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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 14.05.2021, RV/7101098/2021

Beantragte Wiederaufnahme nach Ergehen eines VwGH-Erkenntnisses

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7101098/2021-RS1
Keine neuen Tatsachen und somit keine Wiederaufnahmegründe sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhalten. Dabei ist nicht entscheidend, ob die späteren rechtlichen Beurteilungen durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder der Rechtsprechung erfolgt. Gleiches gilt für vorgehende eigenständige Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Rechtslage.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Gabriele Krafft in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Lilienfeld St.Pölten nunmehr Finanzamtes Österreich vom betreffend Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO hinsichtlich Einkommensteuer 2014-2018 (Arbeitnehmerveranlagung) Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

Mit Schreiben vom , bei der belangten Behörde (FA) eingelangt am , beantragte ***Bf1*** (Beschwerdeführer, Bf.) die Wiederaufnahme der Einkommensteuerbescheide (Arbeitnehmerveranlagung) ohne Angabe welche Jahre vom Antrag umfasst seien. Begründend verweist der Bf. auf das Erkenntnis des , bzw. .

Die belangte Behörde (FA) wies mit Bescheid vom den Antrag betreffend 2014 zurück, da er nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von 5 Jahren eingebracht worden war. Betreffend die Jahre 2015 bis 2018 wies das FA die Beschwerde ab, da aus Sicht des Bf. keine neuen Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 BAO vorliegen würden.

Mit Schreiben vom , eingelangt am , erhob der Bf. fristgerecht Beschwerde und wendete ein, dass er als Exekutivbediensteter der Bundespolizei wiederholt für die EU-Agentur ***1*** im Ausland tätig sei und aus dieser Tätigkeit Taggelder bezogen hätte die zunächst "brutto für netto" ausgezahlt worden seie. In den Folgemonaten sei die Lohnsteuer einbehalten worden. Von der Dienstbehörde sei jeweils ein Übergenuss errechnet worden der in monatlichen Raten einbehalten worden sei. Die Einbehaltung der Lohnsteuerbeträge seit dem Finanzamt vollumfänglich bekannt gewesen. Im Zuge der Arbeitnehmerveranlagung sei vom FA angenommen worden, dass die von der EU Agentur ***1*** ausbezahlten Taggelder der Steuerpflicht unterlägen und dementsprechend die Einkommensteuer festgesetzt worden. Es sei für den Bf. nicht erkennbar gewesen, dass Österreich anders als andere Staaten Einkommensteuer abgezogen hätte. Österreich habe damit systematisch geltendes Recht verletzt. Der Einkommensteuerbescheide 2014-2019 seien zwar rechtskräftig geworden ungeachtet dessen aber inhaltlich rechtswidrig.

Mittlerweile habe der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ro 2018/13/0008 klargestellt, dass EU-Taggelder wie sie auch dem Bf. ausgezahlt worden seien nicht der Steuerpflicht unterlägen.

Dem Vernehmen nach gebe es auch seitens der Finanzverwaltung für andere Steuerpflichtige positive Wiederaufnahmeentscheidungen, aufgrund derer die Steuerbefreiungen der EU-Taggelder anerkannt und die Einkommensteuer neu berechnet worden sei (beispielsweise die Finanzämter Graz und Sankt Veit/Wolfsberg). Im Sinne einer bundesweit einheitlichen Vorgehensweise sei daher eine für alle Betroffenen einheitlich stattgebende Entscheidung zu treffen.

Zudem sehe § 303 Abs. 1 BAO eine Wiederaufnahme nicht nur auf Antrag, sondern auch von Amts wegen vor. Im Ergebnis könne der aktuell rechtswidrige Zustand durch die zuständigen Behörden leicht aus der Welt geschaffen werden.

Mit Beschwerdevorentscheidungen (BVE) vom wies das Finanzamt die Beschwerde ab und begründete gleichlautend in allen Jahren, dass nach einhelliger Literatur und Rechtsprechung neue Erkenntnisse - hier - in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen keine Wiederaufnahmegründe im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO darstellen würden und daher mangels Tatbestandserfüllung nicht zur Wiederaufnahme von rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren gemäß § 303 BAO berechtigen würden.

Mit Vorlageanträgen vom beantragte der Bf. die Vorlage an das Bundesfinanzgericht und führte begründend wörtlich aus:

Hiermit stelle ich den Antrag auf Entscheidung der Beschwerdevorentscheidung durch das Bundesfinanzgericht. Der Sachverhalt möge aus den vorhandenen Unterlagen entnommen werden. Hinzufügen möchte ich noch, dass mir zumindest 4 Finanzämter {St. Veit/WoIfsberg, Wien 22, Amstetten/Melk) bekannt sind und dazu gehört auch das Finanzamt Lilienfeld/St. Pölten, die in selbiger Angelegenheit (unrechtmäßige Versteuerung von ***1*** Taggeldern) positiv für meine Kollegen entschieden haben. Aus diesem Grunde verstehe ich die Ungleichbehandlung bzw die ungleiche Auslegung der Rechtsmaterie unter den verschiedenen Finanzämtern, ja selbst unter den verschiedenen Sachbearbeitern nicht. Ich verstehe auch nicht warum mir die Beschwerde für das Jahr 2019 positiv entschieden wurde und die Jahre davor nicht. Mir wurde das ***1*** Taggeld ja nicht nur für 2019 sondern auch für die Jahre davor zu Unrecht besteuert.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Bf. beantragte für die Jahre 2014-2018 jeweils im Folgejahr die Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung. Die entsprechenden Einkommensteuerbescheide ergingen für 2014 am , für 2015 am , für 2016 am , für 2017 am und für 2018 am .

Im Rahmen dieser Veranlagungen wurden die dem Bf. ausbezahlten Taggelder der EU-Agentur ***1*** in die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer einbezogen. Wie der VwGH in seiner Entscheidung vom , Ro 2018/13/008 erkannte, gelten derartige Taggelder als Zulagen gemäß § 21 Gehaltsgesetz gelten und sind daher gemäß § 3 Abs. 1 Z. 8 EStG 1988 iVm § 92 Abs. 1 EStG 1988 und § 26 Abs. 3 BAO in Österreich nicht Einkommensteuer zu unterziehen.

Betreffend das Veranlagungsjahr 2019 - welches hier nicht streitgegenständlich ist - wurde dem FA ein geänderter Lohnzettel übermittelt, aufgrund dessen eine Wiederaufnahme von Amts wegen Hervorkommens neuer Tatsachen durchgeführt und dabei die Steuerbefreiung der Taggelder rechtskonform berücksichtigt.

Zutreffend ist, dass die dem Beschwerdeführer ausbezahlten Taggelder in den Jahren 2014-2018 der EU-Agentur in ***1*** zu Unrecht der Einkommensteuer unterzogen wurden was zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung der herrschenden Rechtsansicht in Österreich entsprach. Erst durch das Erkenntnis des VwGH am wurde die Rechtswidrigkeit der Besteuerung evident. Zu diesem Zeitpunkt waren sämtliche Einkommensteuerbescheide betreffend den Bf. für die Jahre 2014-2018 bereits rechtskräftig.

Ob und aus welchen Gründen andere Finanzämter/Dienststellen für andere Steuerpflichtige nach Ergehen des VwGH-Erkenntnisses Wiederaufnahmen der Verfahren durchführten, konnte nicht festgestellt werden und ist auch für die rechtliche Beurteilung des Streitgegenstandes nicht von Bedeutung.

Beweiswürdigung

Die obigen Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt sowie dem Vorbringen Bf. und sind überdies unstrittig.

Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)

Gemäß 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (; , 95/14/0094; , 2006/13/0107; , 2010/15/0064).

Keine neuen Tatsachen und somit keine Wiederaufnahmegründe sind hingegen etwa neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhalten. Dabei ist nicht entscheidend, ob die späteren rechtlichen Beurteilungen durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder der Rechtsprechung erfolgt. Gleiches gilt für vorgehende eigenständige Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Rechtslage. (; ; , 96/15/0148; , 2008/15/0215); Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (; ; , 96/17/0373; , 2002/16/0286-0289), das Hervorkommen von Rechtsirrtümern (), unterschiedliche Beweiswürdigung durch eine Verwaltungsbehörde einerseits und durch eine Verwaltungsstrafbehörde oder ein Gericht andererseits ( ; , 97/13/0269, 0270; , 96/15/0108) oder aber höchstgerichtliche Erkenntnisse (-0161; , 97/17/0257-0279; , 98/14/0015; , 2008/13/0175).

Daraus ergibt sich, dass weder die vom Bf. zitierten Erkenntnisse des VwGH bzw. BFG einen tauglichen Wiederaufnahmegrund darstellen noch die Ausführungen zu einer angeblich anderen Entscheidungspraxis in anderen Finanzämtern bzw. Dienststellen.

Anmerkung für den unvertretenen Beschwerdeführer:
Im Ergebnis bedeutet das, dass die vom Wiederaufnahmeantrag betroffenen Einkommensteuerbescheide zwar materiell unrichtig sind, eine Korrektur im Wege der Wiederaufnahme wegen der geänderten Rechtsansicht jedoch nicht möglich ist.

Die weitere Möglichkeit der Bescheidaufhebung wegen inhaltlicher Unrichtigkeit nach § 299 BAO war leider deshalb verwehrt, weil der diesbezügliche Antrag gemäß § 302 Abs. 2 lit. b BAO vor Ablauf eines Jahres ab Zustellung des aufzuhebenden Bescheides einzubringen ist.
Das wäre in Ihrem Falle für 2018 der gewesen. Ihr Wiederaufnahmeantrag ist mit datiert, eine Umdeutung in einen Antrag nach § 299 BAO für 2018 hätte daher zu keinem für Sie besseren Ergebnis geführt.
Für die Jahre 2014 bis 2017 wäre ein derartiger Antrag nach Ergehen der Entscheidung des VwGH jedenfalls verspätet gewesen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Eine derartige Rechtsfrage liegt hier nicht vor, da die oben zitierte Judikatur des VwGH in einer geänderten Rechtsansicht bzw. einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung eines Sachverhaltes keinen Wiederaufnahmegrund erkennt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7101098.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at