Unzulässiger Eingriff in die Rechtskraft eines Sachbescheides, wenn ohne Verfügung einer Wiederaufnahme ein neuer Sachbescheid erlassen wurde
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Karoline Windsteig in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Grüner Wirtschaftstreuhand Steuerberatung GmbH, Wiener Straße 24, 3040 Neulengbach, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten vom betreffend Einkommensteuer 2001, Steuernummer ***BF1StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am , im Beisein der Schriftführerin Nadine Bernold, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (Bf.) betrieb im streitgegenständlichen Zeitraum ein Café einschließlich einer Bar in ***Bf1-Adr*** und ein Bistro in ***1***.
Der Bf. ist Eigentümer der Liegenschaft in ***Bf1-Adr***, bestehend aus einem Erdgeschoß, einem Obergeschoß und einem Dachgeschoß. Im betrieblich genutzten Erdgeschoß (368,8 m²) befindet sich das Café.
Die belangte Behörde erließ am nach Abschluss eines Außenprüfungsverfahrens betreffend die Einkommensteuer 1999 bis 2003 und Umsatzsteuer 1999 bis 2003 Bescheide betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens der Einkommensteuer 2001 und den Einkommensteuerbescheid 2001.
Mit dem Einkommensteuerbescheid 2001 folgte die belangte Behörde den Feststellungen des Prüfers, der auf Grund wesentlicher Mängel in der Buchführung infolge fehlender Grundaufzeichnungen in der Gastronomie eine Zuschätzung der Einnahmen im Wege eines Sicherheitszuschlages in Höhe von 10% vornahm.
Dem Prüfungsbericht war dazu im Wesentlichen zu entnehmen, dass sich der Prüfer für eine griffsweise Zuschätzung entschieden hatte, da nach der Rechtsprechung des VwGH eine solche in Fällen, in denen nähere Anhaltspunkte für eine gebotene Schätzung nicht zu gewinnen wären, möglich sei.
Außerdem veränderte der Prüfer entgegen der Ansicht des Bf. den betrieblich genutzten Anteil der Liegenschaft in ***Bf1-Adr*** auf 69,72% und den privat genutzten Anteil des Gebäudes in Höhe auf 30,28%. Die Zurverfügungstellung einer Wohnung im Obergeschoss des genannten Liegenschaftsobjektes an die "Stiefkinder" des Bf. wurde nicht als Einkunftsquelle anerkannt und die geltend gemachten Überschüsse der Ausgaben über die Einnahmen nicht anerkannt.
Die steuerliche Vertretung teilte am dem Bundesfinanzgericht schriftlich per Fax mit, dass der Wiederaufnahmebescheid, mit dem das Verfahren der Einkommensteuer 2001 wiederaufgenommen wurde, sich nicht in den Akten der Steuerberatungskanzlei befunden hätte. Der Bf. habe zwar damals am der steuerlichen Vertretung keine Zustellvollmacht erteilt, weshalb auch der Bf. seine Unterlagen gesichtet und festgestellt habe, dass der Wiederaufnahmebescheid betreffend die Einkommensteuer 2001 ihm nicht zugestellt worden wäre. Aus diesem Grund hätte der Bf. gegen diesen Bescheid auch kein Rechtsmittel erhoben.
Die belangte Behörde nahm dazu schriftlich am Stellung und führte zur Aufforderung betreffend die Vorlage von Nachweisen über die Zustellung jener Bescheide, mit denen die Verfahren betreffend die Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1999 bis 2003 wiederaufgenommen wurden, aus, dass das Finanzamt, sofern in den bereits vorgelegten Akten keine konkreten diesbezüglichen Unterlagen (Rückscheine) vorhanden sind, über keine weiteren Unterlagen verfügt und daher auch keine weiteren Nachweise betreffend die Zustellung des Wiederaufnahmebescheides betreffend die Einkommensteuer 2001 vorlegen kann. Angemerkt wird, dass die Nichtzustellung der Wiederaufnahmebescheide erst im Verfahren vor dem BFG thematisiert wurde. Weiters wurde mitgeteilt, dass das Finanzamt angesichts der Sachlage auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet.
In der mündlichen Verhandlung bekräftigte sowohl die steuerliche Vertretung als auch der Bf., den Wiederaufnahmebescheid betreffend die Einkommensteuer 2001 nicht erhalten zu haben.
Festgehalten wird, dass sich weder in den Veranlagungsakten noch in ergänzenden Aktenteilen Rückscheine befinden, die eine Zustellung des Wiederaufnahmebescheides betreffend die Einkommensteuer 2001 nachweisen würden.
2. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Auf Basis der Aktenlage, nach der eine Zustellung des Wiederaufnahmebescheides für die Einkommensteuer 2001 infolge fehlenden Zustellscheines nicht nachvollziehbar war, und der schriftlichen Stellungnahme der belangten Behörde vom ist es erwiesen, dass dem Finanzamt der Nachweis der Zustellung des besagten Bescheides nicht gelungen ist.
Diesfalls muss, da der Bf. die Zustellung des Wiederaufnahmebescheides betreffend die Einkommensteuer 2001 bestritt, die Behauptung über die nicht erfolgte Zustellung als richtig angenommen werden.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
§ 97 BAO bestimmt:
"(1) Erledigungen werden dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt
a) bei schriftlichen Erledigungen, wenn nicht in besonderen Vorschriften die öffentliche Bekanntmachung oder die Auflegung von Listen vorgesehen ist, durch Zustellung;
b) bei mündlichen Erledigungen durch deren Verkündung."
…….
Die Wirksamkeit von Erledigungen (somit deren rechtliche Existenz) setzt grundsätzlich voraus, dass sie dem Adressaten bekanntgegeben wird. Vor Bekanntgabe entfaltet zB ein Bescheid keinerlei Rechtswirkungen; ein "Nochnicht-Bescheid" kann daher jederzeit von der Behörde zurückgenommen, abgeändert oder durch eine andere Erledigung ersetzt werden (vgl ; , 94/16/0010, 0011, 0012). Ein Bescheid gehört erst mit seiner Erlassung dem Rechtsbestand an (, vgl. Ritz, BAO6, § 97 Rz 1).
Bezogen auf den konkreten Fall bedeutet dies, dass infolge fehlenden Zustellnachweises dem Wiederaufnahmebescheid keine Rechtswirksamkeit zukommt, und der Wille der belangten Behörde, das Einkommensteuerverfahren 2001 wieder aufzunehmen dadurch nicht zum Ausdruck gekommen ist, auch nicht in irgendeiner Form im Einkommensteuerbescheid 2001.
Ausgehend vom Bestehen eines unlösbaren rechtlichen Zusammenhangs zwischen dem Wiederaufnahmebescheid und dem im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Sachbescheid, und der Tatsache, dass der Wiederaufnahmebescheid betreffend die Einkommensteuer 2001 rechtlich nicht existiert, hätte der am erlassene Einkommensteuerbescheid 2001 nicht ergehen dürfen (vgl. ). Wird ohne Verfügung der Wiederaufnahme ein neuer Sachbescheid erlassen, ist dies ein unzulässiger Eingriff in die Rechtskraft des ursprünglichen Sachbescheides ().
Der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 war, da eine Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens aus vorstehenden Gründen nicht rechtswirksam erfolgte, stattzugeben und der Sachbescheid ersatzlos aufzuheben.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lag nicht vor, da sich die Frage der Wirksamkeit einer Erledigung aus § 97 BAO ergab und in diesem Zusammenhang die rechtlichen Folgen einer rechtlich nicht wirksam erfolgten Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gezogen wurden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 97 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101598.2013 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at