Zollschuldentstehung für den Beteiligten gem. Art. 203 ZK?
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, ***Adr.Bf.***, vertreten durch ***RA***, über die Beschwerde vom , gegen den Bescheid des Zollamtes Wien vom , Zl. ***1***, betreffend Eingangsabgaben zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit Bescheid vom , Zl. ***1***, setzte das damalige Zollamt Wien dem nunmehrigen Beschwerdeführer (Bf.), Herrn ***Bf.***, ***Bf.Adr.***, die Zollschuld fest.
Zu nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkten zwischen und habe der Bf. in 251 Fällen an der Entziehung von Waren aus der zollamtlichen Überwachung insofern beigetragen, als er als damaliger Mitarbeiter von ***K*** in deren Auftrag ***P*** Transportaufträge sowie Anweisungen für die Nichtgestellung der verfahrensgegenständlichen Carnet TIR-Sendungen gegeben habe. Die betreffenden 251 CRN (Customs Reference Numbers) der in das Carnet TIR-Verfahren überführten Waren sind im Spruch dieses Bescheides genannt.
Durch das Handeln des Bf. sei jeweils gemäß Artikel 203 Absatz 1 und Abs. 3 zweiter Anstrich Zollkodex (ZK) iVm § 2 Absatz 1 ZolIrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) die Eingangsabgabenschuld für den Bf. entstanden.
Der Bf. sei an der jeweiligen Entziehung beteiligt, da er wusste oder billigerweise hätte wissen müssen, dass die Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen werden. Er sei somit gem. Art. 203 Abs. 3 zweiter Anstrich ZK zum Zollschuldner geworden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom . Der Bf. meint zunächst, es seien ihm vor Bescheiderlassung seitens der belangten Behörde nicht alle Unterlagen vorgelegt worden, die dem Zollamt im angefochtenen Bescheid als Entscheidungsgrundlage gedient hätten. Es liege daher Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, die den Bescheid mit Nichtigkeit belaste.
Entgegen den Ausführungen im Bescheid sei er niemals Mitarbeiter von ***K*** gewesen und habe auch niemals in deren Auftrag dem ***P*** Transportaufträge sowie Anweisungen für die Nichtgestellung erteilt. Er kenne ***K*** nicht bzw. habe mit ihr niemals "etwas zu tun gehabt".
Der Bf. habe bei keinem der in Rede stehenden 250 (gemeint wohl 251) Carnet TIR-Verfahren mitgewirkt, auch nicht in untergeordneter Form.
Es hätten offensichtlich andere Beschuldigte, um eventuell von ihren inkriminierten bzw. kriminellen Tathandlungen abzulenken, auf den Bf. als Verfahrensbeteiligten "verwiesen" und diesen entgegen dem historischen Sachverhalt der Mitwirkung beschuldigt.
Die Erstinstanz habe kein umfangreich nachvollziehbares Ermittlungsverfahren getätigt und habe ohne jede Begründung die vom Bf. begehrte zeugenschaftliche Einvernahme des/der Abfertigungsbeamten unterlassen.
Das Zollamt Wien wies diese Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zl. ***2***, als unbegründet ab.
Der Bf. stellte daraufhin mit Schriftsatz vom den Vorlageantrag, ohne in der Sache Neues vorzutragen.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien hat mit Urteil vom , ***3***, den Bf. vom Vorwurf, er habe zu nachstehenden Zeiten in Wien, Eisenstadt und andernorts eingangsabgabenpflichtige Waren der zollamtlichen Überwachung entzogen, und zwar
"im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der abgesondert verfolgten ***K*** und ***P*** im Zeitraum bis insgesamt 282 Containerladungen insbesondere beinhaltend Knoblauch und Textilien mit einem auf die Waren entfallenden Abgabenbetrag in Höhe von Euro 14.882.180,06 (davon Euro 5.494.675,66 Zoll und Euro 9.398.504,40 Einfuhrumsatzsteuer), die aus China kommend in diversen europäischen Häfen (z.B. Hamburg, Rotterdam) in das Zollgebiet der Europäischen Union gelangten, in der Regel im T1 -Versandverfahren per LKW oder per Bahn nach Wien verbracht wurden und das Zollgebiet schließlich im Carnet TIR-Verfahren an den EU - Austrittszollämtern Tompa an der ungarisch-serbischen Grenze und Halmeu an der rumänisch-ukrainischen Grenze wieder verlassen sollten, indem er ***P*** den Auftrag erteilte, die angeführten Containertransporte auf die unter I./1./ geschilderte Weise durchzuführen, dafür sorgte, dass die Austrittsbestätigungen mit gefälschten Zollstempeln versehen wurden und diese in weiterer Folge wieder an ***P*** zur Retournierung an die Arbeitsgemeinschaft internationaler Straßenverkehrsunternehmer Österreichs ((AISÖ) übergab,"
gemäß § 214 FinStrG freigesprochen.
Dieses Urteil betrifft u.a. die im angefochtenen Bescheid aufgelisteten 251 Carnet TIR-Verfahren und ist in Rechtskraft erwachsen.
Am fand in Wien in einem ähnlich gelagerten Beschwerdefall des Bf. zu GZ. RV/7200030/2018, die mündliche Verhandlung statt. Der anwaltlich vertretene Bf. und der Vertreter des Zollamtes erklärten im Rahmen dieser Verhandlung, dass das dort Gesagte sinngemäß auch für das vorliegende Rechtsmittelverfahren gelte und der Bf. zog hinsichtlich der nun verfahrensgegenständlichen Beschwerde den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Siehe Pkt. I
Beweiswürdigung
Die Beweiserhebung seitens des Bundesfinanzgerichtes erfolgte durch Einsichtnahme in die vom Zollamt elektronisch vorgelegten Verwaltungsakte und unter Berücksichtigung des o.a. Strafurteils vom . Darüber hinaus wurde auch auf die im Rahmen der angesprochenen mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse Bedacht genommen.
Daraus ergibt sich der oben wiedergegebene Sachverhalt und der geschilderte Verfahrensgang.
Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I (Aufhebung):
Rechtslage:
Die für den Streitfall wichtigsten Bestimmungen der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom , (Zollkodex -ZK) lauten:
Gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.
Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird (Art. 203 Abs. 2 ZK).
Gemäß Art. 203 Abs. 3 ZK sind Zollschuldner:
- die Person, welche die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen hat;
- die Personen, die an dieser Entziehung beteiligt waren, obwohl sie wussten oder billigerweise hätten wissen müssen, dass sie die Ware der zollamtlichen Überwachung entziehen;
- die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie im Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder billigerweise hätten wissen müssen, dass diese der zollamtlichen Überwachung entzogen worden war;
- gegebenenfalls die Person, welche die Verpflichtungen einzuhalten hatte, die sich aus der vorübergehenden Verwahrung einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben.
Die für den Streitfall wesentlichsten Bestimmungen der BAO lauten:
(1) Die Abgabenbehörden haben die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. Diese Verpflichtung wird durch eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Abgabepflichtigen, wie beispielsweise bei Auslandssachverhalten, eingeschränkt.
(2) Den Parteien ist Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.
(3) Die Abgabenbehörden haben Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen.
(4) Solange die Abgabenbehörde nicht entschieden hat, hat sie auch die nach Ablauf einer Frist vorgebrachten Angaben über tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse zu prüfen und zu würdigen.
Als Beweismittel im Abgabenverfahren kommt alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.
(1) Tatsachen, die bei der Abgabenbehörde offenkundig sind, und solche, für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen keines Beweises.
(2) Im Übrigen hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.
Erwägungen:
Das Bundesfinanzgericht erachtet es als erwiesen, dass in allen in Rede stehenden 251 Fällen die im Carnet TIR-Verfahren beförderten eingangsabgabenpflichtigen Waren nicht wie in Art. 92 Abs. 1 ZK vorgesehen innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den Zollbehörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle gestellt worden sind. Dies ergibt sich schon aus den die erwähnten 251 Carnet TIR-Verfahren betreffenden, in Rechtskraft erwachsenen, Entscheidungen ; ; und .
Das Zollamt Wien ist somit auf Grund der außer Streit stehenden Unterlassung der Gestellung der verfahrensgegenständlichen Waren bei den diversen Bestimmungsstellen zu Recht davon ausgegangen, dass die Zollschuld gem. Art. 203 Abs. 1 ZK entstanden ist, dass also ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung vorliegt.
Zu prüfen bleibt, ob der Bf. zu Recht als Abgabenschuldner herangezogen worden ist.
Nach der Aktenlage stützt das Zollamt seine Ansicht, der Bf. habe entsprechende zollschuldbegründende Handlungen gesetzt ausschließlich auf die Aussagen des ***P***, der den Bf. diesbezüglich belastet.
Dem steht das o.a. Urteil vom , ***3***, entgegen, in dem u.a. festgestellt wird: "Soweit **P** den **Bf.** belastet, dass **P** von **Bf.** die Aufträge erhielt, ist darin eine bloße Schutzbehauptung zu sehen."
Das Zollamt hat im Rahmen der o.a. mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass keinerlei weitere Beweise für das zollunredliche Verhalten des Bf. vorliegen und dass die belastenden Aussagen des **P** die Grundlage für die Erlassung des nunmehr angefochtenen Bescheides bildeten.
Aus den o.a. Feststellungen und den Angaben der Parteien im Rahmen der o.a. mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass der vorliegende Beschwerdefall hinsichtlich des maßgeblichen Sachverhalts und der entscheidungsmaßgeblichen Rechtsfragen jenem gleicht, der dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , GZ. RV/7200030/2018, zugrunde lag. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird daher auf dieses Erkenntnis verwiesen.
Aus den dort genannten Gründen war auch der hier angefochtene Bescheid aufzuheben. Das Bundesfinanzgericht erachtet es mit der für die Durchführung eines Abgabenverfahrens erforderlichen Sicherheit nicht als erwiesen, dass der Bf. die ihm seitens des Zollamtes zur Last gelegten zollschuldbegründenden Schritte tatsächlich gesetzt hat.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösungen zu den im vorliegenden Fall zu klärenden Rechtsfragen ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz. Es musste daher der Revisionsausschluss zum Tragen kommen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | § 214 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958 § 115 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 166 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 167 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.7200051.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
Fundstelle(n):
VAAAC-28040