Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.06.2021, RV/7101559/2018

Wiederaufnahme des Verfahrens

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Dr. Adebiola Bayer in der Beschwerdesache Bf., Adresse1, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Gänserndorf Mistelbach vom über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2011 und Einkommensteuer 2012 zu Recht:

1. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (im Folgenden "Bf.") war Geschäftsführer der A GmbH mit Sitz in Deutschland, deren Gegenstand der Handel mit Textilien war. Er war zudem Eigentümer eines Einfamilienhauses in J, das ihm als inländischer Wohnsitz diente.

Im Jahr 2011 wurde beim Bf. eine Nachschau durchgeführt. Aus der Niederschrift geht hervor, dass er im Mai 2010 eine Liegenschaft an der Adresse Adresse1 erworben habe, auf der sich ein Einfamilienhaus befinde. Die Kosten für den Erwerb seien zur Gänze fremdfinanziert worden. Der Bf. sei deutscher Staatsbürger und seit dem an seiner inländischen Adresse gemeldet. Sein Hauptwohnsitz befinde sich in Deutschland in der Adresse2. An dieser Adresse befinde sich auch die A GmbH. An dieser GmbH halte der Bf. 100% der Gesellschaftsanteile und er sei als deren Geschäftsführer tätig. An der inländischen Adresse werde seit 2010 ein Einzelunternehmen als Agentur "aufgebaut". In diesem Haus werde ein Raum im Erdgeschoß für die Agentur als Büro genutzt. Keller und Garage würden an die GmbH um monatlich EUR 400,00 vermietet. Von der deutschen GmbH würde ein monatliches Honorar iHv EUR 900,00 ausbezahlt werden. Die restlichen Lebenshaltungskosten (Fertigstellung Haus, Strom, Heizung, KFZ-Kosten, Hausversicherung, Bekleidung, Essen) würden über die Reisekostenabrechnung finanziert werden. Zusätzlich stünden ihm EUR 400,00 aus der Vermietung an die GmbH zur Verfügung.

Im Jahr 2014 fand beim Bf. eine weitere Nachschau betreffend Einkommensteuer 07/2010 bis 05/2014 statt. In ihrem Bericht stellte die Prüferin fest, dass eine Wiederaufnahme der Verfahren für die Jahre 2010 bis 2012 erforderlich gewesen sei, da bei der Veranlagung die in Deutschland erzielten Einkünfte des Bf. aus nichtselbstständiger Arbeit bisher nicht berücksichtigt worden seien (Progressionsvorbehalt). In Österreich befinde sich der Wohnsitz des Bf. Der Bf. habe sein Haus in J im Jahr 2010 gekauft. Vom bis sei dort ein Handelsagentengewerbe angemeldet gewesen. Im Jahr 2014 sei ein LKW gekauft worden, der in Österreich angemeldet sei - auf Wechselkennzeichen mit dem PKW des Bf. - der an das Unternehmen des Bf., die A GmbH, vermietet werde. Bis März 2014 sei ein Teil des Hauses des Bf. als Lager an die GmbH vermietet worden.

In Folge erließ die belangte Behörde die angefochtenen Bescheide. In ihren Begründungen zu den Bescheiden über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2011 und Einkommensteuer 2012 führte sie aus, die Wiederaufnahme der Verfahren sei gemäß § 303 Abs. 1 BAO erfolgt, weil die in der Begründung der Sachbescheide näher ausgeführten Tatsachen neu hervorgekommen seien, die in den abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen der Verfahren einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Die Begründung der Sachbescheide betreffend Einkommensteuer 2011 und Einkommensteuer 2012, auf welche verwiesen wurde, lautet wie folgt:

"Gem. § 1 EstG erstreckt sich die unbeschränkte Steuerpflicht bei der Einkommensteuer auf alle in- und ausländischen Einkünfte. Aufgrund des DBA gilt für Einkünfte aus Deutschland der Progressionsvorbehalt. Durch den Progressionsvorbehalt behält sich der Wohnsitzstaat das Recht vor, jene Teile des Einkommens, die in Anwendung von DBA in seiner Besteuerungskompetenz verbleiben, mit dem Steuersatz zu besteuern, der auf das Welteinkommen entfällt. Der so ermittelte Steuersatz wird auf die inländischen Einkünfte angewendet. Im gegenständlichen Fall waren die nichtselbständigen Einkünfte aus Deutschland bei der Ermittlung des Steuersatzes, der auf die österreichischen Einkünfte anzuwenden ist, zu berücksichtigen."

In seiner Beschwerde führte der Bf. aus, im Inland zwar einen Wohnsitz zu haben. Es werde hierbei aber übersehen, dass er ebenfalls einen Wohnsitz in Deutschland habe. Bei dem inländischen Wohnsitz handele es sich nur um einen Nebenwohnsitz. Den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe er eindeutig in Deutschland. Hier befinde sich der Sitz seiner Firma. Seine ganze Familie (Mutter, Geschwister, etc.) lebten in Deutschland. Er habe in Österreich keine persönlichen Beziehungen. Frau F sei an der Adresse seines österreichischen Wohnsitzes gemeldet, wo sie ihre eigenen Räumlichkeiten im 1. Stock des Hauses habe. Sie sei eine langjährige Bekannte, die während seiner Abwesenheit das Haus in Ordnung halte. Er habe auch schon persönlich bei der Nachschau am erklärt, dass er weder Freunde noch persönliche Kontakte oder Verpflichtungen in Österreich habe und keinen privaten Aktivitäten (Hobbys, Sportvereine, Feste oder dergleichen) nachgehe. Er halte sich nur in Österreich auf, wenn es aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit erforderlich sei. Auch rein zeitlich gesehen halte er sich länger in Deutschland auf als in Österreich. Der Aufenthalt dauere zwischen fünf und sechs Monaten, werde aber durch Reisetätigkeiten unterbrochen, sodass die tatsächliche Anwesenheit in Österreich noch kürzer sei. Zwischen sechs und sieben Monaten halte er sich in Deutschland auf. Er habe ein Zwischenlager in Österreich gehabt. Seit dem sei aber selbst dies nicht mehr erforderlich, da die Lieferungen nunmehr direkt von der Türkei über Deutschland zu seinen österreichischen Kunden gingen. Zukünftig werde sein Aufenthalt in Österreich somit noch weiter zurückgehen. Auch wenn die belangte Behörde fälschlicherweise davon ausgehen sollte, dass nicht bestimmt werden könne, dass in Deutschland der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sei bzw. dass in beiden Vertragsstaaten sein gewöhnlicher Aufenthalt stattfinde, komme jedenfalls Art. 4 Abs. 2 lit. c des Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland zur Anwendung. Wenn nicht bestimmt werden könne, wo der engere Anknüpfungspunkt bzw. der gewöhnliche Aufenthalt sei, gelte man in dem Staat als ansässig, dessen Staatsangehöriger man sei. Er sei nach wie vor deutscher Staatsbürger. Sein Lebensmittelpunkt sei in Deutschland. Er halte sich länger in Deutschland auf als in Österreich. Seine Ansässigkeit sei somit eindeutig in Deutschland. Nach Rz 7595 EStR 2000 gelte, dass dann, wenn ein Abgabepflichtiger in Österreich bloß auf Grund eines Zweitwohnsitzes unbeschränkt steuerpflichtig sei, wegen des im Ausland befindlichen Mittelpunktes der Lebensinteressen auf Grund der Abkommensdefinitionen nur dem ausländischen Staat die Funktion des Wohnsitzstaates zukomme, sodass in Österreich im Allgemeinen kein Progressionsvorbehalt geltend gemacht werden könne.

Die belangte Behörde wies die Beschwerde mit ihren Beschwerdevorentscheidungen als unbegründet ab.

In ihrer Begründung zur Beschwerdevorentscheidung hinsichtlich der Bescheide über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2011 und 2012 führte sie aus, im Zuge des Prüfungsverfahrens sei festgestellt worden, dass der Bf. in den Jahren 2011 und 2012 in Österreich an der näher bezeichneten Adresse seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen gehabt habe. Auf Grund dieser Tatsache seien die ausländischen Einkünfte ebenfalls zu erfassen gewesen, sodass es zu wesentlichen Bescheidänderungen gekommen sei. Die Begründung zu den Sachbescheiden (Beschwerdevorentscheidungen betreffend Einkommensteuer 2011 und 2012) werde zum Begründungsbestandteil dieser Begründung erhoben. Die Vornahme der Wiederaufnahme zu Ungunsten des Beschwerdeführers sei wegen der wesentlichen Bescheidänderungen erfolgt und da von diesem trotz Zulassungsbeantragung für seine Fahrzeuge, welche auch bewilligt worden und damit der dauernde Standort in Österreich und damit der Lebensmittelpunkt in Österreich deklariert worden sei, eine gegenteilige Erklärung in der Abgabenerklärung - durch die Nichtaufnahme der ausländischen Einkünfte - erfolgt sei.

In ihrer Begründung zu den Beschwerdevorentscheidungen hinsichtlich der Bescheide betreffend die Einkommensteuer der Jahre 2011 und 2012 führte die belangte Behörde aus, dass der Bf. im Mai 2010 in Österreich ein Haus mit der Anschrift Adresse1 erworben habe. Die Kaufkosten seien zur Gänze fremdfinanziert worden. Unstrittig sei, dass der Bf. im Inland einen Wohnsitz habe (dies auch 2011 und 2012) und daher in Österreich der unbeschränkten Steuerpflicht unterlegen sei und bis dato unterliege. Im ersten Stock des Hauses habe in den Jahren 2011 und 2012 Frau F gewohnt, wobei diese keine Mietzahlungen zu entrichten gehabt habe. Das Erdgeschoß sei dem Bf. zur Verfügung gestanden, vom Keller sei ein Teil von der im Alleinbesitz des Bf. stehenden A GmbH mit Sitz in Deutschland für die Warenlagerung bis (laut Beschwerdeausführungen) verwendet worden. Laut Niederschrift der Aussage von Frau F vom stehe sie in freundschaftlicher Beziehung zum Bf. und wohne gemeinsam mit diesem seit viereinhalbJahren in J, davor sei sie zweieinhalb Jahre in einer - mit dem Bf. - gemeinsamen Wohnung in Deutschland gemeldet gewesen, habe aber dort meistens nicht gewohnt. Der Bf. habe laut KFZ-Zentralregisterauskunft am einen PKW Marke/Type C ***1***, Handelsbezeichnung C ***2***, bei der Zulassungsbehörde Bezirkshauptmannschaft Mistelbach angemeldet, in deren Zuständigkeitsbereich auch die Gemeinde J falle, sodass als Zulassungsbesitzer der Bf. genannt werde. Laut Niederschrift über die Aussage des Bf. vom habe dieser seit 2010 in J eine Agentur in Form eines Einzelunternehmens. Zweck der Agentur sei die Vermittlung von Textilien im Strumpfwarenbereich. Ursprünglich sei von der A GmbH die Ware in der Türkei produziert worden, die für den österreichischen Markt bestimmten Socken seien im Inland verzollt und zum freien Markt zugelassen worden. Die Ware für Deutschland sei dort verzollt worden. Die Firma habe in Österreich Socken an Handelsketten des G-Konzerns geliefert, wobei sie sich eines Zwischenlagers an der Wohnsitzanschrift des Bf. bedient habe. Dieser sei bei der Übernahme und Auslieferung in Österreich stets anwesend gewesen. Er habe die Ware kontrolliert, diese umgepackt, wenn Paletten beim Transport beschädigt worden seien, die Ware auf Kundenwunsch umetikettiert, usw. Dies habe er teilweise im Haus in J oder beim Spediteur getan. Seit dem sei das Zwischenlager nicht mehr benötigt worden. Die Lieferung erfolge laut Beschwerde direkt von der Türkei zu den Kunden. Seitens der Prüferin sei erhoben worden, dass die Ware in der Türkei abgeholt und dann direkt an die Kunden ausgeliefert werde. Dies werde durch die Tatsache bestätigt, dass am ein Lastkraftwagen Nl, Marke/Type D, D ***3***, auf den Bf. als Zulassungsbesitzer zugelassen worden sei. Seitens des Bf. werde behauptet, dass er seine Ansässigkeit in Deutschland gehabt habe und habe, da dort seine ganze Familie (Mutter, Geschwister) lebte. Eine Gattin oder Kinder seien eindeutig nicht genannt worden. Nach Aufforderung der Finanzbehörde sei eine am ausgestellte deutsche Ansässigkeitsbescheinigung vorgelegt worden. Das Ersuchen der belangten Behörde, eine Ansässigkeitsbescheinigung zu übermitteln, welche auf die Jahre 2010 bis 2014 abstelle, sei vom Bf. abgelehnt worden.

Die belangte Behörde gehe aus folgenden Gründen vom Vorliegen des Lebensmittelpunktes des Bf. in Österreich aus: Es sei keine Ansässigkeitsbescheinigung vorgelegt worden, welche sich auf die Streitjahre beziehe. Ansässigkeitsbescheinigungen dürfe zwar grundsätzlich ein Beweischarakter in Indizform beigemessen werden, doch verliere sie diese Bedeutung, wenn sich aus den gesamten Sachverhaltsumständen ein gegenteiliges Bild ergebe. So sei auch die vorgelegte Ansässigkeitsbescheinigung zu sehen, welche außerdem nur auf den Bestätigungszeitpunkt abgestellt sei. Wenn man die Einkünfte des Bf. betrachte, so sei festzustellen, dass diese als äußerst gering zu bezeichnen seien. Nun könne daraus geschlossen werden, dass angesichts dieses Umstandes der Kauf eines Hauses nicht als Vermögensanlage anzusehen sei. Im Gegenteil, der Kauf habe zur Gänze fremdfinanziert werden müssen, wobei auch die Finanzierung durch eine örtliche Bank erfolgt sei. Das Haus sei auch offensichtlich nicht zur Einnahmenerzielung in Form der Vermietung erworben worden. Frau F, welche nach ihren Aussagen den ersten Stock bewohne, habe keine Miete zu bezahlen. Die entgeltliche Nutzung eines kleineren Teils des Kellers für das Zwischenlager durch die A GmbH sei lediglich als Ausfluss und nicht als Ursache des Kaufes zu sehen. Die Anmietung eines kleinen Lagerraumes oder der Kauf einer kleinen Lagerräumlichkeit sei sowohl aus der Sicht des Bf. als solchem als auch aus seiner Machthaberstellung wirtschaftlich zweckentsprechender gewesen.

Der Kauf des Hauses habe also den eindeutigen Zweck verfolgt, in J zu wohnen, also hier eine dauerhafte Wohnstätte zur Befriedigung des Wohnbedürfnisses zu haben. Bei einem dauerhaften Wohnen sei aber von einem Wechsel des Mittelpunktes der Lebensinteressen auszugehen, welcher sich auch durch den Zeitablauf ergebe. Die Verbindungen am neuen Wohnort würden immer mehr und stärker, diejenigen am bisherigen Ort würden nach und nach an Bedeutung verlieren. Dass die Familie in Form von nahen Verwandten (Mutter, Geschwister) in Deutschland lebe, habe mangels Zusammenlebens für die Ansässigkeitsbeurteilung keine Bedeutung. Der Anknüpfungspunkt Familie für eine Beurteilung habe vor allem betreffend Ehegatten und Kinder besondere Wichtigkeit, da diese naturgemäß ganz besonders wichtige Bezugspunkte darstellten. Das bloße Leben von Personen des erweiterten Familienkreises an verschiedenen Örtlichkeiten in einem anderen Staat bewirke keinesfalls eine derartige Bindung. Als Bezugsperson zeige sich aber eindeutig Frau F, welche ihrer niederschriftlichen Aussage nach gemeinsam mit dem Bf. seit viereinhalb Jahren in J wohne (und noch immer laut Abfrage im Zentralmelderegister dort wohne) und davor sei sie zweieinhalbJahre in einer gemeinsamen Wohnung in Deutschland mit dem Bf. gemeldet gewesen. Dies zeige eine enge Bindung, welche dadurch auch bestätigt werde, dass Frau F unentgeltlich im Haus des Bf. gewohnt habe und wohne. Gegenüber fremden Personen oder im Rahmen einer Wohngemeinschaft würde hingegen nicht auf eine Kostenmittragung verzichtet werden. Weiters zeige sich durch die Begründung einer Agentur zur Vermittlung von Textilien im Strumpfwarenbereich im Haus in J, dass die Intention des Bf. darauf abgezielt habe, den österreichischen Markt von dieser Lokalität zu erschließen, also von hier, seinem neuen Ort zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses, tätig zu werden, obwohl im "Zeitalter des Internets (und dessen immer mehr umfassenden Teile des menschlichen und wirtschaftlichen Lebens)" ein persönliches Vor-Ort-Sein überhaupt nicht mehr erforderlich sei, sondern Geschäftsabschlüsse und Aufbau von wirtschaftlichen Beziehungen von einem Kontinent zum anderen im Wege der Telekommunikation und des Internets erfolgten.

Durch die Zulassung des C am auf Grund der Beantragung durch den Bf. sei erklärt worden, dass das Fahrzeug seinen dauernden Standort in Österreich an der Adresse des Zulassungsbesitzers habe. Es werde auf § 40 Abs. 1 KFG 1967 verwiesen. Das Fahrzeug sei bis dato unverändert zugelassen, es sei nur zusätzlich in Form eines Wechselkennzeichens der bereits genannte D-Lastkraftwagen ebenfalls zugelassen worden (die Zulassung dieses Fahrzeuges sei weiterhin aufrecht). Aus der Rechtsprechung (; , RV/0738-I/06; , RV/0207-I/06; ) ergebe sich, dass der dauernde Standort der Hauptwohnsitz des Zulassungswerbers bzw. desjenigen, der verpflichtet gewesen wäre, das Fahrzeug zuzulassen, sei, und dieser Wohnsitz im Sinne des KFG den Mittelpunkt der Lebensinteressen darstelle. Durch die Antragstellung auf Zulassung (welche bewilligt worden sei) durch den Bf. habe dieser damit selbst deklariert, dass er an der Zulassungsadresse seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen habe. Da die Zulassungen weiterhin aufrecht seien, habe sich daran nichts geändert. Da die Zulassung im Jänner 2011 erfolgt sei, werde mit Beginn des Jahres 2011 die Begründung des Mittelpunktes der Lebensinteressen als gegeben angesehen.

In Folge stellte der Bf. einen Vorlageantrag. In diesem führte er ergänzend zur Beschwerde Folgendes aus: Ihm werde vorgeworfen, keine Ansässigkeitsbescheinigung genau für den Zeitraum 2010 bis 2014 vorgelegt zu haben. Es sei der belangten Behörde sehr wohl eine Ansässigkeitsbescheinigung vorgelegt worden. Dass die ausgestellte Bescheinigung allgemein über mehrere Jahre ausgestellt worden sei, erlaube keinesfalls den Schluss, dass er in den angefragten Streitjahren nicht ansässig gewesen sei. Aus der Bescheinigung könne lediglich abgeleitet werden, dass er im in der Bescheinigung angegebenen Zeitraum, der die Streitjahre mitumfasse, in Deutschland ansässig gewesen sei. Weiters werde ihm vorgeworfen, dass der Kauf eines Hauses nicht als Vermögensanlage anzusehen sei, da seine Einkünfte gering seien. Er werde in Deutschland keine Pension erhalten und müsse schon jetzt darauf schauen, dass er Vermögen habe, das er in späterer Folge verwerten könne. Die Tatsache, dass seine Einkünfte nur gering gewesen seien und er deshalb das Haus fremdfinanziert habe, bedeute nicht zwangsläufig, dass der Hauskauf nicht der Vermögensanlage dienen könne. Eine Hausfinanzierung ohne Eigenkapital lohne sich in Phasen niedriger Bauzinsen. Wer abwarte, erst Eigenkapital anspare und sich in einigen Jahren um die Finanzierung kümmere, gehe ein Risiko ein - schließlich könnten sich die Zinskonditionen verschlechtern. So sprächen die niedrigen Zinsen der letzten Jahre durchaus für seine Vorgehensweise. Natürlich erhoffe er sich auch Wertsteigerungen des Immobilienvermögens. Darüber hinaus sei ein Lagerraum mit erschwinglichen Mietkosten nicht zu finden gewesen und er hätte zusätzlich in der Zeit, in der er berufsbedingt in Österreich hätte anwesend sein müssen, hohe Kosten für ein Hotel tragen müssen. Das wäre insgesamt mit wesentlich höheren Kosten verbunden gewesen als die monatlichen Kreditraten für den Hauskauf. Dass er einen (Zweit-)Wohnsitz in dem Haus habe, werde keineswegs bestritten. Es werde jedoch auf die ständige Judikatur des VwGH hingewiesen, der zufolge eine Person zwar im gleichen Zeitraum mehrere Wohnsitze haben könne, jedoch nur einen Mittelpunkt der Lebensinteressen. Die auf die Wohnsitze entfallenden Aufenthaltszeiten seien ein bedeutsames quantitatives Kriterium dafür, wo der Mittelpunkt der Lebensinteressen sei (). Betreffend dieses quantitative Kriterium sei darauf hinzuweisen, dass er selbst sechs bis sieben Monate im Jahr an seinem Hauptwohnsitz in Deutschland verbringe, das sei mehr als die Hälfte des Jahres und entspreche 180 bis 210 Tagen im Jahr.

Noch viel stärker komme es nach der Rechtsprechung des VwGH bei der Bestimmung des Mittelpunktes der Lebensinteressen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen an. Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort (in welchem Staat) der Steuerpflichtige die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen habe, sei auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gebe (vgl. Hofstätter/Reichel, § 1 EStG 1988, Tz 9). Wirtschaftliche Bindungen gingen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen sei durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend sei letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere sei (vgl. Wassermeyer, in Wassermeyer/Lang/Schuch (Hrsg.), Doppelbesteuerung2, Rn 70; VwGH vom 17.10,2017, 2016/15/0008, ). Für die Bestimmung der wirtschaftlichen Beziehungen sei insbesondere die Höhe der Einkünfte in den Vertragsstaaten ausschlaggebend (, ). Zu den wirtschaftlichen Bindungen sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass er in den Jahren 2011 und 2012 Geschäftsführer einer GmbH in Deutschland gewesen sei und auch in Deutschland sein Haupteinkommen lukriert habe. Er sei im Auftrag der GmbH mit den österreichischen Vertragspartnern in Kontakt und habe diese hier betreut. Unter persönlichen Beziehungen seien all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbänden, an dem er einen Wohnsitz innehabe. Von Bedeutung seien dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen (), aber auch Verbindungen zu Sachgesamtheiten, wie Privatsammlungen, und die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements (vgl. Vogel/Lehner, DBA5 (2008), Art 4 Rn 192). Unter persönlichen Beziehungen seien nach § 93 Abs. 4 ZollG 1988 all jene zu verstehen, die jemand aus in seiner Person liegenden Gründen auf Grund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, mit anderen Worten nach allen Umständen, die den eigentlichen Sinn des Lebens ausmachten, an ein bestimmtes Land bänden (; vom , 89/14/0054). Es sei nicht ersichtlich, warum für die Beurteilung der persönlichen Beziehungen, um den Mittelpunkt der Lebensinteressen festzustellen, auf andere Kriterien, insbesondere einen anderen Personenkreis, abgestellt werden sollte, als für die "persönlichen Beziehungen" iSd § 93 Abs. 4 ZollG 1988. Es liege fern jeglicher Lebenserfahrung, wenn die belangte Behörde darauf hinweise, er hätte keine familiären Bindungen in Deutschland, weil er weder eine Frau noch Kinder habe. Diese Ansicht würde bedeuten, dass jede unverheiratete, kinderlose Person keine familiären Bindungen vorweisen könne. Eine solche Wertung sei jedoch der oben zitierten Judikatur des VwGH nicht zu entnehmen. Er habe eine sehr gute Beziehung zu seiner Mutter und seinen Geschwistern, gerade diese Beziehung binde ihn an seinen Hauptwohnsitz in Deutschland. Der Familienverband habe gerade in der südländischen Mentalität einen sehr hohen Stellenwert und sei nicht auf einen Ehepartner und eigene minderjährige Kinder beschränkt. Auch unabhängig von einer etwaigen südländischen Mentalität stehe es außer Frage, dass ein deutscher Staatangehöriger, der seine nächsten Verwandten in Deutschland habe und dessen soziale Kontakte sich in Österreich auf eine Mitbewohnerin beschränkten, eindeutig seine persönlichen Beziehungen in Deutschland habe. Hier sei noch auf die Judikatur des VwGH hinzuweisen, der zufolge übliche Kontakte zu Arbeitskollegen und Mitbewohnern nicht als persönliche Beziehungen zu einem Staat ins Gewicht fielen ().

Offenbar werde ihm unterstellt, dass er eine persönliche Beziehung zu Frau F hätte. Dies sei nicht korrekt. Er kenne Frau F schon sehr lange und sie seien freundschaftlich verbunden. Er habe ihr gestattet, dass sie sich in Deutschland auch bei ihm melde, da sie in Deutschland eine Arbeit habe suchen wollen. Auch dass Frau F unentgeltlich in seinem Haus wohne, sei nicht ganz richtig. Frau F kümmere sich um das Haus und den Haushalt, das sei auch notwendig, da er sich mehr als die Hälfte der Zeit des Jahres nicht in Österreich aufhalte. In der Zeit, in der er in Österreich sei, sorge Frau F für seine Verpflegung. Eine solche Aufteilung sei unter Mitbewohnern durchaus zulässig.

Aus all diesen Umständen ergebe sich eindeutig, dass der Bf. in Deutschland ansässig sei und dort den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen habe.

Wenn die belangte Behörde aus dem Antrag auf Zulassung des Kraftfahrzeuges in Österreich schließe, dass er dadurch unwiderleglich deklariert habe, an der Zulassungsadresse (in Österreich) seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen zu haben, sei Folgendes entgegenzuhalten: Wer ein ausländisches Fahrzeug in Österreich verwende und einen österreichischen Hauptwohnsitz habe, bei dem werde vermutet, dass das Fahrzeug einen dauernden Standort in Österreich habe. Diese Vermutung bewirke, dass so ein Fahrzeug binnen eines Monats auch in Österreich zum Verkehr zugelassen werden müsse (österreichisches Kennzeichen) und alle nötigen Steuern (NoVA, Kfz-Steuer, etc.) bezahlt werden müssten. Diese Vermutung gelte bis zum Gegenbeweis, den der Lenker dann zu führen habe. Diese gesetzliche Bestimmung (Beweislastumkehr durch die Vermutung des dauernden Standortes des Fahrzeuges in Österreich) führe dazu, dass der Lenker schon bei der ersten Überprüfung glaubhaft machen müsse, dass das Fahrzeug keinen dauernden Standort im Inland habe, oder dass der Monat noch nicht abgelaufen sei. Oft könne man aber einen solchen Gegenbeweis nicht führen. Die Verwendung eines derartigen Fahrzeuges für länger als einen Monat ab Einbringung ins Inland bewirke, dass die ausländische Zulassung als aufgehoben gelte (auch wenn nach wie vor ausländische Kennzeichen am Fahrzeug angebracht sei). Dieses Fahrzeug sei dann nicht mehr zum Verkehr zugelassen, die Pflicht zur Steuerzahlung entstehe. Die früher bestehende Doppelwohnsitzbescheinigung (für Personen, die sowohl in Österreich als auch im Ausland einen ordentlichen Wohnsitz hätten) sei bereits vor Jahren ersatzlos gestrichen worden. Damit sei es für jemanden mit einem Hauptwohnsitz nicht mehr möglich, über längere Zeit ein Fahrzeug mit ausländischem Kennzeichen zu lenken. Für den Bf. sei nicht ersichtlich gewesen, wie er vorgehen hätte sollen, wenn er zwar seinen Lebensmittelpunkt im Ausland habe, in Österreich jedoch einen Zweitwohnsitz und ein Fahrzeug über mehrere Jahre, welches er bis zu sechs Monate im Jahr in Österreich verwenden wolle. Um dieser Rechtsunsicherheit zu entgehen, habe er seinen Pkw in Österreich zugelassen, er habe dadurch jedoch keineswegs den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen unwiderleglich nach Österreich verlegen wollen. Der Bf. habe sich lediglich richtig verhalten wollen, um nicht Gefahr zu laufen, dass die deutsche Zulassung aufgehoben werde. Diese Meldung könne jedoch nicht als Nachweis für einen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich dienen. Sein Aufenthalt in Österreich für die Jahre 2011 und 2012 sei in erster Linie darauf zurückzuführen, dass in diesem Zeitraum versucht worden sei, den österreichischen Markt zu stärken.

Wenn nun die belangte Behörde fälschlich davon ausgehe, dass nicht erwiesen werden könne, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland habe, so könne umso weniger erwiesen werden, dass der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Österreich liege. In einem solchen Fall käme Art. 4 Abs. 2 lit. c DBA-Deutschland zur Anwendung. Wenn eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Staaten habe, so gelte diese nur in dem Staat als ansässig, deren Staatsangehöriger sie sei. Da der Bf. deutscher Staatsangehöriger sei, sei er jedenfalls in Deutschland ansässig. Hier sei auf die EAS-Auskunft 2902 des BMF-010221/2059-IV/4/2007, zum Zweitwohnsitz und Progressionsvorbehalt hinzuweisen: Nach der geltenden Verwaltungspraxis würden DBA-steuerfreie Einkünfte genauso wie die nach innerstaatlichem Recht steuerfreien Einkünfte nur dann für Zwecke der Progressionsermittlung angesetzt, wenn sich dies ausdrücklich aus dem Gesetz (DBA) ergebe. Wenn daher im Methodenartikel eines DBA ein Progressionsvorbehalt nur für den Ansässigkeitsstaat vorgesehen sei (dies sei die allgemeine Regel), werde in den Fällen eines österreichischen Zweitwohnsitzes, also in Fällen, in denen die Ansässigkeit im Sinn des DBA nachweislich im DBA-Partnerstaat gelegen sei, kein Progressionsvorbehalt angewendet (siehe in diesem Sinn auch EStR 2000 Rz 7595). Nach der derzeitigen Verwaltungspraxis würden die Doppelbesteuerungsabkommen, die, wie das DBA-Deutschland, im Methodenartikel dem hier maßgebenden Wortlaut des OECD-Musterabkommens folgten, auf österreichischer Seite nach wie vor so ausgelegt, dass Österreich als Zweitwohnsitzstaat keinen Progressionsvorbehalt geltend mache (siehe zB EAS 1332). In Österreich könnten somit die Einkünfte des Bf., die er aus Deutschland bezogen habe, nicht dem Progressionsvorbehalt unterworfen werden.

Die belangte Behörde legte den Beschwerdeakt dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Festgestellter Sachverhalt

Das Bundesfinanzgericht stellte den folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:

Der Bf. ist deutscher Staatsbürger. Im beschwerdegegenständlichen Zeitraum lebten seine Mutter und seine Geschwister in Deutschland, wo er an der Adresse Adresse2, wohnte. Der Bf. war Geschäftsführer der deutschen A GmbH, die ihren Sitz an der genannten Adresse hatte. Gegenstand dieser GmbH war der Handel mit in der Türkei produzierten Textilien. Seine aus Deutschland stammenden Einkünfte betrugen im Jahr 2011 EUR 9.914,80 und im Jahr 2012 EUR 10.080,00.

Darüber hinaus bewohnte er an der Adresse Adresse1 ein Einfamilienhaus, das er im Eigentum erworben hatte und zur Gänze fremdfinanzierte. Von dort aus betrieb er ein Einzelunternehmen, welches Kunden an die GmbH vermitteln sollte. Im Keller (insgesamt ca. 74 m²) sowie in der Garage (22 m²) unterhielt der Bf. Lagerräumlichkeiten für die in Österreich ausgelieferte Ware der GmbH. Diese Räumlichkeiten vermietete er an die GmbH. Weitere Räume des Hauses wurden von E F bewohnt, ohne dass diese Mietzahlungen an den Bf. leistete. Die inländischen Einkünfte des Bf. betrugen im Jahr 2011 EUR 3.862,54 und im Jahr 2012 EUR 7.370,87.

Im Zuge seiner beruflichen Tätigkeit war der Bf. zwecks Warenbestellungen sowie der Besprechung von Mustern und neuen Designs zwischen Deutschland, Österreich und der Türkei unterwegs. Er hielt sich sowohl an seinem inländischen als auch seinem deutschen Wohnsitz auf.

Am meldete der Bf. im Inland einen Personenkraftwagen der Marke C (Type C ***1***, Handelsbezeichnung C ***2***) an.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage und ist unstrittig.

Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt 1: Stattgabe und Aufhebung

§ 303 Abs. 1 BAO lautet wie folgt:

"§ 303. (1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

In ihren angefochtenen Bescheiden über die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2011 und Einkommensteuer 2012 begründete die belangte Behörde diese mit neu hervorgekommenen Tatsachen, die in der Begründung der angefochtenen Bescheide betreffend Einkommensteuer 2011 und 2012 näher ausgeführt und in den abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht worden seien. Die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen der Verfahren hätten einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt.

Die Begründungen der angefochtenen Bescheide betreffend Einkommensteuer 2011 und 2012 enthalten jedoch ausschließlich rechtliche Ausführungen über die Anwendung des Progressionsvorbehalts. Erst aus der Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde ergibt sich, welche Tatsachen sie als neu hervorgekommen erachtete. Sie stützte sich im Wesentlichen auf die ausschließliche Fremdfinanzierung des inländischen Wohnsitzes, die unentgeltliche Nutzung von Räumlichkeiten dieses Wohnsitzes durch E F, die inländische Zulassung des Personenkraftwagens des Bf. sowie eine nicht vorgelegte deutsche Ansässigkeitsbescheinigung.

Selbst wenn es als zulässig erachtet werden sollte, dass die belangte Behörde die Umstände, die sie als neu hervorgekommene Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO erachtet, erst in ihrer Beschwerdevorentscheidung ausdrücklich darlegt, sind diese aus Sicht des Bundesfinanzgerichtes nicht geeignet, einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeizuführen.

Nach § 26 Abs. 1 BAO hat einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung ist steuerrechtlich das Bestehen eines Wohnsitzes stets an die objektive Voraussetzung des Besitzes - hier gleichbedeutend mit Innehabung - einer Wohnung geknüpft. Die polizeiliche Meldung oder die Unterlassung derselben ist ebensowenig für die Frage des Wohnsitzes entscheidend wie der Umstand, ob Miete bezahlt wird oder nicht. Der Wohnsitzbegriff des Steuerrechtes ist demnach auf keine bestimmte rechtsgeschäftliche Form abgestellt, sondern knüpft an die tatsächliche Gestaltung der Dinge an. Um einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften zu begründen, bedarf es daher nur der tatsächlichen Verfügungsgewalt über bestimmte Räumlichkeiten, die nach der Verkehrsauffassung zum Wohnen geeignet sind, also ohne wesentliche Änderungen jederzeit zum Wohnen benutzt werden können und ihrem Inhaber nach Größe und Ausstattung ein dessen persönlichen Verhältnissen entsprechendes Heim bieten. In diesem Sinn können auch Untermietzimmer, im Fall einer Dauermiete sogar Hotelzimmer eine Wohnung und damit einen Wohnsitz gemäß § 26 Abs. 1 BAO darstellen (vgl. ).

Vor diesem Hintergrund hatte der Bf. sowohl in Österreich als auch in Deutschland einen Wohnsitz.

Art. 4 des mit Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommens (im Folgenden "DBA-Deutschland"), BGBl. BGBl. III Nr. 182/2002, lautet wie folgt:

"Artikel 4

Ansässige Person

(1) Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck "eine in einem Vertragsstaat ansässige Person" eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist, und umfasst auch diesen Staat, seine Gebietskörperschaften und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts. Der Ausdruck umfasst jedoch nicht eine Person, die in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat gelegenem Vermögen steuerpflichtig ist.

(2) Ist nach Absatz 1 eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt Folgendes:

a) Die Person gilt als nur in dem Staat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen);

b) kann nicht bestimmt werden, in welchem Staat die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, oder verfügt sie in keinem der Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat;

c) hat die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in beiden Staaten oder in keinem der Staaten, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, dessen Staatsangehöriger sie ist;

d) ist die Person Staatsangehöriger beider Staaten oder keines der Staaten, so werden sich die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten bemühen, die Frage in gegenseitigem Einvernehmen zu regeln.

(3) Ist nach Absatz 1 eine andere als eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt sie als in dem Staat ansässig, in dem sich der Ort ihrer tatsächlichen Geschäftsleitung befindet."

Nach dieser Bestimmung ist zunächst zu prüfen, in welchem Staat die Person, die in beiden Vertragsstaaten über eine Wohnstätte verfügt, ihren Mittelpunkt der Lebensinteressen hat. Wie der Bf. ins Treffen führte, ist für die Beurteilung dieser Frage auf das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt dabei in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen. Unter letzteren sind all jene zu verstehen, die einen Menschen aus in seiner Person liegenden Gründen mit jenem Ort verbinden, an dem er einen Wohnsitz hat. Von Bedeutung sind dabei familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen, aber auch die Mitgliedschaft in Vereinen und andere soziale Engagements. Wirtschaftliche Bindungen gehen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten und von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen aus. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Entscheidend ist letztlich, welcher Vertragsstaat für die Person der bedeutungsvollere ist (vgl. , Rn. 14).

Der Bf. hatte seine nächsten Verwandten (Mutter, Geschwister) in Deutschland. In Österreich hatte er persönlichen Kontakt zu E F, die unentgeltlich an seiner inländischen Adresse wohnte und mit der der Bf. laut eigenen Angaben freundschaftlich verbunden war. Dass E F die Lebensgefährtin des Bf. gewesen wäre, behauptete die belangte Behörde nicht ausdrücklich. Über sonstige persönliche Beziehungen des Bf. sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art und andere Betätigungen zur Entfaltung persönlicher Interessen und Neigungen ist nichts bekannt. Es kann keine abschließende Aussage darüber getroffen werden, ob die Beziehung des Bf. zu seinen Verwandten oder die zu E F bedeutungsvoller war. Ebenso wenig kann eindeutig bestimmt werden, zu welchem Staat der Bf. die bedeutenderen wirtschaftlichen Beziehungen hatte, da der Bf. im beschwerdegegenständlichen Zeitraum in beiden Staaten unternehmerisch tätig war. Daher kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Bf. im beschwerdegegenständlichen Zeitraum zu einem Staat engere wirtschaftliche Beziehungen gehabt hätte. Ob der inländische Wohnsitz des Bf. ausschließlich fremdfinanziert war, ist für sich genommen für die Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nicht maßgeblich, zumal der Bf. plausible Gründe für eine Fremdfinanzierung der Immobilie vorbrachte.

Die belangte Behörde brachte die Zulassung eines Personenkraftwagens im Inland durch den Bf. als Indiz für dessen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich vor. In diesem Zusammenhang ist auf § 82 Abs. 8 KFG 1967 hinzuweisen, welcher auszugsweise wie folgt lautet:

"§ 82. […] (8) Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, die von Personen mit dem Hauptwohnsitz oder Sitz im Inland in das Bundesgebiet eingebracht oder in diesem verwendet werden, sind bis zum Gegenbeweis als Fahrzeug mit dem dauernden Standort im Inland anzusehen. Die Verwendung solcher Fahrzeuge ohne Zulassung gemäß § 37 ist nur während eines Monats ab der erstmaligen Einbringung in das Bundesgebiet zulässig […]"

Was den Begriff des Hauptwohnsitzes nach § 82 Abs. 8 KFG 1967 betrifft, gilt nach § 1 Abs. 7 Meldegesetz 1991, dass dieser an jener Unterkunft begründet ist, an der sich ein Mensch in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkts einer Lebensbeziehungen zu machen; trifft diese sachliche Voraussetzung bei einer Gesamtbetrachtung der beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen eines Menschen auf mehrere Wohnsitze zu, so hat er jenen als Hauptwohnsitz zu bezeichnen, zu dem er das überwiegende Naheverhältnis hat. Diese Definition deckt sich im Wesentlichen mit Art. 4 Abs. 2 lit. a DBA-Deutschland. Aus den obigen Ausführungen geht hervor, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf. im beschwerdegegenständlichen Zeitraum nicht eindeutig bestimmen lässt. Auch die Tatsache alleine, dass der Bf. keine deutsche Ansässigkeitsbescheinigung für den beschwerdegegenständlichen Zeitraum vorlegte, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen deshalb im Inland lag.

Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass der Bf. das Kraftfahrzeug, das offensichtlich im Inland genutzt werden sollte, im Inland zum Verkehr zuließ.

Somit ist gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. b DBA-Deutschland auf den gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen. Der Bf. behauptete, sich mehr in Deutschland aufgehalten zu haben als im Inland, ohne dafür Belege vorzulegen. Die belangte Behörde brachte nicht vor, dass sich der Bf. überwiegend im Inland aufgehalten hätte. Ebenso wenig kann auf Grund seiner unternehmerischen Tätigkeit geschlossen werden, im welchem Staat er sich länger aufhielt, da diese seine Anwesenheit sowohl in Deutschland als auch in Österreich und der Türkei erforderte. Daher kann auch das Abstellen auf den gewöhnlichen Aufenthalt keinen Aufschluss auf die Ansässigkeit des Bf. geben.

Somit verbleibt zur Bestimmung der Ansässigkeit des Bf. Art. 4 Abs. 2 lit. c DBA-Deutschland, welcher auf die Staatsbürgerschaft abstellt.

Da der Bf. deutscher Staatsbürger ist, war er im Ergebnis während des beschwerdegegenständlichen Zeitraums in Deutschland ansässig. Somit sind die von der belangten Behörde herangezogenen Umstände keine neu hervorgekommenen Tatsachen, die einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Daher war der Beschwerde stattzugeben und die Wiederaufnahmebescheide waren aufzuheben.

3.2. Zu Spruchpunkt 2: Unzulässigkeit einer Revision

Gemäß § 25a Abs. 2 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichts ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wurde. Da das Bundesfinanzgericht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt, war die Revision nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 26 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
DBA D (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Bundesrepublik Deutschland (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. III Nr. 182/2002
§ 82 Abs. 8 KFG 1967, Kraftfahrgesetz 1967, BGBl. Nr. 267/1967
§ 1 Abs. 7 MeldeG, Meldegesetz 1991, BGBl. Nr. 9/1992
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101559.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at