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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 12.07.2021, RV/7101502/2020

Haftung eines Komplementärs

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***3***, ***2***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Haftung gemäß § 12 BAO (Primärschuldnerin: ***7***, Firmenbuchnummer ***4***) zur Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO abgeändert. Der Haftungsbetrag für die Umsatzsteuer März 2019 verringert sich auf 350.085,24 Euro. Die Haftung wird insgesamt mit 409.147,54 Euro geltend gemacht.

Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

  • Umsatzsteuer März 2019: 350.085,24 Euro,

  • Säumniszuschlag 2019: 133,95 Euro,

  • Säumniszuschlag 2019: 144,94 Euro,

  • Umsatzsteuer April 2019: 22.452,62 Euro,

  • Säumniszuschlag 2019: 12.792,63 Euro,

  • Pfändungsgebühr 2019: 6.751,56 Euro,

  • Barauslagenersatz 2019: 4,35 Euro,

  • Stundungszinsen 2019: 2.698,63 Euro,

  • Säumniszuschlag 2019: 12.792,63 Euro,

  • Säumniszuschlag 2019: 449,05 Euro,

  • Stundungszinsen 2019: 842,53 Euro;

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Haftungsbescheid (§ 224 BAO) vom wurde der Beschwerdeführer (in der Folge: Bf.) gemäß § 12 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der ***1*** (nunmehr umfirmiert in ***7***, in der Folge: Primärschuldnerin) im Ausmaß von 698.694,03 Euro in Anspruch genommen.

Die Haftung betrifft folgende Abgaben:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
3/2019
639.631,73
Säumniszuschlag
2019
133,95
Säumniszuschlag
2019
144,94
Umsatzsteuer
4/2019
22.452,62
Säumniszuschlag
2019
12.792,63
Pfändungsgebühr
2019
6.751,56
Barauslagenersatz
2019
4,35
Stundungszinsen
2019
2.698,63
Säumniszuschlag
2019
12.792,63
Säumniszuschlag
2019
449,05
Stundungszinsen
2019
842,53
Gesamt
698.694,03

Als persönlich haftender Gesellschafter sei der Bf. gemäß § 12 BAO zur Haftung heranzuziehen. Der Umfang der Haftung richte sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts. Gemeinsam mit dem angefochtenen Bescheid wurden dem Bf. die an die Primärschuldnerin gerichteten Bescheide betreffend die genannten Abgaben, mit Ausnahme der Umsatzsteuer zugestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom . Mit Kaufvertrag vom habe die Primärschuldnerin ihr Unternehmen an die ***5*** verkauft. Mit Treuhandvertrag vom selben Tag sei der Notar ***6*** zum Treuhänder bestellt worden, der zur Abwicklung der Transaktion und zur Auszahlung der Abgabenschuldigkeiten verpflichtet sei.

Im vorliegenden Fall komme die Haftung nicht zur Anwendung, weil die Abgabenschuld von der Personenvereinigung dem Finanzamt nicht vorenthalten worden sei. Der zuständige Notar sei verantwortlich. Dem Bf. komme keine Verfügungsbefugnis über das Treuhandkonto zu.

Die belangte Behörde habe nicht ausreichend begründet, warum der Bf. zur Haftung herangezogen werde, zumal nach bürgerlichem Recht der Notar zur Entrichtung verpflichtet sei. Es liege ein schwerer Verfahrensmangel vor.

Die belangte Behörde habe die Ermessenentscheidung nicht im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben getroffen. Die berechtigten Interessen des Bf. seien nicht berücksichtigt worden. Die Inanspruchnahme trotz Abfuhrverpflichtung des Notars sei überschießend. Zudem habe die belangte Behörde ihre Ermessensentscheidung nicht begründet.

Der Bf. wende sich auch gegen den Bescheid zur Festsetzung von Gebühren und Auslagenersätzen vom , den Bescheid über die Festsetzung von Stundungszinsen vom sowie die Bescheide über die Festsetzung von ersten Säumniszuschlägen vom , und . Die Bescheide über die Abgabenansprüche seien unrechtmäßig ergangen und eine Abgabenschuld nicht entstanden, da diese an den Notar zu richten gewesen seien.

Zudem stellte der Bf. einen Antrag gemäß § 248 BAO auf Bekanntgabe des Abgabenanspruchs.

Die belangte Behörde wies die Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab.

Der Bf. sei im Haftungszeitraum unbeschränkt haftender Gesellschafter der Primärschuldnerin gewesen und könne daher gemäß § 12 BAO in Anspruch genommen werden. Infolge des Verkaufes der Apotheke und der damit verbundenen zivilrechtlichen Auseinandersetzungen um die Verwendung des Kaufpreises, der laut Treuhänder nicht ausreiche, um alle Forderungen zu bedienen, sei die Einbringung der gegenständlichen Abgabenschuld gefährdet.

Es werde darauf hingewiesen, dass sämtliche Abgabenbescheide gemeinsam mit dem angefochtenen Bescheid übermittelt worden seien. Die haftungsgegenständliche Umsatzsteuer sei nicht bescheidmäßig festgestellt, sondern den von der Primärschuldnerin übermittelten Daten entnommen.

Mit Schreiben vom begehrte der Bf. die Vorlage der Bescheidbeschwerde zur Entscheidung an das Verwaltungsgericht.

Die Abgabenschuld sei einbringlich und nicht gefährdet. Die belangte Behörde habe ihr Ermessen überschritten.

Mit Vorlagebericht vom wurde die Bescheidbeschwerde dem Verwaltungsgericht vorgelegt. Am fand die beantragte mündliche Verhandlung statt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. war im Haftungszeitraum und bis dato unbeschränkt persönlich haftender Gesellschafter (Komplementär) und Geschäftsführer der Primärschuldnerin, einer ins Firmenbuch eingetragenen Kommanditgesellschaft.

Bei der Primärschuldnerin war die Entrichtung folgender Abgaben zum Zeitpunkt der Ausstellung des angefochtenen Bescheides am offen.


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Umsatzsteuer
3/2019
639.631,73
Säumniszuschlag
2019
133,95
Säumniszuschlag
2019
144,94
Umsatzsteuer
4/2019
22.452,62
Säumniszuschlag
2019
12.792,63
Pfändungsgebühr
2019
6.751,56
Barauslagenersatz
2019
4,35
Stundungszinsen
2019
2.698,63
Säumniszuschlag
2019
12.792,63
Säumniszuschlag
2019
449,05
Stundungszinsen
2019
842,53
Gesamt
698.694,03

Folgende Zahlungen wurden zwischenzeitig auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin entrichtet:

  • 285.932,12 am

  • 3.614,37 am

sodass eine Summe von 409.147,54 Euro aushaftet.

Die genannten Abgaben wurden mit Ausnahme der Umsatzsteuer 3/2019 und Umsatzsteuer 4/2019 bescheidmäßig festgestellt. Diese Bescheide sind dem Bf. gemeinsam mit dem angefochtenen Haftungsbescheid zugestellt worden. Die Umsatzsteuer März bis April 2019 ist in der oben genannten Höhe tatsächlich entstanden.

Die Primärschuldnerin geht keiner betrieblichen Tätigkeit mehr nach und erwirtschaftet seit April 2019 keine Erlöse.

Auf dem Treuhandkonto des Notars iZm der Veräußerung der Primärschuldnerin besteht derzeit in Guthaben von ca. 730.000 Euro um dessen Verwendung ein zivilrechtlicher Streit besteht. Ob, wieviel und wann etwas von dieser Summe dem Abgabengläubiger zugutekommt, ist unklar.

Noch offene zivilrechtliche Streitigkeiten der Primärschuldnerin betreffen nicht den Abgabengläubiger.

Beweiswürdigung

Die Gesellschafterstellung des Bf. im Haftungszeitraum ergibt sich aus dem Firmenbuchauszug der Primärschuldnerin.

Im Falle des Vorliegens eines Abgabenbescheides besteht im Haftungsverfahren eine Bindung an den Inhalt des Abgabenbescheides (vgl. ). Dass solche Bescheide bestehen und diese dem Bf. zugestellt worden sind, ist unstrittig und folgt das Verwaltungsgericht den glaubwürdigen Ausführungen der Parteien. Dass diese Bescheide an die Primärschuldnerin nicht rechtsgültig ergangen seien, ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht hervorgekommen.

Hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Umsatzsteuer geht das Verwaltungsgericht von den seitens der Primärschuldnerin selbst gemeldeten Beträgen aus (Einsicht in den elektronischen Veranlagungsakt, E-Mail der belangten Behörde vom mit Auszügen aus dem Veranlagungsakt), wobei der Großteil (630.000 Euro) sich bereits aus der Unternehmensveräußerung mit Vertrag vom ergibt. Dem widersprechende Angaben wurden seitens des Bf. weder vorgebracht noch nachgewiesen.

Die seit Ergehen des angefochtenen Bescheides entrichteten Beträge sind dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin zu entnehmen.

Dass die Primärschuldnerin keiner betrieblichen Tätigkeit mehr nachgeht ergibt sich aus den glaubwürdigen Angaben des Bf. Dies wird durch die Einsicht in das Abgabenkonto der Primärschuldnerin bestätigt.

Dass die offenen zivilrechtlichen Streitigkeiten der Primärschuldnerin nicht den Abgabengläubiger betreffen, hat der Bf. in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt. Das gleich gilt für die Angaben zum Treuhandkonto und den zivilrechtlichen Streitigkeiten.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Gemäß § 12 BAO haften die Gesellschafter von als solche abgabepflichtigen und nach bürgerlichemRecht voll oder teilweise rechtsfähigen Personenvereinigungen ohne eigene Rechtspersönlichkeitpersönlich für die Abgabenschulden der Personenvereinigung. Der Umfang ihrer Haftung richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes.

Gemäß § 128 UGB haften die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigernals Gesamtschuldner unbeschränkt. Eine entgegenstehende Vereinbarung ist Dritten gegenüberunwirksam.

Diese Haftung trifft demnach Gesellschafter einer OG und Komplementäre einer KG. Der Komplementär einer KG haftet für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft unmittelbar, primär, unbeschränkt, unbeschränkbar, persönlich und solidarisch (Ritz, BAO6, § 12Tz 3).

Dabei kommt es auf die "förmliche Gesellschafterstellung", somit auf die nach Gesellschaftsrechtzu beurteilende Rechtsposition an (; , 99/13/0060; , 99/14/0276). Nach dem festgestellten Sachverhalt war der Bf. im Haftungszeitraum und bis dato unbeschränkt persönlich haftender Gesellschafter der Primärschuldnerin und auch vertretungsbefugt. Dass der Bf. nach eigenen Angaben lediglich für das Halten der Konzession als Strohmann tätig gewesen ist, steht seiner Haftungsverpflichtung im Sinne des § 12 BAO nicht entgegen.

Im Falle des Vorliegens eines Abgabenbescheides ist die über die Haftung entscheidendeAbgabenbehörde an den Inhalt des Abgabenbescheides gebunden (). Hinsichtlich der Umsatzsteuer geht das Verwaltungsgericht nach dem dargestellten Sachverhalt vom Bestand der entsprechenden Abgabenschuldigkeiten aus.

Bei der Haftung gemäß § 12 BAO handelt es sich (im Gegensatz zur Haftung der gesetzlichen Vertreter von juristischen Personen gemäß §§ 9, 80 BAO) nicht um eine verschuldensabhängige Ausfallshaftung. Der Komplementär haftet primär und allein auf Grund seiner Gesellschafterstellung, weswegen ein Verschulden an der Nichtentrichtung der verfahrensgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten bzw. an deren Ausfall im gegenständlichen Fall nicht zu überprüfen war.

Im vorliegenden Fall ist zumindest von einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwernis der Einbringung, da diese keiner weiteren betrieblichen Tätigkeit nachgeht und über den noch verfügbaren Betrag am Treuhandkonto des Notars ein offener Rechtsstreit besteht, dessen Ausgang ungewiss ist.

Aus dem Einwand des Bf., die Abgaben seien aufgrund einer schuldhaften Pflichtverletzung des zweiten Gesellschafters nicht entrichtet worden wären und stammte diese Schulden großteils aus früheren Zeiten, lässt sich nichts gewinnen, weil die Gesellschafterhaftung nach § 12 BAO verschuldensunabhängig ist. Zudem handelt es sich bei den offenen Abgaben im Wesentlichen um solche, die aus der Veräußerung der Primärschuldnerin im Zeitraum März/April 2019 entstanden sind.

Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen der Abgabenbehörde.

Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung iSd 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Auch, wenn am Treuhandkonto beim Notar noch Gelder vorhanden sind, ist nicht absehbar, ob und in welcher Höhe und wann diese Gelder dem Abgabengläubiger zugeführt werden. Bei den haftungsgegenständlichen Abgaben handelt es sich im Wesentlichen um solche, die aus der Veräußerung der Primärschuldnerin resultieren und für deren Abfuhr vertragsgemäß Vorsorge zu treffen gewesen wäre. Die Vermeidung des Ausfalls dieser Abgaben entspricht dem oben genannten Zweck des § 12 BAO.

Vom Bf. wurden keine anderen Gründe vorgebracht, die bei Abwägung von Zweckmäßigkeit und Billigkeit eine andere Einschätzung bewirken hätten können.

Auf Grund des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 12 BAO erfolgte somit die Inanspruchnahme des Bf. als Haftungspflichtiger für noch aushaftenden Abgabenschuldigkeiten. Die zwischenzeitig durch die Primärschuldnerin entrichteten Beträge waren jedoch in Abzug zu bringen.

Damit war der angefochtene Bescheid insoweit abzuändern, als die Inanspruchnahme des Bf. nur noch unberichtigt aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin in Höhe von 409.147,54 Euro erfolgt. Die zwischenzeitig entrichteten Beträge wurden gemäß § 214 Abs. 1 BAO der Umsatzsteuer für März 2019 zugeordnet.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das gegenständliche Erkenntnis folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Revision gegen dieses Erkenntnis ist damit mangels Vorliegens einer Rechtfrage von grundsätzlicher Bedeutung unzulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 12 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101502.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at