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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.06.2021, RV/3101216/2016

Haftung des Geschäftsführers nach § 9 BAO bei schuldhafter Pflichtverletzung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1*** als ehemaliger Geschäftsführer der ***X-GmbH***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung nach §§ 9 und 80 BAO zu Recht erkannt:

  • Der angefochtene Bescheid wird dahingehend abgeändert, dass die Haftung auf nachstehende Abgabenschuldigkeiten im Gesamtbetrag von € 92.030,40 eingeschränkt wird:


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Abgabenart (AA)
Zeitraum
Betrag
Lohnsteuer (L)
05/14
€ 190,39
Dienstgeberbeitrag (DB)
05/14
€ 121,12
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
05/14
€ 11,57
Lohnsteuer (L)
06/14
€ 566,36
Dienstgeberbeitrag (DB)
06/14
€ 217,01
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
06/14
€ 20,74
Lohnsteuer (L)
07/14
€ 493,80
Dienstgeberbeitrag (DB)
07/14
€ 121,12
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
07/14
€ 11,57
Lohnsteuer (L)
08/14
€ 493,80
Dienstgeberbeitrag (DB)
08/14
€ 121,12
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
08/14
€ 11,57
Lohnsteuer (L)
09/14
€ 175,57
Dienstgeberbeitrag (DB)
09/14
€ 103,49
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
09/14
€ 9,89
Umsatzsteuer (U)
09/14
€ 9.730,77
Körperschaftsteuer (K)
10-12/14
€ 318,60
Dienstgeberbeitrag (DB)
10/14
€ 85,87
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
10/14
€ 8,21
Umsatzsteuer (U)
11/13
€ 16.314,21
Säumniszuschlag (SZA)
2014
€ 228,71
Stundungszinsen (ST)
2014
€ 58,21
Körperschaftsteuer (K)
2012
€ 17.527,50
Anspruchszinsen (AZ)
2012
€ 152,21
Körperschaftsteuer (K)
04-06/14
€ 37,50
Körperschaftsteuer (K)
07-09/14
€ 37,50
Stundungszinsen (ST)
2014
€ 552,89
Säumniszuschlag (SZA)
2014
€ 15,98
Säumniszuschlag (SZA)
2014
€ 18,50
Säumniszuschlag (SZA)
2014
€ 15,65
Stundungszinsen (ST)
2014
€ 217,94
Umsatzsteuer (U)
10/14
€ 816,90
Dienstgeberbeitrag (DB)
11/14
€ 148,46
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
11/14
€ 14,19
Umsatzsteuer (U)
11/14
€ 17.833,57
Dienstgeberbeitrag (DB)
12/14
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
12/14
€ 3,37
Säumniszuschlag (SZA)
2014
€ 194,62
Säumniszuschlag (SZA)
2014
€ 350,55
Säumniszuschlag (SZA)
2014
€ 16,34
Körperschaftsteuer (K)
01-03/15
€ 107,70
Umsatzsteuer (U)
12/14
€ 11.014,40
Lohnsteuer (L)
01/15
€ 124,40
Dienstgeberbeitrag (DB)
01/15
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
01/15
€ 3,37
Säumniszuschlag (SZA)
2015
€ 356,67
Lohnsteuer (L)
02/15
€ 124,40
Dienstgeberbeitrag (DB)
02/15
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
02/15
€ 3,37
Lohnsteuer (L)
03/15
€ 124,40
Dienstgeberbeitrag (DB)
03/15
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
03/15
€ 3,37
Säumniszuschlag (SZB)
2014
€ 97,31
Säumniszuschlag (SZA)
2015
€ 220,29
Säumniszuschlag (SZB)
2014
€ 163,14
Säumniszuschlag (SZB)
2014
€ 175,28
Umsatzsteuer (U)
2013
€ 7.948,21
Dienstgeberbeitrag (DB)
2011
€ 989,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
2011
€ 94,59
Dienstgeberbeitrag (DB)
2012
€ 989,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
2012
€ 94,59
Dienstgeberbeitrag (DB)
2013
€ 989,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
2013
€ 94,59
Dienstgeberbeitrag (DB)
2014
€ 732,16
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag (DZ)
2014
€ 69,96
Gesamtbetrag
€ 92.030,40

  • Durch den Beschwerdeführer entrichtet wurden davon bisher € 1.835,21. Zu entrichten sind daher noch € 90.195,19.

  • Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Mit Haftungsbescheid vom nahm das Finanzamt den Beschwerdeführer gemäß § 9 BAO für näher bezeichnete und um die im Zuge des Schuldenregulierungsverfahrens angebotene Quote von 30% gekürzten bei der ***X-GmbH*** aushaftenden Abgabenschuldigkeiten in Anspruch.

Die dagegen erhobene Beschwerde wurde im Instanzenzug mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , GZ RV/3101029/2016, rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Nach Zurücknahme des Sanierungsplanes in der Tagsatzung vom wurde vom Landesgericht die Bezeichnung des Verfahrens auf Konkursverfahren abgeändert. Der eingesetzte Masseverwalter zeigte in der Folge Masseunzulänglichkeit an. Das Finanzamt zog den Beschwerdeführer daraufhin mit Bescheid vom auch für die restlichen 30% der Abgabenschuldigkeiten zur Haftung heran:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Lohnsteuer
05/14
€ 190,39
Dienstgeberbeitrag
05/14
€ 121,12
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
05/14
€ 11,57
Lohnsteuer
06/14
€ 566,36
Dienstgeberbeitrag
06/14
€ 217,01
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
06/14
€ 20,74
Lohnsteuer
07/14
€ 493,80
Dienstgeberbeitrag
07/14
€ 121,12
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
07/14
€ 11,57
Lohnsteuer
08/14
€ 493,80
Dienstgeberbeitrag
08/14
€ 121,12
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
08/14
€ 11,57
Lohnsteuer
09/14
€ 175,57
Dienstgeberbeitrag
09/14
€ 103,49
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
09/14
€ 9,89
Umsatzsteuer
09/14
€ 9.730,77
Körperschaftsteuer
10-12/14
€ 318,60
Dienstgeberbeitrag
10/14
€ 85,87
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
10/14
€ 8,21
Umsatzsteuer
11/13
€ 16.314,21
Säumniszuschlag 1
2014
€ 228,71
Stundungszinsen
2014
€ 58,21
Körperschaftsteuer
2012
€ 17.527,50
Anspruchszinsen
2012
€ 152,21
Körperschaftsteuer
04-06/14
€ 37,50
Körperschaftsteuer
07-09/14
€ 37,50
Stundungszinsen
2014
€ 552,89
Säumniszuschlag 1
2014
€ 15,98
Säumniszuschlag 1
2014
€ 18,50
Säumniszuschlag 1
2014
€ 15,65
Stundungszinsen
2014
€ 217,94
Umsatzsteuer
10/14
€ 816,90
Dienstgeberbeitrag
11/14
€ 148,46
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
11/14
€ 14,19
Umsatzsteuer
11/14
€ 17.833,57
Dienstgeberbeitrag
12/14
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
12/14
€ 3,37
Säumniszuschlag 1
2014
€ 194,62
Säumniszuschlag 1
2014
€ 350,55
Säumniszuschlag 1
2014
€ 16,34
Körperschaftsteuer
01-03/15
€ 107,70
Umsatzsteuer
12/14
€ 11.014,40
Lohnsteuer
01/15
€ 124,40
Dienstgeberbeitrag
01/15
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
01/15
€ 3,37
Säumniszuschlag 1
2015
€ 356,67
Lohnsteuer
02/15
€ 124,40
Dienstgeberbeitrag
02/15
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
02/15
€ 3,37
Lohnsteuer
03/15
€ 124,40
Dienstgeberbeitrag
03/15
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
03/15
€ 3,37
Säumniszuschlag 2
2014
€ 97,31
Säumniszuschlag 1
2015
€ 220,29
Lohnsteuer
04/15
€ 124,40
Dienstgeberbeitrag
04/15
€ 35,26
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
04/15
€ 3,37
Säumniszuschlag 2
2014
€ 163,14
Säumniszuschlag 2
2014
€ 175,28
Umsatzsteuer
2013
€ 7.948,21
Dienstgeberbeitrag
2011
€ 989,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2011
€ 94,59
Dienstgeberbeitrag
2012
€ 989,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2012
€ 94,59
Dienstgeberbeitrag
2013
€ 989,93
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2013
€ 94,59
Dienstgeberbeitrag
2014
€ 732,16
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2014
€ 69,96
Gesamtsumme
€ 92.193,43

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit datierter Eingabe fristgerecht Beschwerde und verwies hinsichtlich der Begründung auf die Beschwerde vom (richtig wohl ) gegen den Haftungsbescheid vom .

In diesem Beschwerdeverfahren wurde begründend vorgebracht, dass der Liquiditätsengpass nicht durch die Geschäftsführung verschuldet, sondern ausschließlich auf Verzögerungen der zuständigen Baubehörde im Zusammenhang mit der Erteilung einer endgültigen Bewilligung für das Bauvorhaben "***1***" und die damit einhergehende Sperre der Auszahlung der beim Treuhänder bereits seit längerer Zeit hinterlegten Kaufpreisraten in Höhe von insgesamt € 865.643,18 (davon € 111.760,65 bereits Ende des Jahres 2012 am Steuerkonto belasteter Umsatzsteuer) zurückzuführen sei. Der Gesellschaft seien im Zeitraum, in welchen sich die nunmehr am Steuerkonto aushaftenden Rückstände ergeben haben auch keine sonstigen liquiden Mittel zur Verfügung gestanden, welche die termingerechte Begleichung der Abgaben ermöglicht hätte. Die Geschäftsführung habe jedoch immer davon ausgehen können, dass nur eine vorübergehende Zahlungsunfähigkeit vorliege und es bei einer positiven Erledigung durch die Baubehörde zur Freigabe der gesperrten Kundengelder durch den Vertragserrichter bzw. Treuhänder komme, womit dann die Abgabenforderungen bedient werden hätten können. Es sei in keinster Weise gegen abgabenrechtliche Pflichten verstoßen worden. Er habe sich keinen Vorwurf zu machen, im betreffenden Zeitraum andere Gläubiger gegenüber dem Finanzamt bevorzugt zu haben, da dem Unternehmen ausgenommen von zweckgebundenen, nicht frei verfügbaren Zahlungen im Zusammenhang mit anderen Bauvorhaben sowie eines von der Bank zu Bedienung der allernotwendigsten Regien freigegebenen Betrages keine liquiden Mittel zur Verfügung gestanden seien.

Mit der Beschwerde legte der Beschwerdeführer Auszüge der Debitorenkonten sowie des Bankkontos aus der laufenden Buchhaltung vor. Aus dem Bankkonto geht hervor, dass von diesem Konto während des gesamten Jahres 2014 laufend Zahlungen an diverse Gläubiger geleistet wurden.

Mit weiterem Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Entscheidung durch den gesamten Senat.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab.

Dagegen richtet sich der Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) vom .

Über das Vermögen des Beschwerdeführers wurde mit Beschluss des BG ***2*** am das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Das Finanzamt meldete die Haftungssumme am als Insolvenzforderung an. Mit Beschluss vom wurde der Zahlungsplan bestätigt, dem zufolge die Gläubiger 3,5 % ihrer anerkannten Forderungen erhalten sollen.

Mit Stellungnahme vom ergänzte der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend, dass es sich bei der Primärschuldnerin um ein Bauträgerunternehmen handle, welches seine Bauvorhaben zu 100 % fremdfinanziert habe: "Die für die jeweiligen Bauvorhaben fälligen Kosten (insbesondere fällige Rechnungen der beschäftigten Baufirmen entsprechend dem Baufortschritt) wurden ausschließlich über die vom finanzierenden Kreditinstitut bereitgestellten Darlehen bezahlt, wobei es der Geschäftsführung nicht erlaubt war, die bereitgestellten Kredite für andere als die Bauvorhaben betreffenden Ausgaben zu verwenden […]. Die zweckgebundene Durchführung der Zahlungen wurde dabei von den jeweils gewährenden Kreditinstituten entsprechend überwacht. Grundsätzlich sind Umsätze aus der Tätigkeit als Bauträger unecht umsatzsteuerbefreit, jedoch besteht die Möglichkeit zur Umsatzsteuerpflicht zu optieren, sofern dies ein Käufer wünscht […]. Dies war bei mehreren Käufern von Einheiten des Objekts […] der Fall, sodass im betreffenden Zeitraum entsprechende Umsatzsteuerzahllasten fällig wurden. In diesem Zusammenhang wurden umsatzsteuerpflichtige Kundenzahlungen getätigt, der Eingang musste auf Wunsch der Bank jedoch direkt auf das entsprechende Kreditkonto erfolgen. Aufgrund der Kontoüberziehungen konnte über die Zahlungseingänge jedoch nicht verfügt werden und war somit den Geschäftsführern die termingerechte Entrichtung der Umsatzsteuerzahllasten nicht möglich.

Wie bereits in der Beschwerde angeführt, konnten von Seiten des Treuhänders aufgrund der Verzögerung der zuständigen Baubehörde im Zusammenhang mit der Erteilung der endgültigen Baugenehmigung Kaufpreiszahlungen, für welche aufgrund des Übergangs der Verfügungsmacht auf den Käufer die Umsatzsteuer bereits fällig war, nicht an den Bauträger weitergeleitet werden und standen somit auch aus diesem Grund die notwendigen Mittel zur Entrichtung der bereits fälligen Umsatzsteuer nicht zur Verfügung.

Die [Primärschuldnerin] verfügte neben den zweckgebundenen Einnahmen aus den abgewickelten Bauvorhaben über keine weiteren Einnahmen, sodass der laufende Geschäftsbetrieb nur aufgrund einer Freigabe von monatlich liquiden Mittel in Höhe von € 5.224,00 durch die Geschäftsbank sowie durch sonstige mühsam aufgetriebene Leihgelder, insbesondere seitens der ***K-GmbH***, aufrechterhalten werden konnte.

Die Freigabe der liquiden Mittel in Höhe von Euro 5.224,00 durch die Geschäftsbanken erfolgte mit der Auflage, dass diese Mittel ausschließlich zur Aufrechterhaltung des laufenden Geschäftsbetriebes, insbesondere für Gehaltszahlungen, verwendet werden mussten. Darüber hinaus standen der Geschäftsführung keine weiteren wesentlichen liquiden Mittel zur Verfügung."

Im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage am gab der Beschwerdeführer an, dass er als Geschäftsführer der Primärschuldnerin aufgrund seines beruflichen Hintergrundes (Tätigkeit in einer Bank und als Unternehmensberater) unter anderem für den Bereich Finanzierung zuständig gewesen sei. Die Banken hätten de facto weite Bereiche der Geschäftsführung maßgeblich beeinflusst, er habe im haftungsgegenständlichen Zeitraum keinen finanziellen Handlungsspielraum mehr gehabt. Es habe allerdings keine ausdrücklichen Vereinbarungen mit Banken gegeben, welche die Geschäftsführung von vornherein eingeschränkt hätten.

Der Bauträger sei für die Erwirkung der Baubewilligung verantwortlich. Beim Bauvorhaben "***1***" sei entgegen dem ursprünglichen Baubescheid anders gebaut worden, worauf seitens der Baubehörde ein Baustopp verfügt worden sei und die bereits abgerufenen Kundengelder vom Treuhänder nicht ausbezahlt worden seien. Teilweise seien auch umsatzsteuerpflichtige Kundenzahlungen vom Treuhänder auf ein Bankkonto überwiesen worden. Die darin enthaltene Umsatzsteuer habe jedoch nicht mehr ans Finanzamt überwiesen werden können, da das Konto zwischenzeitlich derart überzogen gewesen sei, dass die Bank keinerlei weitere Überweisungen mehr bewilligt habe. Es habe im haftungsgegenständlichen Zeitraum auch noch Einnahmen und Zahlungen betreffend andere Bauvorhaben gegeben. Er habe jedoch faktisch keine Möglichkeit gehabt, diese Gelder zu verwenden, da die Banken aufgrund des Gesamtobligos keine Überweisungen bewilligt hätten. Von der Schwesterfirma der Primärschuldnerin, der ***K-GmbH***, seien Leihgelder in, "dem laufenden Betrieb dienlicher Höhe" bezogen worden. Er geht davon aus, dass in Bezug auf die haftungsgegenständlichen Lohnabgaben die entsprechenden Löhne tatsächlich bezahlt worden seien.

Der Antrag auf mündliche Verhandlung und Entscheidung durch den gesamten Senat wurden im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage am zurückgenommen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt I.

Der Beschwerdeführer war ab dem gemeinsam mit ***Gf2*** Geschäfts-führer der ***X-GmbH***. Mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom wurde über die Gesellschaft das Sanierungsverfahren eröffnet. Nach Zurücknahme des Sanierungsplanes in der Tagsatzung vom , welcher eine 30%ige Quote vorsah, wurde mit Beschluss des Landesgerichts die Bezeichnung des Verfahrens auf Konkursverfahren abgeändert. Der Masseverwalter zeigte in der Folge die Masseunzulänglichkeit an. Mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom wurde der Konkurs mangels Kostendeckung aufgehoben.

Bei der Primärschuldnerin handelt es sich um ein Bauträgerunternehmen. Die Bauvorhaben wurden zu 100% fremdfinanziert. Dies bedingte weitreichende Mitspracherechte der finanzierenden Banken, sodass über die finanziellen Mittel nicht frei verfügt werden konnte. Ein entsprechender Nachweis über die Gleichbehandlung aller Gläubiger wurde nicht erbracht. Die Löhne wurden im maßgeblichen Zeitraum ausbezahlt, ohne dass die einbehaltenen Lohnsteuern an das Finanzamt abgeführt worden sind.

Über das Vermögen des Beschwerdeführers wurde mit Beschluss des BG ***2*** am das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet. Das Finanzamt meldete die Haftungssumme am als Insolvenzforderung an. Mit Beschluss vom wurde der Zahlungsplan bestätigt, dem zufolge die Gläubiger 3,5 % ihrer anerkannten Forderungen erhalten.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabenpflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretenen auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 7 Abs. 2 BAO erstrecken sich persönliche Haftungen auch auf Nebenansprüche.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den Vertretenen obliegen.

Die Inanspruchnahme als Haftender setzt daher die Stellung als Vertreter, das Bestehen einer Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Uneinbringlichkeit, die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten durch den Vertreter, das Verschulden des Vertreters und die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus.

Die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Geschäftsführer der Primärschuldnerin ist unstrittig. Die Uneinbringlichkeit ergibt sich aus der Aufhebung des Konkurses mangels Kostendeckung.

Von der Haftung waren jedoch die Lohnsteuer, der Dienstgeberbeitrag und der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 04/2015 auszunehmen, da diese Beträge von dritter Seite entrichtet worden sind. Von den in die Haftung einbezogenen Abgabenforderungen (30% Anteil) gegenüber der Primärschuldnerin verbleiben somit € 92.030,40, wovon ein Betrag von € 1.835,21 bereits durch den Beschwerdeführer selbst entrichtet worden ist.

Stehen Vertreterstellung und Uneinbringlichkeit fest, trifft den zur Haftung herangezogenen Geschäftsführer einer Gesellschaft die Obliegenheit, darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf (vgl. ; ). Im Fall des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und den Rechtswidrigkeitszusammenhang (vgl. , ).

Zu den Pflichten eines Vertreters gehört die termingerechte Entrichtung der Abgaben nach Maßgabe der vorhandenen Mittel. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (vgl. zB ).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wird die Haftung des Vertre-ters dann eingeschränkt, wenn dieser nachweist, welcher Abgabenbetrag auch bei einer gleich-mäßigen Befriedigung aller Gläubiger uneinbringlich geworden wäre (zuletzt ). Diesfalls haftet er nur für die Differenz zwischen dem tatsächlich abgeführ-ten und jenem Betrag, der bei gleichmäßiger Befriedigung aller Gläubiger an die Abgabenbe-hörde abzuführen gewesen wäre (). In dieser Berechnung sind die gesamte Einnahmensituation () und sämtliche Ausgaben einzubeziehen. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz gilt jedoch nicht für Abfuhrabgaben wie die Lohnsteuer (zuletzt ), die Lohnsteuer ist für ausgezahlte Löhne ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten zur Gänze abzuführen (§ 78 Abs. 3 EStG 1988).

Der Beschwerdeführer gibt selbst an, dass laufende Löhne bezahlten wurden. Im Beschwerdefall liegt somit zunächst eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beschwerdeführers als Vertreter der Primärschuldnerin vor, weil dieser die auf die ausbezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer nicht in der entsprechenden Höhe an das Finanzamt abgeführt hat.

Dem Vorbringen, dass der Liquiditätsengpass, welcher zum Insolvenzverfahren geführt habe, auf Verzögerungen der zuständigen Baubehörde im Zusammenhang mit der Erteilung einer Baubewilligung zurückzuführen sei und ihn deshalb kein Verschulden träfe, ist entgegen zu halten, dass liquide Mittel sehr wohl vorhanden waren, und zwar Mittel im Zusammenhang mit "anderen Bauvorhaben" in nicht bekanntgegebener Höhe, Leihgelder der Schwesterfirma in nicht bekanntgegebener Höhe sowie ein Betrag von € 5.224,00 monatlich für "Centralregien".

Der Beschwerdeführer hat trotz Vorhalts seitens des Finanzamtes im Ergänzungsersuchen, im Haftungsbescheid und in der Beschwerdevorentscheidung einen Nachweis der Gleichbehandlung aller Gläubiger nicht erbracht. Die mit der Beschwerde vorgelegten Buchhaltungsauszüge vermitteln keinen Überblick über die gesamte Liquiditätssituation oder über die Befriedigung der Forderungen von anderen Gläubigern. Es wurde keine Darstellung der jeweils vorhandenen liquiden Mittel im jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt vorgelegt. Im Übrigen darf auf die Begründung im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , GZ RV/3101029/2016, betrefend die gegenständlichen Abgabenschuldigkeiten hingewiesen werden.

Dem Beschwerdevorbringen ist auch entgegenzuhalten, dass es auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, wenn andere Gläubiger durch Schuldtilgungen durch Abtretung von Forderungen begünstigt werden ().

Nicht anderes gilt im gegenständlichen Fall. Es liegt eine Pflichtverletzung vor, weil aufgrund des gewählten Geschäftsmodells mit 100%iger Fremdfinanzierung den finanzierenden Banken weitreichende Mitspracherechte über die Verwendung der Mittel eingeräumt werden mussten und der Beschwerdeführer damit rechnen musste, dass deshalb die Mittel nicht mehr für die Tilgung anderer Schulden, so insbesondere für die Tilgung der Abgabenforderungen zur Verfügung stehen. Dies zeigt sich deutlich dadurch, dass selbst die zur Verfügung gestellten "Centralregien" nur für bestimmte Zwecke (laufender Betrieb) verwendet werden durften und die Banken keine anderen Überweisungen mehr bewilligten.

Im Beschwerdefall ist somit hinsichtlich der in die Haftung einbezogenen Abgabenschuldigkeiten von einer schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten und der Kausalität dieser Pflichtverletzung für den Abgabenausfall auszugehen.

Die Geltendmachung der Haftung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, das sich innerhalb der vom Gesetz aufgezeigten Grenzen zu halten hat (§ 20 BAO). Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Die Geltendmachung der Haftung stellt die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar, wobei die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles ein wesentliches Ermessenskriterium darstellt. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweckes der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist.

Im Haftungsfall sind aus Zweckmäßigkeitsgründen beide Beschwerdeführer gleichermaßen zur Haftung herangezogen werden. Da die in die Haftung einbezogenen Abgabenschuldigkeiten im Schuldenregulierungsverfahren des Beschwerdeführers bereits berücksichtigt worden sind und im Rahmen des bewilligten Zahlungsplanes abgestattet werden, erübrigt sich eine Anpassung im Wege der Ermessensübung (vgl. ). Billigkeitsgründe sind weder dem Beschwerdevorbringen, noch dem Haftungsakt zu entnehmen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht ist von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen. Darüber hinaus wurden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, die über den Einzelfall hinaus Relevanz entfalten würden. Die (ordentliche) Revision war daher als unzulässig zu erklären.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 7 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.3101216.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at