Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.05.2020, RV/2101181/2016

Unzulässiges Mängelbehebungsverfahren nach § 85 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch die Richterin N.N. in der Beschwerdesache Bf, Adresse, vertreten durch (Hälfteeigentümer1"), Adresse, WPundStb-GmbH über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des X vom betreffend Umsatzsteuer 2013 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die Beschwerdevorentscheidung vom wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgegenständlich sind zwei Beschwerden gegen den an die Miteigentumsgemeinschaft (MEG) der Liegenschaft (Mietobjektadresse) in Graz unter der Bezeichnung (BfSteuersubjektbezeichnung) (= Bf, im Folgenden auch kurz MEG) ergangenen Umsatzsteuerbescheid 2013 vom .

Die Beschwerden gegen den zugleich an die MEG ergangenen Feststellungsbescheid (§ 188 BAO) für 2013 wurden dem BFG nicht zur Entscheidung vorgelegt und sind daher nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Die - seit Jahren steuerlich vertretene - MEG (BfSteuersubjektbezeichnung) bestand im Jahr 2013 aus den beiden Hälfteeigentümern (Hälfteeigentümer1") bzw. der (Hälfteeigentümerin2), FN999999x (im Folgenden auch kurz OG). Nach dem Grundbuchsstand sind diese Eigentumsverhältnisse bis dato unverändert.

(Hälfteeigentümer1") vertritt die MEG bis heute als vom FA bestellter Vertreter nach § 81 Abs.2 BAO, seit auch mit Zustellvollmacht.

Nachdem die steuerliche Vertretung der MEG am 29.Sept. 2014 im Wege von Finanz-Online (FON) die Abgabenerklärungen der MEG für 2013 (USt- und Feststellungerklärung nach § 188 BAO) eingereicht hatte, war beim Finanzamt X (FA) am eine auf dem Postweg übermittelte, berichtigte USt-Erklärung 2013 eingelangt, die einen geänderten Ansatz bei den Vorsteuern enthielt (reduzierter Vorsteuerabzug/ FA-Vorlageunterlagen, OZ 8).

Ohne Berücksichtigung der geänderten USt-Erklärung erging am der nunmehr angefochtene USt-Bescheid 2013 auf Basis der ursprünglich eingereichten USt-Erklärung. Eine Begründung enthielt dieser Bescheid nicht (FA-Vorlageunterlagen, OZ 3).

Der USt-Bescheid vom erging an (BfSteuersubjektbezeichnung), war zu Handen des vom FA bestellten Vertreters nach § 81 Abs.2 BAO an dessen Zustelladresse adressiert und wurde auch gemäß dieser Adressierung zugestellt (Rsb-Zustellung ).

Mit Schreiben vom informierte das FA die zweite Hälfteeigentümerin der MEG, die (Hälfteeigentümerin2), durch Zusendung von Bescheidkopien über die ergangenen Veranlagungsbescheide 2013 und verwies auf deren Beschwerdebefugnis (FA-Vorlageunterlagen, OZ 8).

Am ist in der abgabenbehördlichen Datenbank zur StNr der (BfSteuersubjektbezeichnung) der neuerliche FON-Eingang der berichtigten USt-Erklärung 2013 vom April 2015 angemerkt (FON-Erstellungsdatum ). Die Erklärung trägt die Unterschrift des nach § 81 Abs.2 BAO bestellten Vertreters vom selben Tag (FA-Vorlageunterlagen, OZ 1).

Mit Mängelbehebungsauftrag vom forderte das FA die Bf auf, zur Vermeidung einer Zurücknahmewirkung bis spätestens 18.Sept.2015 die fehlende Begründung zu der am elektronisch eingebrachten Beschwerde gegen den USt-Bescheid 2013 "unter Beischluss einer Aufgliederung der in der berichtigten Erklärung geltend gemachten Vorsteuern iHv 32.182,74 €" nachzureichen (FA-Vorlageunterlagen, OZ 1).

Am 18.Sept.2015 übermittelte die steuerliche Vertretung der Bf dem FA per FAX "die geforderte Aufgliederung der Vorsteuern" für (BfSteuersubjektbezeichnung) (dreiseitige Aufstellung/ Vorlageunterlagen, OZ 1).

Bereits am hatte auch die zweite Miteigentümerin, die (Hälfteeigentümerin2), als Beschwerdeführerin zur Steuernummer der (BfSteuersubjektbezeichnung) Beschwerde gegen beide Veranlagungsbescheide 2013 vom (USt- und F-Bescheid 2013) erhoben.

Neben hier nicht weiter interessierenden Ausführungen, wurde in dieser zweiten Beschwerde gegen den USt-Bescheid 2013 unter anderem darauf verwiesen, dass die (BFG-Anmerkung: ursprünglichen) Abgabenerklärungen "Sonderausgaben" des (Hälfteeigentümer1") enthielten, deren zugehörige Rechnungen mangels Adressierung an die "Hausgemeinschaft" nicht zur Erfassung in der Erklärung der Hausgemeinschaft geeignet gewesen seien.

Ohne erkennbare weitere Verfahrensschritte erging am eine Beschwerdevorentscheidung (BVE) an (BfSteuersubjektbezeichnung), mit welcher deren Beschwerde vom gegen den USt-Bescheid 2013 unter Verweis auf § 85 Abs. 2 BAO als zurückgenommen erklärt wurde, weil die aufgetragene Mängelbehebung nicht fristgerecht erfolgt bzw. die Mängel nicht behoben worden seien.

Am brachte (BfSteuersubjektbezeichnung) einen Vorlageantrag (VA) gegen die BVE des FA vom ein, dem nochmals die bereits vorgelegten Vorsteueraufgliederungen angeschlossen waren. Erläuternd wurde ausgeführt, dass in der ursprünglichen USt-Erklärung versehentlich auch Vorsteuern betreffend Sonderwerbungskosten des (Hälfteeigentümer1") erfasst gewesen seien, die man in der berichtigten USt-Erklärung ausgeschieden habe.

Am langte ein weiterer Vorlageantrag zu der unter der StNr der (BfSteuersubjektbezeichnung) ergangenen BVE vom ein, in welchem als Beschwerdeführer neben der (Hälfteeigentümerin2) auch deren fünf Gesellschafter aufscheinen.

Eingewendet wurde zunächst, dass der Mängelbehebungsauftrag vom der (Hälfteeigentümerin2) weder zugestellt noch zur Kenntnis gebracht worden sei. Da der Zustellempfänger des Mängelbehebungsauftrages dessen Erhalt bestreite, gehe man von einer nicht erfolgten Zustellung aus und beantrage eine erneute Zustellung "und zwar dergestalt, dass das Steuersubjekt in seiner Gesamtheit davon Kenntnis erlangt."

Ergänzend wurde mit diesem Schriftsatz sowohl "Beschwerde" gegen den Mängelbehebungsescheid vom als auch gegen die BVE vom erhoben. Weil die Beschwerde vom gegen den USt-Bescheid 2013 ordnungsgemäß ausgeführt gewesen sei, bleibe weder Raum für einen Mängelbehebungsauftrag noch für die BVE vom .

Der mit datierte Schriftsatz enthielt zugleich einen Antrag auf BFG-Entscheidung durch den gesamten Senat und Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Ohne auf das Vorbringen der Beschwerde führenden Parteien einzugehen, legte das FA die beiden Rechtmittel gegen den USt-Bescheid 2013 dem BFG zur Entscheidung vor.

Ebenfalls ohne Stellungnahme reichte die Abgabenbehörde in der Folge zwei ergänzende Eingaben der (Hälfteeigentümerin2) vom bzw. an das FA nach (BFG-Vorlage 6. Bzw. ). Im ersten Schriftsatz beantragte die OG u.a. eine Änderung des Zustellbevollmächtigten nach § 81 BAO. Die Eingabe vom enthielt u.a. einen Antrag auf Wiederaufnahme und amtswegige Berichtigung sämtlicher "sämtlicher Bescheide betreffend ESt und USt seit 2008".

Bescheidmäßige Erledigungen der beiden Anträge gingen dem BFG bis dato weder zu, noch sind solche in den abgabenbehördlichen Datenbanken (AIX, GDV) ersichtlich.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

I. Nach Auswertung der insoweit als unbedenklich erachteten FA-Vorlageunterlagen, abgabenbehördlichen Datenbankeinträge und Grundbuchsdaten liegt der gegenständlichen Entscheidung der eingangs dargestellte Verfahrensgang als erwiesener Sachverhalt zugrunde.

II. Gemäß § 250 Abs. 1 BAO hat eine Bescheidbeschwerde im Abgabenverfahren zu enthalten:

  • die Bezeichnung des Bescheides, gegen den sie sich richtet;

  • die Erklärung, in welchen Punkten der Bescheid angefochten wird;

  • die Erklärung, welche Änderungen beantragt werden;

  • eine Begründung.

Entspricht eine Beschwerde diesen Voraussetzungen nicht, ist gemäß § 85 Abs. 2 BAO dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Beschwerde nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist als zurückgenommen gilt. Werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Beschwerde als ursprünglich richtig eingebracht.

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Beschwerde den im § 250 Abs. 1 BAO bezeichneten Erfordernissen entspricht, ist nach der VwGH-Judikatur davon auszugehen, dass der Rechtsschutz nicht durch einen überspitzten Formalismus beeinträchtigt werden darf (; , 97/15/0130; , 96/13/0081).

Eine Vorgangsweise gemäß § 85 Abs. 2 BAO kommt lt. VwGH dann nicht in Betracht, wenn eine Berufung ein Anfechtungssubstrat enthält, welches unabhängig von einem allfälligen weiteren Vorbringen einer meritorischen Berufungserledigung zugänglich ist. Es genügt, dass die Beschwerde einen bestimmten oder zumindest bestimmbaren Inhalt hat. Ob die beantragte Entscheidung bei der gegebenen Sach- und Rechtslage in Frage kommt und die dem Antrag beigegebene Begründung im Sinne des Begehrens zielführend und schlüssig war, ist für das Erfordernis bzw. die Zulässigkeit eines Mängelbehebungsverfahrens nicht maßgeblich (z.B. ; , 2008/15/0123; , 97/13/0037; , 93/13/0258).

Ein trotz fehlender Voraussetzungen für die Erlassung eines Mängelbehebungsauftrags nach § 85 Abs. 2 BAO ergangener Zurücknahmebescheid ist rechtswidrig ().

III. Im anhängigen Verfahren erging der angefochtene USt-Bescheid 2013 gemäß der ursprünglich eingereichten USt-Erklärung - ohne die später berichtigte USt-Erklärung zu berücksichtigen.

Letztere wurde allerdings innerhalb offener Beschwerdefrist neuerlich beim FA eingereicht und von der Abgabenbehörde als Beschwerde gegen den USt-Bescheid 2013 vom gewertet.

Die Abweichung von der ursprünglichen USt-Erklärung 2013 beschränkte sich auf eine Minderung der geltend gemachten Vorsteuern.

Damit waren der Anfechtungspunkt und das Änderungsbegehren im Sinne des § 250 Abs. 1 lit b und lit c BAO zweifellos erkennbar ausgeführt.

§ 12 Abs. 1 UStG 1994 lautet, soweit verfahrensrelevant:

"Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:" ….

Die Bestimmung räumt dem Unternehmer - bei Erfüllen der weiteren Voraussetzungen - das Recht zum Vorsteuerabzug ein. Eine Verpflichtung zum Vorsteuerabzug kennt das UStG 1994 nicht. Das UStG 1994 sieht als solches auch keine Beschränkung für den Widerruf eines geltend gemachten Vorsteueranspruchs vor. Insbesondere bedarf es dazu keiner Begründung. Solange verfahrensrechtliche Möglichkeiten einen Eingriff in ein USt-Festsetzungsverfahren zulassen, genügt es aus Sicht des Umsatzsteuerrechts, der Abgabenbehörde zu diesem Zweck den reduzierten Vorsteuerabzug bekanntzugeben.

Vor diesem Hintergrund war das verfahrensgegenständliche Rechtsmittel gegen den USt-Bescheid 2013 vom hinreichend begründet, um eine meritorische Beschwerdeerledigung zu ermöglichen.

Dazu kommt, dass dem FA bei Ergehen der BVE am tatsächlich Gründe für die Reduktion des zunächst begehrten Vorsteuerabzuges aus der Eingabe der (Hälfteeigentümerin2) vom bekannt waren. Wenn dieser Eingabe mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 246 BAO auch nicht die von der einschreitenden Miteigentümerin intendierte Funktion einer (zulässigen) Beschwerde beizumessen ist, so ist ihr der Informationswert für die Abgabenbehörde im anhängigen Verfahren doch nicht abzusprechen.

Für eine meritorische Beschwerdeerledigung nicht erforderlich war eine Klärung der Vorsteueransprüche der Bf in Bezug auf die in der berichtigten USt-Erklärung verbleibenden Vorsteuerabzüge. Insofern war der Mängelbehebungsauftrag vom überschießend und unzulässig. Wenn die Abgabenbehörde den Vorsteueranspruch der Bf im Rechtsmittelverfahren insgesamt überprüfen wollte, so war sie dazu zwar zweifellos befugt, doch stand dafür das Instrumentarium des Mängelbehebungsverfahrens nicht zur Verfügung.

Im Übrigen wurde der Aufforderung im Mängelbehebungsauftrag vom in Bezug auf diesen Sachverhalt sogar fristgerecht entsprochen, sodass auch aus diesem Grund die Zurücknahmefiktion des § 85 Abs. 2 BAO nicht zum Tragen kommen konnte.

Auf Basis der festgestellten Sach- und der dargestellten Rechtslage waren die Voraussetzungen für eine Erledigung der Beschwerde nach § 263 Abs. 1 lit. b BAO iVm § 85 Abs. 2 BAO nicht gegeben. Die BVE vom entbehrte somit einer Rechtsgrundlage und war deshalb aufzuheben.

Damit ist die Beschwerde der Bf vom gegen den USt-Bescheid 2013 vom wieder unerledigt.

IV. Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Verfahren waren keine Rechtsfragen zu beantworten, auf welche diese Merkmale zutreffen. Die Entscheidung folgt der angeführten, gefestigten VwGH-Judikatur zu § 85 BAO.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 263 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 12 Abs. 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 250 Abs. 1 lit. b und c BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 246 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 85 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 250 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2101181.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at