Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.07.2021, RV/7101172/2021

Kosten einer Liposuktion, die durch Wahlarzt durchgeführt wurde, als außergewöhnliche Belastung (agB)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch kaubek & partner WT STB, Hauptplatz 26, 2700 Wiener Neustadt, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2019 wurden neben weiteren (nicht mehr strittigen) Aufwendungen auch Kosten für Autoversicherung, Fahrtkosten zu Orthopäden und Optiker geltend gemacht.

Des Weiteren wurden Kosten, welche der Beschwerdeführerin (= Bf.) für eine Operation bei einer Wahlärztin erwachsen waren, nicht als außergewöhnliche Belastung steuerlich anerkannt. Es läge keine medizinische Notwendigkeit für diese Behandlung vor.

In Beantwortung des Ergänzungsersuchens der Abgabenbehörde vom wurden vor Erlassung des Bescheides die gewünschten Unterlagen zu den beantragten Aufwendungen vorgelegt.

In der gegen den Erstbescheid eingebrachten Beschwerde führte die Bf. u.a. aus, dass die Operationen sehr wohl medizinisch erforderlich waren. Dazu liege eine Bestätigung der Krankenkasse vor, welche bereits vor den Operationen eingeholt worden war. Aufgrund der Wartezeiten von 2 oder mehr Jahren in öffentlichen Krankenhäusern für derartige Operationen und den bereits unerträglichen Schmerzen mussten die Eingriffe privat durchgeführt werden.

Bezüglich der Fahrten zum Orthopäden etc. wurde eingewandt, dass aufgrund einer erfolgten Operation orthopädische Schuhe getragen werden müssen und dazu müsse die Tochter zur Anprobe für die Orthopädieschuhversorgung persönlich erscheinen. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr aufgrund ihrer Behinderung nicht möglich.

Aufgrund zweier zusätzlichen Ergänzungsersuchen wurden weitere Nachweise für die medizinische Notwendigkeit der Operationen sowie Verordnungen für die beantragten Strümpfe/Lymphdrainagen sowie die geforderten Daten bezüglich des Alleinerzieherabsetzbetrages vorgelegt.

In der Folge erging eine Beschwerdevorentscheidung vom in der die belangte Behörde dem Beschwerdebegehren teilweise stattgab.

Zusätzlich zu den Aufwendungen, welche bereits mit Erstbescheid gewährt wurden, wurden die Kosten der Kompressionsstrümpfe nun berücksichtigt. Weiters wurden von den geltend gemachten Kosten für die Tochter sämtliche bis auf die Kosten der Autoversicherung sowie Fahrtkosten zu Orthopädie/Optiker anerkannt.

Zu den nicht anerkannten Kosten wurde ausgeführt:

"Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß
§ 8 Abs.4 FLAG 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sind durch Gewährung eines Freibetrages gemäß
§ 5 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBI.Nr.303/1996 idgF, ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten in Höhe von 262 Euro monatlich, vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen zu berücksichtigen.

Haben mehrere Steuerpflichtige Anspruch auf diesen Pauschbetrag, dann ist dieser im Verhältnis der Kostentragung aufzuteilen.

Neben dem Freibetrag von 262 Euro bzw. bei Bezug höheren Pflegegeldes ohne Berücksichtigung des Freibetrages sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen:

- nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel
- Kosten der Heilbehandlung
- das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder-oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte.

Hilfsmittel im Sinne des § 4 der Verordnung des BM für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBI.Nr.303/1996 idgF, sind nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Gegenstände oder Vorrichtungen, die geeignet sind, die Funktion fehlender oder unzulänglicher Körperteile zu übernehmen oder die mit einer Behinderung verbundenen Beeinträchtigungen zu beseitigen (z.B. Rollstuhl, Hörgerät,..).

Als Kosten der Heilbehandlung gemäß § 4 der Verordnung des BM für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBI.Nr.303/1996 idgF, gelten Arztkosten, Spitalskosten, Kurkosten für ärztlich verordnete Kuren, Kosten für ärztlich verordnete Therapien, Kosten für Medikamente, sofern sie im Zusammenhang mit der Behinderung stehen, sowie dabei anfallende Fahrt-bzw. Transportkosten im tatsächlichen Ausmaß bzw. in Höhe des amtlichen Kilometergeldes bei Verwendung des (familien)eigenen Kfz.

Laut Ihrer Aufstellung und laut vorliegender Belege wurden Fahrtkosten betreffend Fahrten zu Fa. A Austria (Orthopädie - und Reha - Technik), Fa. B GmbH (Orthopädieschuhmacher), CD Orthopädieschuhmacher und Optik G geltend gemacht. Da es sich bei diesen Fahrten nicht um Fahrten anlässlich der Konsultation von Ärzten bzw. anlässlich ärztlich verordneter Behandlungen handelt, stellen die geltend gemachten Kosten keine Kosten der Heilbehandlung im Sinne der Verordnung des BM für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBI.Nr.303/1996 idgF, dar.

Kosten Autoversicherung:

Die beantragten Kosten für die Autoversicherung in Höhe von 864,29 Euro sind steuerlich nicht absetzbar und waren daher bei der Beschwerdevorentscheidung in Abzug zu bringen."

Der beantragte Alleinerzieherabsetzbetrag wurde ebenfalls gewährt.

Bezüglich der Operationskosten erläuterte die Abgabenbehörde - nach allgemeinen Ausführungen zur Berücksichtigungsfähigkeit von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 34 EStG 1988:

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH stellt die kürzere Wartezeit für sich alleine keinen triftigen medizinischen Grund für eine Behandlung in einer Wahlarztordination dar. Der Nachweis, dass die Operationen durch eine selbstgewählte Privatärztin aus triftigen medizinischen Gründen notwendig war, weil bei einer Operation in einem öffentlichen Krankenhaus mit erheblichen medizinischen Nachteiligen für Sie zu rechnen gewesen wäre, wurde von Ihnen nicht erbracht. Es konnte auch kein Nachweis darüber erbracht werden, dass Sie sich konkret um einen Operationstermin in einem öffentlichen Krankenhaus bemüht haben. Daher wurden die Kosten, welche nicht von der Krankenkasse refundiert worden waren, nicht anerkannt.

Der - vom steuerlichen Vertreter der Bf. eingebrachte - Vorlageantrag verwies lediglich auf die bereits in der Beschwerde vorgebrachten Argumente.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte deren Abweisung.

Im Zug der Eigenrecherche des Gerichts erging ein Vorhalt an die Österreichische Gesundheitskasse, welcher wie folgt beantwortet wurde:

"Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit von Seiten der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) die Kosten einer Liposuktion übernommen werden?

Die Kostenübernahme (KÜ) erfolgt nach in der ÖGK österreichweit einheitlichem Kriterien.
Im Folgenden sind die Entscheidungskriterien aufgelistet:

Die KÜ erfolgt derzeit analog der aktuellen S1 Leitlinie zum Lipödem nach entsprechender lymphologischer Abklärung durch einen auf Lymphologie spezialisierten Arzt (zum Beispiel aus dieser Liste https://www.gfmlv.at/lymphologisch-taetige-aerzte oder in einem entsprechenden Zentrum bzw. bei einem Facharzt mit ausreichender Expertise). Zentren sind spezialisierte Krankenanstalten wie zB Lymphklinik Wolfsberg oder Walchsee.

Operative Maßnahmen sind insbesondere dann angezeigt, wenn trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie (Kombination aus Kompressionstherapie, Lymphdrainagen und Gewichtsabnahme bei bestehendem Übergewicht), über mindestens 6 besser 12 Monate sowie Bewegungstherapie und Hautpflege, noch Beschwerden bestehen, beziehungsweise bei einer Progredienz des Befundes und/oder der Beschwerden.

Die Kompressionstherapie soll mit einem Kompressionsbehelf der Klasse II (Flachstrick) erfolgen.
Die Lymphdrainagen sollen regelmäßig durchgeführt werden. 2-3 Zyklen á 10 Einheiten sind empfehlenswert.
Eine Gewichtsabnahme soll gegebenenfalls mit diätologischer Begleitung (hier ist ein BMI < 32 anzustreben) erfolgen.

Erhebung und Dokumentation von Messparametern, aus denen ein deutliches Missverhältnis zwischen Taillenumfang und Beckenumfang bei "normalem" Körpergewicht hervorgeht (Fettverteilungsstörung mit deutlicher Disproportion zwischen Stamm und Extremitäten) sind obligat. Zu den zu erhebenden Messparametern gehören: Größe, Gewicht, BMI, Taillenumfang und Hüftumgang. Daraus sollte zur Sicherung und Dokumentation einer Fettverteilungsstörung die WHtR (Waist-to-Height-Ratio) und die WHR (Waist-to-Hip-Ratio) berechnet werden. Eine Fotodokumentation der Patientin ist erforderlich.

Müssen vorab sämtliche anderen Möglichkeiten der Linderung bzw. Besserung ausgeschöpft sein und erst dann erfolgt eine Kostenübernahme? Welche konkrete Möglichkeit der Heilung bzw. Linderung außer einer OP bestehen?

Zuerst muss eine konservative Therapie -wie oben angegeben (Kompressionstherapie, Lymphdrainagen und eventuell Gewichtsreduktion bei bestehendem Übergewicht) ausgeschöpft werden. Sollten dann immer noch Beschwerden bestehen, so kann eine Operative Sanierung mittels Liposuktion in Erwägung gezogen werden.

Eine konsequent durchgeführte konservative Therapie (dabei liegt die Hauptbedeutung bei normalem Körpergewicht und regelmäßiger Kompressionstherapie - also das tägliche Tragen der Kompressionsbehelfe) kann oft über Jahre eine deutliche Linderung der bestehenden Symptome bewirken.

Auch eine operative Behandlung ist keine Heilung der Erkrankung, sondern kann nur im Erfolgsfall eine längerfristige Besserung der Beschwerden bewirken.

Werden derartige Operationen in allen Krankenhäusern durchgeführt oder nur in einigen pro Bundesland? Wie lange ist die durchschnittliche Wartezeit auf einen derartigen OP-Termin?

Es gibt nur einige spezialisierte Fachabteilungen in öffentlichen Krankenhäusern pro Bundesland, die eine Liposuktion zur Lipödembehandlung durchführen. Während der Corona Pandemie wurden alle nicht lebenswichtigen Operationen verschoben, das hat auch die Liposuktionen betroffen. Die Wartezeiten haben vor der Corona Pandemie circa 6 Monate bis 1,5 Jahre betragen. Genauere Auskünfte zu den derzeit aktuellen Wartezeiten können nur die Zentren und Krankenanstalten geben."

Das Gericht recherchierte die angeführte Wartezeit 2019 für eine derartige Operation in den von der Bf. genannten Krankenanstalten (S Krankenhaus, T, LKH V).

Von zwei der angefragten Anstalten wurde mitgeteilt, dass die Dauer der Wartezeit von 2 Jahren und länger für eine Liposuktion realistisch ist. (Keine Rückmeldung der dritten Anstalt)

Auf Anfrage des Gerichts bei einer Selbsthilfegruppe (CC) zur Frage der Wartezeit bei Liposuktionen sowie den Folgen einer Nichtbehandlung wurde mitgeteilt:

"Wir verfügen über keine Statistiken, wir sind ein ehrenamtlicher Verein und betreuen Betroffene.

Ja, die Wartezeit von mindestens 2 Jahren in Österreich in einem öffentlichen Krankenhaus kann ich bestätigen. In den letzten 6 Monaten ist es sogar vorgekommen, dass Patientinnen noch am OP-Tisch unmittelbar kurz vor der Operation nach Hause geschickt wurden.

….

Lymphdrainagen und Strümpfe lindern lediglich die Schmerzen aber heilen nicht das Lipödem. Weitere Folgen: Lymphödem, Gehbehinderung, Fehlstellung der Beine und dazu leidet die psychische Gesundheit.

Andere Besserungsmaßnahmen gibt es nicht. Einzig das Entfernen des krankhaften Fettgewebes bringt eine deutliche Besserung, wenn nicht sogar Heilung."

Nach Vorhalt des Gerichts, es mögen von Seiten der Bf. weitere medizinische Unterlagen (Anamnese etc.) zum Gesundheitszustand sowie Verlauf der Erkrankung im Vorfeld der Operationen vorgelegt werden, übermittelte die Bf. den Befundbericht der behandelnden Ärztin Dr. R von , welcher auch der Krankenkasse im Vorfeld der Operationen vorgelegt worden war. Daraus ist zu entnehmen:

"Lipödem Typ IV: Beine bis zu Malleolen, Oberarme bds.
Stadium II: Progrediente Liposklerose, Knoten und Erhebungen

Bei meiner Patientin besteht das Lipödem seit der Pubertät.
Trotz regelmäßigen Sport und richtiger Ernährung sind keine Verbesserungen des Lipödems erzielt worden. Im Hinblick auf die sehr großen physischen Belastungen durch schwere, schmerzhafte und geschwollene Beine ist die Behandlung durch die Liposuktion die einzige Möglichkeit dieses Problem langfristig in den Griff zu bekommen. Bei dieser Liposuktion handelt es sich keineswegs um einen kosmetischen Eingriff. Die Schmerzen im Bein und in den Armen verbunden mit Ödemen sind nur durch das Entfernen des genetisch falsch angelegten Fettgewebes möglich."

Aus dem ebenfalls vorgelegten Schreiben der behandelnden Allgemeinmedizinerin Dr. W war zu entnehmen, dass die durch die Lipödeme verursachten Schmerzen der Bf. vor der Operation ein Maß angenommen hatten, dass Schlafen nur mehr durch die Einnahme von Schmerzmitteln möglich war.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Unstrittig ist aufgrund der vorgelegten Arztbriefe und sonstigen Unterlagen, dass bei der Bf. eine behandlungsbedürftige Erkrankung seit der Pubertät vorliegt (Lipödeme) und dass eine Operation an beiden Beinen (Liposuction) sowie Armen medizinisch indiziert und erforderlich war. Dieser Ansicht trat das Finanzamt nicht entgegen.

Strittig ist, ob für die durchgeführte Behandlung der Lipödeme bei einem Wahlarzt mittels Liposuktion und die damit verbundenen Kosten (€ 8.500,00 abzüglich der dafür erhaltenen Kostenerstattungen in Höhe von € 1.105,09, somit insgesamt € 7.394,91) triftige medizinische Gründe vorlagen.

Weiters ist strittig ob die Kosten der Autoversicherung sowie Fahrten zu Orthopäde/Optiker mit der Tochter als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind.

Sachverhalt

Bei der Bf. besteht seit der Pubertät ein fortschreitendes schmerzhaftes Lipödem an beiden Beinen bis zu den Knöcheln und an beiden Armen. (Diagnose: Lipödem Typ IV, Stadium II)

Trotz regelmäßiger Behandlung wurden die dadurch verursachten Schmerzen zunehmend massiver, sodass eine Operation die einzige, zielführende Möglichkeit einer Heilung/Linderung war.

Das an die Österreichische Gesundheitskasse gestellte Ansuchen um Kostenübernahme für einen derartigen Eingriff wurde mit Schreiben vom als auch nach medizinischer Prüfung positiv beantwortet und die Liposuction Oberschenkel und Unterschenkel beidseits als medizinisch gerechtfertigt beurteilt.

Die Eingriffe wurden ambulant von Dr. R, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie, Expertin für Lipödeme und Venenerkrankungen durchgeführt.

Es gibt nur einige spezialisierte Fachabteilungen in öffentlichen Krankenhäusern pro Bundesland, die eine Liposuktion zur Lipödembehandlung durchführen. Ein Operationstermin in einem solchen öffentlichen Krankenhaus wäre erst in etwa 2 Jahren möglich gewesen.
Dies wurde von den angefragten Krankenhäusern schriftlich bestätigt.

Von der Summe der beiden Honorarnoten iHv gesamt 8.500 € wurden von der Gesundheitskasse 1.105,09 € erstattet.

Von den geltend gemachten Aufwendungen betreffend die Tochter wurden von der Abgabenbehörde bis auf die Kosten der Autoversicherung sowie die Fahrtkosten zu orthopädischen Kontrollterminen sowie Fahrten zum Optiker nicht anerkannt.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den elektronisch vorgelegten Aktenteilen, den weiteren Recherchen des Gerichts sowie der Vorhaltsbeantwortung der Bf.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
•Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
•Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
•Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).

Gemäß Abs. 3 leg. cit. erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich Ihr aus tatsächlichen rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Tatsächliche Gründe, die die Zwangsläufigkeit der Belastung zu begründen vermögen, können insbesondere ein der Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gelegen sein (vgl. ; ).

Auch in der Lehre wird zum Ausdruck gebracht, dass die Zwangsläufigkeit (medizinische Notwendigkeit) für den jeweiligen Einzelfall im Rahmen der freien Beweiswürdigung anhand der typisierenden Betrachtungsweise festzustellen ist und der Kostenübernahme durch den Sozialversicherungsträger dabei lediglich Indizwirkung zukommt, zumal deren Ersatzleistungen maßgeblich auch von wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt sind und eine strikte Anlehnung an die Ersatzleistungspraxis der Sozialversicherungen zur Folge hätte, dass für die Abzugsfähigkeit von Krankheitskosten im Rahmen des § 34 kaum ein Anwendungsbereich bliebe.

Eine medizinische Notwendigkeit liegt dann vor, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit vertretbar sind (vgl. Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke [Hrsg.], MSA EStG 16. ErgL § 34 Anm 78 "Krankheitskosten").

Der Nachweis für das Vorliegen der medizinischen Notwendigkeit kann durch ärztliche Bestätigung erbracht werden. Für Heilbehandlungen im engeren Sinn wird von der herrschenden Lehre und der Rechtsprechung die Bestätigung eines Arztes als ausreichend angesehen (Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke [Hrsg.], MSA EStG 16. ErgL § 34 Anm 78 "Krankheitskosten" unter Hinweis auf BFH , VI R 74/10, der ebenfalls kein Attest eines öffentlich-rechtlichen Trägers oder eines Amtsarztes verlangt; ,).

Soweit die medizinische Notwendigkeit hinreichend als erwiesen anzusehen ist, können Aufwendungen noch nicht deshalb von einer Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen werden, weil die Sozialversicherung eine Kostenübernahme - sei es hinsichtlich der Höhe oder bereits dem Grunde nach - ablehnt (Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke [Hrsg.], MSA EStG 16. ErgL § 34 Anm78 "Krankheitskosten" mit Verweis auf die Rechtsprechung des - In diesem Fall wurden Behandlungskosten iHv 17.670,41 € als außergewöhnliche Belastungen anerkannt, die dem Abgabepflichtigen deshalb erwachsen sind, weil er eine psychiatrische Behandlung in einem Krankenhaus im Ausland in Anspruch genommen hat, obwohl eine gleichwertige Behandlung auch ambulant in Österreich möglich gewesen wäre und die gesetzliche Sozialversicherung aus diesem Grund keine Kosten erstattet hat).

Auch vom BFG und UFS wurden bereits in einer Reihe von Entscheidungen bei krankheitsverlaufbedingten, komplexen Behandlungen (u.a. auch bei erfolglosen Behandlungen durch Vertragsärzte und öffentliche Krankenhäuser) Aufwendungen für Privatärzte und/oder für die Sonderklasse als medizinisch notwendig qualifiziert und die nicht von der Kasse übernommenen Arzthonorare und Sonderklassegebühren als außergewöhnliche Belastungen anerkannt (vgl. zu einer Fußoperation; zu einer Hüftoperation auf Sonderklasse; zu einer Wirbelsäulenoperation vom Wahlarzt auf Sonderklasse; zu Operationskosten eines Transsexuellen ).

Nach ständiger Judikatur des VwGH (vgl. etwa , 85/14/0181) können Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen für die eigene medizinische Betreuung erwachsen, auch dann zwangsläufig im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988 sein, wenn sie die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen, sofern diese höheren Aufwendungen aus triftigen medizinischen Gründen getätigt werden.

Dieser Ansicht entsprechend wurde erst jüngst in einer Entscheidung des BFG (, RV/1100276/2020) entschieden, dass Kosten für eine Operation und einen Aufenthalt in einer Privatklinik als außergewöhnlichen Belastung zu berücksichtigen sind, wenn dafür triftige medizinische Gründe vorliegen. In diesem Fall waren bereits auftretende Lähmungserscheinungen gegeben, welche die Dringlichkeit einer unverzüglichen Operation bewiesen. Ein Zuwarten auf einen Termin in einem öffentlichen Krankenhaus hätte daher ernsthafte gesundheitliche Nachteile nach sich gezogen.

Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung stellen aber bloße Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen über eine bestimmte medizinische Betreuung sowie allgemein gehaltene Befürchtungen bezüglich der vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung übernommenen medizinischen Betreuung noch keine triftigen medizinischen Gründe für Aufwendungen dar, welche die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen.

Die triftigen medizinischen Gründe müssen vielmehr in feststehenden oder sich konkret abzeichnenden, ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen bestehen, welche ohne die mit höheren Kosten verbundene medizinische Betreuung eintreten würden.

Beim Lipödem handelt es sich um eine chronische Funktions- und Fettverteilungsstörung des unter der Haut liegenden Fettgewebes. Diese nahezu nur bei Frauen auftretende lymphologische Erkrankung ist durch eine Fettgewebsvermehrung, bevorzugt an den Beinen, bzw. (als Abgrenzungsmerkmal zur Adipositas) am Missverhältnis zwischen dem Fett am Körperstamm und den Extremitäten gekennzeichnet. Infolge einer Überproduktion an Lymphflüssigkeit in Armen und Beinen kommt es zu Ödembildungen und damit verbunden zu Druck- und Ruheschmerzen, Hämatomneigung und Berührungsempfindlichkeit. In den meisten Fällen ist diese in der Regel genetisch bedingte und nach der Pubertät, nach Schwangerschaften oder in den Wechseljahren zu Tage tretende Erkrankung progredient, wenn sie nicht adäquat behandelt wird. Bei nichtfachgemäßer Behandlung kommt es durch das Ödem zu einer Überlastung und zu einer nachhaltigen Schädigung des Lymphgefäßsystems und der Haut, ebenso können Komplikationen durch Fehlstellungen und orthopädische Folgeschäden auftreten.

Die streitgegenständliche Behandlung (Liposuktion) wird zur dauerhaften Reduktion des krankhaften Unterhautfettgewebes an Beinen und Armen eingesetzt.

Aus den Schreiben der behandelnden Ärzte geht hervor, dass bereits mit konservativen Methoden versucht wurde die Erkrankung zu behandeln. Da die konservativen Behandlungsmöglichkeiten - Tragen von Kompressionswäsche, Lymphdrainagen sowie sportliche Betätigung - nicht mehr ausreichend waren, war die operative Behandlung notwendig. Dies wurde auch von der Krankenkasse bestätigt.

Ebenso bestätigt wurde von den öffentlichen Krankenhäusern (welche auch die Bf. kontaktiert hatte), dass die von der Bf. angegebene lange Wartezeit auf einen Operationstermin den Tatsachen entspricht. Die Bf. litt allerdings zunehmend unter starken Schmerzen, welche auch mit starken Schmerzmitteln nur zum Teil gelindert werden konnten.

Nach der vorzunehmenden typisierenden Betrachtungsweise steht bei der nicht bestrittenen diagnostizierten Erkrankung und dem glaubhaft dargelegten Behandlungs- und Krankheitsverlauf die vom Wahlarzt angegebene medizinische Notwendigkeit für die Vornahme einer Liposuktion in Einklang mit den Vorgaben der S 1 Leitlinie.

Die medizinische Notwendigkeit für den operativen Eingriff ergibt sich auch aus dem Umstand, dass vom Sozialversicherungsträger eine Operation chefärztlich genehmigt wurde. Dies impliziert, dass vom chefärztlichen Dienst des zuständigen Sozialversicherungsträgers nicht nur die Diagnose des Wahlarztes, sondern auch die von diesem empfohlene operative Behandlung des Lipödems (die laut Leitlinien in Form einer Liposuktion erfolgt) als geeignete Krankenbehandlung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn anerkannt wurde. Andernfalls hätte der chefärztliche Dienst auf die Möglichkeit der konservativen Behandlungsmethoden verwiesen. Die lediglich teilweise Kostenübernahme der angefallenen Kosten ergibt sich daraus, dass für die konkrete Behandlungsform (Liposuktion) keine ausdrückliche Tarifpost in der Honorarordnung vorgesehen ist (mit der dann maximal 80% der gesamten Wahlarztkosten ersetzt werden könnten).

Dem Erfordernis, dass triftige medizinische Gründe für die Inanspruchnahme der Behandlung durch den Wahlarzt vorliegen müssen (was laut VwGH dann der Fall ist, wenn sich für den Erkrankten feststehende oder sich konkret abzeichnende ernsthafte gesundheitliche Nachteile ergeben, die ohne die mit höheren Kosten verbundene medizinische Betreuung eintreten würden) wird im gegenständlichen Fall entsprochen:

Die Bf. hat glaubhaft dargelegt, dass sie unter den für die Erkrankung typischen Schmerzen litt, welche immer stärker wurden und die vorgenommenen Behandlungen (darunter auch die in der Leitlinie empfohlenen Lymphdrainagen) die Beschwerden nicht mehr lindern konnten.

Auch aus dem Schreiben des Wahlarztes geht hervor, dass lediglich mit der empfohlenen Behandlung die durch die Erkrankung ausgelösten Symptome mit höchster Wahrscheinlichkeit auf Dauer beseitigt werden bzw. nach der Leitlinie mit dem Eingriff ausgeprägte Verbesserungen der Schmerzen/Ödeme (mehrheitlich über viele Jahre) und damit eine Reduzierung von konservativen Therapien erzielt werden können.
Vom Hausarzt wird sodann auch bestätigt, dass sich bei der Bf. seit der Operation die für die Erkrankung symptomatischen Schmerzen nicht mehr zeigten und sich auch die psychische Situation gebessert hat.

Die Krankheit hat - wie aus den einschlägigen Foren und der Leitlinie hervorgeht - einen progredienten Verlauf und führt bei einer nicht gehörigen Behandlung zu ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen (insbesondere zu nachhaltigen Schädigungen des Lymphsystems und der Haut). Nach den medizinischen Unterlagen bestand ein Typ IV Lipödem an Beinen und Armen und nach der Diagnose des Wahlarztes wurde auch für diese ein Operationserfordernis bestätigt. Dass die Bf. in Anbetracht wegen Fortschreitens der Erkrankung bereits starken Schmerzen ausgesetzt war, ist der Bestätigung des Hausarztes zu entnehmen. Wenn die Bf. bei dem glaubhaft dargelegten Krankheits- und Behandlungsverlauf die einzig mögliche dauerhafte Besserungs - bzw. Heilungsbehandlung in Anspruch nimmt, handelt es sich daher nach Ansicht des Gerichtes nicht um die Befriedigung bloßer Wünsche und Vorstellungen der Bf. Mit der vom Wahlarzt (leitlinienkonformen) medizinisch indizierten,operativen Entfernung/Reduzierung des erkrankten Fettgewebes konnten nachweislich die mit der Erkrankung einhergehenden Symptome (Schmerzen) nachhaltig beseitigt werden.

Nach Recherchen auf Internetseiten wie Wikipedia ((https://wikipedia.org/wiki/Lipödem), Hauptverband der Sozialversicherungen (www.hauptverband.at), Seiten diverser Fachärzte (ua. www.netdoktor.at/krankheit/lipoedem; www.infomedizin.at/krankheiten/lipoedem) sowie Anfrage an Selbsthilfegruppe (www.chronischkrank.at) wäre die Bf. bei einer weiterhin nicht gehörigen Behandlung bzw. bei einem weiteren Zuwarten mit der Operation dem Risiko einer nachhaltigen Schädigung des Lymphsystems, der Haut und des Bewegungsapparates ausgesetzt gewesen.

Nachdem die empfohlene (und chefärztlich genehmigte) Operation zur Vermeidung ernsthafter gesundheitlicher Nachteile geeignet war, kann im gegenständlichen Fall - wie im Fall des BFG () - den Behandlungskosten nicht deshalb die Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastungen versagt werden, weil der Sozialversicherungsträger nur einen geringen Teil der Kosten (pro Region € 253,00 lt. Versicherungsträger) vergütet. (vgl. auch )

Was die Möglichkeit der Durchführung der Operation in einem öffentlichen Krankenhaus (mit Kostentragung durch den Sozialversicherungsträger) betrifft konnte sich das Gericht durch die gestellten Anfragen selbst davon überzeugen, dass die von der Bf. angeführten Wartezeiten für derartige Operationen der Realität entsprechen.

Bei dem fortgeschrittenen Krankheitsverlauf (wie es bei der Bf. der Fall ist) und da konservativen Therapien (welche nachweislich durchgeführt wurden und auch Voraussetzung für eine Genehmigung der Operationen durch den Sozialversicherungsträger waren) nicht mehr anschlugen sowie den dadurch verursachten starken Schmerzen waren im konkreten Fall jedenfalls triftige medizinische Gründe für die Durchführung der Operationen bei einem Wahlarzt aus Sicht des Gerichts gegeben.

Das Gericht gelangt zusammenfassend zur Ansicht, dass die Kosten iHv € 12.212,21 im Streitjahr 2019 außergewöhnliche Belastungen für die Bf. darstellen.

Die geltend gemachten Kilometergelder in Höhe von 866,04 € konnten nur in Höhe von 579,60 € berücksichtigt werden. Auf die Ausführungen in der ergangenen (und zitierten) Beschwerdevorentscheidung wird verwiesen.

Bezüglich der Kosten der Autoversicherung war nicht erkennbar, worin die Außergewöhnlichkeit dieser Kosten liegen sollte. Es handelt sich dabei um typische Aufwendungen, die mit der privaten Lebensführung in Zusammenhang stehen und sind diese als solche nicht abzugsfähig sind.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukäme. Die zu entscheidende Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen Krankheitskosten, die nicht von der Sozialversicherung getragen werden, als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 34 EStG 1988 abgezogen werden können, ist von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH13.5.1986, 85/14/0181; ) geklärt. Die Entscheidung war im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalles und der Beweiswürdigung abhängig.

Die Voraussetzungen für eine ordentliche Revision liegen somit nicht vor.

Graz, am

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