Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 21.06.2021, RV/7100485/2021

Schadenersatz als Einkünfte aus einer ehemaligen betrieblichen Tätigkeit

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ARTUS Steuerberatung GmbH & Co KG, Wassergasse 3, 2500 Baden, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom betreffend Wiederaufnahme Einkommensteuer 2016 und Einkommensteuer 2016 zu Recht:

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Strittig ist, ob ein vor den ordentlichen Gerichten zugesprochener Schadenersatz in wirtschaftlicher Betrachtungsweise als Veräußerung des Kundenstocks zu werten und wann im Rahmen eines ordentlichen Gerichtsverfahrens zugesprochener Schadenersatz als Einkommen zu berücksichtigen ist.

Im Vorverfahren der beschwerdeführenden Partei (in der Folge Bf.) vor dem Bundesfinanzgericht (vgl. ) wurde der Wiederaufnahmebescheid Einkommensteuer 2016 mangels Begründung aufgehoben. Inhaltlich wurde durch das Bundesfinanzgericht auf die Beschwerde hinsichtlich Einkommensteuer 2016 nicht eingegangen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Bf. ***Bf1***, vormals ***Bf_vormals***, betrieb bis einen Handelsbetrieb.

Mit Vereinbarung vom veräußerte die Bf. die komplette Kundendatenbank betreffend Verkauf, Reparatur und Service von Elektromobilen gegen Erhalt von Provisionen an Firma ***1*** (Inhaberin ***Käuferin***).

Die Vereinbarung lautet auszugsweise:

"

VEREINBARUNG

Zwischen Firma ***1***
Das Elektromobil
Inhaber:
***Käuferin*** (geb. ***GebDat_Käuferin***)
***Adresse***
***PLZ_Ort***

Und Frau ***Bf1*** (geb. ***GebDat_Bf.***)
***Adresse***
***PLZ_Ort***

Datum: Wien,

Es wird beidseitig wie folgt vertraglich vereinbart:

Frau ***Bf1*** übergibt Ihre komplette Kundendatenbank aus Ihrem Geschäft als Inhaberin der Fa. ***Firma_Bf.*** (Adresse w.o.) bestehend aus:

617 Kundenadressen (bestehende Kunden durch Kauf eines E-Mobils bzw. Servicierung etc.)
228 Diverse Adressen
.... Händleradressen - siehe Liste lt. Beilage

Diese Daten werden auf CD in Excel-Format an Fa. ***1*** übergeben.

Eine Hardcopy der Adressen liegt dieser Vereinbarung bei.

Es werden zwischen Frau ***Käuferin*** und Frau ***Bf_vormals*** folgende Punkte vereinbart:

  • Bei Verkauf (im Geschäftslokal der Fa. ***1***) eines Neufahrzeuges an einen der von Frau ***Bf_vormals*** an Frau ***Käuferin*** übergebenen Kundenadressen bzw. Händleradressen erhält Frau ***Bf_vormals*** 50% des Gewinns resultierend aus diesem Verkauf. (Beispiel: Verkaufspreis minus Einkaufspreis ergibt Gewinn - von diesem Gewinn erhält Frau ***Bf_vormals*** 50%).

  • Bei Verkauf (nach Vorführung vor Ort beim Kunden) eines Neufahrzeuges an einen der von Frau ***Bf_vormals*** an Frau ***Käuferin*** übergebenen Kundenadressen bzw. Händleradressen erhält Frau ***Bf_vormals*** 50% des Gewinns resultierend aus diesem Verkauf. (Beispiel: Verkaufspreis minus Einkaufspreis minus Kilometergeld ergibt Gewinn - von diesem Gewinn erhält Frau ***Bf_vormals*** 50%)
    Wobei das Kilometergeld wie folgt berechnet wird:
    Gefahrene Kilometer (lt. ÖAMTC Routenplaner) mal € 0,20 (in Worten Cent zwanzig).

  • Bei Umtausch eines bereits bestehenden Fahrzeuges, bei einem von Frau ***Bf_vormals*** an Frau ***Käuferin*** übergebenen Kunden, in den Firmenräumen der Fa. ***1***, auf ein neues Fahrzeug mit gleichzeitiger Rücknahme des alten Fahrzeuges erhält Frau ***Bf_vormals*** ebenfalls 50% des Gewinns.
    (Verkaufspreis Neufahrzeug minus Einkaufspreis Neufahrzeug minus Rücknahmepreis ergibt Gewinn - von diesem Gewinn erhält Frau
    ***Bf_vormals*** 50%)

  • Bei Umtausch eines bereits bestehenden Fahrzeuges, bei einem von Frau ***Bf_vormals*** an Frau ***Käuferin*** übergebenen Kunden, vor Ort beim Kunden, auf ein neues Fahrzeug mit gleichzeitiger Rücknahme des alten Fahrzeuges erhält Frau ***Bf_vormals*** ebenfalls 50% des Gewinns.
    (Verkaufspreis Neufahrzeug minus Einkaufspreis Neufahrzeug minus Rücknahmepreis minus Kilometergeld ergibt Gewinn - von diesem Gewinn erhält Frau
    ***Bf_vormals*** 50%)
    Wobei auch hier das Kilometergeld wie folgt berechnet wird:
    Gefahrene Kilometer (lt. ÖAMTC Routenplaner) mal € 0,20 (in Worten Cent zwanzig)

  • Bei einem Service des Elektromobils bei einem von Frau ***Bf_vormals*** an Frau ***Käuferin*** übergebenen Kunden bzw. Händler erfolgt die Berechnung wie folgt:

  • a. Servicierung des E-Mobils beim Kunden in Wien:
    hier erhält Frau
    ***Bf_vormals*** einen Fixbetrag von € 50,-- (in Worten: Euro fünfzig)
    b. Servicierung des E-Mobils beim
    Kunden außerhalb von Wien:
    hier erhält Frau
    ***Bf_vormals*** einen Fixbetrag von € 70,-- (in Worten: Euro siebzig)

  • Auf alle Ersatzteile die bei Reparaturen an einem E-Mobil bei einem Kunden aus der Datenbank von Frau ***Bf_vormals***, durchgeführt werden erhält Frau ***Bf_vormals*** jeweils 50% des Gewinns an diesem Ersatzteil. (Berechnung wie folgt: Verkaufspreis des Ersatzteiles minus Einkaufspreis des Ersatzteiles ergibt Gewinn - davon entfallen an Frau ***Bf_vormals*** 50%)

  • Auf alle an Kunden aus der Datenbank von Frau ***Bf_vormals*** verkauften Batterien erhält Frau ***Bf_vormals*** jeweils 50% des Gewinns. (Berechnung wie folgt: [...]).

  • Zurückgenommene Elektromobile:
    das sind E-Mobile die im Zuge eines Neukaufs (von Kunden aus der Datenbank) zurückgenommen wurden. Werden diese E-Mobile wieder an einen neuen Kunden verkauft, errechnet sich der Betrag der an Fr.
    ***Bf_vormals*** bezahlt wird wie folgt: Verkaufspreis (exkl. MwSt) minus Rücknahmepreis minus event. Reparatur- bzw. Servicierungskosten minus neue Batterien ergibt Gewinn. Von diesem Gewinn erhält Frau ***Bf_vormals*** 50%. (außerhalb des Geschäftslokales tritt wieder die Kilometerregelung in Kraft).

[...]

10) Im Falle, dass die Fa. ***1*** verkauft wird bzw. neu übernommen wird, wird der Zwischen Frau ***Bf_vormals*** und Frau ***Käuferin*** geschlossene Vertrag vom neuen Besitzer übernommen und in gleicher Form weitergeführt oder der Differenzbetrag zur Pönale sofort ausbezahlt.

[...]

  • Die Unterlagen zu diesem Vertrag (Kundendaten, Rechnungen etc.) sind Frau ***Bf_vormals*** nach Rücksprache jederzeit zur Einsicht zu geben.

  • Firma ***1*** bzw. Frau ***Käuferin*** verpflichtet sich, die von Frau ***Bf_vormals*** übernommenen Kunden nach besten Wissen und Gewissen zu betreuen.

[...]

  • Pönale
    a. Sollte Frau
    ***Bf_vormals*** die Daten auch an Dritte weitergeben verliert dieser Vertrag sofort seine Gültigkeit.
    b. Sollte Frau
    ***Käuferin*** diese Vereinbarungen nicht einhalten bzw. bei wissentlicher fehlerhafter Abrechnung an Frau ***Bf_vormals*** erhält diese eine Pönalzahlung von € 60.000,-- (in Worten Euro sechzigtausend) minus bereits bezahlter Abrechnungen

[...]

  • Gültigkeit der Vereinbarung:
    Beginn der Vereinbarung:
    Ende der Vereinbarung:

[...]

"

Im Dezember 2007 erfolgte auf Basis der Vereinbarung eine Provisionsabrechnung zwischen der Bf. und Frau ***Käuferin***. Im Jahr 2008 sowie im Zeitraum Jänner bis Juni 2009 erfolgten weitere Provisionsabrechnungen und Zahlungen. Im Zeitraum Juli 2009 bis Dezember 2010 erfolgten keine Provisionsabrechnungen und Zahlungen.

Die Bf. ermittelte ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 1 EStG. In den Jahren 2008 und 2009 wurde der Gewinn im Schätzungswege ermittelt. Im Jahr 2008 schätzte die belangte Behörde Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4.600 Euro. Im Jahr 2009 schätzte die belangte Behörde Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 0 Euro.

Am meldete die Bf. die Betriebsaufgabe.

Am begann ein Schuldenregulierungsverfahren mit Eigenverwaltung. Die Bf. bezahlte eine Quote in Höhe von 15% im Zeitraum vom bis .

Die Bf. erhob am Klage auf Pönalzahlung gemäß Punkt 18 der Vereinbarung, weil die Käuferin ihrer Verpflichtung, die Kunden nach bestem Wissen und Gewissen zu betreuen, nicht einhielt. Der Bf. wurde nach Zurückweisung der ao Revision des OGH rechtskräftig ein Pönale zugestanden. Der Bf. floss am eine Zahlung in Höhe von 10.000 Euro, am eine Zahlung in Höhe von 63.945 Euro zu.

Das im Jahr 2016 einkommensteuerlich berücksichtige Pönale führt zu steuerlichen Auswirkungen von mehr als 28.000 Euro.

Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen entsprechen dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt und ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, insbesondere hinsichtlich des Inhalts der Vereinbarung zwischen der Bf. und der Käuferin, den Abrechnungen zwischen Bf. und Käuferin sowie die Termine hinsichtlich Betriebsaufgabe und Klage vor den ordentlichen Gerichten. Der Sachverhalt wurde zudem im Rahmen des Erörtertungstermins am erörtert und niederschriftlich außer Streit gestellt.

Dass die Bf. ihre Klage auf Pönale auf Punkt 18 der Vereinbarung stützte, ergibt sich aus dem Urteil des OLG ***OLG_GZ***, Seite 6.

Die Auswirkung der steuerlichen Berücksichtigung des Pönales ergibt sich der Darstellung der belangten Behörde im Rahmen der Begründung der Wiederaufnahme sowie aus dem Antrag der Bf. hinsichtlich Aussetzung (vgl. Beschwerde, Seite 5).

Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

3.1.1. Einkommensteuer 2016

Grundlegend ist fraglich, - wie die belangte Behörde argumentiert - ob die Zuflüsse im Jahr 2016 als Einkünfte einer ehemaligen betrieblichen Tätigkeit im Jahr 2016 der Steuer zu unterziehen sind, oder aber, - wie die Bf. argumentiert - ob die belangte Behörde im Rahmen der Schätzung im Jahr 2009 diese bereits als Forderung zu berücksichtigten gehabt hätte.

Die Bf. argumentiert, dass das (zivil)gerichtlich zugesprochen Pönale wirtschaftlich betrachtet als Mindestentgelt für den Kundenstock anzusehen sei. Dementsprechend wäre der Betrag spätestens bei der Betriebsaufgabe zu bilanzieren gewesen. Im Jahr 2009 bestände wirtschaftlich betrachtet mindestens der Rechtsanspruch auf die Zahlung von 60.000 Euro. Eine nachträgliche Erfassung des Kundenstocks im Rahmen des § 32 EStG 1988 sei ausgeschlossen.

Die belangte Behörde argumentiert dementgegen, dass im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe noch keine Nichterfüllung des Vertrages vorgelegen sei. In diesem Zeitpunkt seien keine betragsmäßig konkreten offenen Forderungen vorhanden gewesen. Die Vertragsverletzung ab Juli 2009 stehe in einem engen Kausalzusammenhang mit der ehemaligen betrieblichen Tätigkeit. Der dadurch entstandene Schaden sei durch die Zahlung der Pönale ausgeglichen worden. Nur die am Abschlussstichtag tatsächlich verwirklichten Gewinne seien auszuweisen; Forderungen aufgrund Vertragsverletzungen seien nicht zu bilanzieren. Erst bei Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils seien die Ansprüche ausreichend konkretisiert und seien sodann zu berücksichtigen. Die belangte Behörde verweist zudem auf die Bestimmung des § 201 Abs. 2 Z 4 lit. a UGB.

Die Bf. argumentiert hingegen, dass das aus § 201 Abs. 2 Z 4 lit. b UGB entspringende Vorsichtsprinzip im vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei, weil das UGB mangels Maßgeblichkeit des § 5 EStG 1988 nicht zur Anwendung gelangt sei. Die Bewertung der Forderung sein nach § 6 Z 2 lit. a EStG durchzuführen. Im Jahr 2009 bestehe wirtschaftlich betrachtet ein Rechtsanspruch auf 60.000 Euro.

Für das Bundesfinanzgericht ergibt sich: Fest steht, dass bis zur Betriebsaufgabe Abrechnungen und Zahlungen aus der Vereinbarung zwischen Bf. und Käuferin stattgefunden haben. Erst ab Betriebsaufgabe wurden die Abrechnung und Zahlungen der Käuferin eingestellt. Die Käuferin begründet dies im Rahmen des zivilgerichtlichen Rechtsstreits durch fehlende Kundenkontakte, die der Vereinbarung zu Grunde lagen (vgl. OLG ***OLG_GZ***, S 6). Im Rahmen des Schätzungsauftrages der belangten Behörde erfolgte für das Jahr 2009 eine Schätzung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 0 Euro. Der Erstbescheid erging am . Zu diesem Datum war von der Bf. bereits die Mahnklage erhoben.

Der Bf. ist insofern beizupflichten, dass mangels Gewinnermittlung nach § 5 Abs. 1 EStG 1988 eine Maßgeblichkeit des § 201 Abs. 2 Z 4 lit. b UGB nicht vorliegt. Jedoch ist bei Schadenersatzforderungen, Forderungen auf Grund einer Vertragsverletzung, einer unerlaubten Handlung oder einer ungerechtfertigten Bereicherung mit Widerstand des Inanspruchgenommenen zu rechnen. Daher erscheint es geboten, auch zunächst nicht bestrittene Forderungen erst anzusetzen, wenn sie anerkannt sind oder ein rechtskräftiges Urteil vorliegt (vgl. Mayr in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn (Hrsg), Kommentar zum EStG (13. Lfg 2009) Bewertung des nicht abnutzbaren Anlagevermögens und des Umlaufvermögens (§ 6 Z 2 lit a) Rz 221 mit weiteren Nachweisen; Laudacher, in Jakom12 (2019) § 6 Rn 90; Atzmüller/Wiesner/Zangerl-Reiter in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 6 Rn 58; ebenso die Ansicht der Finanzverwaltung in EStR Rz 2329; vgl. im Detail auch Perl, Werterhellende Umstände im Bilanzrecht (Diss 2010), 119 mit Nachweisen zur deutschen Rechtsprechung, abzurufen unter http://othes.univie.ac.at/10755/1/2010-05-31_0251337.pdf). Im Zeitpunkt der Erlassung des Erstbescheides 2009 war die entsprechende Schadenersatzforderung in Form des begehrten Pönales weder von der Käuferin anerkannt, noch lag ein rechtskräftiges Urteil vor. Die belangte Behörde berücksichtigte die Forderung aus dem Pönale daher zu Recht nicht im Schätzungswege für das Jahr 2009.

Die Bf. vermeint aber, dass das vertraglich vereinbarte Pönale wirtschaftlich betrachtet als Mindestentgelt für den Kundenstock anzusehen sei und im Jahr 2009 - wirtschaftlich betrachtet - ein Rechtsanspruch auf die Zahlung von 60.000 Euro bestünde. Gemäß Vereinbarung wird das Pönale ua dann schlagend, wenn die Käuferin die Vereinbarung nicht einhält bzw. wissentlich fehlerhaft abrechnet. Für das OLG war maßgeblich, dass die Käuferin gegen die Vereinbarungen dadurch verstieß, dass sie die Kunden nicht nach bestem Wissen und Gewissen betreute. Dadurch entgingen der Bf. nicht feststellbare Provisionsausfälle (OLG ***OLG_GZ***, S 9). Zusätzlich wurde vor den ordentlichen Gerichten ausgeführt, dass zwar "ursprünglich angedacht gewesen sei, die Kundendaten zu verkaufen" (vgl. die Ausführungen des OLG ***OLG_GZ***, 7). Die Parteien einigten sich jedoch dann auf die getroffene Vereinbarung, die im Ergebnis Provisionen für die Bf. an den Gewinnen aus den Verkaufsgeschäften der Käuferin vorsieht. Das vereinbarte Pönale liegt unter dem ursprünglich angedachten Verkaufspreis (vgl. wiederum die Ausführungen des OLG ***OLG_GZ***, S 7). Das Pönale ist für das Bundesfinanzgericht in wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht als Mindestentgelt des Kundenstocks zu verstehen: Es soll einerseits sicherstellen, dass die vertraglich vereinbarten Zusicherungen von Seiten der Käuferin tatsächlich eingehalten werden, um die Gewinnpartizipation der Bf. in Form von Provisionen zu sichern. Andererseits geht aus der Vereinbarung nicht hervor, dass das Pönale generell ausbezahlt werden soll.

Die steuerliche Vertretung argumentiert im Rahmen des Erörterungstermins weiters, dass der Wortlaut der Vereinbarung, wonach die erhaltenen Provisionszahlungen das Pönale schmälern, keinen Sinn ergäbe, wenn das Pönale nicht als Mindestentgelt für den Kundenstock zu verstehen sei. Für das Bundesfinanzgericht ist dieses Argument nicht überzeugend. Denn hätte die Käuferin die Vereinbarung eingehalten, wäre nicht sichergestellt gewesen, dass überhaupt Provisionen in Höhe von 60.000 Euro angefallen wären. Dass in diesem Fall - also Provisionen von unter 60.000 Euro bei Einhaltung der Vereinbarung - der Bf. automatisch ein Pönale (oder die Differenz von Pönale zu abgerechneten Provisionen) zusteht, wurde weder behauptet noch ergibt sich diese Rechtsfolge aus der Vereinbarung. Ganz im Gegenteil ist diese Rechtsfolge aber dezidiert beim Verkauf des Unternehmens der Käuferin bzw. bei Neuübernahme der Käuferin vorgesehen, wenn die Vereinbarung vom Käufer oder Übernehmenden nicht übernommen wird (vgl. Punkt 10 der Vereinbarung). Damit ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts das Pönale im vorliegenden Fall nicht ein Mindestentgelt für den Kundenstock.

Daher ist schließlich strittig, ob das gerichtlich zugestandene Pönale Einkünfte einer ehemaligen betrieblichen Tätigkeit darstellt. Gemäß § 32 Abs. 2 Teilstrich 1 EStG 1988 gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG 1988 auch Einkünfte aus einer ehemaligen betrieblichen Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988. § 32 Z 2 EStG 1988 stellt klar, dass die Steuerpflicht nicht mit der Einstellung einer zu Einkünften führenden Tätigkeit endet. Auch nachträgliche Einkünfte sind zu erfassen; sie gehören zu der Einkunftsart, zu der die aufgegebene Tätigkeit gehört hat (vgl. Bodis in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn (Hrsg), Kommentar zum EStG (12. Lfg 2008) Nachträgliche Einkünfte (Bodis) Rz 55; ebenso ). Da das Pönale erst nach Einstellung des Betriebes der Bf. rechtskräftig wurde und damit auch nicht im Veräußerungsgewinn berücksichtigt werden konnte, ist es gemäß § 32 Z 2 EStG 1988 zu erfassen (vgl. wiederum Bodis in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn (Hrsg), Kommentar zum EStG (12. Lfg 2008) Nachträgliche Einkünfte (Bodis) Rz 62 mit Verweis auf ).

Zusammenfassend konnte das Pönale im Jahr 2009 im Schätzungswege noch nicht berücksichtigt werden. Es ist gemäß § 32 Z 2 EStG 1998 im Jahr 2016 zu erfassen. Damit ist im Ergebnis die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.1.2. Wiederaufnahme Einkommensteuer 2016

Die Beschwerde der Bf. richtet sich dem Wortlaut der Beschwerde nach zunächst lediglich gegen den Einkommensteuerbescheid 2016: "als bevollmächtigter Steuerberater [...] erheben wir innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 [...]" (vgl. Beschwerde, Seite 1). An dieser Stelle wird eine Beschwerde gegen den Wiederaufnahmebescheid Einkommensteuer 2016 nicht erwähnt.

Die restliche Beschwerde wurde inhaltsgleich aus der Beschwerde des Vorverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht übernommen. Im Antrag verweist die Bf. auch darauf, dass eine Wiederaufnahme rechtswidrig erfolgte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Beurteilung von Parteianträgen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes. Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteierklärungen sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt. Allerdings kann auch bei rechtsschutzfreundlicher Interpretation von Parteienerklärungen nicht die Befugnis oder Pflicht der Behörde abgeleitet werden, von der Partei tatsächlich nicht erstattete Erklärungen aus der Erwägung als erstattet zu fingieren, dass der Kontext des Parteienvorbringens die Erstattung der nichterstatteten Erklärung nach behördlicher Beurteilung als notwendig, ratsam oder empfehlenswert erscheinen lässt (vgl ; , 2011/13/0082; , Ra 2019/15/0005, je mwN).

Aus dem Kontext der Beschwerde ist für das Bundesfinanzgericht ableitbar, dass sich die Beschwerde auch gegen den Wiederaufnahmebescheid Einkommensteuer 2016 richtet. Dies wird durch die steuerliche Vertretung der Bf. im Rahmen des Erörterungstermins am auch niederschriftlich bestätigt.

§ 303 Abs. 1 BAO normiert:
"§ 303. (1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

  • der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

  • Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

  • der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte."

Die belangte Behörde verweist auf den Zufluss von Betriebseinnahmen im Jahr 2016 als neu hervorgekommene Tatsachen, die erst im Rahmen der Betriebsprüfung hervorgekommen sind und im Erstbescheid 2016 nicht berücksichtigt wurden.

Die Bf. argumentiert, dass mangels Wiederaufnahmegrund eine Wiederaufnahme nicht erfolgen hätte dürfen. Die Einnahmen hätten als Forderung im Rahmen der Betriebsaufgabe und damit im Wirtschaftsjahr 2009 berücksichtigt werden müssen.

Das Bundesfinanzgericht geht - wie oben unter 3.1.1. detailliert dargestellt - davon aus, dass die Forderung im Wirtschaftsjahr 2009 nicht berücksichtigt werden konnte. Die Einnahmen sind daher im Jahr 2016 zu berücksichtigen.

Unter Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. BAO sind auch der Zufluss von Einnahmen, die Betriebseinnahmen sind, zu subsumieren (vgl. Ritz, BAO6 (2017) § 303 Rn 22 mwN). Der Zufluss dieser Einnahmen ist der belangten Behörde erst im Rahmen der Betriebsprüfung bekannt geworden. Es mag zwar sein, dass die Vereinbarung zwischen der Bf. und der Käuferin der belangten Behörde bereits im Jahr 2009 bekannt war. Im Jahr 2009 lag aber jedenfalls noch kein rechtskräftiges Urteil betreffend Pönale vor.

Damit liegt ein tauglicher Wiederaufnahmegrund vor.

Im Lichte der Rechtsprechung des VwGH ist bei der amtswegigen Wiederaufnahme zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Abgabenbehörde liegt, zu unterscheiden. Erst dann, wenn die Rechtsfrage dahingehend geklärt ist, dass ein Wiederaufnahmsgrund tatsächlich gegeben ist, hat die Abgabenbehörde in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens zu entscheiden, ob die amtliche Wiederaufnahme zu verfügen ist. Dabei ist im Sinne des § 20 BAO Ermessen auszuüben (vgl. ). Da ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund vorliegt, ist zu prüfen, ob die belangte Behörde ihr Ermessen rechtsrichtig geübt und begründet hat.

Die Rechtsrichtigkeit der Ermessensentscheidung ist unter Bedachtnahme auf § 20 BAO zu beurteilen. Gemäß § 20 BAO sind Ermessensentscheidungen innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dabei ist dem Begriff "Billigkeit" die Bedeutung von Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei und dem Begriff "Zweckmäßigkeit" das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einhebung der Abgaben, beizumessen (vgl. ; , 2006/15/0079). Wenn die belangte Behörde "dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit" einen Vorrang gegenüber dem "Interesse auf Rechtsbeständigkeit" eingeräumt hat, so hat sie von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht (vgl. idS ). Ist die Ausübung des Ermessens im angefochtenen Bescheid damit begründet, die Wiederaufnahme des Verfahrens erscheine iSd § 20 BAO zweckmäßig, weil damit der Rechtsrichtigkeit gegenüber der Rechtssicherheit der Vorrang eingeräumt werde und eine Wiederaufnahme des Verfahrens mit den Interessen der Allgemeinheit an einer gleichmäßigen Besteuerung zu begründen sei, so lassen die dargelegten Gründe der Ermessensentscheidung eine zwar knappe, jedoch keine rechtswidrige Ermessensübung erkennen (vgl. ).

Zu untersuchen ist daher noch, ob die Interessensabwägung im Rahmen der Billigkeit des Ermessens bei Geringfügigkeit der neu hervorgekommenen Tatsachen den Gebrauch der Wiederaufnahmemöglichkeit ausschließt. Die Geringfügigkeit ist dabei an Hand der steuerlichen Auswirkungen der konkreten Wiederaufnahmsgründe und nicht auf Grund der steuerlichen Gesamtauswirkungen zu beurteilen, die infolge Änderungen auf Grund anderer rechtlicher Beurteilungen im Sachbescheid vorzunehmen wären (vgl. ). Der VwGH erkennt bereits bei steuerlichen Auswirkungen in Höhe von 1.010,15 Euro keine Geringfügigkeit (vgl. ). Eine steuerliche Auswirkung von über 28.000 Euro ist daher nicht geringfügig.

Zusammenfassend lag daher ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund vor. Die belangte Behörde übte das ihr zustehende Ermessen, indem sie dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit Vorrang gegenüber dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit einräumte. Da die steuerlichen Auswirkungen nicht geringfügig sind, verbietet eine Interessensabwägung den Gebrauch der Wiederaufnahme nicht. Die Wiederaufnahme ist daher zulässig und die Beschwerde auch in diesem Punkt abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Zulässigkeit der Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Zwar entspricht es der herrschenden Ansicht, dass bestrittene Forderungen - insbesondere hinsichtlich Schadenersatz - erst nach Anerkenntnis bzw. rechtskräftigem Urteil zu bilanzieren sind. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt jedoch - soweit ersichtlich - nicht vor, weswegen die Revision in diesem Punkt zuzulassen ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 32 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 201 Abs. 2 Z 4 lit. a UGB, Unternehmensgesetzbuch, dRGBl. S 219/1897
§ 201 Abs. 2 Z 4 lit. b UGB, Unternehmensgesetzbuch, dRGBl. S 219/1897
§ 5 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 5 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 32 Abs. 2 Teilstrich 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 2 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 32 Z 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100485.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at