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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.06.2021, RV/1100380/2019

Voraussetzung für die Anwendung der Steuerbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 ist ein Zwang zur Pensionsabfindung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch E. Igerz & Co Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungs GmbH, Bergmannstraße 7, 6850 Dornbirn, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Feldkirch vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2018 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Einkommensteuerbescheid 2018 vom besteuerte das Finanzamt ein von einem Bankinstitut in Liechtenstein im November 2018 ausbezahltes Freizügigkeitsguthaben in Höhe von 137.012,77 CHF (116.846,40 EUR) erklärungswidrig ohne Anwendung der Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988.

In einer dagegen eingebrachten Beschwerde beantragte die steuerliche Vertretung des Beschwerdeführers (im Folgenden abgekürzt Bf.) unter Verzicht auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 262 Abs. 2 BAO die Behebung des Einkommensteuerbescheides 2018, die Anwendung der Steuerbegünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 im neu zu erlassenden Bescheid, die Hochrechnung des bezogenen Arbeitslosengeldes gemäß § 3 Abs. 2 EStG 1988 unter Außerachtlassung der ausbezahlten Pensionsabfindung sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Begründend wurde ausgeführt, der Verwaltungsgerichtshof habe wiederholt die Rechtsansicht vertreten (; , Ra 2018/15/0086), dass die Austrittsleistung, die eine Person als Barauszahlung erhalte, wenn ihr Versorgungsverhältnis mit der beruflichen Pensionskasse ihres bisherigen Dienstgebers durch Dienstaustritt vor Eintritt des Versorgungsfalles beendet worden sei, als Pensionsabfindung iSd § 124b Z 53 EStG 1988 zu beurteilen sei. Begründend habe das Höchstgericht auf den Normzweck von § 124b Z 53 EStG 1988 verwiesen, der der Vermeidung einer tarifmäßigen Besteuerung von Pensionsabfindungen in jenen Fällen diene, bei denen keine andere Möglichkeit bestehe als die Inanspruchnahme dieser Abfindung.

Zudem habe der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht (vgl. ; , Ra 2016/15/0025; , Ra 2018/15/0086), dass die Begünstigung des § 124b Z 53 EStG 1988 auch dann zur Anwendung komme, wenn das Austrittsguthaben nicht von der Pensionskasse, sondern erst von einer Freizügigkeitseinrichtung ausbezahlt werde.

Der Bf. habe das Dienstverhältnis im ***1*** und damit unstrittig vor Erreichen des Rentenalters bzw. vor Erreichung des Vorsorgefalles beendet. Der Bf. habe daher keinen Anspruch auf Verbleib in der Pensionskasse und (späteren) Bezug einer Altersrente gehabt, sondern lediglich einen Anspruch auf eine Austrittsleistung sowie aufgrund des Erreichens des Pensionsalters einen Anspruch auf Barauszahlung der Austrittsleistung. Ein begünstigungsschädliches Wahlrecht zwischen zwei gleichrangigen Ansprüchen im Sinne der obig zitierten höchstgerichtlichen Judikatur habe somit nicht bestanden, da ein solches auch nicht durch die Möglichkeit, das Altersguthaben auf dem Freizügigkeitskonto stehen zu lassen oder auf eine Freizügigkeitspolice zu übertragen, begründet werde (siehe dazu unter anderem ; , RV/1100604/2015; , RV/1100136/2017).

Zudem werde darauf hingewiesen, dass im Fürstentum Liechtenstein laut der der steuerlichen Vertretung erteilten Auskunft keine Freizügigkeitspolicen mit Rentenbezug angeboten würden. Freizügigkeitskonten und Freizügigkeitspolicen hätten eine reine Überbrückungsfunktion (vgl. BGE 129 III 305 E 3.3.), sie sollten dem betroffenen Dienstnehmer ermöglichen, im Fall der Wiederaufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit den Vorsorgeschutz zumindest im gesetzlichen Umfang weiterführen zu können. Aufgrund des Sachverhaltes und der dazu ergangenen klaren Rechtsprechung des VwGH und des BFG stehe der Freibetrag gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 zweifelsfrei zu. Die Rechtsansicht des BMF sei gesetzwidrig.

Da eine Hochrechnung der von der Arbeitslosenversicherung bezogenen Bezüge für den Abgabepflichtigen günstiger sei, als eine volle Besteuerung der Arbeitslosenbezüge, seien diese Bezüge hochzurechnen, wobei die Pensionskassenabfindung bei der Hochrechnung nicht berücksichtigt werden dürfte, weil diese keine laufenden Einkünfte im Sinne des § 3 Abs. 2 EStG 1988 darstellen würde, sondern ein mehrjähriger Zeitraum abgefunden werde.

In seiner Stellungnahme im Vorlagebericht vom führte das Finanzamt aus, es habe keine Bedenken, die Auszahlung des Freizügigkeitsguthabens aus der Hochrechnung herauszunehmen, da es sich dabei nicht um laufende Bezüge handle.

Mit Schreiben vom wurde der Antrag auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zurückgezogen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt und Beweiswürdigung

Der im Jahr ***2*** geborene Bf. war bis zum in Liechtenstein als Grenzgänger nichtselbständig tätig. Nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses und dadurch bedingtem Auflösen des Vorsorgeverhältnisses mit der Pensionskasse des Arbeitgebers wurde das Altersguthaben auf ein Freizügigkeitskonto bei der ***3*** transferiert.

Seit und damit mit Erreichen des ***4*** bezieht der Bf. eine AHV-Rente aus Liechtenstein. Im November 2018 wurde auch das Freizügigkeitskonto aufgelöst und das sich auf diesem Konto befindliche Guthaben in Höhe von 137.012,77 CHF (116.846,40 EUR) dem Bf. antragsgemäß ausbezahlt.

Für diese Sachverhaltsfeststellungen stützt sich das BFG auf die im Finanzamtsakt befindlichen Unterlagen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Teilweise Stattgabe)

In Streit steht, ob das dem Bf. ausbezahlte Vorsorgekapital wie ein laufender Bezug zur Gänze der Tarifsteuer zu unterziehen ist oder ob im Beschwerdefall die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 idF BGBl. I, 54/2002, zur Anwendung kommt. Zu beurteilen ist zudem, ob das ausbezahlte Freizügigkeitsguthaben deshalb aus der Hochrechnung herauszunehmen ist, weil es sich dabei nicht um laufende Bezüge handelt.

Erhält der Steuerpflichtige steuerfreie Bezüge im Sinne des Abs. 1 Z 5 lit. a oder c, Z 22 lit. a (5. Hauptstück des Heeresgebührengesetzes 2001), lit. b oder Z 23 (Bezüge gemäß § 25 Abs. 1 Z 4 und 5 des Zivildienstgesetzes 1986) nur für einen Teil des Kalenderjahres, so sind gemäß § 3 Abs. 2 erster Satz EStG 1988 die für das restliche Kalenderjahr bezogenen laufenden Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 und die zum laufenden Tarif zu versteuernden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 41 Abs. 4) für Zwecke der Ermittlung des Steuersatzes (§ 33 Abs. 10) auf einen Jahresbetrag umzurechnen.

Gemäß § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 sind Zahlungen für Pensionsabfindungen von Pensionskassen aufgrund gesetzlicher oder statutenmäßiger Regelungen nach Abzug der darauf entfallenden Pflichtbeiträge ab dem Jahr 2001 und in den folgenden Jahren zu einem Drittel steuerfrei zu belassen.

Gemäß Art. 55 des liechtensteinischen Gesetzes vom über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung, LGBl. 1996 Nr. 192, haben Personen, welche das 64. Altersjahr vollendet haben, Anspruch auf eine Altersrente; der Rentenvorbezug gemäss Art. 73 bleibt vorbehalten. Der Anspruch entsteht am ersten Tag des Monats, welcher der Vollendung des 64. Altersjahres folgt. Er erlischt mit dem Tod.

Gemäß Art. 73 Abs. 1 AHVG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung, LGBl. 2000 Nr. 204, können Personen, welche die Mindestbeitragsdauer für den Anspruch auf Altersrente erfüllen, die Rente ab dem 60. Altersjahr vorbeziehen. Der Rentenanspruch entsteht in diesen Fällen am ersten Tag des Monats nach Vollendung des 60., 61., 62., 63. oder 64. Altersjahres.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 des liechtensteinischen Gesetzes vom über die betriebliche Personalvorsorge (BPVG) in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung, LGBl. 2005 Nr. 276, gilt zur Festsetzung der Mindestleistungen, vorbehaltlich Abs. 2, das Rentenalter der staatlichen Alters- und Hinterlassenenversicherung, 64 Jahre für Männer und Frauen. Nach Abs. 2 letzter Satz dieser Norm können Personen, die nach dem Gesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung Anspruch auf eine Altersrente haben, die ganze oder halbe Rente in jedem Fall auf jeden Monat hin um ein bis vier Jahre vorbeziehen.

Gemäß Art. 9 Abs. 1 BPVG werden Alters-, Invaliden- und Hinterlassenenleistungen in der Regel als lebenslängliche oder temporäre Renten ausgerichtet.

Gemäß Art. 9 Abs. 2 BPVG kann das Reglement der Vorsorgeeinrichtung vorsehen, dass die anspruchsberechtigte Person anstelle einer Alters-, Invaliden- oder einer Witwen- oder Witwerrente eine Kapitalabfindung verlangen kann, die mindestens 90 % des versicherungstechnischen Barwertes der abzulösenden Rente betragen muss. Für die Altersleistung hat die versicherte Person die entsprechende Erklärung spätestens drei Jahre vor Entstehung des Anspruchs abzugeben, sofern das Reglement keine kürzere Frist festlegt.

Scheidet ein Arbeitnehmer aus einem anderen Grunde als wegen Alter, Invalidität oder Tod aus der Vorsorgeeinrichtung aus, so hat diese gemäß Art. 11 Abs. 1 BPVG eine Freizügigkeitsleistung zu erbringen.

Gemäß Art. 12 Abs. 1 BPVG ist die Freizügigkeitsleistung weiterhin für die Vorsorge des aus der Versicherung ausscheidenden Arbeitnehmers zu verwenden. Zu diesem Zweck wird sie an die Vorsorgeeinrichtung seines neuen Arbeitgebers überwiesen.

Falls sich dies nicht durchführen lässt, ist sie gemäß Art. 12 Abs. 2 erster Satz BPVG als Einlage für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice bei einem in Liechtenstein zugelassenen Versicherungsunternehmen einzuzahlen oder auf ein für Vorsorgezwecke gesperrtes Konto bei einer liechtensteinischen Bank einzulegen.

Gemäß Art. 12 Abs. 3 BPVG wird die Freizügigkeitsleistung bar ausbezahlt, wenn diese weniger als einen Jahresbeitrag des Versicherten beträgt.

Gemäß Art. 12 Abs. 4 BPVG wird auf Verlangen des Arbeitnehmers die Freizügigkeitsleistung außerdem bar ausbezahlt, falls er den Wirtschaftsraum Liechtenstein - Schweiz endgültig verlässt oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnimmt (lit. a) und nicht nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraumes für die Risiken Alter, Tod und Invalidität weiterhin obligatorisch in der Rentenversicherung versichert ist (lit. b).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen dargelegt hat (siehe dazu z.B. ; ; ; ) setzt die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 voraus, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist. Von einem solchen Zwang kann dann nicht ausgegangen werden, wenn dem Abgabepflichtigen nach Beendigung seiner nichtselbständigen Tätigkeit in Liechtenstein die Möglichkeit offen stand, sich für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice zu entscheiden und daraus später "Altersleistungen in Rentenform" zu beziehen (siehe dazu z.B. ; ).

Nachdem in Bezug auf ausländisches Recht der Grundsatz "iura novit curia" nicht gilt (siehe dazu z.B. ; ), hat das BFG zur Frage, ob nach der schweizerischen bzw. liechtensteinischen Rechtslage und der hiezu in der Schweiz bzw. im Fürstentum Liechtenstein gepflogenen Interpretation sowie den tatsächlichen Gegebenheiten eine Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes durch Abschluss einer prämienfreien Freizügigkeitspolice mit späterem Rentenanspruch möglich gewesen wäre, entsprechende Auskunftsersuchen an verschiedene eidgenössische und liechtensteinische Stellen (Schweizerischer Pensionskassenverband, Bundesamt für Sozialversicherungen, Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge, Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, Schweizerischer Versicherungsverband, Finanzmarktaufsicht Liechtenstein, Liechtensteinischer Pensionskassenverband, Liechtensteinischer Versicherungsverband) gerichtet.

Die eingegangenen Stellungnahmen (die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, der Schweizerische Versicherungsverband und der Liechtensteinische Versicherungsverband haben sich für nicht zuständig erklärt) hat das BFG den Finanzämtern ***5*** und ***6*** übermittelt, mit dem Hinweis, dass daraus nach Ansicht des BFG eine Möglichkeit zur Aufrechterhaltung des Anspruches auf eine Altersrente nicht abgeleitet werden könne und, sofern die Finanzämter weiterhin vom Bestehen eines begünstigungsschädlichen Wahlrechtes ausgehen sollten, konkrete Versicherungsgesellschaften namhaft zu machen seien, die tatsächlich Freizügigkeitspolicen mit Anspruch auf eine spätere Auszahlung in Rentenform auf dem freien Markt angeboten hätten.

Das nunmehrige Finanzamt Österreich, Dienststelle ***7***, hat daraufhin am mitgeteilt, dass 33 liechtensteinische und schweizerische Versicherungsunternehmen (einschließlich schweizerischer Versicherungsunternehmen, die in Liechtenstein im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr zugelassen sind) um Auskunft ersucht worden seien, ob Freizügigkeitspolicen mit Anspruch auf eine spätere Auszahlung in Rentenform angeboten würden bzw. in der Vergangenheit angeboten worden seien (Frage 1) oder ob andernfalls die Möglichkeit bestehe bzw. bestanden habe, den Vorsorgeschutz in Rentenform durch Abschluss einer Freizügigkeitspolice im Wege eines individuellen Einzelvertrages aufrechtzuerhalten (Frage 2). Davon hätten insgesamt 24 (13 liechtensteinische und 11 schweizerische) Versicherungsunternehmen geantwortet, wobei 22 Versicherungsunternehmen beide Fragen verneint hätten, ein Versicherungsunternehmen die erste Frage verneint und die zweite Frage unter Verweis auf eine notwendige Abstimmung mit der liechtensteinischen Steuerverwaltung nicht beantwortet habe und ein Versicherungsunternehmen keine der beiden Fragen beantwortet habe, da eine Beantwortung nur im Wege eines Rechtshilfeersuchens möglich wäre.

Die durchgeführten Ermittlungen (dazu ausführlich , betreffend Liechtenstein, sowie ***8***, und , betreffend die Schweiz) ergaben keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Bf. nach Beendigung seiner nichtselbständigen Tätigkeit in Liechtenstein die Möglichkeit offen stand, sich für eine prämienfreie Freizügigkeitspolice zu entscheiden und daraus später "Altersleistungen in Rentenform" zu beziehen. Das Finanzgericht kommt daher zum Ergebnis, dass die Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 auf die gegenständliche Kapitalauszahlung anzuwenden und der Beschwerde sohin in diesem Punkt Folge zu geben ist.

Wie dem Bf. bereits im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht wurde, erachtet das BFG eine Außerachtlassung der ausbezahlten Pensionsabfindung bei der Hochrechnung gemäß § 3 Abs. 2 EStG 1988 deshalb als nicht zulässig, weil nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 2 erster Satz EStG sämtliche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die zum laufenden Tarif zu versteuern sind, in die Hochrechnung einzubeziehen sind (siehe dazu auch Jakom/Laudacher EStG, 2019, § 3 Rz 122). Die beschwerdegegenständliche Pensionsabfindung wird zum Tarif versteuert, wenn auch nicht zur Gänze, sondern lediglich zu 2/3. Laufende Einkünfte wären nur dann nicht in die Hochrechnung miteinzubeziehen, wenn es sich dabei um Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Einkünfte aus selbständiger Arbeit oder Einkünfte aus Gewerbebetrieb handeln würde.

  • Berechnung des Durchschnittssteuersatzes bei Einbeziehung des ausbezahlten Freizügigkeitsguthabens:


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Steuerpflichtige Bezüge : Zeitraum des laufenden Bezuges in Tagen x Tage des Jahres = 81.272,48 € : 61 x 365 = 486.302,53 €
486.302,53 €
Abzüglich Werbungskosten
-343,84 €
Abzüglich Pauschbetrag für Sonderausgaben
-60,00 €
Hochgerechnetes Einkommen
485.898,69 €
[485.898,69 - 90.000) × 455.000] : 910.000 + 32.880
230.829,34 €
Abzüglich Verkehrsabsetzbetrag
-400,00 €
Jahressteuer
230.429,34 €
Durchschnittssteuersatz: Jahressteuer : Einkommen x 100 =230.429,34 : 485.898,69 x 100
47,42%

Berechnung der Einkommensteuer


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Steuerpflichtige Bezüge
81.272,48 €
Abzüglich Werbungskosten
-343,84 €
Abzüglich Pauschbetrag für Sonderausgaben
-60,00 €
Einkommen
80.868,64 €
47,42% von 80.868,64
38.347,91 €

  • Kontrollrechnung (= Behandlung des Arbeitslosengeldes als steuerpflichtig)


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Steuerpflichtige Bezüge
81.272,48 €
+ Arbeitslosengeld und Krankengeld
14.199,72 €
- Werbungskosten
-343,84 €
- Pauschbetrag für Sonderausgaben
-60,00 €
Einkommen
95.068,36 €
[95.068,36 € - 90.000) × 455.000] : 910.000 + 32.880
35.414,18 €
-Verkehrsabsetzbetrag
-400,00 €
Einkommensteuer
35.014,18 €

Da die Behandlung des Arbeitslosengeldes als steuerpflichtig günstiger ist als die Hochrechnung bei Einbeziehung des Freizügigkeitsguthabens, ist die Einkommensteuer gemäß § 3 Abs. 2 EStG 1988 mit 35.014,00 € festzusetzen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hinsichtlich der Frage, ob im Beschwerdefall die Drittelbegünstigung des § 124b Z 53 letzter Satz EStG 1988 idF BGBl. I, 54/2002, zur Anwendung kommt, hat das BFG in Entsprechung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (siehe dazu z.B. ; ), wonach in Bezug auf ausländisches Recht der Grundsatz "iura novit curia" nicht gilt, die Ergebnisse der amtlichen Ermittlungen zur Streitfrage, ob dem Bf. ein Verbleib innerhalb des betrieblichen Vorsorgesystems Liechtensteins durch Abschluss einer prämienfreien Freizügigkeitspolice möglich war und daraus ein späterer Rentenbezug hätte erfolgen können, zur Grundlage seiner rechtlichen Beurteilung gemacht. Eine zu klärende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung lag daher insofern nicht vor, sodass eine (ordentliche) Revision nicht zulässig ist.

Dass das ausbezahlte Freizügigkeitsguthabens trotz des Umstandes, dass es sich dabei nicht um laufende Einkünfte handelt, in die Hochrechnung einzubeziehen ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 erster Satz EStG 1988. Daher ist auch in diesem Punkt eine (ordentliche) Revision nicht zulässig.

Gesamthaft war deshalb spruchgemäß zu entscheiden.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.1100380.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at