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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.06.2021, RV/5101491/2017

Beweislast erhöhte Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***RI*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 27. Juli 20164. August 2016 gegen den Bescheid des Finanzamtes Gmunden Vöcklabruck (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Familienbeihilfe 10.2006-05.2016 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Am wurde von der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde ein Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für ihren Sohn ***1*** ***2*** ***3***, geboren ***4***, rückwirkend ab 10/2006 eingebracht.

Von der belangten Behörde wurde ein Gutachten beim Sozialministeriumservice angefordert. Die am ausgestellte BSB-Bescheinigung wies einen Gesamtgrad der Behinderung im Ausmaß von 50% ab 6/2016 aus.

In der Folge wurde der Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für den Zeitraum 10/2006 bis 05/2016 von der belangten Behörde mit Bescheid vom abgewiesen.

Begründet wurde die Abweisung wie folgt:

Zu ***1*** ***2*** ***3***:

Am brachte die Beschwerdeführerin rechtzeitig eine Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom ein. Sie begründete die Beschwerde damit, dass seit der Feststellung (Befund) nachweisbar eine durchgehende Beeinträchtigung vorhanden sei:

[...]

Am wurde der Beschwerde seitens der Beschwerdeführerin ein "Klinisch-Psychologischer Kurzbefund" nachgereicht.

Diagnosebild: Nägelkauen, Defizite im sozialen Verständnis (Hinweise auf Wahrnehmungsdefizite, Wahrnehmungsstörungen), intellektuelle Fähigkeiten unter dem Durchschnitt der Altersnorm (IQ=54), Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefizite in Folge chronischer kognitiver Überforderung; belastete Erziehungsbedingungen (getrenntlebende Elternteile).

Es wurde neuerlich ein Gutachten beim Sozialministeriumservice angefordert.

Die am ausgestellte BSB-Bescheinigung wies wiederum einen Gesamtgrad der Behinderung im Ausmaß von 50% ab 6/2016 aus.

Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde mit Beschwerdevorentscheidung am , mit nachfolgender Begründung, abgewiesen:

Da das Sozialministerium Service den Grad der Behinderung von ***2*** mit 50 % ab Juni 2016 festgestellt habe, sei die erhöhte Familienbeihilfe ab Juni 2016 zu gewähren gewesen. Die Beschwerde sei daher abzuweisen gewesen.

Am wurde von der Beschwerdeführerin ein Schreiben mit dem Betreff "Wiederruf" "Einspruch" eingebracht, das in verständiger Würdigung des Anbringens als Vorlageantrag zu werten war.

Darin führte die Beschwerdeführerin wie folgt aus:

"Ich ***Bf1*** geb. ***5*** lege hiermit Einspruch über den negativen Bescheid vom Mai 2017 bzgl Nachzahlung der erhöhten FBH der letzten 60 Monate. Erstauszahlung war der Juni 2016. Ich habe in dem letzten Schreiben die gesetzlichen 5 Jahre rückwirkend beantragt und nicht wie bei ihrem Schreiben angeführt von 2006-2016.

Vom psychologischen Gutachten von Frau Dr. ***6*** (2016) geht hervor das die Behinderung 2011 genauso vorhanden war wie damals 2006 von Dr. ***7*** diagnostiziert.

Dann haben Sie den Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe für ***8******1*** abgelehnt obwohl sie die mir belannten Kriterien füe die erhöhte Familienbeihilfe erfüllt ! Könnten Sie mir das bitte näher erklären? "

Der Akt wurde dem Bundesfinanzgericht am zur Entscheidung vorgelegt. Die belangte Behörde beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz und ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Ihr am ***4*** geborener Sohn gehört zum Haushalt der Beschwerdeführerin.

Mit Schreiben vom beantragte die Beschwerdeführerin die rückwirkende Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab 10/2006.

Dem vorliegenden ärztlichen Sachverständigengutachten vom zufolge, das der mit demselben Datum ausgestellten Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zu Grunde liegt, liegt beim Sohn der Beschwerdeführerin eine "kombinierte Störung schulischer Fähigkeiten mit globalem sonderpädagogischem Förderbedarf" vor.

In Übereinstimmung mit der auf Grund des ärztlichen Sachverständigengutachtens ausgestellten Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom wird der Grad der Behinderung des Sohnes der Beschwerdeführerin mit 50% ab festgestellt.

Ein Grad der Behinderung von 50 % vor dem Stichtag kann nicht festgestellt werden.

Beweiswürdigung

Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig. Eine Unvollständigkeit oder Unschlüssigkeit des vorliegenden ärztlichen Sachverständigengutachtens vom ist für das Bundesfinanzgericht nicht erkennbar. Insbesondere bewegt sich der festgestellte Grad der Behinderung innerhalb der unter Position Nr der Anlage I zur Einschätzungsverordnung (Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung vom , BGBl II 2010/261, zuletzt geändert durch BGBl II 2012/251) angegebenen Bandbreite. Die Maßgeblichkeit der Position Nr wird durch das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Vorliegen von sonderpädagogischem Förderbedarf für mehr als 3 Fächer) nicht in Zweifel gezogen.

Der von der Beschwerdeführerin vorgelegte klinisch-psychologische Kurzbefund steht nicht im Widerspruch zum ärztlichen Sachverständigengutachten. Vielmehr wurden die Befunde des Kurzberichtes im Gutachten mitberücksichtigt.

Mangels Beibringung von Befunden ab dem Jahr 2008, konnte die Beurteilung erst ab 06/2016 erfolgen.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen annehmen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

Gemäß § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unter anderem Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder iSd § 2 Abs 3 leg cit.

Gem § 2 Abs 2 FLAG 1967 hat grundsätzlich Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im § 2 Abs 1 leg cit genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört.

Gem § 2 Abs 5 erster Satz FLAG 1967 gehört zum Haushalt einer Person ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt.

Die Höhe der Familienbeihilfe für den jeweiligen Anspruchszeitraum ist in § 8 Abs 2 FLAG 1967 normiert; nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder.

Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 "ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen."

Der Behinderungsgrad hängt bei gleichbleibendem Krankheitsbild auch vom Alter des Kindes ab. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes etwa stellt sich je nach Alter des Kindes unterschiedlich dar, da die Fertigkeiten, die ein Kind im Kindergartenalter beherrschen sollte, sich wesentlich von jenen, die von einem Schulkind erwartet werden, unterscheiden. Das Ausmaß eines Entwicklungsrückstandes ist daher immer im Vergleich zum Entwicklungsstand gleichaltriger gesunder Kinder zu sehen. So kann schon im Kindergartenalter ein gewisser Entwicklungsrückstand vorliegen, der sich aber bis zum Schulalter weiter vergrößern und einen höheren Behinderungsgrad herbeiführen kann (vgl. und Lenneis in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 8 Rz 11).

Gem § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der "Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, […] durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen."

Auf die Notwendigkeit der Vorlage entsprechender Beweismittel ("sämtlicher Behandlungsunterlagen") wird im Vordruck Beih 3 (Antragsformular für den Erhöhungsbetrag) deutlich hingewiesen.

Bei der Antwort auf die Frage, ob das Kind erheblich behindert ist oder dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist die Behörde bzw das Bundesfinanzgericht nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten grundsätzlich gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (vgl ; ; ; Lenneis in Lenneis/Wanke [ Hrsg ] , FLAG § 8 Rz 29 mwH).

Nach der Rsp des VwGH haben die Parteien grundsätzlich die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl zB mwN).

Allerdings vermag die bloße Behauptung, ein Gutachten wäre unschlüssig, die Annahmen dieses Gutachtens nicht zu erschüttern; vielmehr ist es notwendig, konkret und mit näherer Begründung darzulegen, worin die Unschlüssigkeit eines Gutachtens liegen soll (vgl ). Von der Beschwerdeführerin wurde im Zuge der Beschwerde ein klinisch psychologischer Kurzbericht vorgelegt, der im Rahmen der ärztlichen Begutachtung berücksichtigt wurde und zu keiner rückwirkenden Befundung geführt hat, da ab dem Jahr 2008 keine Befunde vorgelegt wurden.

Kann eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice, dass eine 50%ige Behinderung schon vor dem bestanden hat, nicht vorgelegt werden und kann daher ein Grad der Behinderung im Ausmaß von 50 % nicht festgestellt werden, trifft die Beweislast denjenigen, zu dessen Gunsten die entsprechende Tatsache wirken würde: Die belangte Behörde hat die Beweislast für Tatsachen zu tragen, die einem Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag entgegenstehen oder einschränken, der Antragsteller für Tatsachen, die den Anspruch auf Familienbeihilfe und/oder den Erhöhungsbetrag begründen oder ausweiten bzw. eine (ihn treffende) gesetzliche Vermutung widerlegen. Bescheinigt das Sozialministeriumservice lege artis den Grad der Behinderung von 50% vor dem nicht, geht dies zu Lasten des Antragstellers (vgl ).

Somit war der am eingebrachte Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für den Zeitraum 10/2006 bis 05/2016 abzuweisen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Mit dem vorliegenden Erkenntnis folgt das Bundesfinanzgericht der dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.5101491.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at