Haftung gemäß § 9 BAO
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf***, AdresseBf, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Michael Stanzl, Thaliastraße 155, 1160 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 1/23 vom betreffend Haftung gemäß § 9 BAO zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Haftungsbescheid aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
[...]
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Abgabenart | Zeitraum | Fälligkeitstag | Betrag in Euro |
Lohnsteuer | 2013 | 8.659,19 | |
Dienstgeberbeitrag | 2013 | 2.160,00 | |
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag | 2013 | 192,00 | |
Summe: | 11.011,19 |
Zur Begründung wurde nach Zitieren der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen ausgeführt, die Bescheide der im Rückstand angeführten festgesetzten Abgaben (Selbstbemessungsabgaben) seien der Bf. bereits im Haftungsvorverfahren zur Kenntnis gebracht worden.
Die im Rückstand ausgewiesenen Abgabenschuldigkeiten seien nach Abgabenarten und Zeiträumen aufgeschlüsselt. Der Rückstand bestehe infolge Nichtentrichtung der im Zeitraum bis fällig gewordenen Abgaben.
Die Bf. sei im Zeitraum vom - zur Vertreterin der abgabenschuldnerischen Fa. ***X-GmbH*** bestellt und daher gemäß § 18 GmbHG zur Vertretung der Gesellschaft berufen gewesen.
Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien, Zl. ***4***, vom sei das am über das Vermögen der Fa. ***X-GmbH*** eröffnete Insolvenzverfahren nach Verteilung an die Massegläubiger aufgehoben worden. Mit Beschluss vom sei gemäß § 40 FBG die Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch erfolgt. Der Rückstand sei daher bei der Primärschuldnerin uneinbringlich.
Hinsichtlich der Heranziehung für die aushaftenden Lohnabgaben sei Folgendes festzuhalten: Gemäß § 78 Abs. 1 EStG 1988 sei der Arbeitgeber verpflichtet, die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten. Gemäß § 79 Abs. 1 EStG habe der Arbeitgeber die gesamte Lohnsteuer, die in einem Kalendermonat einzubehalten gewesen sei, spätestens am 15.Tag nach Ablauf des Kalendermonates in einem Betrag abzuführen. Gleiches gelte auch für den Dienstgeberbeitrag und Dienstgeberzuschlag.
Nach § 78 Abs. 3 EStG 1988 habe der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des voll vereinbarten Arbeitslohnes ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten.
Werde in einem solchen Fall die Lohnsteuer nicht einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, so sei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von einer schuldhaften Pflichtverletzung auszugehen (vgl. ZI. 2001/15/0187).
Mit Schreiben vom sei die Bf. aufgefordert worden, darzulegen, dass sie ohne ihr Verschulden gehindert gewesen sei, für die Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zu sorgen. Die Bf. sei dieser Aufforderung - sohin ihrer Verpflichtung, Behauptungen und Beweisanbote zu ihrer Entlastung darzutun - nicht ausreichend nachgekommen. Die höchstgerichtliche Judikatur gehe davon aus, dass der Vertreter, der auf Grund gesetzlicher Bestimmungen abgabenrechtliche Pflichten zu erfüllen habe, diesen ihm obliegenden Pflichten aber nicht nachkomme, einer besonderen Darlegungspflicht unterliege.
Es treffe ihn die Beweislast, nämlich die besondere Verpflichtung, "darzutun", aus welchen Gründen ihm die Erfüllung unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werden dürfe, er wäre seinen Pflichten schuldhafterweise nicht nachgekommen (vgl. und , 2002/16/0168).
Nachweise einer erfolgten Gläubigergleichbehandlung (für das Fehlen einer diesbezüglichen Pflichtverletzung) habe die Bf. im Zuge des Haftungsvorverfahrens nicht erbracht. Es stehe somit fest, dass die Bf. der Verpflichtung, als gesetzlicher Vertreterin der Gesellschaft für die Entrichtung der die Gesellschaft treffenden Abgaben zu sorgen, zumindest leicht fahrlässig und damit schuldhaft im Sinne des § 9 BAO nicht nachgekommen sei.
Zur Stellungnahme vom werde der Bf. Folgendes zur Kenntnis gebracht:
Bei Selbstbemessungsabgaben sei maßgebend, wann diese bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (Fälligkeitstermin der Abgaben). Die später eingetretene Insolvenz der Gesellschaft erweise sich daher insofern lediglich als eine weitere Ursache für den eingetretenen Abgabenausfall. An der Kausalität der dem Haftungspflichtigen vorzuwerfenden Pflichtverletzungen, die sich bei den Selbstbemessungsabgaben immer auf deren Fälligkeitstermin beziehen würden, ändere dies nichts.
Die Tatsache, dass die gegenständlichen Abgabenforderungen nach dem Ausscheiden der Bf. als Geschäftsführerin im Schätzungsweg ermittelt worden seien, stehe für sich allein der Heranziehung des Vertreters zur Haftung für diese Abgaben nicht entgegen, da die Abgabennachforderung laut Bescheid vom nicht eingetreten wäre, wenn die Abgaben zum Fälligkeitszeitpunkt (und der sei innerhalb der Geschäftsführertätigkeit der Bf. gewesen) in richtiger Höhe entrichtet worden wären.
Der Grundsatz, wonach Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgabenvorschreibung im Haftungsverfahren im Hinblick auf die Bestimmung des § 248 BAO keine Relevanz zukomme, gelte auch dann, wenn die Abgabenfestsetzung im Rahmen einer Schätzung erfolgt sei. (vgl. ).
Des Weiteren werde darauf verwiesen, dass zivilgerichtliche Vereinbarungen in keinster Weise die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung "unterwandern" könnten.
Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung iSd. § 20 BAO sei innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen. Wesentliches Ermessenskriterium sei die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalls.
Die Geltendmachung der Haftung stelle im vorliegenden Fall die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar, zumal der haftungsgegenständliche Rückstand bei der Primärschuldnerin nicht mehr eingebracht werden könne. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folge, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform sei, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich sei (vgl. ). Letzteres stehe hier fest. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende frist- und formgerechte Beschwerde der Bf. vom , mit welcher beantragt wird, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und in Stattgebung der gegenständlichen Beschwerde den angefochtenen Haftungsbescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom wegen Rechtswidrigkeit ersatzlos aufzuheben.
Nach Ausführung zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde bringt die Bf. vor, eine sie treffende schuldhafte Verletzung der ihr auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten werde ausdrücklich bestritten. Wie aus dem Firmenbuchauszug der ***X-GmbH*** (vormals: ***X1-GmbH***) hervorgehe, sei die Bf. zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung über das Vermögen der ***X-GmbH*** nicht mehr handelsrechtliche Geschäftsführerin der genannten Gesellschaft gewesen. Sie habe daher jedenfalls nach ihrer am erfolgten Abberufung als Geschäftsführerin keinerlei Einfluss auf die Gesellschaft gehabt und könne daher im danach gelegenen Zeitraum bis zur Konkurseröffnung keine abgabenrechtlichen oder sonstigen gesellschaftsrechtlichen Pflichten verletzt haben, sodass sie für eine nach Ende ihrer Geschäftsführertätigkeit allenfalls eingetretene - aber bisher noch gar nicht feststehende - Uneinbringlichkeit offener Abgabenschulden der Fa. ***X-GmbH*** keine Haftung treffen könne. Auch im Zeitraum während der Tätigkeit der Bf. als Geschäftsführerin der Gesellschaft habe sie keine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Verpflichtungen zu verantworten, da sie die ihr zur Verfügung gestandenen Mittel der Gesellschaft gleichmäßig zur Abdeckung von Abgabenschulden und sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft verwendet habe.
Die Bf. gebe weiters bekannt, dass sie gleichzeitig mit der gegenständlichen Beschwerde auch eine Beschwerde gegen die gegenüber der Fa. ***X-GmbH*** (vormals: ***X1-GmbH***) ergangenen Bescheide über die im Rückstand angeführten, festgesetzten Abgaben erhoben habe.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die Abgabenbehörde die gegenständliche Beschwerde als unbegründet ab.
Zur Begründung wurde ausgeführt, nach Aktenlage sei die Bf. im Zeitraum bis als Geschäftsführerin der Fa. ***X-GmbH*** im Firmenbuch eingetragen und somit zur inländischen Vertreterin des abgabenschuldnerischen Unternehmens bestellt gewesen. Damit sei sie aber auch gemäß § 18 GmbH-Gesetz zur Vertretung dieser Gesellschaft berufen gewesen.
Mit Haftungsvorhalt vom sei die Bf. von der Absicht der Behörde informiert worden, sie für die ausständigen Abgabenschulden dieses Unternehmens zur Haftung heranzuziehen. Dieser Vorhalt habe neben einer überblicksmäßigen Sachverhaltsdarstellung auch ausführliche rechtliche Informationen zum Thema Haftung gemäß §§ 9, 80 BAO enthalten. Ausdrücklich sei einerseits auf die Notwendigkeit hingewiesen worden, eine Stellungnahme dazu abzugeben, aus welchen Gründen es ihr nicht möglich gewesen wäre, die abgabenrechtlichen Obliegenheiten des von ihr vertretenen Unternehmens zu erfüllen. Ebenso sei sie auf den Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz hingewiesen und aufgefordert worden, dessen Einhaltung gegebenenfalls nachzuweisen. Der Vorhalt habe auch detaillierte Hinweise darüber enthalten, wie dies zu geschehen habe. Im gegebenen Fall habe es sich allerdings um Nachforderungen an lohnabhängigen Abgaben für das Jahr 2013 mit der Fälligkeit gehandelt, welche als Konsequenz der Bestimmung des § 78 EStG vom Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeschlossen seien.
In der Stellungnahme vom habe sich die Bf. mit dem Hinweis begnügt, dass das Unternehmen im Juni 2014 veräußert worden sei.
Das Finanzamt habe am den angekündigten Haftungsbescheid erlassen, welcher an die (inländische) Adresse der Bf. im 23. Wiener Gemeindebezirk gerichtet gewesen sei.
Dagegen habe der steuerliche Vertreter mit Eingabe vom das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Neben einleitenden Äußerungen zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde habe er erneut darauf hingewiesen, dass die Bf. nach ihrer per erfolgten Abberufung als Geschäftsführerin keinerlei Einfluss mehr auf die Gesellschaft gehabt habe und im danach (!) gelegenen Zeitraum bis zur Konkurseröffnung keine abgaben- oder gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen verletzt habe.
Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde habe die Bf. in ihrer Stellungnahme vom (Eingangsstempel) mitgeteilt, dass sie sich vom bis zum heutigen Tage wegen gesundheitlicher Beschwerden nicht in Wien und auch nicht in Österreich aufgehalten habe. Sie wäre in Kroatien gewesen. Übertitelt sei diese Note mit "Beschwerde wegen Haftungsvorhalt" gewesen. Damit habe sie sich auf den Haftungsvorhalt vom bezogen.
Daraufhin habe das Finanzamt mit einer BVE mit Zurückweisung reagiert, da gemäß § 43 BAO (gemeint wohl § 244 BAO) abgesonderte Rechtsmittel prinzipiell unzulässig seien. Zur Rechtzeitigkeit seien keine Aussagen getroffen worden. Im Antrag auf Fristverlängerung seitens des einschreitenden Rechtsanwaltes vom sei erneut auf die andauernde Ortsabwesenheit seit hingewiesen worden. Dasselbe Vorbringen finde sich auch in der Beschwerde vom wieder.
Aus dem übrigen Akteninhalt sei ersichtlich, dass der Haftungsbescheid vom beim Postamt hinterlegt und dem Vermerk "nicht behoben" an das Finanzamt retourniert worden sei. Gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG würden hinterlegte Dokumente mit dem ersten Tag der Hinterlegung als zugestellt gelten. Sie würden jedoch als "nicht zugestellt" gelten, wenn der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen habe können.
Die hinterlegte Sendung sei am an das Finanzamt retourniert worden. Dieses habe das Original sodann mit Begleitbrief, aber ohne Zustellnachweis an die Adresse im 23. Bezirk geschickt.
Mit Datum habe sich der ausgewiesene Vertreter der Bf. schriftlich an die Behörde gewandt, sich auf eine erteilte Vollmacht berufen und um Zustellung des Bescheides an ihn ersucht. Die Enkelin der Bf. habe am im Postfach der Bf. die Hinterlegungsanzeige vorgefunden. Wegen weiterer Ortsabwesenheit habe dieses Schriftstück auch weiterhin nicht behoben werden können. Fernmündlich habe er von der Behörde erfahren, dass es sich dabei um einen Haftungsbescheid handle. Er habe eine Rechtsmittelfristverlängerung bis beantragt.
In seiner Beschwerde vom habe der steuerliche Vertreter behauptet, ihm sei der Haftungsbescheid erst am zugestellt worden. Dieser Umstand sei zwar nicht ohne jeden Zweifel belegt, erscheine jedoch in gesamtheitlicher Betrachtungsweise als plausibel. Eine Zustellvollmacht liege ab Ende Jänner 2017 jedenfalls vor. Auf Grund dieser Umstände respektive Überlegungen sehe es die Abgabenbehörde als gegeben an, dass dem nunmehrigen steuerlichen Vertreter der Bescheid im Original zugekommen und die Beschwerde rechtzeitig erhoben worden sei.
Zur Sache selbst werde in der Beschwerdevorentscheidung ausgeführt, aus den Bestimmungen der §§ 9 Abs. 1 und 80 Abs. 1 BAO ergebe sich, dass der Geschäftsführer einer GmbH für die diese Gesellschaft treffenden Abgaben insoweit hafte, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der ihm als Geschäftsführer bzw. Vorstand auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Dabei sei es Sache der Geschäftsführerin darzutun, weshalb sie nicht Sorge dafür tragen habe können, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet habe, ansonsten von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden dürfe.
Gemäß § 248 BAO könne der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Beschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid offen stehenden Frist auch gegen den Abgabenanspruch (Abgabenbescheid, § 198) mittels Beschwerde die Rechte geltend machen, die dem Abgabepflichtigen zustehen. Aus der Frage der Aktivlegitimation ergebe sich zwangsläufig, dass in solchen Fällen zuerst über die Haftungsinanspruchnahme selbst und erst nach rechtskräftiger Entscheidung darüber über die Grundlagenbescheide abzusprechen sei; denn würde der Beschwerde des Haftenden gegen seine Heranziehung zur Haftung stattgegeben, so wäre seine gegen den Abgabenanspruch eingebrachte Beschwerde mangels Aktivlegitimation als unzulässig zurückzuweisen.
Infolgedessen sei Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gegen den Haftungsbescheid einzig und allein die Frage, ob die Bf. zu Recht als Haftende für Abgaben der Gesellschaft herangezogen worden sei oder nicht, nicht jedoch, ob die der Gesellschaft vorgeschriebenen Abgaben zu Recht bestünden oder nicht. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abgaben könnten daher in diesem Verfahren nicht erfolgreich erhoben werden.
Die Bf. sei unbestrittenermaßen im Zeitraum bis als Geschäftsführerin der ***X-GmbH*** tätig gewesen. Damit sei es ihre Verpflichtung gewesen, die lohnabhängigen Abgaben, die am fällig geworden seien, rechtzeitig zur Einzahlung zu bringen. Die möglicherweise erst später erfolgte bescheidmäßige Festsetzung derselben ändere nichts an der ex lege bereits Mitte Jänner 2014 eingetretenen Fälligkeit. Die Bf. scheine zu übersehen, dass bei Selbstbemessungsabgaben die Fälligkeit derselben gesetzlich geregelt und von allfälligen Buchungen, Nachfristen etc. unabhängig zu betrachten sei. Das Verschulden liege also darin, dass die Bf. die für das Jahr 2013 anfallenden lohnabhängigen Abgaben in zu geringer Höhe berechnet und abgeführt habe. Mangels irgendeiner substantiierten Erklärung darüber, wie es dazu kommen habe können, müsse die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass diese Unterlassung kausal für die später eintretende Uneinbringlichkeit dieser Abgaben gewesen sei.
Mit Schriftsatz vom beantragte die Bf. die Beschwerde zur Entscheidung dem Bundesfinanzgericht vorzulegen.
Hinsichtlich der Beschwerdegründe werde auf die Ausführungen in der Beschwerde verwiesen.
Die Bf. beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die Beschwerdevorentscheidung aufzuheben und den angefochtenen Haftungsbescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom in Stattgebung der Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit ersatzlos aufzuheben.
Mit Eingabe vom wurde der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung von der Bf. durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter zurückgenommen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Gemäß § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Beantragt der Haftungspflichtige die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches, so gilt § 245 Abs. 2, 4 und 5 sinngemäß.
Laut Firmenbuch war die Bf. im Zeitraum bis handelsrechtliche Geschäftsführerin der Fa. ***X-GmbH***, FN ***3***, und zählt somit zum Kreis der im § 80 Abs. 1 BAO genannten gesetzlichen Vertreter, welche zur Haftung gemäß § 9 Abs. 1 BAO herangezogen werden können.
Über das Vermögen der Primärschuldnerin Fa. ***X-GmbH*** wurde mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom , Zl. ***4***, das Konkursverfahren eröffnet und mit Beschluss desselben Gerichtes vom nach Verteilung an die Massegläubiger aufgehoben. Am erfolgte die amtswegige Löschung der Fa. ***X-GmbH*** gemäß § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit. Die unbestrittene Uneinbringlichkeit der nach wie vor am Abgabenkonto der Primärschuldnerin aushaftenden gegenständlichen Abgabenschuldigkeiten steht daher zweifelsfrei fest.
Laut Aktenlage liegen dem Haftungsbescheid betreffend den Ausspruch der Haftung für Lohnsteuer 2013 iHv € 8.659,19, Dienstgeberbeitrag 2013 iHv € 2.160,00 und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2013 iHv € 192,00 die Feststellungen einer Außenprüfung für den Zeitraum bis (Konkurseröffnung) zugrunde, welche mit Bericht vom abgeschlossen wurde.
Da im Rahmen dieser Außenprüfung keine Unterlagen (Anmerkung: seitens der Masseverwalterin) vorgelegt werden konnten, erfolgte eine Schätzung der Geschäftsführerbezüge der Bf. für die Jahre 2012 und 2013 (Pauschale Nachverrechnung Finanz betitelt) in Höhe von € 2.000,00 pro Monat, somit in Höhe von je € 24.000,00 für die Jahre 2012 und 2013. Die Vorschreibung der hier gegenständlichen lohnabhängigen Abgaben (L, DB, DZ) erfolgte jedoch "aus verfahrensökonomischen Gründen (Prüfungsauftrag ab )" ausschließlich für das Jahr 2013. Somit ist schon aus der Aktenlage leicht erkennbar, dass nur die Hälfte der für das Jahr 2013 vorgeschriebenen haftungsgegenständlichen Lohnabgaben tatsächlich auf dieses Jahr entfällt.
Die hier gegenständlichen lohnabhängigen Abgaben wurden der Bf. im laufenden Haftungsverfahren zur Kenntnis gebracht, welche dagegen Beschwerden gemäß § 248 BAO erhoben hat.
Geht einem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid voran, so ist die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an diesen Bescheid zu halten. Durch § 248 BAO ist dem Haftenden ein Rechtszug gegen die zugrundeliegenden Abgabenbescheide eingeräumt. Geht der Entscheidung über die Haftung kein Abgabenbescheid voran, so gibt es eine solche Bindung nicht. Ob ein Abgabenanspruch gegeben ist, ist in diesem Fall als Vorfrage im Haftungsverfahren von dem für die Entscheidung über die Haftung zuständigen Organ zu entscheiden (vgl. z.B. ).
Die Haftungsbestimmung gemäß § 9 Abs. 1 BAO setzt die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten, wie z.B. die Verletzung der Offenlegungs- u. Wahrheitspflicht (zur zeitgerechten und richtigen Einreichung der Abgabenerklärungen), die Verletzung der Verpflichtung zur Führung gesetzmäßiger Aufzeichnungen bzw. zur Abgabenentrichtung aus den Mitteln, die der Vertreter verwaltet (vgl. § 80 Abs. 1 2 Satz BAO) voraus. Derartige abgabenrechtliche Pflichtverletzungen der Bf. lassen sich weder aus der Aktenlage, insbesondere aus dem genannten Bericht über das Ergebnis einer Außenprüfung vom (betreffend lohnabhängige Abgaben -), noch aus der diesem zugrundeliegenden Niederschrift über die Schlussbesprechung vom und auch nicht aus den Feststellungen im gegenständlichen Haftungsbescheid ableiten.
Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob der Vertreter für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel hatte, bestimmt sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der Abgabenvorschriften zu entrichten gewesen wären. Bei Selbstbemessungsabgaben, wie hier Umsatzsteuervorauszahlungen, Lohnsteuern (L), Dienstgeberbeiträgen (DB) und Zuschlägen zu den Dienstgeberbeiträgen (DZ), ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. Maßgebend ist somit der Zeitpunkt der Fälligkeit der betreffenden Abgaben, unabhängig davon, wann sie bescheidmäßig festgesetzt wurden (vgl. z.B. ).
Die festgesetzten Abgabennachforderungen wurden ausschließlich deshalb vorgeschrieben, weil im Rahmen der genannten Außenprüfungen (seitens der Masseverwalterin) keine Unterlagen vorgelegt werden konnten. Diese abgabenrechtlichen Pflichtverletzungen sind jedoch nicht der Bf. zuzurechnen und von ihr nicht zu vertreten.
Dass die Bf. persönlich im Zeitraum ihrer Verantwortlichkeit als Geschäftsführerin abgabenrechtliche Pflichten verletzt hat, etwa indem sie schon damals eine gesetzeskonforme Selbstberechnung und Abfuhr der hier gegenständlichen lohnabhängigen Abgaben 2013 unterlassen hätte, können aus der Aktenlage nicht festgestellt werden. Jedenfalls ist die geschilderte pauschale Schätzung, die laut Bericht über die Außenprüfung - wie erwähnt - nur zur Hälfte das Jahr 2013 betrifft, allein nicht geeignet, eine schuldhafte Pflichtverletzung der Bf. in Bezug auf eine unrichtige Selbstbemessung und zu geringe Abfuhr der lohnabhängigen Abgaben 2013 zu begründen. Dies umso mehr, als aus dem (in Rechtskraft erwachsenen) Umsatzsteuerbescheid 2013 der Primärschuldnerin Fa. ***X-GmbH*** für das Jahr 2013 ein Umsatz von € 8.207,01 hervorgeht. Demgegenüber wurde im Rahmen der Außenprüfung für das Jahr 2013 ein Geschäftsführergehalt der Bf. in Höhe von € 48.000,00 (je € 24.000,00 für 2012 und 2013) der Schätzung zugrunde gelegt. Es wäre daher nicht wirtschaftsnah und der Lebenserfahrung entsprechend, ein geschätztes Geschäftsführergehalt, welches in etwa dem dreifachen Jahresumsatz der GmbH entspricht, als Begründung dafür heranzuziehen, dass die Bf. zu den jeweiligen Fälligkeitstagen der lohnabhängigen Abgaben 2013 ihre Verpflichtung zu deren richtigen Selbstberechnung und pünktlichen Entrichtung verletzt hätte.
Die Nachforderungen an lohnabhängigen Abgaben des Jahres 2013 beruhen ausschließlich auf dem Umstand, dass im Rahmen der Lohnsteuerprüfung keine entsprechenden Unterlagen vorgelegt werden konnten. Feststellungen dahingehend, dass es die Bf. tatsächlich unterlassen hätte, der Steuerberatungskanzlei die (richtige) Höhe der ausbezahlten Geschäftsführerbezüge mitzuteilen, die also eine schuldhafte Pflichtverletzung der Bf. zu den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkten begründen könnte, sind aus der Aktenlage und dem angefochtenen Bescheid nicht ableitbar.
Da somit aus dem angefochtenen Bescheid und aus der Aktenlage sowie auch aus den Feststellungen der zugrundeliegenden abgabenbehördlichen Prüfungen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer haftungsbegründenden schuldhaften Pflichtverletzung iSd § 9 Abs. 1 BAO abzuleiten sind, war der angefochtene Bescheid aufzuheben.
Von einer mündlichen Verhandlung konnte infolge der Zurücknahmeerklärung des ursprünglichen Antrages auf Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit der Revision:
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn das Erkenntnis von vorhandener Rechtsprechung des VwGH abweicht, diese uneinheitlich ist oder fehlt.
Da die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht erfüllt sind (siehe die in der Begründung zitierten Entscheidungen), ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 248 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102945.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at