Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.07.2021, RV/7101631/2021

Rechtswidrige Abweisung eines Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den RichterRi in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für das Kind ***1*** ab Juni 2020 Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Eingabe vom beantragte die Bf. mit der Begründung des Bestehens diverser psychischer Leiden die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für ihren minderjährigen Sohn ab dem Zeitpunkt des durch einen medizinischen Sachverständigen festgestellten Eintritts der erheblichen Behinderung.

In der Folge wurde der Sohn der Bf. am beim Sozialministeriumservice untersucht, wobei der begutachtende Arzt in seinem mit datierten Gutachten dem Probanden ob sozialem Rückzuges bei vorliegender Konzentrationsstörung und Lernschwierigkeiten einen ab Juni 2020 bestehende Behinderungsgrad von 30% attestierte.

Mit Bescheid vom wurde unter Hinweis auf den im Gutachten festgestellten Behinderungsgrad der Antrag der Bf. auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab Juni 2020 abgewiesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde vom führte die Bf. ins Treffen, dass ihr Sohn bereits seit dem Jahr 2017 an gesundheitlichen Einschränkungen leide, respektive dieser ob im sozialem Bereich angesiedelter Unselbständigkeit einer 24 Stunden Betreuung bedürfe. Demzufolge ergehe der Antrag auf nochmalige Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen.

In Ansehung obiger Beschwerdeausführungen wurde am seitens des Sozialministeriumsservice ein Aktengutachten erstellt, wobei der als Gutachtensersteller fungierenden Facharzt für Kinder und Jugendheilkunde zur Überzeugung gelangte, dass abweichend vom Vorgutachten, der im Sozialbereich angesiedelten Unselbständigkeit des Sohnes der Bf. Rechnung zu tragen ist und demzufolge dessen Grad der Behinderung ab Juni 2020 auf 50% zu lauten hat.

Korrespondierend mit dem Ergebnis dieses Gutachtens wurde mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom dem Rechtsmittel der Bf. Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Am langte bei der belangten Behörde ein Vorlageantrag ein, wobei - ungeachtet des einleitenden Goutierens der BVE - mit der Begründung Beschwerde erhoben wurde, dass der erstmalige Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe keinen bestimmten (Anspruchs)Zeitraum beinhaltet habe, dieser aber - ob seit Kindheitstagen bestehender, im bisherigen Verwaltungsverfahrens wiederholt ins Treffen geführten Leiden des Sohnes der Bf. - nunmehr auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab Mai 2015 laute.

In Ansehung obigen Vorlageantrages wurde - ausgehend von den seitens der Bf. nachgereichten, Konsultationen von Krankenanstalten bzw. den Aufenthalt in Krankenanstalten bestätigenden Unterlagen - am vom Sozialministeriumsservice ein weiteres Gutachtens erstellt, wobei der erstellende Facharzt - in Übereinstimmung mit dem Vorgutachten - und ob der Tatsache, dass die nachgereichten Unterlagen keine medizinischen Daten aufweisen, zur Überzeugung gelangte, dass der Sohn der Bf. ab Juni 2020 einen Behinderungsgrad von 50% aufweist.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Prozessuale Anmerkungen zu der vom BFG zu beurteilenden Verwaltungssache

Einleitend ist anzumerken,dass in Entsprechung der Bestimmung des § 264 Abs. 3 BAO durch die am und ergo dessen rechtzeitig erfolgte Einbringung des Vorlageantrags die mit datierte Beschwerde vom Einbringungszeitpunkt an, sprich sohin vom an wiederum als unerledigt gilt.

In Ansehung der Tatsache, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid vom einen Anspruch der Bf. auf erhöhte Familienbeihilfe ab dem Juni 2020 "ablehnt", ist die vom BFG zu beurteilenden Verwaltungssache, sprich die Beurteilung der Rechtswidrigkeit/ Rechtmäßigkeit des Bescheides zwingend mit - nämlichen, im Spruch zum Ausdruck gebrachten Beginnes - begrenzt.

2. Streitgegenstand

Strittig ist, ob der Bf. die erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum ab dem Juni 2020 zusteht.

3. Rechtliche Würdigung

3.1. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe (Anm.: auf den Grundbetrag an Familienbeihilfe)

lit. a) für minderjährige Kinder, ….

Nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist, um ….

Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 gilt als erheblich behindert ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

3.2. Rechtliche Beurteilung

Unter Bezugnahme auf die unter Punkt 3.1. dargestellten Rechtsgrundlagen ist einleitend anzumerken, dass zum Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung eines Kindes eine Bescheinigung des Bundessozialamtes (nunmehr: Sozialministeriumservice) nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 zwingend erforderlich.

Hierbei sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Abgabenbehörden sowie das Bundesfinanzgericht (BFG) an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes (nunmehr: Sozialministeriumservice, SMS) erstellten Gutachten gebunden (vgl. ua).

Gleichzeitig hat das BFG die Beweiskraft - insbesondere Nachvollziehbarkeit bzw. Schlüssigkeit - der Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen ().

Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 die Kompetenz für die Beurteilung des Grades der Behinderung und der Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ausdrücklich an eine dafür qualifizierte Institution übertragen. Daraus folgt, dass der Entscheidungsfindung durch die Behörde weder Bekundungen der Eltern über den Gesundheitszustand ihres Kindes noch anderer Personen, mögen sie auch über fachärztliche Kenntnisse verfügen, zu Grunde zu legen sind ().

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , B 700/07, wohl begründet ausgeführt, dass die Beihilfenbehörden bei ihrer Entscheidung jedenfalls von der durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung des Bundessozialamtes auszugehen haben und von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen können.

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat klargestellt, dass die Behörden an die den Bescheinigungen des Bundessozialamtes (nunmehr Sozialministeriumservice) zugrunde liegenden Gutachten gebunden sind und diese nur insoweit prüfen dürfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (vgl. z.B. , und ).

Zunächst wurde im beschwerdegegenständlichen Fall - als Ergebnis der im 3.6.202 statt gefundenen Untersuchung - via Gutachten vom der Behinderungsgrad des Kindes ***1*** ab Juni 2020 mit 30% festgestellt, wobei im Zuge des Rechtsmittelverfahrens erstellten Zweitgutachten vom - den Ausführungen der Bf. betreffend die soziale Unselbständigkeit ihres Sohnes folgend -, in nachvollziehbarer und schlüssiger Art und Weise dessen ab dem Juni 2020 bestehenden Behinderungsgrad auf 50% angehoben wurde.

Nämliches Ergebnis fand wiederum im Gutachten vom seinen Niederschlag.

In Ansehung vorstehendender Ausführungen war der angefochtene Bescheid als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet ersatzlos aufzuheben.

Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass - unter Bezugnahme auf die unter Punkt 1 getätigten Ausführungen - der im Rahmen des Vorlageantrages gestellte Antrag auf rückwirkende Gewährung des Erhöhungsbetrags zur Familienbeihilfe ab Mai 2015 nicht den Gegenstand dieses Verfahrens bildet, sondern über diesen vielmehr von der belangten Behörde abzusprechen sein wird.

Zusammenfassend war wie im Spruch zu befinden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die diesbezüglichen Voraussetzungen liegen im zu beurteilenden Fall nicht vor, da es sich zum Einen um Fragen der freien Beweiswürdigung handelt, zum Anderen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gefolgt wird.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101631.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at