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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.06.2021, RV/3100260/2021

Aufhebung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 299 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Kufstein Schwaz (jetzt Finanzamt Österreich) vom betreffend Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2017 (Beschwerdevorentscheidung vom ) gemäß § 299 BAO zu Recht erkannt:

  • Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Die Beschwerdeführerin erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und machte in Ihrer Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2017 neben Werbungskosten und Sonderausgaben auch außergewöhnliche Belastungen aufgrund einer Behinderung geltend.

2. In der am eingereichten Einkommensteuererklärung wurde der Grad der Behinderung mit 30 % angegeben und neben behinderungsbedingten Kosten für Hilfsmittel und Heilbehandlung in Höhe von 220,28 Euro auch der pauschale Freibetrag für eine Diät (Zucker etc.) beantragt.

Vom Finanzamt wurden im Bescheid vom der Freibetrag wegen eigener Behinderung in Höhe von 75,- Euro und die behinderungsbedingten Kosten für Hilfsmittel und Heilbehandlung, jedoch nicht der pauschale Freibetrag für die Diät zuerkannt.

3. In der am eingebrachten Beschwerde wurde von der Beschwerdeführerin auf eine bei ihr vorliegende Zöliakie und den deshalb beantragten Freibetrag hingewiesen und mitgeteilt, dass am ein Antrag auf Feststellung des Grades der Erwerbsminderung beim Bundessozialamt (Sozialministeriumservice) gestellt worden sei.

4. Der Vorhalt des Finanzamtes vom , in dem ersucht wurde, den beantragten Behinderungsgrad von 30 % und das Vorliegen einer Zöliakie nachzuweisen, wurde von der Beschwerdeführerin damit beantwortet, dass der vom Sozialministeriumservice abgewiesene Antrag beim Bundesverwaltungsgericht in Hinblick auf den Grad der Behinderung bekämpft worden sei. Die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid werde aufrechterhalten.

Mit Vorhalt vom wurde die Beschwerdeführerin vom Finanzamt neuerlich um Vorlage eines Nachweises ersucht. In der Beantwortung wurde mitgeteilt, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weiterhin ausständig sei. Als Beleg für die bestehende Zöliakie wurde ein Schreiben des behandelnden Arztes vom übermittelt, in dem dieser die Diagnose und die Einstufung der Erkrankung bestätigte.

5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde Folge gegeben und der in der Erklärung beantragte Pauschbetrag für Diät (Zucker etc.) in Höhe von 840,- Euro zuerkannt.

6. Die Beschwerdeführerin hatte mit ihren Hauptwohnsitz verlegt, weshalb für die am eingereichte Einkommensteuererklärung 2018 ein anderes Finanzamt örtlich zuständig war.

Im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen war der Grad der Behinderung wiederum mit 30 % angegeben. Es wurden der Pauschalbetrag für Diät (Zucker etc.) sowie behinderungsbedingte Kosten für Hilfsmittel und Heilbehandlung in Höhe von 988,94 Euro geltend gemacht.

7. Im Einkommensteuerbescheid 2018 vom wurde mangels Nachweis der Behinderung weder der Freibetrag wegen Behinderung noch der Pauschalbetrag für Diät (Zucker etc.) angesetzt. Die Aufwendungen in Höhe von 988,94 Euro wurden (nur) als Krankheitskosten, also als außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt, berücksichtigt.

8. In der Beschwerde vom wurde auf die bestehende Zöliakie und darauf hingewiesen, dass die damit in Zusammenhang stehenden Aufwendungen vom bisher zuständigen Finanzamt in der Beschwerdevorentscheidung das Jahr 2017 betreffend als behinderungsbedingt anerkannt worden seien.

9. In der Beantwortung eines weiteren Vorhaltes vom wurde von der Beschwerdeführerin vorgebracht, dass das Sozialministeriumservice die bestehende Zöliakie falscherweise als Stoffwechselerkrankung und nicht als Magen-Darm-Erkrankung nach der Anlage zur "Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010)" beurteilt habe. Dieses Verfahren sei noch nicht abgeschlossen.

Bei den behinderungsbedingten Kosten für Hilfsmittel und Heilbehandlung wurden von der Beschwerdeführerin Kosten, die mit der Behinderung nicht in Zusammenhang standen, ausgeschieden und nur mehr 696,16 Euro geltend gemacht.

10. Mit der Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Erstbescheid insofern abgeändert, als die bisher anerkannten Krankheitskosten (außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt) auf 696, 16 Euro reduziert wurden und die Diät in Höhe des Jahresbetrages von 840,- Euro als Krankheitskosten (außergewöhnliche Belastungen mit Selbstbehalt) angesetzt wurden. Gesamt ergaben sich Krankheitskosten in Höhe von 1.536,16 Euro, die den Selbstbehalt nicht überstiegen.

Zudem wurde die Beschwerdevorentscheidung vom betreffend das Jahr 2017 gemäß § 299 BAO aufgehoben und eine neue Beschwerdevorentscheidung mit Datum erlassen. Im Vergleich zum Erstbescheid wurde der Freibetrag wegen eigener Behinderung in Höhe von 75,- Euro und die behinderungsbedingten Kosten für Hilfsmittel und Heilbehandlung in Höhe von 220,28 Euro nicht mehr zuerkannt.

11. Sowohl gegen die (neue) Beschwerdevorentscheidung betreffend das Jahr 2017 als auch gegen die Beschwerdevorentscheidung betreffend das Jahr 2018 wurden von der Beschwerdeführerin am Vorlageanträge eingebracht.

12. Der Aufhebungsbescheid gemäß § 299 BAO vom wurde mit Beschwerde vom - offenbar - mit der Begründung angefochten, dass die zugrundeliegende Beschwerdevorentscheidung vom zu Unrecht aufgehoben worden sei, weil die außergewöhnlichen Belastungen aufgrund der Behinderung ohne Selbstbehalt zustehen würden.

13. Vom Finanzamt wurde am eine abweisende Beschwerdevorentscheidung erlassen, in der ausgeführt wurde, dass die Aufhebung gemäß § 299 BAO aufgrund der Berichtung eines offensichtlichen Fehlers notwendig gewesen sei.

14. Dagegen wurde von der Beschwerdeführerin am ein Vorlageantrag eingebracht, in dem § 294 BAO auszugsweise zitiert und vorgebracht wurde, dass die im Verfahren von Seiten der Beschwerdeführerin gemachten Angaben stets wahrheitsgemäß und vollständig erbracht worden seien. Dem seinerzeit zuständigen Finanzamt sei die Beurteilung des Bundessozialamtes und der Verfahrensstand immer bekannt gewesen.

15. Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorgelegt. In der Stellungnahme wurde nach ausführlicher Schilderung des Verfahrensablaufes darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin in ihrem Vorlageantrag - fälschlicherweise - auf § 294 BAO Bezug nehme, die Aufhebung jedoch gemäß § 299 BAO erfolgt sei. Die diesbezüglichen Voraussetzungen, insbesondere die Jahresfrist, seien vom Finanzamt eingehalten worden.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Rechtslage

§ 294 BAO lautet folgendermaßen:

(1) Eine Änderung oder Zurücknahme eines Bescheides, der Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten betrifft, durch die Abgabenbehörde ist - soweit nicht Widerruf oder Bedingungen vorbehalten sind - nur zulässig,

a) wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse geändert haben, die für die Erlassung des Bescheides maßgebend gewesen sind, oder

b) wenn das Vorhandensein dieser Verhältnisse auf Grund unrichtiger oder irreführender Angaben zu Unrecht angenommen worden ist.

(2) Die Änderung oder Zurücknahme kann ohne Zustimmung der betroffenen Parteien mit rückwirkender Kraft nur ausgesprochen werden, wenn der Bescheid durch wissentlich unwahre Angaben oder durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden ist.

(3) Die Bestimmungen der Abgabenvorschriften über die Änderung und den Widerruf von Bescheiden der im Abs. 1 bezeichneten Art bleiben unberührt.

(4) Die Entscheidung über Änderungen und Zurücknahmen nach Abs. 1 und 2 steht der Abgabenbehörde zu, die für die Erlassung des zu ändernden bzw. zurückzunehmenden Bescheides zuständig war oder vor Übergang der Zuständigkeit als Folge einer Bescheidbeschwerde oder einer Säumnisbeschwerde (§ 284 Abs. 3) zuständig gewesen wäre. Ist die diesbezügliche Zuständigkeit auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen, so steht die Entscheidung der zuletzt zuständig gewordenen Abgabenbehörde zu.

§ 299 BAO lautet folgendermaßen:

(1) Die Abgabenbehörde kann auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;

b) die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt.

(2) Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.

(3) Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat.

§ 302 BAO bestimmt, dass Aufhebungen gemäß § 299 BAO bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des Bescheides zulässig sind.

Erwägungen

1. Streitpunkt des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens ist die Zulässigkeit einer Aufhebung gemäß § 299 BAO betreffend den Einkommensteuerbescheid 2017 (Beschwerde-vorentscheidung vom ).

Auch Beschwerdevorentscheidungen sind Bescheide i.S.d. § 299 BAO () und dementsprechend aufhebbar.

2. Im Vorlageantrag vom wurde unter Bezugnahme auf § 294 BAO vorgebracht, dass dieser einer Aufhebung gemäß § 299 BAO entgegenstehen würde.

Dazu wurde in der Stellungnahme des Vorlageberichtes vom Finanzamt richtigerweise darauf hingewiesen, dass sich § 294 BAO auf Bescheide bezieht, die Begünstigungen, Berechtigungen oder die Befreiung von Pflichten zum Inhalt haben.

Nicht umfasst sind davon (u.a.) Abgabenbescheide (Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3 § 294 Anm. 4), weshalb der diesbezügliche Einwand der Beschwerdeführerin ins Leere geht.

3. In der Beschwerde vom wurde zudem die Auffassung vertreten, dass die beantragten außergewöhnlichen Belastungen aufgrund der Behinderung ohne Selbstbehalt zustehen würden, weshalb der Spruch des aufgehobenen Bescheides richtig und eine Aufhebung nicht zulässig sei.

Der Inhalt eines Bescheides ist nicht richtig, wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt (etwa wegen einer unrichtigen Auslegung einer Bestimmung, wegen mangelnder Kenntnis des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes, wegen Übersehens von Grundlagenbescheiden), ist für die Anwendbarkeit des § 299 Abs. 1 BAO nicht ausschlaggebend (vgl. Ritz, BAO6, § 299 Tz 10).

In der Begründung des Aufhebungsbescheides wird von der Abgabenbehörde darauf verwiesen, dass sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit der Beschwerdevorentscheidung vom aus der Begründung des (neuen) Sachbescheides ergebe.

Dieser Begründung ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass für die beantragten Freibeträge gemäß § 35 Abs. 2 EStG 1988 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 25 % vorliegen müsse und dies durch eine amtliche Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen nachzuweisen sei. Nachdem die Beschwerdeführerin keine entsprechende Bescheinigung vorlegen habe können, könnten die in der Beschwerdevorentscheidung vom - fälschlicherweise - zuerkannten Freibeträge nicht berücksichtigt werden.

Dass dieser Ansicht des Finanzamtes aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes und der eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen nicht wirksam entgegengetreten werden kann, ist - ausführlicher - dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts mit der Gz. RV/3100191/2021 betreffend Einkommensteuer 2017 und 2018 zu entnehmen. Auf dessen Begründung wird hiermit ergänzend verwiesen.

Insoweit von der Beschwerdeführerin im Vorlageantrag vorgebracht wurde, dass die im Verfahren von Seiten der Beschwerdeführerin gemachten Angaben stets wahrheitsgemäß und vollständig erbracht wurden, ist zu entgegnen, dass die Aufhebung gem. § 299 BAO weder ein Verschulden der Abgabenbehörde noch ein Verschulden (bzw. Nichtverschulden) der Bescheidadressatin voraussetzt (vgl. Ritz, BAO6, § 299 Tz 11).

4. Die Aufhebung gem. § 299 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Bei der Ermessensübung nimmt der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eine zentrale Rolle ein. Dem Prinzip der Rechtmäßigkeit (Rechtsrichtigkeit) kommt der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit (Rechtsbeständigkeit) zu (vgl. Ritz, BAO6, § 299 Tz 54 und die dort angeführte VwGH-Judikatur). Eine Unterlassung der Aufhebung wird i.d.R. nur dann in Betracht kommen, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig ist (vgl. u.a. ).

Die Abgabenbehörde hat in der Begründung des Aufhebungsbescheides die Gründe für die Ermessensübung eingehend darzustellen. Ein Hinweis auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung wird vielfach ausreichend sein (vgl. Ritz, BAO6, § 299 Tz 40 mit Hinweis auf ).

Diesbezüglich wurde vom Finanzamt auf die Begründung des Sachbescheides und auf die nicht bloß geringfügige (steuerliche) Auswirkung verwiesen, womit dieser Minimalanforderung Genüge getan wurde.

Die steuerlichen Auswirkungen bestanden in einer Abgabennachforderung in Höhe von 477,- Euro, was sowohl absolut als auch im Verhältnis zur festgesetzten Einkommensteuer in Höhe von 7.977,73 Euro nicht mehr als geringfügig anzusehen ist.

5. Der Vollständigkeit halber wird auch darauf hingewiesen, dass die (maximale) Frist von einem Jahr, die zwischen dem Erlassen und der Aufhebung des Bescheides liegen darf, vom Finanzamt eingehalten wurde. Der Einkommensteuerbescheid 2017 (Beschwerde-vorentscheidung) datiert vom , die Aufhebung erfolgte am .

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Beschwerdefall wirft keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf, weshalb die Revision nicht zulässig ist.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 294 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 302 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 299 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 35 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.3100260.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at