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Vorabentscheidung (EuGH) – Einzel - Beschluss, BFG vom 19.03.2021, RE/7100001/2019

Vorlagefragen zur Koordinierung der Mitgliedstaaten, wenn ausschließlich Renten von Trägern Österreichs und eines anderen Mitgliedstaates bezogen werden

Beachte

Beim EuGH anhängig unter C-199/21. Erledigt durch .


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RE/7100001/2019-RS1
Frage 1, die sich gemeinsam mit Frage 2 stellt: Ist die Wortfolge „für die Rentengewährung zuständige[r] Mitgliedstaat“ im zweiten Satz des Art 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: VO 883/2004, neue Koordinierung oder Grundverordnung) dahingehend auszulegen, dass damit jener Mitgliedstaat gemeint ist, der zuvor als Beschäftigungsstaat für die Familienleistungen zuständig war und der nunmehr zur Leistung der Altersrente, deren Anspruch auf die auf seinem Hoheitsgebiet vorangegangene Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beruht, verpflichtet ist? Frage 2: Ist die Wortfolge des Art 68 Abs 1 Buchstabe b) sublit ii) der VO 883/2004 "Ansprüche, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden," dahingehend auszulegen, dass ein Familienleistungsanspruch dann als durch den Bezug einer Rente ausgelöst anzusehen ist, wenn erstens die unionsrechtlichen ODER mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften für den Anspruch auf Familienleistung den Bezug einer Rente als Tatbestandsmerkmal vorsehen und zweitens darüber hinaus das Tatbestandsmerkmal des Rentenbezugs auf der Tatsachenebene tatsächlich erfüllt wird, sodass ein ‚schlichter Rentenbezug‘ dem Art 68 Abs 1 Buchstabe b) sublit ii) der VO 883/2004 nicht unterfällt und der betroffene Mitgliedstaat aus unionsrechtlicher Sicht nicht als „Rentenstaat“ anzusehen ist?
RE/7100001/2019-RS2
Frage 3, die sich alternativ zu Frage 1 und 2 stellt, wenn für die Auslegung des Begriffs Rentenstaat der schlichte Rentenbezug ausreicht: Ist im Fall des Bezugs einer Altersrente, deren Anspruch im Anwendungssbereich der Wanderarbeitnehmerverordnungen sowie davor durch Ausübung einer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat in einem Zeitraum, als entweder der Wohnortstaat allein oder beide Staaten noch nicht Mitgliedstaaten der Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums waren, die Wortfolge „erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren“ in Art 68 Abs 2 Satz 2 Halbsatz 2 der VO 883/2004 im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom , Rs 733/79, Laterza, zu verstehen, sodass durch das Unionsrecht auch bei Rentenbezug die Familienleistung im höchstmöglichen Ausmaß garantiert wird?
RE/7100001/2019-RS3
Frage 4: Ist Art 60 Abs 1 Satz 3 der VO 987/2009 dahingehend auszulegen, dass er § 2 Abs 5 FLAG 1967, demzufolge im Fall der Scheidung der Anspruch auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag solange dem haushaltsführenden Elternteil zusteht, wie das volljährige und studierende Kind dessen Haushalt zugehört, der jedoch weder im Wohnortstaat noch im Rentenstaat einen Antrag gestellt hat, entgegensteht, sodass der andere Elternteil, der als Rentner in Österreich wohnt und die ausschließliche Geldunterhaltslast für das Kind tatsächlich trägt, den Anspruch auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag beim Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften vorrangig anzuwenden sind, unmittelbar auf Art 60 Abs 1 Satz 3 der VO 987/2009 stützen kann? Frage 5, die sich gemeinsam mit Frage 4 stellt: Ist Art 60 Abs 1 Satz 3 der VO 987/2009 ferner dahingehend auszulegen, dass für die Begründung der Parteistellung des Unionsarbeitnehmers im mitgliedstaatlichen Familienleistungsverfahren auch erforderlich ist, dass er überwiegend den Unterhalt iSd Art 1 Buchst i) Ziffer 3 VO 883/2004 trägt?
RE/7100001/2019-RS4
Frage 6: Sind die Bestimmungen über das Dialogverfahren gemäß Art 60 der Verordnung (EG) Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom , ABlEU 30.10.009, L 284, zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in der Folge: VO 987/2009 oder Durchführungsverordnung) dahingehend auszulegen, dass ein solches von den Trägern des vorrangig und nachrangig zuständigen Mitgliedstaates nicht nur im Fall der Gewährung von Familienleistungen, sondern auch im Fall von Rückforderungen von Familienleistungen zu führen ist?

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** unvertreten, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom , seit Finanzamt Österreich, Postfach 260, A-1000 Wien, als belangte Behörde, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe in Form von Ausgleichszahlungsbeträgen und Kinderabsetzbeträgen über den Zeitraum Jänner bis August 2013 für das volljährige Kind ***K*** gemäß § 26 Abs 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) beschlossen:

Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen mit dem

ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG

vorgelegt:

Fragen:

Frage 1, die sich gemeinsam mit Frage 2 stellt:

Ist die Wortfolge "für die Rentengewährung zuständige[r] Mitgliedstaat" im zweiten Satz des Art 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: VO 883/2004, neue Koordinierung oder Grundverordnung) dahingehend auszulegen, dass damit jener Mitgliedstaat gemeint ist, der zuvor als Beschäftigungsstaat für die Familienleistungen zuständig war und der nunmehr zu Leistung der Altersrente, deren Anspruch auf die auf seinem Hoheitsgebiet vorangegangene Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beruht, verpflichtet ist?

Frage 2:

Ist die Wortfolge des Art 68 Abs 1 Buchstabe b) sublit ii) der VO 883/2004 "Ansprüche, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden," dahingehend auszulegen, dass ein Familienleistungsanspruch dann als durch den Bezug einer Rente ausgelöst anzusehen ist, wenn erstens die unionsrechtlichen ODER mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften für den Anspruch auf Familienleistung den Bezug einer Rente als Tatbestandsmerkmal vorsehen und zweitens darüber hinaus das Tatbestandsmerkmal des Rentenbezugs auf der Tatsachenebene tatsächlich erfüllt wird, sodass ein ,schlichter Rentenbezug' dem Art 68 Abs 1 Buchstabe b) sublit ii) der VO 883/2004 nicht unterfällt und der betroffene Mitgliedstaat aus unionsrechtlicher Sicht nicht als "Rentenstaat" anzusehen ist?

Frage 3, die sich alternativ zu Frage 1 und 2 stellt, wenn für die Auslegung des Begriffs Rentenstaat der schlichte Rentenbezug ausreicht:

Ist im Fall des Bezugs einer Altersrente, deren Anspruch im Anwendungssbereich der Wanderarbeitnehmerverordnungen sowie davor durch Ausübung einer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat in einem Zeitraum, als entweder der Wohnortstaat allein oder beide Staaten noch nicht Mitgliedstaaten der Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums waren, die Wortfolge "erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren" in Art 68 Abs 2 Satz 2 Halbsatz 2 der VO 883/2004 im Lichte des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom , Rs 733/79, Laterza, zu verstehen, sodass durch das Unionsrecht auch bei Rentenbezug die Familienleistung im höchstmöglichen Ausmaß garantiert wird?

Frage 4:

Ist Art 60 Abs 1 Satz 3 der VO 987/2009 dahingehend auszulegen, dass er § 2 Abs 5 FLAG 1967, demzufolge im Fall der Scheidung der Anspruch auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag solange dem haushaltsführenden Elternteil zusteht, wie das volljährige und studierende Kind dessen Haushalt zugehört, der jedoch weder im Wohnortstaat noch im Rentenstaat einen Antrag gestellt hat, entgegensteht, sodass der andere Elternteil, der als Rentner in Österreich wohnt und die ausschließliche Geldunterhaltslast für das Kind tatsächlich trägt, den Anspruch auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag beim Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften vorrangig anzuwenden sind, unmittelbar auf Art 60 Abs 1 Satz 3 der VO 987/2009 stützen kann?

Frage 5, die sich gemeinsam mit Frage 4 stellt.

Ist Art 60 Abs 1 Satz 3 der VO 987/2009 ferner dahingehend auszulegen, dass für die Begründung der Parteistellung des Unionsarbeitnehmers im mitgliedstaatlichen Familienleistungsverfahren auch erforderlich ist, dass er überwiegend den Unterhalt iSd Art 1 Buchst i) Ziffer 3 VO 883/2004 trägt?

Frage 6:

Sind die Bestimmungen über das Dialogverfahren gemäß Art 60 der Verordnung (EG) Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom , ABlEU 30.10.009, L 284, zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (in der Folge: VO 987/2009 oder Durchführungsverordnung) dahingehend auszulegen, dass ein solches von den Trägern der beteiligten Mitgliedstaates nicht nur im Fall der Gewährung von Familienleistungen, sondern auch im Fall von Rückforderungen von Familienleistungen zu führen ist?

II Die Entscheidung über die zu Grunde liegende Bescheidbeschwerde ist bis zum Ergehen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß § 290 Abs 2 Bundesabgabenordnung ausgesetzt.

Entscheidungsgründe:

Das Bundesfinanzgericht (in der Folge: BFG) erfüllt die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung entwickelten Kriterien als Gericht iSd Art 267 AEUV (zB , Montte SL, Rn 22, 23) und ist als nicht in letzter Instanz berufenes Gericht zur Vorlage von Fragen über die Auslegung von Sekundärrecht berechtigt. Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Beschwerdeführer (Bf) und dem - nunmehr - Finanzamt Österreich als belangte Behörde wegen Rückforderung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages für die in Polen studierende Tochter des Bf. Die belangte Behörde hat die Voraussetzungen für den Beihilfenanspruch ab dem Zeitpunkt als nicht mehr gegeben angesehen, seit dem der Bf auch in Polen eine Altersrente bezog.

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft im Kern die Auslegung des unionsrechtlichen Begriffs des "Rentenstaates" nach Art 67 und 68 der VO 883/2004 sowie Sinn und Zweck der Differenzzahlung iSd Art 68 Abs 2 der Verordnung und ferner die Frage, ob die Verpflichtung zur Leistung der Differenzzahlung bei Rentenbezug entfällt. Das Vorabentscheidungsersuchen ist weiters aufgrund zweier unterschiedlicher Judikaturlinien innerhalb des BFG geboten.

Mit Erkenntnis vom , RV/7103009/2015, (OZ II/4) hat das BFG in einer identen Ausgangssituation, die bereits in den Anwendungsbereich der neuen Koordinierung fiel, zu Recht erkannt hat, dass Österreich als unionsrechtlich zuständiger Rentenstaat die Differenzzahlung zu leisten habe, damit die erworbenen Ansprüche gewahrt bleiben. Gestützt hat es sich dabei auf 13 EuGH-Judikate, wobei das Urteil des EuGH in der Rechtssache Laterza als von zentraler Bedeutung zur Problematik der Anspruchswahrung bei ehemals aktiven Unionsarbeitnehmern und nunmehrigen Beziehern von Altersrenten angesehen wurde. Einige Richterinnen folgen dieser Rechtsprechung. Diese Judikaturlinie ist jedoch die Minderheitenmeinung.

Die zweite Judikaturlinie vertritt die gegenteilige Rechtsanschauung, dass nämlich in einem Fall wie der Ausgangssituation nur der Mitgliedstaat der zuständige Rentenstaat sei, wo sich der Wohnort der Kinder befinde. Da nur ein Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat sein könne, sei auch die Verpflichtung zur Leistung der Differenzzahlung nach Art 68 Abs 2 VO 883/2004 durch den anderen "Rentenstaat" auszuschließen [etwa Erkenntnis vom , RV/7106467/2016 (OZ II/5); jüngst Erkenntnis vom , RV/7100107/2021 (OZ II/6)]. Beide Entscheidungen gehen mit der Rechtsansicht des nunmehrigen zuständigen Bundesministeriums für Frauen, Familie und Jugend im Bundeskanzleramt konform (OZ I/2).

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen geht sogar weiter als das Erkenntnis RV/7103009/2015, indem es nämlich den Rentenstaat, der der ehemalige Beschäftigungsstaat war (in concreto Österreich), im Verhältnis zu einem Rentenstaat, wo sich zwar der Wohnort der Kinder befindet, nach dessen Rechtsvorschriften der Anspruch auf Familienleistungen jedoch nicht durch den Rentenbezug ausgelöst werden (in concreto Polen), als den zuständigen Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften vorrangig anzuwenden sind, erachtet.

Unionsrecht:

Verordnung 883/2004:

Erwägungsgründe der Grundverordnung:

(4) Es ist notwendig, die Eigenheiten der nationalen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit zu berücksichtigen und nur eine Koordinierungsregelung vorzusehen.

(7) Wegen der großen Unterschiede hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs der nationalen Rechtsvorschriften ist es vorzuziehen, den Grundsatz festzulegen, dass diese Verordnung auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie auf ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen Anwendung findet.

(13) Die Koordinierungsregeln müssen den Personen, die sich innerhalb der Gemeinschaft bewegen, sowie ihren Angehörigen und Hinterbliebenen die Wahrung erworbener Ansprüche und Vorteile sowie der Anwartschaften ermöglichen. (Hervorhebung durch BFG)

(17) Um die Gleichbehandlung aller im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätigen Personen am besten zu gewährleisten, ist es zweckmäßig, als allgemeine Regel die Anwendung der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorzusehen, in dem die betreffende Person eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt.

(35) Zur Vermeidung ungerechtfertigter Doppelleistungen sind für den Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats mit Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der Familienangehörigen Prioritätsregeln vorzusehen.

Art 1 der VO 883/2004 gibt folgende Begriffe vor:

i) "Familienangehöriger"

1. i) jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;

ii) …

2. unterscheiden die gemäß Nummer 1 anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind, so werden der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder als Familienangehörige angesehen;

3. wird nach den gemäß Nummern 1 und 2 anzuwendenden Rechtsvorschriften eine Person nur dann als Familien- oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Versicherten oder dem Rentner in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von dem Versicherten oder dem Rentner bestritten wird;

j) "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person;

k) "Aufenthalt" den vorübergehenden Aufenthalt;

s) "zuständiger Mitgliedstaat" den Mitgliedstaat, in dem der zuständige Träger seinen Sitz hat;

t) "Versicherungszeiten" die Beitragszeiten, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind;

w) "Renten" nicht nur Renten im engeren Sinn, sondern auch Kapitalabfindungen, die an deren Stelle treten können, und Beitragserstattungen sowie, soweit Titel III nichts anderes bestimmt, Anpassungsbeträge und Zulagen;

z) "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I.

Artikel 2 - Persönlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Artikel 3 - Sachlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

[…]

d) Leistungen bei Alter;

[…]

j) Familienleistungen.

Artikel 4 - Gleichbehandlung

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

TITEL II

BESTIMMUNG DES ANWENDBAREN RECHTS

Artikel 11 - Allgemeine Regelung

"(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

b) ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;

c) eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

d) eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats."

TITEL III - BESONDERE BESTIMMUNGEN ÜBER DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VON LEISTUNGEN

KAPITEL 8 - Familienleistungen

Artikel 67 - Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen

Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.

Artikel 68 - Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Antrag auf Familienleistungen gestellt, so gilt Folgendes:

a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Absatz 2 genannten Unterschiedsbetrag;

b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist.

Verordnung 987/2009

Artikel 11 VO 987/2009 über die Bestimmung des Wohnortes lautet auszugsweise:

(1) Besteht eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Trägern von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten über die Feststellung des Wohnortes einer Person, für die die Grundverordnung gilt, so ermitteln diese Träger im gegenseitigen Einvernehmen den Mittelpunkt der Interessen dieser Person und stützen sich dabei auf eine Gesamtbewertung aller vorliegenden Angaben zu den einschlägigen Fakten, wozu gegebenenfalls die Folgenden gehören können:

a) Dauer und Kontinuität des Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats;

b) die Situation der Person, einschließlich

i) der Art und der spezifischen Merkmale jeglicher ausgeübten Tätigkeit, insbesondere des Ortes, an dem eine solche Tätigkeit in der Regel ausgeübt wird, der Dauerhaftigkeit der Tätigkeit und der Dauer jedes Arbeitsvertrags,

ii) ihrer familiären Verhältnisse und familiären Bindungen,

v) ihrer Wohnsituation, insbesondere deren dauerhafter Charakter,

vi) des Mitgliedstaats, der als der steuerliche Wohnsitz der Person gilt.

(2) Können die betreffenden Träger nach Berücksichtigung der auf die maßgebenden Fakten gestützten verschiedenen Kriterien nach Absatz 1 keine Einigung erzielen, gilt der Wille der Person, wie er sich aus diesen Fakten und Umständen erkennen lässt, unter Einbeziehung insbesondere der Gründe, die die Person zu einem Wohnortwechsel veranlasst haben, bei der Bestimmung des tatsächlichen Wohnortes dieser Person als ausschlaggebend.

KAPITEL VI - Familienleistungen

Art 60 VO 987/2009 bestimmt auszugweise:

Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.

(2) Der nach Absatz 1 in Anspruch genommene Träger prüft den Antrag anhand der detaillierten Angaben des Antragstellers und berücksichtigt dabei die gesamten tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die die familiäre Situation des Antragstellers ausmachen.

Kommt dieser Träger zu dem Schluss, dass seine Rechtsvorschriften nach Artikel 68 Absätze 1 und 2 der Grundverordnung prioritär anzuwenden sind, so zahlt er die Familienleistungen nach den von ihm angewandten Rechtsvorschriften.

Ist dieser Träger der Meinung, dass aufgrund der Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats ein Anspruch auf einen Unterschiedsbetrag nach Artikel 68 Absatz 2 der Grundverordnung bestehen könnte, so übermittelt er den Antrag unverzüglich dem zuständigen Träger des anderen Mitgliedstaats und informiert die betreffende Person; außerdem unterrichtet er den Träger des anderen Mitgliedstaats darüber, wie er über den Antrag entschieden hat und in welcher Höhe Familienleistungen gezahlt wurden.

(3) Kommt der Träger, bei dem der Antrag gestellt wurde, zu dem Schluss, dass seine Rechtsvorschriften zwar anwendbar, aber nach Artikel 68 Absätze 1 und 2 der Grundverordnung nicht prioritär anwendbar sind, so trifft er unverzüglich eine vorläufige Entscheidung über die anzuwendenden Prioritätsregeln, leitet den Antrag nach Artikel 68 Absatz 3 der Grundverordnung an den Träger des anderen Mitgliedstaats weiter und informiert auch den Antragsteller darüber. Dieser Träger nimmt innerhalb einer Frist von zwei Monaten zu der vorläufigen Entscheidung Stellung.

Falls der Träger, an den der Antrag weitergeleitet wurde, nicht innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Antrags Stellung nimmt, wird die oben genannte vorläufige Entscheidung anwendbar und zahlt dieser Träger die in seinen Rechtsvorschriften vorgesehenen Leistungen und informiert den Träger, an den der Antrag gerichtet war, über die Höhe der gezahlten Leistungen.

(4) Sind sich die betreffenden Träger nicht einig, welche Rechtsvorschriften prioritär anwendbar sind, so gilt Artikel 6 Absätze 2 bis 5 der Durchführungsverordnung. Zu diesem Zweck ist der in Artikel 6 Absatz 2 der Durchführungsverordnung genannte Träger des Wohnorts der Träger des Wohnorts des Kindes oder der Kinder.

(5) …

Österreichisches Recht:

Gemäß § 2 Abs 1 lit a und b FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für minderjährige Kinder ohne weitere Einschränkungen und für volljährige Kinder unter den näher bestimmten Voraussetzungen des erfolgreichen Studiums oder einer anderen Berufsausbildung.

Gemäß § 2 Abs 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

§ 2 Abs 3 FLAG 1967 bestimmt [für Zwecke der Familienbeihilfe] als Kinder einer Person ua deren Nachkommen.

§ 2 Abs 5 lit a FLAG 1967 lautet:

"Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben,

  1. wenn sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält.

Ein Kind gilt bei beiden Elternteilen als haushaltszugehörig, wenn diese einen gemeinsamen Haushalt führen, dem das Kind angehört."

§ 2a FLAG 1967 lautet:

(1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, daß die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

(2) In den Fällen des Abs. 1 kann der Elternteil, der einen vorrangigen Anspruch hat, zugunsten des anderen Elternteiles verzichten. Der Verzicht kann auch rückwirkend abgegeben werden, allerdings nur für Zeiträume, für die die Familienbeihilfe noch nicht bezogen wurde. Der Verzicht kann widerrufen werden.

§ 10 Abs 3 und 4 FLAG 1967 lautet auszugsweise:

(3) Die Familienbeihilfe [… wird …] höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. […]

(4) Für einen Monat gebührt Familienbeihilfe nur einmal.

§ 26 Abs 1 FLAG 1967 bestimmt:

Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

Sachverhalt:

Aufgrund des vom Bundesfinanzgerichts ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens ist folgender Sachverhalt festzustellen:

Gegenstand der Rückforderung ist die Familienbeihilfe in Form der Ausgleichszulage nach § 4 Abs 2 iVm § 26 Abs 1 FLAG 1967 samt Kinderabsetzbetrag nach § 33 EStG 1988, die gekürzt nach der österreichischen Antikumulierungsvorschrift um die polnischen Familienleistungen zuerkannt worden waren. Im Zeitpunkt der Gewährung ging die belangte Behörde für sich von vorrangiger Zuständigkeit infolge Ausübung einer Beschäftigung in Österreich durch einen polnischen Staatsbürger aus.

Der Bf ist ein gebürtiger Pole, der seit September 2001 die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Er und Frau ***F*** sind Eltern der 1991 geborenen gemeinsamen Tochter ***K***. Kindesmutter und Tochter wohnen in Polen an derselben Anschrift ***sowieso***. Mutter und Tochter waren und sind nach wie vor polnische Staatsbürgerinnen. Die Tochter betreibt in Polen ein Studium.

Seit November 2011 bezieht der Bf von den zuständigen Trägern Österreichs und Polens eine Altersrente in Form von Frührenten. Auf diese geänderte Sach- und Rechtslage stützt die belangte Behörde die Rückforderung der österreichischen Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages. Insbesondere der Rentenbezug aus Polen begründet die unionsrechtliche Unzuständigkeit Österreichs. Weiters sei die Differenzzahlungspflicht des Art 68 Abs 2 VO 883/2004 für den nachrangigen Mitgliedstaates bei Rentenbezug nicht einschlägig.

Den Rentenansprüchen gegenüber den Trägern der betroffenen Mitgliedstaaten liegen folgende Beschäftigungszeiträume zu Grunde:

in Österreich: der Rentenanspruch beruht auf Versicherungszeiten ab Mai 1989. Insgesamt hat der Bf 229 Versicherungsmonate, etwa 19 Jahre, erreicht.

In Polen: der Rentenanspruch beruht auf Versicherungszeiten bis Ende 1988.

Der Bf kam im Mai 1989 nach Österreich, um hier Arbeit zu finden. Von 1989 bis 1992 hat der Bf drei Wochen in Österreich gearbeitet und war eine Woche bei seiner Familie in Polen. Ab 1992 war er nur mehr gelegentlich, etwa drei bis vier Mal jährlich in Polen. Zunächst verfügte der Bf in Österreich über einen beruflich veranlassten Doppelwohnsitz, an dem er sich lediglich aufhielt. Der Wohnort der Familie befand sich während dieser Zeit in Polen, wo die Familie lebte. Jedenfalls seit 2001 befindet sich der Wohnort des Bf ausschließlich in Österreich. Im Jahr 2003 hat sich die Tochter sogar in Österreich aufgehalten und in Wien ein Gymnasium besucht. Der Bf hatte im Streitzeitraum den unionsrechtlichen Wohnort in Österreich, er hält sich in Österreich nicht nur auf, die Kindesmutter und die Tochter hatten ihren unionsrechtlichen Wohnort in Polen.

Die Familienbeihilfe wurde stets dem Bf gewährt; eine Verzichtserklärung der Mutter wurde laut Vorbringen der belangten Behörde auch in der Vergangenheit während aufrechter Ehe von der Mutter nicht abverlangt. Der Bf hat die strittigen österreichischen Familienleistungen an die Tochter weitergeleitet, indem er die Beträge auf ihr Konto überwiesen hat.

Im Jahr 2013 betrieb die Tochter ihr Studium in Polen. Das polnische Einkommenskriterium von 539,00 PLN/Person wurde im Jahr 2013 überschritten, sodass in Polen kein Anspruch auf die dortigen Familienleistungen bestand. Polnische Familienleistungen wurden weder vom Bf noch von der Kindesmutter bezogen.

Beweismittel:

Parteienvorbringen, Auskunft der PVA über Anzahl Versicherungsmonate, Bestätigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe in Lubon vom , MOPS-SR/4312/80/14, in beglaubigter Übersetzung (OZ I/7), Kontoauszüge zum Nachweis der Höhe der polnischen Pension, Bescheide des Magistrats der Stadt Wien vom über die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und Staatsbürgerschaftsnachweis (OZ II/2 und 3), Scheidung am laut eigenen Angaben.

Beweiswürdigung:

Bei der Annahme des Wohnortes des Bf in Österreich ist zu bedenken, dass der Bf den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bereits vor der Scheidung im Juli 2011 nach Österreich verlegt hatte, was die zuvor erfolgte dauernde Trennung der Eheleute nahelegt. Die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft lässt die zeitliche Einordnung der Verlegung des Mittelpunktes der Lebensinteressen von Polen nach Österreich bereits jedenfalls im Jahr 2001 zu. Dauer und Kontinuität des Aufenthalts in Österreich sind gegeben. Nach dem unangefochten gebliebenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 lebte der Bf in diesem Jahr in Wien in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin. Der Bf hat somit seit langer Zeit eine starke rechtliche, persönliche und wirtschaftliche Beziehung zu Österreich. Mit Polen verband den Bf hauptsächlich die Tochter.

Schließlich befindet sich nach dem DBA Polen-Österreich in Österreich der steuerliche Wohnsitz.

Wie in Rn 3 dargelegt, besteht die Bescheidbeschwerde aus zwei Schriftsätzen, die einander zur Frage, ob Polen für die Tochter Familienbeihilfe gewährt hat, widersprechen. Mit dem Beschwerdeschriftsatz wird vorgetragen, der Bf habe seit Jahren immer wieder Unterlagen über die ausländische Familienbeihilfe übermittelt und somit sei dem Finanzamt seit Jahren klar gewesen, dass ausländische Beihilfe dem in Polen lebenden Kind gewährt werde, die auch von der österreichischen Familienbeihilfe abgezogen worden sein. Demgegenüber wird im Ergänzungsschriftsatz vorgetragen, der Bf habe auf die Familienleistungen nach dem polnischen "FLAG" keinen Anspruch gehabt, weil er aufgrund der österreichischen Pension (EUR 784,10 netto monatlich) das "sog. Einkommensniveau pro Familienmitglied" überschritten habe. Die polnische Rente belaufe sich monatlich auf EUR 74,99). Im Jahr 2013 habe der Schwellenwert noch bei 539,00 PLN pro Person und Monat gelegen. Dieses Vorbringen wird durch den amtlichen Nachweis, Bestätigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe in Lubon vom , MOPS-SR/4312/80/14, das im Original und in beglaubigter Übersetzung vorgelegt wurde, getragen.

Die Feststellung, dass weder der Bf noch die Kindesmutter polnische Familienleistungen bezogen haben, ergab sich aus der Bestätigung der Stadtanstalt für Sozialhilfe, der als öffentliche Urkunde erhöhte Beweiskraft zukommt. Der Inhalt der Urkunde entspricht dem vom Bf im Ergänzungsschriftsatz erstatteten Vorbringen. Die polnische Verdienstgrenze von PLN 539,00 entsprach nach dem Börsenkurs vom rund EUR 129,00. Für drei Personen durfte demnach der Schwellenwert von EUR 387,00 monatlich nicht überschritten werden. Es ist nicht mit menschlichem Erfahrungsgut in Einklang zu bringen, dass der polnische Träger rechtswidrig die polnische Familienleistung gewährt hätte - noch dazu bei einer derart eklatanten Überschreitung des Schwellenwertes - und die zuständige polnische Behörde das Gegenteil beurkundet. Angesichts des Urkundenbeweises erweist sich der von der Rechtsanwältin vorgetragene Bezug der polnischen Familienleistung, zu dem keine Beweismittel vorgelegt wurden, als unrichtig.

Der im Übrigen festgestellte Sachverhalt ergab sich schlüssig und widerspruchsfrei aus den vom BFG ergänzend erhobenen Beweismitteln sowie dem vorgelegten Verwaltungsakt und ist zwischen den Parteien unstrittig.

Geltungsbereich:

1 Der Bf als österreichischer Staatsbürger und die geschiedene Ehefrau und Kindesmutter sowie die Tochter als polnische Staatsbürger besitzen die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Union und verfügen über Wohnorte in den beiden beteiligten Mitgliedstaaten. Die Tochter erfüllt den Begriff der Familienangehörigen nach Art 1 Buchst i) der Verordnung iVm § 2 Abs 3 FLAG 1967. Der Bf hat als Rentenbezieher seinen Wohnort in Österreich und die Kindesmutter sowie die Tochter haben ihren Wohnort in Polen. Am Familienwohnsitz in Polen lebten nur die Mutter und das Kind. Dass der Bf und das Kind verschiedene Wohnorte iSd Art 1 Buchst j) der Verordnung innehaben, schadet nicht (, Rs Bogatu, Wohnort des Antragstellers im Beschäftigungsstaat). Laut Sachverhalt hat der Bf seit 1992 Versicherungszeiten in Österreich erzielt. Da er bereits vor dem Beitritt Polens zur Union per in Österreich unselbständig beschäftigt war, galt für ihn der Ausschluss vom österreichischen Arbeitsmarkt nicht. Sein Aufenthalt in Österreich war somit stets rechtmäßig. Österreich ist seit Mitglied der Union und war bereits seit Mitglied des Binnenmarktes. Daher galten für den Bf jedenfalls seit die Rechtsvorschriften Österreichs als Mitgliedstaat, davor aufgrund eines zwischenstaatlichen Sozialrechtsabkommens. Art 2 VO 883/2004 nimmt in Ansehung des siebenten Erwägungsgrundes ausdrücklich auch auf Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Bezug, die für die Person galten, was in der Ausgangssituation der Fall ist. Damit ist der persönliche Geltungsbereich der Verordnung erfüllt.

Die beantragte Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag fallen als Familienleistung in den sachlichen Geltungsbereich des Art 3 der Verordnung. Mit der Entscheidung des geschiedenen Unionsarbeitnehmers, im ehemaligen Beschäftigungsstaat zu verbleiben, wird ein zwischenstaatlicher Sachverhalt begründet. Die Ausgangssituation fällt in persönlicher, sachlicher und räumlicher Hinsicht in den Geltungsbereich der VO 883/2004.

Rechtstandpunkte:

Belangte Behörde:

2 Die belangte Behörde stützt sich auf die interne Dienstanweisung im Form einer Grafik (OZ I/2). Nach deren Überschrift ist zwar die Zuordnungsregelung der Art 11 ff der VO 883/2004 auf Renten nicht anwendbar, doch wird ungeachtet dessen Art 11 Abs 1 der VO 883/2004 für den Beispielsfall eines Vaters, der jeweils aus Österreich und aus Ungarn eine Rente bezieht und dessen Familienwohnsitz in Ungarn angenommen wird, herangezogen. Art 67 der Verordnung wird übergangen. Im Beispiel ergibt sich für den Vater Ungarn als nach Art 68 Abs lit b VO 883/2004 zuständiger Mitgliedstaat, weil von dort eine Rente bezogen wird UND sich dort der Wohnort der Familie befindet. In dem Beispielfall wird bei Anwendung des Art 68 der Verordnung die Wortfolge "Ansprüche, diedurch den Bezug einer Renteausgelöst werden" außer Acht gelassen. Die Ausgangssituation gleicht dem Beispielfall, weshalb die belangte Behörde den Beschwerdefall entsprechend dieser Dienstanweisung gelöst habe. Polen sei wegen des dort gelegenen Wohnortes der Tochter allein zuständiger Mitgliedstaat. Wie eingangs erwähnt entspricht diese Rechtsansicht auch der Mehrheit im Bundesfinanzgericht.

Für die Öffentlichkeit wird die Grafik als Anhang zum Vorabentscheidungsersuchen zugänglich gemacht.

Beschwerdeführer:

3 Der Bf wurde im Beschwerdeverfahren kurzzeitig rechtsfreundlich vertreten, nach Einbringung des Vorlageantrages wurde das Vollmachtsverhältnis aufgelöst, weshalb die Parteienvertreterin nicht im Spruch gewähnt ist. Dem Verwaltungsakt liegen zwei Beschwerdeschriftsätze ein, einer des Bf und einer der Rechtsanwältin. Beide Schriftsätze datieren vom selben Tag, dem . Da jedoch der von der Rechtsanwältin verfasste Schriftsatz am zur Post gegeben (Poststempel und elektronischer Erfassungstag mit Bezeichnung als "Beruf" durch die belangte Behörde) und der vom Bf verfasste Schriftsatz am zur Post gegeben (elektronischer Erfassungstag durch die belangte Behörde) wurde, wird der vom Bf verfasste Beschwerdeschriftsatz als Ergänzungsschriftsatz betrachtet. Damit unter rechtlichen Aspekten nur eine Beschwerde, nämlich jene vom in der Fassung des Ergänzungsschriftsatzes vom vor. Mit dem Vorlageantrag wird kein neues Vorbringen erstattet.

4 Der Beschwerdeschriftsatz betont, dass der Bf den Bezug der polnischen Familienleistungen der belangten Behörde stets offengelegt habe, wozu auf obige Beweiswürdigung verwiesen wird. Wegen der Offenlegung treffe ihn keine Schuld, zumal der Bf die Familienbeihilfe guten Glaubens an die Tochter überwiesen habe. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs "normiert § 26 Abs. 1 FLAG eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Diese Verpflichtung zur Rückerstattung ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat. Ob und gegebenenfalls wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist unerheblich" (zB ). Die von der Rechtsanwältin vertretene Rechtsausfassung findet mithin in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs keine Deckung. Jedoch verneint der Bf erkennbar mit dem Ergänzungsschriftsatz die Unionsrechtskonformität des Rückforderungsbescheides. Er stellt zwar die von der belangten Behörde angenommene primäre Zuständigkeit Polens nicht in Frage, sieht aber die Voraussetzungen für die Leistung der Differenzzahlung nach Art 68 Abs 2 VO 883/2004 iVm dem österreichischem FLAG durch Österreich als gegeben.

Zu den Fragen:

Fragen 1 und 2:

5 Im Familienbeihilfenrecht ist Österreich kraft originären Rechts grundsätzlich ein typischer Wohnortstaat iSd Unionsrecht. Die Ausübung einer Beschäftigung oder der Bezug einer Rente ist in der Regel ein nicht zu erfüllendes Tatbestandsmerkmal für die österreichische Familienbeihilfe. Grundsätzlich nur iVm dem Unionsrecht kann Österreich den Status eines Beschäftigungsstaates oder Rentenstaates erlangen (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 53 Rz 311f). Eine Ausnahme könnte nach Ansicht des BFG im Vorlagefall einer Entwicklungshelferin (EuGH C-372/20) vorliegen.

6 Fällt ein Sachverhalt in persönlicher, sachlicher und räumlicher Hinsicht in den Geltungsbereich der Verordnung, so ist im Fall eines aktiv Erwerbstätigen anhand des Titels II das anzuwendende Recht zu bestimmen. Da der Bf im Streitzeitraum keine Beschäftigung mehr ausgeübt hat und der Bezug einer Altersrente nicht Gegenstand des Titels II ist, ist Titel II nach Ansicht des Vorlagegerichts in einem Fall wie der Ausgangssituation nicht einschlägig. Art 67 Satz 2 VO 883/2004 enthält eine eigenständige und abschließende Anordnung für Renten, um den - einen - zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen. Da der Bf ab in Österreich in Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit eine unselbständige Beschäftigung ausgeübt hat und seit November 2011 aufgrund der zuvor genannten Beschäftigung vom österreichischen Träger eine Altersrente bezieht und Art 67, 68 VO 883/2004 den Bezug der Rente als Tatbestandsmerkmal für den Anspruch auf Familienleistungen bestimmen, ist in der Ausgangssituation nach Ansicht des Vorlagegerichts Österreich der Rentenstaat kraft Unionsrecht iSd Art 67 der Verordnung und folglich ein zuständiger Mitgliedstaat.

7 Nach den Ausführungen des angefochtenen Bescheides (OZI/1) wurde Art 68 der Verordnung angewandt, ohne zuvor den Rentenstaat iSd Art 67 bestimmt zu haben. Das Abstellen auf den Rentenbezug per se erscheint nicht zweckgerecht, weil sich Mitgliedstaaten aufgrund des bloßen Rentenbezugs nicht voneinander unterscheiden würden. Die Abgrenzung von Rentenstaaten voneinander ist nur anhand des weiteren Merkmals möglich, das Art 68 Abs 1 Buchst b) sublit ii) VO 883/2004 mit der Wortfolge "Ansprüche, diedurch den Bezug einer Rente ausgelöst werden" ausdrücklich vorsieht. Nur auf den schlichten Rentenbezug abzustellen, ohne die Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen oder unionsrechtlichen Rechtsvorschriften zu beachten, hätte im konkreten Fall zur Folge, dass Österreich und Polen gemeinsam dem Art 67 VO 883/2004 unterfielen, was jedoch dem Aufbau der VO 883/2004 zuwiderliefe. So wie sich nach Anwendung des Titels II für den aktiven Unionsarbeitnehmer als anwendbares Recht nur das Recht EINES Mitgliedstaates ergibt, ergibt sich nach der Rechtauffassung des Vorlagegerichts durch Art 67 der Verordnung im Fall eines nicht mehr aktiv erwerbstätigen Unionsbürgers ebenso nur das Recht EINES Mitgliedstaates. Damit obliegt es nach Unionsrecht dem österreichischen Finanzamt als gemäß Art 67 ff VO 883/2004 zuständigem Träges des Rentenstaates die nationalen Rechtsvorschriften - bereinigt um diskriminierende Bestimmungen - anzuwenden. Der Mitgliedstaat des Art 67 VO 883/2004 ist nach Ansicht des Vorlagegerichts jedenfalls ein zuständiger Mitgliedstaat. Die Frage kann folglich nur sein, ob Österreich durch Art 68 VO 883/2004 vorrangig oder nachrangig die Familienbeihilfe zu leisten hat. Österreich kann jedoch nicht wie die belangte Behörde meint, der nicht zuständige Mitgliedstaat sein.

8 Der Mitgliedstaat des Art 67 VO 883/2004 hat Art 68 der Grundverordnung zu beachten. Art 68 der neuen Koordinierungsverordnung verfolgt zwar dasselbe Ziel wie seine Vorgängerbestimmung Art 76 der alten Verordnung, nämlich durch Prioritätsregeln die Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen zu vermeiden, doch wurde der Normzweck leg.cit. nach Ansicht des Vorlagegerichts gerade beim Bezug von Renten ganz besonders durch das , Laterza, geprägt und ausgedehnt. Neben der Vermeidung einer unrechtmäßigen Kumulierung verfolgt Art 68 der Verordnung mit der in Absatz 2 leg.cit. ausdrücklich eingerichteten Differenzzahlung das weitere Ziel, die Familienleistungen im Höchstmaß zu garantieren. Getragen wird diese Auslegung auch vom Erwägungsgrund 13 der Verordnung, der als Auslegungsprinzip das Gebot der Anspruchsbewahrung ausdrücklich anordnet. Auch daraus folgt, dass Österreich nur vorrangig oder nachrangig für die Familienleistungen zuständig sein kann, jedoch nicht unzuständig sein kann.

9 Das BFG ist der Rechtsaufassung, dass der allgemeine Grundsatz, unter denen das Unionsrecht die Prioriätenumkehr zweier Mitgliedstaaten vorgesehen hat, bereits in Art 76 Abs 1 der alten Verordnung normiert waren, der aufgrund der vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Grundsätze von der (Verwirrung stiftenden) "Aussetzung" in ein "Ruhen bis …" geändert wurde und Folgendes vorsah:

10 Art 76 VO 1408/71 in der Stammfassung ABl Nr L 149 vom 05/07/1971 S. 0028 - 0029 lautete:
"Der Anspruch auf die nach den Artikeln 73 und 74 geschuldeten Familienleistungen oder Familienbeihilfen [nunmehr Artikel 67 VO 883/2004] wird ausgesetzt, wennWEGEN DER AUSÜBUNGeiner beruflichen Tätigkeit Familienleistungen oder Familienbeihilfen auch nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats in dem die Familienangehörigen wohnen, zu zahlen sind." (Hervorhebung durch BFG)

11 Mit Verordnung Nr 2332/89 des Rates vom ABl Nr L 224 vom 02/08/1989 S. 0001 - 0009, Art 1 Punkt 6, erfuhr Art 76 VO 1408/71 folgende Änderung:

"in der ersten Zeile des Wortlauts des Artikels nach "Der Anspruch auf die" die Worte "allein aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder" eingefügt lautete demnach:

"Der Anspruch auf die allein aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder nach den Artikeln 73 und 74 geschuldeten Familienleistungen oder Familienbeihilfen [nunmehr Artikel 67 VO 883/2004] wird ausgesetzt, wenn WEGEN DER AUSÜBUNG einer beruflichen Tätigkeit Familienleistungen oder Familienbeihilfen auch nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats in dem die Familienangehörigen wohnen, zu zahlen sind." (Hervorhebung durch BFG)

12 Art 76 Abs 1 VO 1408/71 in der ab geltenden Fassung der Verordnung (EWG) Nr 3427/89 des Rates vom ABl Nr L 331 vom 16/11/1989 Seite 0003 sah vor:

"Sind im Laufe desselben Zeitraums, für denselben Familienangehörigen und AUFGRUND DER AUSÜBUNG einer Berufstätigkeit in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen vorgesehen, so wird der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats, gegebenenfalls nach den Artikeln 73 bzw. 74 geschuldeten Familienleistungen bis zur Höhe des durch die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates vorgesehenen Betrages ausgesetzt." (Hervorhebung durch BFG)

13 Schließlich lautete Art 76 Abs 1 VO 1408/71 in seiner letztgültigen Fassung:

"Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen AUFGRUND DER AUSÜBUNG einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß Artikel 73 bzw. 74 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag." (Hervorhebung durch BFG)

14 Die unionsrechtliche Koordinierung der Mitgliedstaaten nimmt auf deren Rechtsvorschriften Rücksicht. Zwar macht das Unionsrecht aus jedem Mitgliedstaat in einer Situation, die in den Geltungsbereich der VO 883/2004 fällt, einen Beschäftigungsstaat, doch gibt es Mitgliedstaaten in der Union, die nach ihren nationalen Rechtsvorschriften bereits im Innenverhältnis Beschäftigungsstaaten sind, weil diese für den Anspruch auf Familienleistungen - neben den Erfordernissen der Gebietsansässigkeit - auch das Erfordernis der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit verlangen. Für diese Mitgliedstaaten wurde in der jüngeren Literatur der Begriff "Beschäftigungsstaat kraft originären Rechts" geschaffen, um diesen im Wortlaut klar und deutlich vom "Beschäftigungsstaat kraft Unionsrecht", also jenem iSd Titel II iVm Art 67 der Verordnung, zu unterscheiden (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 53 Tz 303ff).

15 Sämtlichen vorgenannten Fassungen des Art 76 VO 1408/71 ist gemeinsam, dass sie dann, wenn der Wohnortstaat nach seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften selber ein Beschäftigungsstaat war, vorgesehen haben, dass dieser dem nach Art 73 der alten Verordnung zuständigen Beschäftigungsstaat "den Rang abgelaufen" hat: Der Wohnortstaat wurde aufgrund ausdrücklicher Anordnung im Unionsrecht zum vorrangig zuständigen Mitgliedstaat bestimmt, im nachrangig zuständigen Beschäftigungsstaat war der Anspruch der nach seinem Recht vorgesehenen Familienleistungen ausgesetzt bzw ruhte bis zum Erreichen des Grenzbetrages. Dass die Aussetzung nach Art 76 der alten Verordnung nicht absolut zu verstehen war, hat der EuGH durch Rechtsfortbildung klargestellt und bereits im Anwendungsbereich der VO 1408/71 beide Mitgliedstaaten derart miteinander verbunden, dass erforderlichenfalls der nachrangig zuständige Mitgliedstaat zur Leistung der Differenzzahlung verpflichtet war. Die ursprünglich vorgesehene Aussetzung wurde in ein Ruhen umgewandelt. Art 68 der VO 883/2004 setzt dieses Prinzip lediglich mit einfacheren Worten um, hat es aber unverändert in die neue Koordinierung übernommen.

16 In diesem Zusammenhang ist an das für Österreich in besonderem Maße einschlägige und großes Aufsehen verursachende Urteil des Europäischen Gerichtshofs, , Rs Slanina, zu erinnern, denn Griechenland war damals solch ein "Beschäftigungsstaat kraft originären Rechts", worauf der EuGH in seinem Urteil ausdrücklich hinweist. In Rn 35 heißt es:

"… [N]ach den griechischen Rechtsvorschriften [werden] nur bestimmten Arbeitnehmern Familienleistungen gewährt. Ihre Zahlung ist also immer an ein Arbeitsverhältnis geknüpft; ein Wohnsitz in Griechenland reicht als solcher nicht aus. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob Frau Slanina dadurch, dass sie in der Hellenischen Republik [Anm des BFG: wo sich nach der Scheidung auch der Wohnort von Frau Slanina und des Kindes befand] berufstätig war, einen Anspruch auf Familienleistungen in diesem Mitgliedstaat erworben hat." (Hervorhebung durch BFG)

17 Nachdem Frau Slanina geschieden worden war, verließ sie Österreich und nahm mit ihrer Tochter in Griechenland Wohnsitz, wohingegen der Kindesvater in Österreich weiterhin eine Erwerbstätigkeit ausübte (vgl Rn 20). Durch die Wegverlegung des Familienwohnsitzes von Österreich nach Griechenland entstand ein grenzüberschreitender Sachverhalt, wodurch Österreich zum "Beschäftigungsstaat kraft Unionsrecht" und Griechenland zunächst mangels Ausübung einer Berufstätigkeit bloßer Wohnortstaat wurde. Damit war Österreich - solange Frau Slanina in Griechenland keine Beschäftigung ausübte -gemäß Titel II iVm Art 73 der alten Verordnung [Art 67 VO 883/2004] vorrangig zur Familienleistung verpflichtet (vgl Rn 21, 22).

18 In Rn 36, 37 der Rs Slanina führt der EuGH Folgendes aus:

"36 Sollte sich herausstellen, dass [die Ausübung einer Berufstätigkeit durch Frau Slanina in Griechenland] der Fall war, wäre die in Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehene "Antikumulierungs"-Regel anzuwenden. Diese Bestimmung soll den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen regeln, die nach Art. 73 dieser Verordnung [Anm BFG: dem "Beschäftigungsstaat qua Unionsrecht"] und nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Wohnstaats der Familienangehörigen, die den Anspruch auf Familienleistungen wegen Ausübung einer Erwerbstätigkeit begründen [Anm BFG: dem "Beschäftigungsstaat qua originären Rechts"], geschuldet werden (vgl. Urteil vom , Dodl und Oberhollenzer, C-543/03, Slg. 2005, I-5049, Randnr. 53).

37 Nach Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 wäre daher vorrangig die Hellenische Republik als Mitgliedstaat des Wohnsitzes von Nina und ihrer Mutter zur Gewährung von Familienleistungen verpflichtet gewesen [Anm BFG: Beschäftigungsstaat qua originären Rechts mit Wohnort des Kindes und der Mutter]. Der Anspruch auf die österreichischen Familienleistungen aufgrund von Art. 73 dieser Verordnung hätte daher in Höhe des von den griechischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags geruht."

19 Es ist daher nach Ansicht des Vorlagegerichts festzustellen, dass bereits in der Rs Slanina durch den EuGH die Differenzierung der Mitgliedstaaten nach "Beschäftigungsstaat kraft originären Rechts" und "Beschäftigungsstaat kraft Unionsrechts" getroffen wurde, und dass Griechenland als "Beschäftigungsstaat kraft originären Rechts" Österreich als "Beschäftigungsstaat kraft Unionsrechts" den Rang abgelaufen hat, sofern in Griechenland eine Beschäftigung ausgeübt wurde, die nach den dortigen Rechtsvorschriften den Anspruch auf die hellenistischen Familienleistungen ausgelöst hat, und sich dort der Wohnort des Kindes befand, um in der Diktion der neuen Koordinierung zu sprechen.

20 Folgerichtig führt der Verwaltungsgerichtshof in der Rs Slanina, , aus:

"Nach Punkt 2 des Tenors des Urteils des EuGH ist ab dem Zeitpunkt der Aufnahme einer Berufstätigkeit der Beschwerdeführerin in Griechenland zunächst zu prüfen, ob diese Tätigkeit in Griechenland einen Anspruch auf Familienleistungen nach dem Recht Griechenlands begründet. Begründet diese Tätigkeit in Griechenland keinen Anspruch auf Familienleistungen nach griechischem Recht, so hat diese Tätigkeit keinen Einfluss auf den Anspruch der Beschwerdeführerin auf die österreichische Familienleistung und wäre auch in diesem Fall die Rückforderung der gegenständlichen Leistung für diesen Zeitraum rechtswidrig [Anm BFG: Österreich bleibt vorrangig zuständiger Beschäftigungsstaat qua Unionsrecht]. Würde die Berufstätigkeit der Beschwerdeführerin in Griechenland einen Anspruch auf Familienleistungen nach griechischem Recht begründen, würde dies zu einem Ruhen des Anspruches auf Familienbeihilfe bis zur Höhe des nach den griechischen Vorschriften vorgesehenen Betrages führen [Anm BFG: Anwendung von Art 76 Abs 1 VO 1408/71]. Erreichte die Familienleistung nach den griechischen Vorschriften die Höhe der gegenständlichen Familienleistung, würde diese zur Gänze geruht haben und wäre in diesem Zeitraum der Rückforderungsanspruch begründet. Wäre die griechische Familienleistung niedriger als die tatsächlich von Österreich gewährte Familienleistung, würde nur in diesem Ausmaß die Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag ruhen und in diesem Ausmaß rückforderbar sein [Anm BFG: Österreich ist als nachrangig zuständiger Mitgliedstaat zur Differenzzahlung verpflichtet und darf insoweit nicht zurückfordern]." (Hervorhebung durch BFG) Der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, dass Griechenland nach MISSOC hinsichtlich des Kindergeldes nunmehr ausschließlich die Erfüllung von Gebietsansässigkeitserfordernissen verlangt.

21 Dass vorrangige und nachrangige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Fall der Ausübung einer Erwerbstätigkeit festzustellen sind, stellte die Amtsvertreterin außer Streit. Es besteht nach Auffassung des BFG nun kein vernünftiger Grund, zwar im Fall der Ausübung einer Erwerbstätigkeit die beiden beteiligten Mitgliedstaaten derart zu koordinieren, dass beide Mitgliedstaaten gemeinsam die Familienleistungen im Höchstausmaß garantieren, indem der eine Mitgliedstaat vorrangig und der andere erforderlichenfalls nachrangig die Differenzzahlung zu leisten hat, jedoch im Fall des Rentenbezugs die beteiligten Mitgliedstaaten nicht durch das unionsrechtliche vinculum iuris des Art 68 der Grundverordnung verbunden sein sollten. Vielmehr koordiniert leg.cit. in jeder Konstellation die im Einzelfall beteiligten Mitgliedstaaten durch Typisierung und Hierarchisierung, wodurch die Rangfolge bestimmt wird, und garantiert durch deren gemeinsame Verpflichtung das Höchstmaß an Familienleistungen. Art 68 VO 883/2004 ist demgemäß nicht als Kollisionsnorm aufzufassen und der Grundsatz, dass nur ein Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat sein kann, trifft zwar für das Titel II der Verordnung zu, nicht aber für Titel III, Kapitel 8, das die Familienleistungen näher regelt. Für Rentensachverhalte ergibt sich die gemeinsame Verpflichtung der beteiligten Mitgliedstaaten aus der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere Rs Laterza und die darin angeführte Vorjudikatur.

22 Zur Beantwortung der Frage, ob Österreich in der Ausgangssituation vor- oder nachrangig zuständig ist, ist mithin zunächst zu klären, ob die Rechtsvorschriften Polens ihrerseits den Bezug einer Rente als Tatbestandsvoraussetzung für den Bezug der polnischen Familienleistung vorsehen oder nicht. Nach dem System der EU zur gegenseitigen Information über den sozialen Schutz (MISSOC) knüpfen die polnischen Rechtsvorschriften ausschließlich an die Gebietsansässigkeit an. Polen wäre bei dieser Rechtsanschauung kraft eigenen Rechts als Wohnortstaat zu typisieren.

23 Nach der Rechtsauffassung des Vorlagegerichts träfen in der Ausgangssituation demnach Österreich als Rentenstaat (kraft Unionsrecht) und Polen als Wohnortstaat (kraft eigenen Rechts) aufeinander. Folglich lägen Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten ausunterschiedlichen Gründen vor, sodass Art 68 Abs 1 Buchst a) der Verordnung einschlägig wäre. Österreich als Rentenstaat wäre vorrangig, Polen als Wohnortstaat nachrangig zuständig. Gemäß Art 68 Abs 2 der VO 883/2004 hat der vorrangig zuständige Mitgliedstaat nach Unionsrecht ungekürzt zu leisten.

24 Die belangte Behörde hat demgegenüber konform der Dienstanweisung die Ausgangssituation unter Außerachtlassung von Art 67 unmittelbar dem Art 68 Abs 1 Buchst b) sublit ii) VO 883/2004 subsumiert. Es hat Österreich als (schlichten) Rentenstaat und Polen als (schlichten) Rentenstaat und damit als gleichartig beurteilt, weil in beiden Mitgliedstaaten Altersrenten bezogen werden, und folglich den Wohnort der Tochter in Polen als Ausschlagskriterium herangezogen. Da Polen infolge des Überschreitens der Verdienstgrenze keine Familienleistung zu erbringen hat, ließe das polnische Familienleistungsrecht die Höhe der Österreich treffenden Differenzzahlungspflicht unberührt. Österreich hätte mit der Differenzzahlung in derselben Höhe zu leisten wie als vorrangig zuständiger Mitgliedstaat.

25 Die Verpflichtung des ehemaligen unionsrechtlichen Beschäftigungsstaates zur Leistung eines Unterschiedsbetrages an den im anderen Mitgliedstaat wohnenden Rentenempfänger entspricht dem , Laterza, das noch zur alten Verordnung ergangen ist und in besonderem Maße den Erwägungsgrund 13 der Verordnung trägt. Im Sinne der Rs Laterza hat das Bundesfinanzgericht erstmals und abweichend von der bis dahin erfolgten hg Spruchpraxis mit Erkenntnis vom , RV/7103009/2015, zu Recht erkannt, dass der polnischen Witwe, deren Ehemann durch einen Arbeitsunfall in Österreich zu Tode kam, die österreichische Familienbeihilfe für das in Polen bei der Mutter Kind lebende in Form der Differenzzahlung des Art 68 Abs 2 VO 883/2004 zustand. Der angefochtene Bescheid wurde am und damit weit vor dem zitierten BFG-Erkenntnis verfasst. Jedoch hat die Vertreterin der belangten Behörde im Laufe des Beschwerdeverfahrens auf Ersuchen des BFG die Auskunft erteilt, dass das BFG-Erkenntnis RV/7103009/2015 nach wie vor nicht beachtet wird, wozu wohl auch die uneinheitliche Spruchpraxis im BFG beiträgt.

26 Im Anwendungsbereich der alten Verordnung wurde iSd , Laterza, der ehemalige unionsrechtliche Beschäftigungsstaat als nachrangig zuständiger Mitgliedstaat generell zur Differenzzahlung an den im anderen Mitgliedstaat wohnenden Rentner verpflichtet (Wahrung des erworbenen Anspruchs). Im Anwendungsbereich der neuen Koordinierung könnte sich nach der Rechtsanschauung des BFG für Rentenfälle sogar das Prozedere insoweit geändert haben, als bei Aufeinandertreffen von Österreich und einem Rentenstaat qua eigenen Rechts Prioritätenumkehr eintreten könnte.

Frage 3:

27 Die Frage wird alternativ zu Frage 1 und 2 für den Fall gestellt, dass Österreich auch im Anwendungssbereich der neuen Koordinierung als nachrangig zuständiger Mitgliedstaat zur Leistung der Differenzzahlung verpflichtet ist, da eine gegenteilige Judikaturlinie des BFG und das zuständige Bundesministerium bereits die nachrangige Verpflichtung Österreichs in Frage stellen.

Fragen 4 und 5:

28 Das Unionsrecht bestimmt - entweder vorrangig oder nachrangig - die österreichischen Rechtsvorschriften als anwendbares Recht. § 2 Abs 2 FLAG 1967 ordnet den vorrangigen Anspruch derjenigen Person an, zu deren Haushalt das Kind gehört. § 2a FLAG 1967 ist in der Ausgangssituation nicht einschlägig, da kein gemeinsamer Haushalt der Eltern besteht. Laut Sachverhalt sind die Eltern bereits seit 2011 geschieden und lebten bereits davor voneinander getrennt. Die Tragung der Unterhaltslast interessiert aus der Sicht des FLAG solange nicht, wie das Kind zu einer Person haushaltszugehörig ist (Die Entlastung von der Unterhaltslast erfolgt bei Inlandssachverhalten in Scheidungsfällen durch die ordentliche Gerichtsbarkeit im Wege der Geldunterhaltsverpflichtung des einen Elternteils). Nach nationaler Rechtslage ist die in Polen lebende Mutter die antragsbefugte Person. Die belangte Behörde hat für den Fall der Zuerkennung der österreichischen Familienbeihilfe als alternativen Rückforderungsgrund ins Treffen geführt, dass die österreichische Rechtslage der Kindesmutter den Anspruch auf die Familienbeihilfe einräumt. Die Parteistellung der Kindesmutter wird nach Ansicht der belangten Behörde und des Vorlagegerichts von , Rs Tomislaw Trapkowski, getragen, auf das sich auf die belangte Behörde beruft. Die Rs Trapkowski bezieht sich auf 60 Abs 1 Satz 2 der VO 987/2009.

29 Gemäß § 10 Abs 4 FLAG 1967 gebührt die Familienbeihilfe für einen Monat nur einmal, diese Bestimmung entbindet aber nicht von der Prüfung der Anspruchsberechtigung. "Wurde [Familienbeihilfe] einer Person, die hierauf im entsprechenden Zeitraum keinen Anspruch hatte, ausbezahlt, steht diese Auszahlung dem Anspruch einer anderen Person nicht entgegen und ist die zu Unrecht ausbezahlte Familienbeihilfe gemäß § 26 [FLAG 1967] von derjenigen Person, die hierauf keinen Anspruch hatte, zurückzufordern." (Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 26 Tz 23 mwN). Nach der österreichischen Rechtslage müsste demnach der Bf die Familienbeihilfe zurückzahlen und die in Polen lebende Mutter einen eigenen Antrag stellen. Trotz des großzügigen Rückwirkungszeitraumes von fünf Jahren könnte die Kindesmutter die gegenständlichen Ansprüche des Jahre 2013 nicht mehr geltend machen.

30 Nach den Feststellungen des Vorlagegerichts besteht zum dritten Satz des Art 60 Abs 1 der Durchführungsverordnung keine Rechtsprechung des EuGH. Das Vorlagegericht fragt sich, ob die Ausgangssituation den Tatbestand des Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 erfüllt, weil die nach österreichischem Recht aktivlegitimierte Kindesmutter offenkundig ihr Recht nicht wahrgenommen hat, sodass der österreichische Träger als zwingende Rechtsfolge den Antrag des Bf als anderen Elternteil zu berücksichtigen hat. Das Unionsrecht macht zwar grundsätzlich die österreichischen Rechtsvorschriften und damit § 2 Abs 2 FLAG 1967 anwendbar, doch wäre von diesem Grundsatz eine Ausnahme anzunehmen, wenn § 2 Abs 2 FLAG 1967 qua Anwendungsvorrang durch Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 verdrängt würde. Bei dieser Sichtweise würde der Bf seine Parteistellung unmittelbar aufs Unionsrecht stützten. Eine Falllösung über Art 60 Abs 1 Satz 3 VO 987/2009 würde nach Ansicht des Vorlagegerichts nicht nur die Entscheidung wesentlich erleichtern, sondern letztlich dem Kind die Ansprüche sichern.

31 Laut Sachverhalt trägt der Bf tatsächlich die Unterhaltslasten für seine Tochter, indem er ihr die österreichischen Familienleistungen bereits überwiesen hat. Nach dem in Rn 1 dargestellten Geltungsbereich fällt die Tochter als Kind der Bf unter den Begriff der Familienangehörigen nach § 2 Abs 3 FLAG 1967, sodass es nach Ansicht des BFG auf die Fiktion des Art 1 Buchst i) Ziffer 3 der Verordnung nicht ankäme. Das BFG fragt sich, ob für die Parteistellung des Bf die überwiegende Tragung der Unterhaltslast erforderlich ist, die im gegenständlichen Fall erfüllt wird.

Frage 6:

32 Um dem Wanderarbeitnehmer die Familienleistungen im höchstmöglichen Ausmaß zu gewährleisten, haben im Geltungsbereich der neuen Koordinierung die beiden betroffenen Mitgliedstaaten darauf zu achten, dass gegebenenfalls der Träger des nachrangig zuständigen Mitgliedstaates den erforderlichen Unterschiedsbetrag auf den im Einzelfall geltenden Höchstbetrag der Familienleistungen ergänzt. Dieses Zusammenwirken beider Mitgliedstaaten hat die intensive Zusammenarbeit der beiden Mitgliedstaaten im Rahmen des Dialogverfahrens zur Folge, wie sie durch die neue Koordinierung eingerichtet ist.

33 Die Rückforderung der Familienleistung stellt nun den actus contrarius zur Gewährung der Familienleistung dar. Es ist herrschende Ansicht, dass der actus contrarius dieselbe Rechtsnatur wie der actus primus hat und daher dieselben Rechte und Pflichten gelten. Das Vorlagegericht fragt sich, ob dies auch für die Verpflichtung zur Führung des Dialogverfahrens gilt, sodass ein Mitgliedstaat im Fall der Rückforderung von Familienleistungen den anderen Mitgliedstaat einzubinden hätte.

Zweifel:

34 Die Zweifel zur Auslegung des Unionsrechts sind angesichts der divergierenden Rechtsprechung im BFG und der gegenteiligen Rechtsauffassung in der zuständigen Behörde offenkundig.

Belehrung und Hinweise

Gegen diesen Beschluss ist die ordentliche ebenso wie die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof sowie die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht gegeben. Das Vorentscheidungsersuchen gemäß Art 267 AEUV ist ein Rechtsinstitut des Unionsrechts und begründet die ausschließliche Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs zur Beantwortung der Vorlagefragen. Das Vorentscheidungsverfahren ist im mitgliedstaatlichen Gerichtsverfahren als Zwischenverfahren eingerichtet und garantiert das Auslegungsmonopol des Gerichtshofs hinsichtlich Fragen des Unionsrechts. Bis zur Beantwortung des Ersuchens durch den Europäischen Gerichtshof ist das zu Grunde liegende Bescheidbeschwerdeverfahren ausgesetzt (siehe Spruchpunkt II). Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist für das Vorlagegericht und alle weiteren im Verfahren angerufenen Gerichte bindend. Nach Beantwortung durch den Europäischen Gerichtshof wird das Beschwerdeverfahren von Amts wegen vom Bundesfinanzgericht fortgesetzt. Erst die die Rechtssache erledigende Entscheidung des Bundesfinanzgerichts eröffnet nach Maßgabe der Bestimmungen des VwGG und VfGG die Anfechtung bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Art. 60 Abs. 1 Satz 3 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 10 Abs. 3 und 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 11 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
§ 2 Abs. 1 lit. a und b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 76 VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2
§ 2 Abs. 5 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 68 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Verweise




Anmerkung
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RE.7100001.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at