stattfindenden Berufungsverfahrens entschuldigt nicht zu einem für den angesetzten Untersuchungstermin. In der BSB-Bescheinigung vom wurde sodann festgehalten: "Lt. Chefarzt Änderung auf Dauerzustand, ab Geburt, dauernd außerstande sich d. Unterhalt zu verschaffen" und es kam zur Auszahlung der erhöhten Familienbeihilfe ab Februar 2003.

Die BSB-Bescheinigung vom stützte sich auf kein ärztliches Sachverständigengutachten. Im Kalenderjahr 2004 wurde kein ärztliches Sachverständigengutachten erstellt.

Laut der auf das ärztliche Sachverständigengutachten vom gestützten Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom beträgt der Grad der Behinderung ab 60%; eine dauernde Erwerbsunfähigkeit ist nicht gegeben. Das führende Leiden 1 wird durch Leiden 2 nicht erhöht, da der Gesamtzustand nicht wesentlich negativ beeinflusst wird und keine wesentliche negative Leidensbeeinflussung vorliegt - entsprechende Vorgutachten aufgrund der damals vorliegenden Befunde. DEU: trotz der hochgradigen Schwerhörigkeit und der Sprachstörung ist Erwerbsfähigkeit gegeben. Eine wesentliche Besserung ist nicht zu erwarten.

Dem Sachverständigengutachten vom sind folgende Leiden zu entnehmen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Lfd Nr
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden Begründung der Rahmensätze
Pos.Nr.
GdB %
1
Hochgradige Schwerhörigkeit beidseits, audiogene Dyslalie, Tabelle 4/4, oberer Rahmensatz, da audiogene Dyslalie und Hörgerät beidseits
60
2
Fehlstellung der Füße, Wahl dieser Position mit unterem Rahmensatz, da geringe Gehstörung
30
Gesamtgrad der Behinderung
60

Unter dem Titel "Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe) wird angeführt, dass keine aktuellen vorliegen.
In der Stellungnahme zum Vorgutachten wird festgehalten, dass die Leiden 1 und 2 des Vorgutachtens im nunmehrigen Leiden 1 zusammengefasst werden. Das nunmehrige Leiden 2 wird hinzugefügt. Der Gesamt Gdb bleibt unverändert.

Laut dem Gutachten vom ist der Bf voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. In der Anmerkung bzw Begründung betreffend die Fähigkeit bzw voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wird Folgendes ausgeführt: "trotz der hochgradigen Schwerhörigkeit und der Sprachstörung ist Erwerbsfähigkeit gegeben. Eine wesentliche Besserung ist nicht zu erwarten."

Laut einer weiteren Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom und dem ärztlichen Sachverständigengutachten vom / beträgt der Grad der Behinderung ab 60% und ab 70% und eine dauernde Erwerbsunfähigkeit wird bejaht, wobei verneint wird, dass diese bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten sei. Die Erhöhung der führenden funktionellen Einschränkung 1 (hochgradige Schwerhörigkeit) durch Leiden 2 (leichtgradiges intellektuelles Defizit mit Anpassungsstörung) um 1 Stufe ist aufgrund der zusätzlichen Beeinträchtigung dieses Leidens gerechtfertigt. Leiden 3 (Fehlstellung der Füße) erhöht nicht weiter, da keine maßgebliche ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung besteht. - 70% ab 10/2014 ist aufgrund des Sachwaltschaftsbeschlusses gerechtfertigt. DEU: "aufgrund der Kombination der Schwerhörigkeit, Dyslalie und mentalen Beeinträchtigung ist die uneingeschränkte Selbsterhaltungsfähigkeit nicht möglich. Der Eintritt der EU ist nicht zweifelsfrei vor dem 21. Lebensjahr festzumachen."

Als relevanter Befund stand das psychiatrisches und neurologisches Sachverständigengutachten von Frau Dr. C, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, betreffend Sachwalterschaft zur Verfügung.

Aus dem Sachverständigengutachten vom / ergibt sich nach Korrektur eines Schreibfehlers durch eine ergänzende Stellungnahme vom / als Ergebnis der Begutachtung - gestützt auf den Schriftsatz der O GmbH vom , in welchem bestätigt wird, dass der Bf vom 07.2000 bis 2005 und vom 05.2008 bis 2008 in der Werkstatt gemäß § 9 des Chancen-Gleichheitsgesetze Wien in der Tagesstruktur betreut wurde - ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 vH ab 07/2000 und zusätzlich die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, dauerhaft ab 07/2000. Diesem Gutachten wurden als relevante Befunde der Schriftsatz der O GmbH vom und die amtsärztlichen Gutachten vom , vom und zugrunde gelegt.

Eine Abfrage im Abgabeninformationssystem des Bundes ergab, dass der Bf in den Jahren 1996 bis 2020 keine steuerpflichtigen Einkünfte bezog.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den jeweils angeführten Aktenteilen und Beweismitteln, die als unbedenklich anzusehen sind.

3 rechtliche Beurteilung

Strittig ist im gegenständlichen Fall, ob - wie in §§ 6 Abs. 2 lit. d iVm 8 Abs 5 FLAG 1967 gefordert - die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres, also vor dem 02, eingetreten ist.

Besteht keine vor dem 21. Lebensjahr eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag an Familienbeihilfe zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, steht sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu. (Vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 8 Rz 19).

Der Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 verlangt, dass wegen des Eintritts einer körperlichen oder geistigen Behinderung vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) der Betroffene voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sei, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt. (Vgl. ).

Bei der Antwort auf die Frage, ob eine körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörden und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen. (Vgl. , , vwGH , 2009/16/0310, VwGH)

Ein Vergleich der vorliegenden ärztlichen Sachverständigengutachten zeigt, dass in jenen vom und vom keine relevanten Befunde für die Beantwortung der Frage, ob die dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem vollendeten 21. Lebensjahr eintrat, zur Verfügung standen. Im ärztlichen Sachverständigengutachten vom / konnte zwar auf das psychiatrische und neurologische Sachverständigengutachten der Frau ***C*** vom zurückgegriffen werden, doch ließ sich laut der Begründung des Sachverständigengutachtens vom / der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nicht zweifelsfrei vor dem 21. Lebensjahr festmachen. Erst für die Erstellung des ärztlichen Sachverständigengutachtens / konnte die Erwachsenenvertreterin umfangreiche Unterlagen, auch aus der Zeit vor dem Eintritt des 21. Lebensjahres, beischaffen und dem Sozialministeriumservice zur Verfügung stellen, sodass in diesem Gutachten der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit anhand einer konkret genannten Unterlage mit 07/2000 datiert werden konnte.

Im Hinblick darauf, dass für die Erstellung der Vorgutachten keine Befunde, welche die Zeit vor dem Eintritt des 21. Lebensjahres betrafen, demgegenüber für die Erstellung des Letztgutachtens erstmals zahlreiche Unterlagen, auch aus der Zeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres, zur Verfügung standen, steht das von den Vorgutachten abweichende Letztgutachten nicht mit den Vorgutachten im Widerspruch. Das Letztgutachten erscheint auch als in sich schlüssig, da es sich auf die von Seiten der Erwachsenenvertreterin vorgelegten Unterlagen und die konkret herangezogene Bestätigung der O GmbH vom , wonach der Bf vom 07.2000 bis 2005 und vom 05.2008 bis 2008 in der Werkstatt gemäß § 9 des Chancen-Gleichheitsgesetze Wien in der Tagesstruktur betreut wurde, stützt. Dass der Bf schon seit 07/2000 nicht in der Lage war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass der Bf seit Ende der allgemeinen Schulpflicht (mit Abschluss des Schuljahres 97/98) niemals steuerpflichtige Einnahmen erzielte. Eine Zusammenschau der unter Pkt 2 genannten amtsärztlichen Gutachten zur Begutachtung der Arbeitsfähigkeit gemäß § 255 Abs 3 ASVG zeigt ebenfalls, dass dem Bf jedenfalls seit dem amtsärztlichen Gutachten vom bis zum amtsärztlichen Gutachten vom lückenlos Arbeitsunfähigkeit und im amtsärztlichen Gutachten vom eine dauernde Invalidität bescheinigt wird.

Es ist somit den Feststellungen im (ergänzten) Sachverständigengutachten vom / zu folgen, wonach der Bf bereits seit 07/2000 und damit vor Vollendung des 21. Lebensjahres, also vor dem 02, nicht in der Lage war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sodass dem Bf die erhöhte Familienbeihilfe ab Jänner 2018 zusteht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4 Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art. 133 Abs. 4 B-VG)

Das Bundesfinanzgericht folgt der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich.

Salzburg, am

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